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Von Professor Huxley (1874).
ОглавлениеDer Streit über die Natur und die Größe der Verschiedenheiten im Baue des Gehirns beim Menschen und bei den Affen, welcher vor ungefähr fünfzehn Jahren entstand, ist noch nicht zu Ende, wenn schon jetzt etwas ganz Verschiedenes der hauptsächlichste Gegenstand des Streites ist, verglichen mit dem was er früher war. Ursprünglich wurde behauptet und mit eigenthümlicher Zähigkeit immer wieder behauptet, daß das Gehirn aller Affen, selbst der höchsten, von dem des Menschen in dem Fehlen solcher auffallender Gebilde abwiche, wie der hinteren Lappen der Großhirnhemisphären mit dem hinteren Horn der Seitenventrikel und des in diesen Seitenventrikeln enthaltenen Hippocampus minor, welches alles beim Menschen so augenfällig ist.
Indessen, der wahre Sachverhalt, daß die drei in Frage stehenden Gebilde im Gehirn der Affen ebensogut entwickelt sind wie im menschlichen Gehirn, oder selbst noch besser, und daß es für alle Primaten (wenn wir die Lemuren davon ausschließen) charakteristisch ist, diese Theile gehörig entwickelt zu haben, ruht jetzt auf einer so sicheren Basis wie irgend ein Satz in der vergleichenden Anatomie. Überdies wird von einem Jeden aus der langen Reihe von Anatomen, welche in den letzten Jahren der Anordnung der complicierten Furchen und Windungen, die auf der Oberfläche der Großhirnhemisphären bei dem Menschen und den höheren Affen erscheinen, specielle Aufmerksamkeit gewidmet haben, zugegeben, daß sie bei jenem nach einem und demselben Plane angeordnet sind, wie bei diesen. Jede Hauptwindung und jede Hauptfurche eines Schimpansengehirns ist in dem Gehirn eines Menschen deutlich vertreten, so daß die für den einen Fall angewandte Terminologie auch auf den anderen paßt. Über diesen Punkt besteht keine Verschiedenheit der Meinungen. Vor einigen Jahren veröffentlichte Professor Bischoff eine Abhandlung423 über die Großhirnwindungen beim Menschen und bei Affen; und da es sicherlich nicht die Absicht meines gelehrten Herrn Collegen war, die Bedeutung der Verschiedenheiten zwischen Affen und Menschen in diesem Punkte zu mindern, so führe ich gern eine Stelle aus seiner Abhandlung an.
»Daß die Affen und namentlich Orang, Chimpanse und Gorilla dem Menschen in ihrer ganzen Organisation sehr nahe stehen, viel näher als irgend ein anderes Thier, ist eine alt bekannte, von Niemand bezweifelte Thatsache. Von dem Gesichtspunkt der Organisation allein aufgefaßt, würde wohl Niemand jemals der Ansicht Linne's entgegengetreten sein, den Menschen nur als eine besondere Art an die Spitze der Säugethiere und jener Affen zu stellen. Beide zeigen in allen ihren Organen eine so nahe Verwandtschaft, daß es ja der genauesten anatomischen Untersuchung bedarf, um die dennoch vorhandenen Unterschiede nachzuweisen. So steht es auch mit den Gehirnen. Die Gehirne des Menschen, Orang, Chimpanse, Gorilla stehen sich trotz aller vorhandenen wichtigen Verschiedenheiten doch sehr nahe« (a. a. O p. 491, Sep.-Abdr. S. 101).
Es besteht daher kein Streit mehr in Bezug auf die Ähnlichkeit in fundamentalen Charakteren zwischen dem Gehirne der Affen und des Menschen, ebensowenig in Bezug auf die wunderbar große Ähnlichkeit zwischen Schimpanse, Orang und Menschen, selbst in den Einzelnheiten der Anordnung der Windungen und Furchen der Großhirnhemisphären. Wenn wir uns zu den Verschiedenheiten zwischen dem Gehirn der höchsten Affen und des Menschen wenden, so besteht auch keine ernstliche Streitfrage in Bezug auf die Natur und Größe dieser Verschiedenheiten. Es wird zugegeben, daß die Großhirnhemisphären des Menschen absolut und relativ größer sind als die des Orang und Schimpanse, daß seine Stirnlappen weniger durch das Vorspringen des Augenhöhlendaches nach oben ausgehöhlt sind, daß seine Windungen und Furchen, der Regel nach, weniger symmetrisch angeordnet sind und eine größere Zahl secundärer Faltungen darbieten. Es wird ferner zugegeben, daß der Regel nach beim Menschen die Temporo-Occipitalfurche oder »äußere senkrechte« Spalte, welche gewöhnlich ein so scharf ausgeprägtes Merkmal des Affengehirns ist, nur schwach angedeutet ist. Es ist aber auch ganz klar, daß keine dieser Verschiedenheiten eine scharfe Trennung zwischen den Gehirnen der Affen und dem des Menschen bedingt. In Bezug auf die äußere senkrechte Spalte Gratiolet's im menschlichen Gehirn sagt z. B. Prof. Turner:424
»In manchen Gehirnen erscheint sie einfach als ein Einschnitt des Hemisphärenrandes, in anderen dagegen erstreckt sie sich eine Strecke weit mehr oder weniger quer nach außen. Ich habe sie an der rechten Hemisphäre eines weiblichen Gehirnes mehr als zwei Zoll nach außen gehen sehen, und in einem anderen Präparate, auch eine rechte Hemisphäre, ging sie vier Zehntel Zoll nach außen und erstreckte sich dann abwärts entlang dem unteren Rande der äußeren Oberfläche der Hemisphäre. Die unbestimmte Abgrenzung dieser Spalte in der Mehrzahl der menschlichen Gehirne, verglichen mit ihrer merkwürdigen Deutlichkeit im Gehirn der meisten Quadrumanen, ist eine Folge der Anwesenheit gewisser oberflächlicher, scharf ausgesprochener, secundärer Windungen beim Menschen, welche die Spalte überbrücken und den Parietallappen mit dem Occipitallappen verbinden. Je dichter die erste dieser überbrückenden Windungen an dem Längsspalt liegt, desto kürzer ist die äußere parieto-occipitale Spalte« (a. a. O p. 12).
Die Obliteration der äußeren senkrechten Spalte Gratiolet's ist daher kein constantes Merkmal des menschlichen Gehirns. Andererseits ist aber auch ihre volle Entwicklung kein constantes Merkmal des Gehirns der höheren Affen. Denn beim Schimpanse ist die mehr oder weniger ausgedehnte Obliteration der äußeren perpendiculären Furche durch »Übergangswindungen« auf der einen oder der anderen Seite wiederholt bemerkt worden von Professor Rolleston, Mr. Marshall, Mr. Broca und Professor Turner. Zum Schlusse eines besonderen Aufsatzes über diesen Gegenstand sagt der letztere:425
»Die drei soeben beschriebenen Exemplare des Schimpanse-Hirns beweisen, daß die Verallgemeinerung, welche Gratiolet zu ziehen versucht hat, daß nämlich die vollständige Abwesenheit der ersten Übergangswindung und das Verborgensein der zweiten wesentlich charakteristische Züge am Gehirn dieses Thieres seien, durchaus nicht allgemein annehmbar ist. Nur in einem Präparate folgte das Gehirn in diesen Eigenthümlichkeiten dem von Gratiolet ausgedrückten Gesetze. In Bezug auf die Anwesenheit der oberen Übergangswindung bin ich anzunehmen geneigt, daß sie, wenigstens in einer Hemisphäre, bei der Majorität der Gehirne dieses Thieres, welche bis jetzt abgebildet oder beschrieben worden sind, vorhanden gewesen ist. Die oberflächliche Lage der zweiten Übergangswindung ist offenbar weniger häufig und ist bis jetzt, wie ich glaube, nur in dem in dieser Mittheilung geschilderten Gehirne (A) gesehen worden. Die unsymmetrische Anordnung der Windungen beider Hemisphären, auf welche sich frühere Beobachter in ihren Beschreibungen bezogen haben, wird gleichfalls durch diese Präparate gut erläutert« (p. 8, 9).
Selbst wenn die Anwesenheit der Temporo-occipital-Spalte, oder der äußeren senkrechten Furche, ein Unterscheidungszeichen zwischen den höheren Affen und dem Menschen wäre, würde der Werth eines solchen distinctiven Merkmals durch den Bau des Gehirns bei den platyrhinen Affen sehr zweifelhaft werden. Während in der That der Temporo-occipital-Sulcus eine der constantesten Furchen bei den catarhinen oder altweltlichen Affen ist, ist er bei den neuweltlichen Affen niemals stark entwickelt: er fehlt bei den kleineren Platyrhinen, ist rudimentär bei Pithecia,426 und mehr oder weniger durch Übergangswindungen obliteriert bei Ateles.
Ein innerhalb der Grenzen einer einzelnen Gruppe in dieser Weise variabler Charakter kann keinen großen systematischen Werth haben.
Es ist ferner ermittelt worden, daß der Grad der Asymmetrie der Windungen auf den beiden Seiten des menschlichen Gehirns großer individueller Variation unterliegt, und daß bei den Individuen der Buschmannrasse, welche bis jetzt untersucht worden sind, die Windungen und Furchen der beiden Hemisphären beträchtlich weniger compliciert und symmetrischer sind, als im Europäergehirn, während bei manchen Individuen des Schimpanse ihre Complexität und Asymmetrie auffallend wird. Dies ist besonders bei dem von Mr. Broca abgebildeten Gehirn eines jungen männlichen Schimpanse der Fall L'ordre des Primates, p. 165, Fig. 11).
Was ferner die Frage der absoluten Größe, betrifft, so ist ermittelt worden, daß die Verschiedenheit zwischen dem größten und kleinsten gesunden menschlichen Gehirn beträchtlicher ist als der Unterschied zwischen dem kleinsten gesunden menschlichen Gehirn und dem größten Schimpanse- oder Orang-Gehirn.
Übrigens besteht noch ein Umstand, in welchem die Gehirne des Orang und Schimpanse dem Gehirn des Menschen ähnlich sind, in dem sie aber von den niederen Affen abweichen: das ist das Vorhandensein zweier Corpora candicantia, die Cynomorpha haben nur eines. Angesichts dieser Thatsachen stehe ich nicht an, in diesem Jahre 1874 den Satz zu wiederholen und zu betonen, den ich im Jahre 1873 ausgesprochen habe:427
»Was also den Bau des Gehirns anlangt, so ist klar, daß der Mensch weniger vom Schimpanse und Orang verschieden ist, als diese selbst von den niedern Affen, und daß der Unterschied zwischen den Gehirnen des Schimpanse und des Menschen fast bedeutungslos ist, wenn man ihn mit dem zwischen dem Gehirn des Schimpanse und eines Lemurs vergleicht«.
In dem schon angezogenen Aufsatz leugnet Professor Bischoff nicht den zweiten Theil dieser Angabe; aber zunächst macht er die irrelevante Bemerkung, daß es nicht weiter wunderbar sei, wenn die Gehirne eines Orang und eines Lemur sehr verschieden sind; dann fährt er fort und behauptet: »Wenn man das Gehirn eines Menschen mit dem eines Orang, das Gehirn dieses mit dem eines Schimpanse, dieses mit dem eines Gorilla, dieses mit dem eines Ateles und so fort eines Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Lemur, Stenops, Hapale der Reihe nach vergleicht, so wird man nirgends einen größeren oder auch nur ähnlich großen Sprung in der Entwicklung der Windungen der Gehirne zweier neben einander stehender Glieder dieser Reihe finden, als er sich zwischen dem Gehirne des Menschen und des Orang oder Schimpanse findet.«
Hierauf erwidere ich erstens, daß diese Behauptung, mag sie nun richtig oder falsch sein, durchaus nichts mit dem in der »Stellung des Menschen« aufgestellten Satze zu thun hat, welcher sich nicht auf die Entwicklung der Windungen allein, sondern auf den Bau des ganzen Gehirns bezieht. Hätte sich Professor Bischoff die Mühe genommen, einen Blick auf p. 109 des kritisierten Buches zu werfen. so würde er factisch die folgende Stelle gefunden haben: »Und es ist ein merkwürdiger Umstand, daß, obgleich nach unserer gegenwärtigen Kenntnis ein wirklicher anatomischer Sprung in der Formenreihe der Affengehirne vorhanden ist, die durch diesen Sprung entstehende Lücke in der Reihe nicht zwischen dem Menschen und den menschenähnlichen Affen, sondern zwischen den niedrigeren und den niedersten Affen liegt, oder, mit anderen Worten, zwischen den Affen der alten und neuen Welt und den Lemuren. Bei jedem bis jetzt untersuchten Lemur ist das kleine Gehirn zum Theil von oben sichtbar, und sein hinterer Lappen mit dem eingeschlossenen hinteren Horn und Hippocampus minor ist mehr oder weniger rudimentär. Jeder Sahui, amerikanische Affe, Affe der alten Welt, Pavian oder Anthropoide hat dagegen sein kleines Gehirn hinten völlig von den Lappen des großen Gehirns bedeckt und besitzt ein großes hinteres Horn mit einem wohlentwickelten Hippocampus minor«.
Diese Angabe war eine völlig richtige Wiedergabe dessen, was zur Zeit, als sie gemacht wurde, bekannt war; durch die später erfolgte Entdeckung der relativ geringen Entwicklung der hinteren Lappen beim Siamang und dem Heulaffen erscheint sie mir auch nicht mehr als scheinbar abgeschwächt zu sein. Ungeachtet der ausnahmsweisen Kürze der hinteren Lappen in diesen beiden Species wird Niemand behaupten wollen, daß deren Gehirne auch nur im geringsten Grade dem der Lemuren sich nähern. Und wenn wir, anstatt Hapale aus ihrer natürlichen Stelle zu bringen, wie es Prof. Bischoff völlig unerklärlicher Weise that, die Reihe der von ihm ausgewählten und erwähnten Thiere wie folgt schreiben: Homo, Pithecus, Troglodytes, Hylobates, Semnopithecus, Cynocephalus, Cercopithecus, Macacus, Cebus, Callithrix, Hapale, Lemur, Stenops, so wage ich von Neuem zu versichern, daß der große Sprung in dieser Reihe zwischen Hapale und Lemur sich findet und daß dieser Sprung beträchtlich größer ist, als der zwischen irgend welchen zwei anderen Gliedern der Reihe. Professor Bischoff ignorirt die Thatsache, daß lange ehe er schrieb, Gratiolet die Trennung der Lemuren von den anderen Primaten factisch auf Grund der Verschiedenheit ihrer cerebralen Merkmale vorgeschlagen hatte, und daß Professor Flower im Verlaufe seiner Beschreibung des Gehirns des javanischen Lori die folgenden Bemerkungen gemacht hatte:428 »Und es ist besonders merkwürdig, daß in der Entwicklung der hinteren Lappen keine Annäherung an das Lemurengehirn mit kurzen Hemisphären bei denjenigen Affen stattfindet, welche, wie man gewöhnlich vermuthet, sich dieser Familie in anderen Beziehungen nähern, nämlich bei den niederen Formen der Gruppe der Platyrhinen«.
Soweit der Bau des erwachsenen Gehirns in Betracht kommt, rechtfertigen die sehr beträchtlichen Zusätze zu unserer Kenntnis, welche durch die Untersuchungen so vieler Beobachter während der letzten zehn Jahre gemacht worden sind, noch immer vollständig meine im Jahre 1863 gemachte Angabe. Es ist aber gesagt worden, daß selbst wenn man die Ähnlichkeit zwischen den erwachsenen Gehirnen des Menschen und der Affen zugiebt, sie nichtsdestoweniger in Wirklichkeit weit von einander verschieden sind, weil sie in der Art und Weise ihrer Entwicklung fundamentale Verschiedenheiten darbieten. Niemand würde bereiter sein, die Stärke dieses Argumentes zuzugeben, als ich, wenn derartige fundamentale Entwicklungsverschiedenheiten wirklich existierten. Ich leugne aber, daß sie existieren. Im Gegentheil besteht eine fundamentale Übereinstimmung in der Entwicklung des Gehirns bei dem Menschen und den Affen.
Von Gratiolet geht die Angabe aus, daß ein fundamentaler Unterschied in der Entwicklung des Gehirns der Affen und desjenigen des Menschen bestände, und zwar in Folgendem: es sollen bei den Affen die Furchen, welche zuerst auftreten, an der hinteren Gegend der Großhirn-Hemisphären gelegen sein, während beim menschlichen Fœtus die Furchen zuerst auf den Stirnlappen sichtbar werden.429
Diese allgemeine Angabe gründet sich auf zwei Beobachtungen, auf die eines beinahe zur Geburt reifen Gibbons, bei dem die hinteren Windungen »wohl entwickelt« waren, während die der Stirnlappen »kaum angedeutet« waren430 (a. a. O. p. 38), und auf die andere eines menschlichen Fœtus der 22. oder 23. Woche des Uterinlebens, bei welchem Gratiolet bemerkt, daß die Insel unbedeckt war, daß aber nichtsdestoweniger »des incisures sèment le lobe antérieur, une scissure peu profonde indique la séparation du lobe occipital, très-reduit, d'ailleurs, dès cette époque. Le reste de la surface cérébrale est encore absolument lisse«. (a. a. O. p. 83.)
Drei Ansichten dieses Gehirns sind auf Tafel XI, Figur 1, 2, 3 des angeführten Werkes mitgetheilt; sie geben die obere, seitliche und untere Ansicht der Hemisphäre, aber nicht die Innenansicht. Es ist der Beachtung werth, daß die Abbildung durchaus nicht zu Gratiolet's Beschreibung stimmt, insofern die Spalte (anterotemporale) auf der hinteren Hälfte der Hemisphärenfläche ausgeprägter ist, als irgend eine der auf der vorderen Hälfte unbestimmt angedeuteten. Wenn die Abbildung richtig ist, so rechtfertigt sie Gratiolet's Schluß in keiner Weise: »Il y a donc entre ces cerveaux (nämlich dem eines Callithrix und eines Gibbon) et celui du fœtus humain une différence fondamentale. Chez celui-ci, longtemps avant que les plis temporaux apparaissent, les plis frontaux essayent d'exister«. (a. a. O. p. 83.)
Seit Gratiolet's Zeit indessen ist die Entwicklung der Windungen und Furchen des Gehirns zum Gegenstande erneuter Untersuchungen gemacht worden von Schmidt, Bischoff, Pansch431 und ganz besonders von Ecker,432 dessen Arbeit nicht bloß die neueste, sondern auch die vollständigste Abhandlung über den Gegenstand ist.
Die schließlichen Resultate dieser Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen:
1) Beim menschlichen Fœtus bildet sich die Sylvische Spalte im Laufe des dritten Monats des Uterinlebens. In dieser Zeit und im vierten Monat sind die Großhirn-Hemisphären glatt und abgerundet (mit Ausnahme der Sylvischen Vertiefung) und springen rückwärts weit über das kleine Gehirn vor.
2) Die eigentlich so genannten Furchen beginnen in dem Zeitraum zwischen dem Ende des vierten und dem Anfange des sechsten Monats des fœtalen Lebens zu erscheinen; Ecker hebt aber sorgfältig hervor, daß nicht bloß die Zeit, sondern auch die Reihenfolge ihres Auftretens beträchtlicher individueller Abänderung unterliegt. In keinem Falle indessen sind die Stirn- oder die Schläfenfurchen die frühesten.
In der That liegt die erste Furche, welche erscheint, auf der inneren Fläche der Hemisphäre (woher es ohne Zweifel kommt, daß Gratiolet, welcher diese Seite bei seinem Fœtus nicht untersucht zu haben scheint, dieselbe übersehen hat); es ist dies entweder die innere senkrechte (occipito-parietale) oder die Hippocampus Furche, da diese beiden dicht bei einander liegen und eventuell in einander laufen. Der Regel nach ist die Occipito-parietal-Furche die frühere von beiden.
3) In dem späteren Theile dieser Periode entwickelt sich eine andere Furche, die »postero-parietale« oder die Rolando'sche Spalte; ihr folgen im Laufe des sechsten Monats die anderen Hauptfurchen des Stirn-, Scheitel-, Schläfen- und Hinterhauptlappens. Es liegen indessen keine deutlichen Beweise vor, daß eine von diesen constant vor den andern erscheint; und es ist merkwürdig, daß an dem aus dieser Periode von Ecker beschriebenen und abgebildeten Gehirn (a. a. O. p. 212-13, Taf. II, Fig. 1, 2, 3, 4) die Antero-temporal-Furche (scissure parallèle), welche für das Affengehirn so charakteristisch ist, ebenso gut wenn nicht noch besser entwickelt ist, als die Rolando'sche Spalte, auch viel mehr markiert ist, als die eigentlichen frontalen Furchen.
Nimmt man alle Thatsachen wie sie jetzt stehen zusammen, so geht daraus hervor, daß die Reihenfolge des Auftretens der Furchen und Windungen im fœtalen menschlichen Gehirn in vollkommener Harmonie mit der allgemeinen Entwicklungslehre und mit der Ansicht steht, daß sich der Mensch aus irgend einer affenähnlichen Form entwickelt hat, obschon darüber kein Zweifel sein kann, daß diese Form in vielen Beziehungen von allen Gliedern der jetzt lebenden Ordnung der Primaten verschieden war.
C. E. von Baer hat uns vor einem halben Jahrhundert gelehrt, daß verwandte Thiere im Verlaufe ihrer Entwicklung zuerst die Merkmale der größeren Gruppen, zu denen sie gehören, annehmen und stufenweise diejenigen erhalten, welche sie innerhalb der Grenzen ihrer Familie, Gattung und Art einschließen; er hat gleichzeitig bewiesen, daß kein Entwicklungszustand eines höheren Thieres dem erwachsenen Zustand irgend eines niederen Thieres genau ähnlich ist. Es ist völlig correct zu sagen, daß ein Frosch den Zustand eines Fisches durchläuft, insofern auf einer Periode seines Lebens die Kaulquappe alle Charaktere eines Fisches hat und, wenn sie sich nicht weiter entwickelte, unter die Fische einzuordnen wäre. Es ist aber gleichermaßen wahr, daß eine Kaulquappe sehr verschieden von allen bekannten Fischen ist.
In gleicher Weise kann man ganz richtig sagen, daß das Gehirn eines menschlichen Fœtus vom fünften Monat nicht bloß das Gehirn eines Affen, sondern das eines Arctopithecus- oder Marmoset-ähnlichen Affen sei; denn seine Hemisphären mit ihren großen hinteren Lappen und mit keinen anderen Furchen als der Sylvischen und der Hippocampus-Furche bieten charakteristische Merkmale dar, welche nur in der Gruppe der Arctopithecus-artigen Primaten gefunden werden. Es ist aber gleichermaßen richtig, wie Gratiolet bemerkt, daß es mit seiner weit offenen Sylvischen Spalte vom Gehirn aller lebenden Marmosets abweicht. Ohne Zweifel würde es dem Gehirn eines älteren Fœtus eines Marmosets viel ähnlicher sein. Wir wissen aber durchaus nichts von der Entwicklung des Gehirns bei den Marmosets. In Bezug auf die eigentlichen Platyrhinen verdanken wir die einzige Beobachtung, die mir bekannt ist, Pansch, welcher an dem Gehirn eines fœtalen Cebus Apella außer der Sylvischen Spalte und der tiefen Hippocampus-Furche nur eine sehr seichte anterotemporale Furche (scissure parallèle Gratiolet's) fand.
Diese Thatsache nun, zusammengenommen mit dem Umstande, daß die anterotemporale Furche bei solchen Platyrhinen wie dem Saimiri vorhanden ist, welcher nur Spuren von Furchen auf der vorderen Hälfte der Außenseite der Großhirn-Hemisphären oder gar keine zeigt, bietet unzweifelhaft, so weit sie eben geht, einen gültigen Beleg zu Gunsten der Hypothese Gratiolet's dar, daß die hinteren Furchen in den Gehirnen der Platyrhinen vor den vorderen auftreten. Daraus folgt aber durchaus nicht, daß die Regel, welche für die Platyrhinen gilt, sich auch auf die Catarhinen erstrecke. Wir besitzen durchaus keinen Aufschluß über die Entwicklung des Gehirns bei den Cynomorpha, und in Bezug auf die Anthropomorpha nichts als die oben erwähnte Beschreibung des Gehirns eines der Geburt nahen Gibbons. Im jetzigen Augenblicke haben wir nicht den Schatten eines Beweises dafür, daß die Furchen eines Schimpanse- oder Orang-Gehirns nicht in derselben Reihenfolge auftreten wie die des Menschen.
Gratiolet eröffnet seine Vorrede mit dem Aphorismus: »II est dangereux dans les sciences de conclure trop vite«. Ich fürchte, er muß diesen gesunden Grundsatz zu der Zeit vergessen haben, als er im Texte seines Werkes bis zur Erörterung der Verschiedenheiten zwischen Menschen und Affen gekommen war. Ohne Zweifel würde der Verfasser eines der merkwürdigsten Beiträge zum richtigen Verständnis des Säugethiergehirns, welcher je veröffentlicht worden ist, der erste gewesen sein, das Unzureichende seiner Angaben zuzugeben, wenn er den Vortheil der vorgeschrittenen Untersuchungen erlebt hätte. Das Unglück ist, daß seine Schlußfolgerungen von Leuten als Argumente zu Gunsten des Obscurantismus verwendet werden, welche incompetent sind, ihre Begründung zu würdigen.433
Es ist aber wichtig, zu bemerken, daß – mag nun Gratiolet mit seiner Hypothese in Bezug auf die relative Reihenfolge des Erscheinens der Schläfen- und Stirnfurchen Recht oder Unrecht gehabt haben, – die Thatsache bleibt: daß, ehe sowohl Temporal- als Frontalfurchen erscheinen, das fœtale Gehirn des Menschen Charaktere darbietet, welche nur in der niedersten Gruppe der Primaten (mit Beiseitelassung der Lemuren) zu finden sind, und daß dies genau das ist, was wir zu erwarten haben, wenn der Mensch aus einer stufenweisen Modification der nämlichen Form hervorgegangen ist, wie der, von der die übrigen Primaten entsprungen sind.
Fußnote
423 Die Großhirnwindungen des Menschen mit Berücksichtigung ihrer Entwicklung bei dem Fœtus und ihrer Anordnung bei den Affen, in: Abhandl. der math.-physik. Klasse der Königl. Bayer. Akademie d. Wiss. Bd. X. 1870, p. 389.
424 Convolutions of the Human Cerebrum topographically considered. 1866. p. 12.
425 Bemerkungen, besonders über die Übergangswindungen am Schimpansegehirn, in: Proceed. Roy. Soc. Edinburgh, 1865-66.
426 Flower, On the Anatomy of Pithecia Monachus, in: Proceed. Zoolog. Soc. 1862.
427 Stellung des Menschen in der Natur. (Übers.) p. 115.
428 Transactions of the Zoological Society, Vol. V. 1862.
429 »Chez tous les singes, les plis postérieurs se développent les premiers; les plis antérieurs se développent plus tard, aussi la vertèbre occipitale et pariétale sont-elles relativement très-grandes chez le fœtus. L'Homme présente une exception remarquable quant à l'époque de l'apparition des plis frontaux, qui sont les premiers indiqués; mais le développement général du lobe frontal, envisagé seulement par rapport à son volume, suit les mêmes lois que dans les singes«. Gratiolet, Mémoire sur les Plis cérébraux de l'Homme et des Primates. p. 39. Tab. IV. Fig. 3.
430 Gratiolet's Worte sind (a. a. O. p. 39): »Dans le fœtus dont il s'agit les plis cérébraux postérieurs sont bien développés, tandis que les plis du lobe frontal sont à peine indiqués«. Die Abbildung indessen (Taf. IV, Fig. 3) zeigt die Rolando'sche Spalte und eine der Stirnwindungen deutlich genug. Nichtsdestoweniger schreibt Mr. Alix in seiner »Notice sur les travaux anthropologiques de Gratiolet« (Mém. de la Société d'Anthropologie de Paris, 1868, p. XXXII) folgendermaßen: » Gratiolet a eu entre les mains le cerveau d'un fœtus de Gibbon, singe éminemment supérieur, et tellement rapproché de l'orang, que des naturalistes très-compétents l'ont rangé parmi les anthropoides. M. Huxley, par exemple, n'hésite pas sur ce point. Eh bien, c'est sur le cerveau d'un fœtus de Gibbon que Gratiolet a vu les circonvolutions du lobe temporosphénoidal déjà développées lorsqu'ils n'existent pas encore de plis sur le lobe frontal. Il était donc bien autorisé à dire, que chez l'homme les circonvolutions apparaissent d'a en ?, tandis que chez les singes elles se développent d'? en a«.
431 Über die typische Anordnung der Furchen und Windungen auf den Großhirn-Hemisphären des Menschen und der Affen; in: Archiv für Anthropologie, III. 1868.
432 Zur Entwicklungsgeschichte der Furchen und Windungen der Großhirn-Hemisphären im Fœtus des Menschen; in: Archiv für Anthropologie, III. 1868.
433 z. B. M. l'Abbé Lecomte in seinem schrecklichen Pamphlet: »Le Darwinisme et l'origine de l'Homme«. 1873.