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Wie alles begann – von Show Me Love bis Put Your Hands Up For Detroit – Miles per Minute: 2

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Es muss so 1990 gewesen sein, als ich begann, mich intensiv für die Musik zu interessieren. „Pump Up The Jam“ von Technotronic war ganz vorne in den Hitparaden und ich wünschte mir von meinen Eltern zu meinem 15. Geburtstag ein kleines und günstiges Zweikanalmischpult.

Mich faszinierten immer schon eingängige Melodien, vor allem, wenn sie künstlich mit Synthesizern oder anderen Instrumenten erzeugt werden. Ich hatte in meiner Jugend drei Jahre Cello-Unterricht genommen, konnte aber keine Beziehung zu diesem Instrument aufbauen. Es ist schwer in Worte zu fassen: Ich konnte zwar die Noten vom Blatt sehr gut spielen, aber es floss keine Melodie aus meinen Fingern. Da war einfach keine Affinität zwischen mir und dem Streichinstrument.

Dafür ließ ich mich umso mehr von Technik begeistern und experimentierte ruhelos mit dem kleinen Mischer. Ich schloss den damals schon 20 Jahre alten Dual-Plattenspieler meiner Eltern an und versuchte über den kleinen Geschwindigkeitsdrehregler, rechts unten, Musik von meinem neuen „Best Of 1990“-Album mit Liedern, die ich auf Kassette hatte, zu mischen und nahtlos deren Beat in Einklang zu bringen mit dem der Platte. Ich war total hypnotisiert von der Tatsache, dass man mehrere Lieder ohne Pause und Stolpern des Rhythmus‘ ineinander mischen kann. Mit zwei gleichen Musikstücken war es mir mit ein wenig Übung sogar möglich, deren prägnante Stellen sogar endlos zu wiederholen. Heutzutage kann das jedes Kind. Einfach den „Loop“-Button am CDJ drücken und schon hat man einen perfekten Ein-Takt-Loop. Ich brauchte Wochen dafür, bis ich eine Technik heraushatte, per Kassette und Dual-Plattenspieler wenigstens zwei bis drei einigermaßen saubere Wiederholungen von 20 oder 30 Sekundenabschnitten hinzubekommen. So wie im legendären „The Adventures of Grandmaster Flash on the Wheels of Steel“, wo die Hip-Hop-DJ-Legende Grandmaster Flash einen Live-DJ-Mix an drei Turntables auf Vinyl verewigt hat.

Um mein Repertoire und Musikwissen zu vergrößern, stand ich daraufhin stundenlang im Plattenladen und hörte mir ganze Berge von Vinylscheiben an. Ich brauchte unbedingt neues Material zum Mischen, vor allem Maxi-Singles. Eine Maxi, landläufig und global meist 12inch oder 12'' genannt, ist die lange Version eines Liedes, extra für DJs produziert und auf Vinyl gepresst, mit längeren Drum-Parts zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Titels. Dadurch ist es für einen DJ leichter, die Titel ineinander zu blenden, ohne dass der Gesang oder die Instrumente der zwei Musikstücke sich gegenseitig stören.

Helmut, der damalige Besitzer des besten Plattenladens in Ulm, des Record Express, musste mich gehasst haben. Ich stand stundenlang bei ihm im Laden, neben mir ein mannshoher Stapel von 12'', von denen ich am Ende vielleicht gerade einmal ein bis zwei Stück kaufte. Zu mehr reichte mein Geld einfach nicht aus, denn Musik war teuer damals – hier noch mal zur Erinnerung an alle jungen Musikfreunde im Jahr 2013. Musik war nicht immer grenzenlos, kostenlos und frei verfügbar im Netz zu finden. Man musste vor 20 Jahren tatsächlich noch in einen Laden gehen und dann im Regal, das alphabetisch oder genremäßig sortiert war, nach seiner Musik suchen – und sie dann an der Kasse teuer bezahlen (ich weiß, es gibt auch noch heute Menschen, die im Internet für ihre Musik bezahlen, oder gar Liebhaber, die sich Vinyl-Platten bestellen, doch ich will an dieser Stelle einfach mal behaupten – und das ist natürlich empirisch nicht gestützt –, dass mindestens 90 Prozent aller Konsumenten heutzutage nichts für ihre Musik bezahlen, ja sich nicht einmal dessen bewusst sind, dass Musik etwas kosten könnte).

Jedenfalls kostete damals eine Platte bis zu 20 D-Mark. Ich ging noch zur Schule und mein Taschengeld und das Geld, was ich mir durch Ferienjobs erarbeitet hatte, ging für meine ersten Urlaube oder fürs Ausgehen drauf. So besuchte ich Platten-Flohmärkte wie z. B. den in der Ulmer Donauhalle, die damals sehr populär waren. Hier konnte ich für wenig Geld viel Musik zum Üben an meinen Plattentellern finden. Vor allen Maxis aus den 80ern und 90ern. Heute seltene Raritäten.

Es muss gegen 1992 gewesen sein, da hatte ich endlich genügend Geld gespart, um mir ein komplettes DJ-Set zu kaufen. Zwei Technics SL-1200 MK2-Plattenspieler, ein Mischpult und zwei große Boxen, um eine Party beschallen zu können. Ich liebe diesen Plattenspieler und genau diese beiden ersten 1210er stehen immer noch bei mir in der Wohnung und tun ihren Dienst wie am ersten Tag. Technik und Design für die Ewigkeit gemacht.

Ich richtete mir also im Partyraum im Keller des Hauses meiner Eltern ein kleines Studio ein, in dem ich zu dem erwähnten Equipment nach und nach immer mehr Hardware kaufte. Nächtelang mussten in den folgenden Jahren meine Eltern und unsere Nachbarn die Bässe meiner Musik ertragen.

Zu Beginn der 90er gab es noch nicht so inflationär viele DJs wie heutzutage. Ich war im Prinzip der einzige Plattenaufleger in meinem Alters- und Bekanntenkreis. So spielte ich bald jedes Wochenende für Gagen von 100 Mark pro Abend auf jeder Geburtstags-, Faschings- oder Schulabschlussparty in der Umgebung. Das war hart verdientes Brot. Musste ich doch die gesamte Anlage und mehrere Kisten voller Platten aus dem Keller in meinen alten Toyota Corolla wuchten und vor Ort wieder aufbauen. Die Partys gingen meistens so von abends um acht bis zwei oder drei Uhr in der Früh. Danach musste ich alles wieder abbauen. Das war richtige Knochenarbeit, aber so verdiente ich bereits mein eigenes Geld und war sehr stolz darauf. Ich war jedes Wochenende unterwegs, spielte in irgendwelchen Turn- und Gemeindehallen, Garagen, Schrebergärten oder den Gewölben der alten Festungsanlagen rund um Ulm.

Natürlich war ich damals im Grunde als DJ reiner Dienstleister. Mixed Musik pur! Ich spielte alles, was Stimmung macht. 80er, Hip Hop und R'n'B, Techno, aber auch mal Rock. Ich versuchte aber stets eine musikalische Linie in meine Sets zu bringen und sogar, wenn möglich, die Lieder übergangslos ineinander zu mischen. Da kam Talk Talk – Such A Shame, Yazoo – Don’t go, Eurythmics – Sweet Dreams, BREAK, Cameo – Word up, Michael Jackson – Billie Jean, Prince – Kiss, DeBarge – Rhythm Of The Night, Madonna – Into The Groove, BREAK, Technotronic – Pump Up The Jam, C&C Music Factory – Deeper Love, FPI Project – Rich In Paradise, Mr. Lee – Get Busy, BREAK, Kenny Loggins – Welcome To Heartlight, Melissa Etheridge – Like The Way I Do, U2 – Sunday Bloody Sunday, New Model Army – 51stState Of America, BREAK, und so weiter. Einen ganzen Abend nur House oder Techno zu spielen, war für mich als Anfänger im Business nicht denkbar.

Anfangs (1994 wurde ich 18 und bekam meinen Führerschein) half mir mein Vater immer noch oder holte mich zumindest morgens nach meinen Auftritten wieder mit dem Auto ab, was mir manchmal ein wenig peinlich vor den anderen war. Ein DJ, der von seinem Vater zum Auflegen gebracht wird. Grotesk, oder?

Eins kommt nach dem anderen und ich kam so zu meinem ersten Resident-Job in einem Club. 1993 wurde in Ulm das Myer’s neu eröffnet. Damals die „In“-Adresse in 150 Kilometern Umkreis. Die Gäste kamen von überall her gefahren, um sich an der strengen Türe zu versuchen. Das P1 Ulms sozusagen. Ein Klassenkamerad und damals enger Freund, Mark, kannte über seine Eltern die damalige Geschäftsführerin des Clubs, Lisa, sehr gut und veranstaltete versuchsweise an den, normalerweise, schlechter besuchten Freitagen ein paar Partys. Ich legte an diesen Abenden auf und machte meine Sache anscheinend sehr gut. Jedenfalls rief eines montags Lisa bei meinen Eltern zu Hause an (zur Erinnerung an alle Leser unter 25: Mobiltelefone waren noch so gut wie unbekannt) und ließ mir übermitteln, ob ich nicht kurzfristig kommenden Samstag als DJ einspringen könnte. Ihr Resident sei krank geworden und ihr hätte meine Musik beim letzten Mal sehr gut gefallen. Oh mein Gott! Ich weiß es noch, als wäre es gestern, ich zitterte am ganzen Leib, so aufgeregt war ich. Der Samstag war DER Abend schlechthin. Für mich waren alle, die dort arbeiteten, Götter. Der Inhaber, die Türsteher, die Barleute, die DJs. Und jetzt sollte ich den ganzen Abend dort bestreiten? Natürlich wollte ich!

Vor lauter Spannung konnte ich die ganze Woche kein Auge mehr zu tun. Wenn ich von der Schule heimkam, verbrachte ich den ganzen Tag vor meinen Plattentellern, übte das Mixing und suchte nach neuer, cooler und angesagter Musik.

Der besagte Samstagabend ging vorbei wie im Fluge und scheinbar musste ich meine Sache sehr gut gemacht haben, denn Lisa stellte mich stante pede als zweiten Resident neben dem damals legendären Uli Bock ein. Die folgenden Monate wechselten wir uns jeden Donnerstag und Samstag ab. Musikalisch standen wir mit dem Myer‘s für tanzbare, nicht allzu kommerzielle, aber auch nicht zu spezielle Sounds. Wir bewegten uns immer zwischen 95 und 122 BPM. Den ganzen Abend. Mal schneller, mal langsamer. Jamiroquai – Space Cowboy (David Morales Remix), Robin S. – Show Me Love, C&C Music Factory – Everybody Dance Now, Black Machine – How Gee, aber auch eine 12inch-Version von Lionel Richie’s All Night Long, das waren die Hits der ersten Tage. Das alles den ganzen Abend nahtlos mit zwei Technics 1210ern zusammenzumischen, war höchst anspruchsvoll. Doch ich liebte es! Manchmal musste ich mich schon zusammenreißen, um Freitag in der Früh rechtzeitig in die Schule zu kommen. Die eine oder andere erste Stunde musste da schon dran glauben. Aber, was soll‘s? Ich war mittendrin in der Party, hatte wahnsinnig viel Spaß und verdiente gutes Geld.

Ich wurde mit dem Laden groß und der Laden mit mir. Als 1994 Thomas Heyne und Jean-Claude Ades das Myer’s übernahmen, gaben wir drei richtig Gas und das Myer’s explodierte regelrecht. Bis in die späten 90er gab es für mich keinen besseren Club in Süddeutschland. Jeder Samstag war brechend voll und auch der Donnerstag war als der „Ulmer“ Szeneabend legendär. Soundtechnisch zog es mich Jahr für Jahr mehr in Richtung House. Spielte ich anfangs noch zur Hälfte House und zur anderen Hälfte eine Mischung aus R'n'B und Classics, wurde Letzteres immer mehr reduziert. Das hat natürlich nicht allen stets gefallen. Vor allem den Frauen nicht: „Wann kommt wieder Hip Hop? Spielst du heute nur Techno?“ Fragen, die vielen DJs von heute bekannt vorkommen dürften. Doch schaffte ich es, immer mehr Gäste für meine Musikauswahl zu gewinnen.

Das gute Image des Myer’s verhalf mir natürlich auch zu vielen weiteren Aufträgen in der Region und bald war ich jedes Wochenende von Donnertag bis Samstag ausgebucht. Unter der Woche studierte ich in Karlsruhe Sport und Geografie auf Lehramt und ab Donnerstag war ich im Club und musste mir um Geld nie Gedanken machen. Auch Frauen kennenzulernen, war plötzlich noch viel einfacher geworden. Anstatt mich um sie zu bemühen, wurden mir auf einmal Nummern zugesteckt, Drinks ausgegeben und Lächeln geschenkt. Ein tolles Leben.

Als das Myer’s zu Beginn des neuen Jahrtausends seine erste Tiefphase erlitt, beschloss ich auch für mich persönlich, dass es an der Zeit wäre, neue Wege zu beschreiten. Parallel dazu machte ich auch mein Examen an der Uni und ging dann für einen Sommer nach Ibiza.

Der Club wurde ein paar Jahre später verkauft und unter der Schirmherrschaft von Thomas H., der auch das Yellow und die Dolce-Cocktailbar in Ulm betrieb, wieder neu eröffnet. Er wollte mich unbedingt zurück in meiner alten Wirkungsstätte haben und wir begannen im Jahr 2005 in Zusammenarbeit mit Radio7 eine erneute Kooperation. Ich spielte jeden Donnerstag und für einige Zeit wurde der Abend legendär. Mit Sandro Troiano als Sänger und MC am Mikro, Trommlern, der großartigen Unterstützung von Radio7 und weiteren Gimmicks kreierten wir einen Abend, wie es ihn in dieser Form lange nicht mehr in der Stadt gegeben hatte. Bald hatten wir uns von einem Geheimtipp zum Hotspot Nummer eins in Ulm gemausert. Leider musste ich irgendwann zu viele Kompromisse in Bezug auf die Gestaltung der Musik und des Programms eingehen, sodass ich 2008 die Segel strich und Platz für den Veranstalter einer sehr geistreichen Studentenparty mit dem Motto „Die ganze Nacht freier Eintritt für Frauen, Studenten-zahlen-nur-die-Hälfte und Super-billig-alles-für-2-Euro-Getränkepreise“ machte.

Trotzdem wird mir das Myer’s immer als meine wahre Geburtsstätte als DJ in Erinnerung bleiben. Hier habe ich gelernt, wie man als DJ einen Abend langsam aufbaut, mit einem dynamischen Spannungsbogen die Leute bei Laune und im Laden hält, sie für ein paar Stunden auf eine Reise schickt. Unbezahlbare Erfahrungen, die mein Leben als DJ geprägt haben.

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