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Einmal um die Welt – Miles per Minute: 10.259

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Surfen, Kängurus, die Oper von Sydney oder Ayers Rock. Das waren die Bilder, die ich sofort vor Augen hatte, als mir von meiner Agentur der Gig in Sydney bestätigt worden war. Ich freute mich unheimlich, da ich bis dahin den fünften Kontinent noch nie betreten hatte. Der Veranstalter, ein gebürtiger Grieche namens Harry, erschien meinem Manager recht seriös. Das Motto der Veranstaltung lautete „Mykonos-Sessions“. Als langjährigen Resident des Paradise-Clubs auf Mykonos wollten sie mich als Hauptattraktion für das Date in Sydneys größtem Club, dem „Home“, einfliegen. Also sprach nichts dagegen, mal kurz für zwei Tage nach Australien zu jetten, einmal um den ganzen Globus. Gleich mal vorweg, heute würde ich mir so einen Wahnsinnsstress nicht mehr geben. Als ich zurückkam, war ich um gefühlte zehn Jahre gealtert. Minimum eine Woche vor Ort, besser zwei. Alles andere ist totaler Blödsinn.

Harry hatte mir die schnellste und beste Route von München aus gebucht. Am Donnerstagabend gegen zehn ging es erst einmal in sechs Stunden nach Dubai, dort drei Stunden Aufenthalt und dann begann die Reise erst so richtig. Fünfzehn Stunden im nagelneuen A380 nach Sydney. Ich war richtig aufgeregt, denn unsere Flugstrecke war sehr interessant. Unter uns zogen der indische Subkontinent, der Himalaya, Thailand, Vietnam und Indonesien dahin, dann erst mal ein paar Tausend Kilometer Ozean, bis wir den Nordwesten Australiens erreichten. Und von hier ging es noch einmal viertausend Kilometer quer über fast menschenleere Steppe und Wüste bis wir endlich zum Landeanflug auf Sydney ansetzten. Fünfzehn Stunden ist eine lange Zeit, so lange kann kein Mensch im Flieger schlafen. Vor allem bist du in deinem circadianen Rhythmus total verdreht. Ich hatte schon versucht, auf dem Flug nach Dubai, welcher ja in meinem Nachtzyklus lag, die Augen zuzumachen. Aber nun war ja eigentlich Tag für mich. Also schaute ich mir auf dem Inflight-Entertainmentsystem alle neuen Kinofilme, die mich interessierten, an. Und irgendwann auch die, die mich nicht so interessierten. Haben Sie sich schon mal fünf oder sechs DVDs am Stück angesehen? Da wird man blöd, irgendwann weiß man gar nicht mehr, wo man ist. Zu viel Input. Lustigerweise hatte ich beim Boarding mit Dion Mavath einen guten Bekannten aus Dubai getroffen. Er hatte mich die letzten Jahre schon öfters in verschiedene Clubs nach Dubai gebucht. Er saß ein paar Reihen hinter mir und wir nahmen zusammen ein paar Drinks an der bordeigenen Bar. Das verkürzte die gefühlte Flugzeit doch enorm.

In Sydney gelandet, musste ich wieder mal den üblichen Einreisestress über mich ergehen lassen. Im Vorfeld hatte meine Agentur mit dem Veranstalter vor Ort einige Diskussionen über die Einreiseformalitäten gehabt. Als DJ reist man ja in das jeweilige Land, um dort zu arbeiten und Geld zu verdienen. Jeder Staat hat hierfür seine eigenen Regeln und Einreisebedingungen. In die USA z. B. sollte man als DJ nur einreisen, wenn man ein spezielles Visum, genannt „O-1 nonimmigration status, working-permit“ hat. Wenn ein Künstler dem Beamten bei der Einreise „Tourismus“ oder „geschäftliches Meeting“ als den Grund der Reise nennt und er checkt seinen Namen auf Google und findet, wie es einem Freund von mir passiert ist, auf seiner Website Dates oder Flyer von Auftritten in den USA, kann er gleich wieder umdrehen und zurückfliegen. Da gibt es keine Diskussion, die Homeland Security kennt kein Pardon. Fünf Jahre lang wird daraufhin die Einreise verweigert. In Brasilien ist es ähnlich. Da kann es sogar passieren, dass der Zoll während des Auftritts kommt und die Arbeitslizenz sehen will. Ich habe gehört, dass Erick Morillo, mit einer Gage von 40.000 Dollar am Abend einer der teuersten DJs der Welt, auch schon einmal auf einem Festival in Curitiba von der Policia Federal ohne entsprechende Genehmigung erwischt wurde und sofort die Bühne verlassen musste. Außerdem sollen die Beamten die komplette Gage als Strafe gefordert und ihn zusätzlich noch für eine Nacht im Gefängnis einbunkert haben. In Russland hingegen wird das etwas lockerer gehandhabt, allerdings würde ich den Zollbeamten niemals eine Angriffsfläche bieten. Die sind sehr korrupt und erfinden einfach mal schnell ein Gesetz, um dir das Geld aus der Tasche zu ziehen. Daher fliege ich dorthin nur mit einem Business-Visum und nehme nur wenig Bargeld mit, das sie nicht auf irgendeine Fährte locken könnte. Genauso in Indien oder China.

Die australischen Veranstalter wollten sich irgendwie um die Arbeitslizenz drücken, wahrscheinlich aus Kostengründen. Sie meinten lapidar, das sei doch gar kein Problem, alle ihre Gast-DJs kämen ohne Visum nach Australien. Einfach bei der Einreise auf dem Formular „Tourist“ ankreuzen und rein ins Land. Gesagt, getan, doch war mir dann schon ein wenig mulmig zumute. Damals spielte ich noch mit CDs und mein Case war für jeden, der sich ein bisschen auskennt, unübersehbar. Ich hatte mir schon eine windige Ausrede zurechtgelegt, falls sie mich fragen sollten, was ich mit den CDs wollte. Dass ich in Dubai lebe und direkt von einem Gig komme und nur das Wochenende in Sydney verbrächte, als Kurzurlaub sozusagen. Die CDs hätte ich nirgendwo lassen können, daher hätte ich sie mitgenommen. Na ja, das hätte jeder clevere Zollbeamte durchschaut, da bin ich mir sicher. Als mich eine Beamtin anhielt und fragte, ob ich etwas zu verzollen hätte, startete ich ein Ablenkungsmanöver. Ich zeigte ihr eine Tüte Gebäck, das ich noch aus Deutschland dabei hatte, und fragte, ob das auch vom Einfuhrverbot von Getreide betroffen sei. Das lenkte sie von meiner Tasche ab. Sie bejahte, nahm die Tüte an sich und ließ mich durch. Sie hatte damit ihren „Fang“ gemacht.


Es war Samstag, morgens, sieben Uhr, neun Stunden Zeitverschiebung zu Deutschland. Ich stand in der Ankunftshalle und wartete und wartete. Niemand war, wie eigentlich vereinbart, da, um mich abzuholen. Ja, ich glaubte, ich spinne. Ich rief den Veranstalter an. „Gähhhnnn ... Hellloo?“ „Hi, this is Chris, where are you???“, fragte ich ihn ungehalten. „Ah, sorry, nobody's there? I‘m still sleeping ...“ Ja, was interessiert mich das, bitte? Eine halbe Stunde später tauchte ein speckbäuchiger Grieche auf und stellte sich als Kostas vor. Er habe leider verschlafen. Ja, macht ja nichts. Ich bin nur schon gefühlte drei Tage am Stück unterwegs und würde jetzt einfach gerne was essen, ne Dusche nehmen und dann schlafen. Ich war genervt. Im Hotel angekommen, eröffnete uns die Empfangsdame, dass das Zimmer dann bis um vierzehn Uhr bezugsfertig sei. Es war kurz nach acht morgens. Da drehte ich durch und fuhr gleichzeitig die Dame und Kostas an, was sie sich eigentlich denken würden. Mich hier um die halbe Welt fliegen zu lassen und dann sei das Zimmer nicht fertig und ob sie überhaupt schon irgendwann einmal eine Party organisiert hätten. Das Gefühl hatte ich nämlich nicht. Das zeigte Wirkung. Das Hotel bat sich eine Stunde aus, um das Zimmer schnell zu säubern. In der Zeit konnten wir am Hafen etwas frühstücken gehen. Na also, geht doch. Langsam beruhigte ich mich wieder.

Wir gingen in ein nettes Café im nahe gelegenen Viertel Darling Harbour. Ein großes Erholungsgebiet beidseitig der Cockle Bay, der innerstädtischen Bucht von Sydney, in dem viele Museen, Restaurants und Bars angesiedelt sind. Größtenteils ist man hier nur zu Fuß unterwegs und trotz der recht frühen Uhrzeit waren bereits Massen von Touristen, Einheimischen und Händlern auf den Beinen. Nur fünf Gehminuten von hier war auch das „Home“ gelegen, der Club, in dem ich am Abend spielen sollte.

Ein gehaltvolles Frühstück und zwei Kaffee später entpuppte sich Kostas dann doch als interessanter Gesprächspartner. Wir gingen eine kleine Runde und er erzählte mir seine Geschichte. Seine Großeltern waren in den 1930er-Jahren nach Australien ausgewandert und hatten sich hier als Hafenarbeiter verdingt. Er und sein serbischer Geschäftspartner hatten sich auf griechische und serbische Partys mit klangvollen Namen wie „Santorini Sessions“ oder „Mykonos Sundays“ spezialisiert. Das war ein sehr großer Markt, leben hier in Sydney doch sehr viele Einwanderer aus diesen Ländern. Und die wollen meist unter sich bleiben und feiern.

Als wir uns auf den Rückweg zum Hotel machten, wäre ich in meinem übernächtigten Zustand beinahe überfahren worden. Ich hatte komplett vergessen, dass in Australien ja Linksverkehr herrscht. Als ich über die Straße ging, schaute ich leider in die falsche Richtung und übersah völlig den Lastwagen, der von rechts kam. Kostas zog mich zum Glück rechtzeitig zurück. Jetzt war es definitiv an der Zeit, zu schlafen. Es hätte noch so viel gegeben, was ich mir ansehen wollte. Aber in meinem Kopf war kein Platz mehr für auch nur einen einzigen weiteren Eindruck. System at full capacity. Ich verschob das auf morgen.

Ich verschlief den ganzen Tag und musste mir einen Wecker stellen, um pünktlich um neun Uhr abends wach zu sein. Kostas hatte einen seiner Resident-DJs geschickt, um mit mir in einem der besseren Restaurants im Darling Harbour zu Abend zu essen. Wir waren zu fünft, noch ein paar Freunde und Freundinnen waren dabei. Es war eine nette Truppe, allesamt mit griechischen Wurzeln und ich erfuhr mehr über die Hintergründe ihrer Emigration. Schon im Jahr 2009 befand sich Griechenland in einer großen Rezession. Eine der Frauen meinte: „Ich liebe meine Heimat, Griechenland, doch Australien ist ein positives Land. Es ist ein Schlaraffenland, es gibt hier ein Gefühl des Wohlstands und der Chancen“, schwärmte sie. „Das fehlt in Griechenland völlig. Dort sind die Leute von Panik ergriffen, die Stimmung ist schlecht, die Moral ist im Keller und es herrscht ein Gefühl, fast so, als wäre man unter Belagerung.“ Und das war noch vor der großen Krise 2011/2012. Ich war froh, in Deutschland zu leben.

Allzu viel Zeit zum Plaudern hatten wir allerdings nicht, denn in Sydney gehen die Leute etwas früher weg als in Europa. Als wir gegen halb elf in den Club einliefen, waren bereits 2.500 fast durchweg junge Leute schon fest am Feiern. Mindestens 500 weitere standen vor der Tür. Zufällig sah ich Dion in der Schlange stehen und nahm ihn und seine Begleitung direkt mit in den Club. Drinnen war ich zugegebenermaßen ein wenig enttäuscht angesichts der zu dem Zeitpunkt schon sehr betrunkenen und nicht besonders gestylten Gäste, vor allem aber von der Musik. Der DJ spielte innerhalb der paar Minuten, die ich jetzt anwesend war, alles, was in irgendeiner Form hitverdächtig war. David Guetta, Black Eyed Peas, House vs. RnB. Wo dabei der Bezug zu Mykonos war, wo ich sonst relativ unkommerziellen Sound spielte, kann ich leider nicht sagen. Ich wurde dem DJ kurz vorgestellt. „Hey Chris, nice to have you here. It’s a big pleasure for me. Do you like my set?“, rief er mir bei voll aufgedrehter Monitorbox zu. Ich entgegnete nur: „Yes, awesome, bro. Maybe you can slow down a little bit to 126 BPM and drop some cooler stuff before I start, what do you think?“ Ein paar Lieder später fing ich an und packte alles aus, was Alarm machte. Acapellas, Hits, Sirenen, Mikro. Es funktionierte, war aber natürlich nicht das, was ich mir vom anscheinend besten Laden Australiens erwartet hatte. Hier spielten alle großen Namen. Carl Cox, Axwell, David Guetta. Nach einer halben Stunde hatte ich die Menge soweit, um mir musikalisch ein wenig zu folgen, und begann ein wenig progressiver und elektronischer zu spielen. Es begann so langsam Spaß zu machen und nach eineinhalb Stunden war ich auch schon fertig, ja erntete sogar viel Applaus von der Menge für mein Set. Trotzdem, dafür war ich 30 Stunden unterwegs gewesen, oneway! Das war schon enttäuschend.

Ich wurde langsam immer wacher. Nach meiner inneren Uhr war es gerade achtzehn Uhr. Ich ging an die Bar und nahm mit Dion einen Drink zu mir. Ich wollte wissen, was denn er eigentlich hier in Australien mache. Seine Eltern kämen aus Sydney und Malaysia, eröffnete er mir. Das war eine interessante Mischung. Daher konnte ich ihn auch nie so richtig einer Nationalität zuordnen. Er sah gut aus, für Frauen sicher sehr ansprechend. Das war auch seine große Stärke in Dubai. Egal, welche Party er veranstaltete, es waren immer viele schöne Frauen vor Ort, die er von irgendwoher kannte und eingeladen hatte. Und wo in Dubai schöne Frauen sind, wird viel Geld umgesetzt. Das ist das simple Geheimnis. Jedenfalls war er für den „Australia‘s Day“ in seine alte Heimatstadt Sydney geflogen und spielte am nächsten Tag auf einer Poolparty, auf die er mich einlud. Gerne sagte ich zu.

Gegen fünf Uhr morgens war ich wieder im Hotel und überhaupt nicht müde. Also packte ich meine Laufschuhe und meinen Fotoapparat und lief los Richtung Hafen. Laufend habe ich schon immer am liebsten eine Stadt erkundet. Heutzutage wird das sogar professionell angeboten. Sightrunning heißt das auf Neudeutsch. Ich lief den Darling Harbour ab, zum weltbekannten Opernhaus, vorbei an den alten Lagerhäusern von Sydney Cove, durch den Royal Botanic Garden und wieder zurück zur Harbour Bridge. Das war dann doch ein ganz schönes Stück und plötzlich erschlug mich meine Müdigkeit. Ich schleppte mich zurück zum Hotel und fiel gerädert in mein Bett.

Die Poolparty verschlief ich daher total. Dion traf ich dann am späten Abend am Flughafen in der Vielfliegerlounge der Airline wieder. Auch er war nur kurz für dieses Wochenende nach Sydney gekommen. Der Flieger war ausgebucht und das war mein Glück. Aufgrund meines Status‘ wurde ich von der Fluggesellschaft upgegradet und konnte mich während der 15 Stunden Rückflug komplett flach hinlegen, schlafen und die restlichen neuen Filme ansehen. Trotzdem kam ich wirklich total erschlagen wieder am Montagnachmittag in Ulm an. Ein Freund, den ich noch kurz vor der Haustür traf, sagte zu mir: „Also Chris, entschuldige bitte, aber das ist das erste Mal, dass du wirklich so alt aussiehst, wie du bist!“ Da hatte er vollkommen recht. Das war ein Wahnsinnstrip für eineinhalb Stunden Auftritt gewesen. Von meiner Ökobilanz mal ganz zu schweigen. Ich schwor mir, mir nicht noch einmal so eine Tortur anzutun.

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