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Ibiza Calling – Miles per Minute: 720

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In einer Karriere als Künstler gibt es immer einige ganz entscheidende Wendepunkte. Momente, in denen sich die Zukunft ändert und nach denen man einen komplett anderen Weg beschreitet. Entweder merkt man, dass man einfach nicht mehr weiterkommt, oder etwas passiert, was einen brutal nach vorne bringt.

Über meine sehr gute Freundin Petra hatte ich im Vorjahr Kalid Rodan, den Besitzer des El Divino auf Ibiza, kennengelernt – zur Jahrtausendwende einer der angesehensten Clubs der Welt. Kalid mochte mich, wir waren uns auf Anhieb sympathisch. Ich wollte unbedingt im El Divino auftreten, also besuchte ich ihn kurzerhand im April 2001 in London. Ich legte ihm eine professionelle Präsentation von mir vor und versuchte mich so gut wie möglich zu verkaufen. Meine Bemühungen schienen ihn beeindruckt zu haben, denn er buchte mich daraufhin als DJ für die Saisoneröffnung seines Clubs auf Ibiza Ende Mai.

Ich hatte gerade ein stressiges Jahr mit Prüfungsvorbereitungen hinter mir und erfolgreich mein Staatsexamen in Sport und Geografie gemacht. Für mich war es also der perfekte Zeitpunkt, um ein wenig auszuspannen und zu entscheiden, wie es mit mir in Zukunft weitergehen sollte.


Der Auftritt im El Divino war selbstredend der bis dahin wichtigste Gig in meiner ganzen DJ-Karriere. Dementsprechend aufgeregt war ich natürlich. Alle meine engen Freunde und auch meine damalige Freundin waren mit nach Ibiza gekommen. Und wie es so mit den Freundinnen ist, brachen wir eine halbe Stunde vor diesem wichtigen Auftritt einen Riesenstreit vom Zaun. Auf der Terrasse des Clubs, vor allen anderen 1342 Gästen, warf sie mir wütend an den Kopf: „Du denkst nur an deine Musik, nie an mich. Immer nur Musik, Musik, Musik…“ Ich hatte dafür in dem Moment wirklich keinen Gedanken frei und ließ sie einfach kommentarlos stehen, doch von meinen Freunden bekam sie daraufhin einen richtigen Einlauf. Was ihr eigentlich einfiele, mich kurz vor meinem so wichtigen Gig öffentlich dermaßen bloßzustellen. Der Zeitpunkt für ihren Wutausbruch war natürlich denkbar schlecht gewählt, doch kann ich die Reaktion im Rückblick schon ein wenig nachvollziehen. Wenn es um die Musik ging, vergaß ich alles um mich herum, blendete alles aus.

Dennoch war die Party unglaublich, ich hatte die Crowd richtig im Griff, die Energie floss und ich war wie in Trance. Nur einmal „erwachte“ ich aus diesem realen Traum und dachte bei mir, „mein lieber Chris, jetzt hast du das erreicht, von dem du die letzten acht Jahre geträumt hast“. Ich versuchte diesen Augenblick ganz tief in mich auf zu nehmen und zu konservieren. Das war die eigentliche Initialzündung meiner internationalen Karriere als DJ.

Direkt nach meinem Auftritt kam Kalid auf mich zu und lud mich in seine VIP-Lounge auf der Terrasse ein. Bei einem Drink zwischen all den hübschen und wichtigen Menschen bot er mir dort an, den ganzen Sommer als Resident des Clubs zu spielen. Das war schon immer ein langgehegter romantischer Traum von mir gewesen. Eine Saison auf Ibiza. Vier Monate lang die Chance mit den bekanntesten DJs der Welt zu spielen, wie Roger Sanchez, Masters At Work oder Armand Van Helden. Außerdem konnte ich so mit Veranstaltern aus der ganzen Welt zusammenarbeiten – einen ganzen Sommer lang Sonne, Strand, Party und Erfolg.

Ich bat mir ein paar Tage Bedenkzeit aus, denn normalerweise wäre ich nach Ende der Sommerferien als Referendar in den Schuldienst gegangen, doch in meinem Innersten war die Entscheidung schon lange gefallen.

No risk, no fun! Ich war in meinem Leben immer den schwereren Weg gegangen und war meinem Herzen gefolgt, um meine Leidenschaft zu leben. Ich wollte mich nach Ende der vier Monate auf Ibiza beruflich selbstständig machen und nur von der Musik, dem Auflegen und Produzieren leben und von daher letztlich den Sommer nutzen, um viele Kontakte zu knüpfen, damit ich danach eine internationale Karriere als DJ und Musikproduzent starten konnte.

Ich beschloss einfach, diese Chance wahrzunehmen. Mein Umfeld musste das schlicht schlucken oder nicht, mir war das in dem Moment recht egal, ich wollte meinen Traum leben, alles andere zählte nicht. Also brach ich meine Zelte in Süddeutschland ab und zog für vier Monate ins sonnige Ibiza. Nur für einige wenige Gigs flog ich zurück nach Deutschland, die Schweiz oder Österreich. Vom El Divino war mir vertraglich eine Wohnung in der Nähe von Talamanca, bei Ibiza-Stadt gelegen, zugesichert worden. Auflegen musste ich fünf Tage in der Woche. Der Lohn war eher karg, wir waren ja schließlich auf Ibiza und man konnte froh sein, überhaupt dort auflegen zu dürfen – mit diesem Argument wurde der niedrige Lohn aller DJs, Barkeeper, Tänzerinnen und Flyerverteiler auf der Insel gerechtfertigt. Der erste Schock kam beim Bezug besagter Wohnung im vierten Stock eines achtgeschossigen weißen Plattenbaus am Rande von Ibiza-Stadt. Es war Sonntagmorgen acht Uhr. Ich hatte das Wochenende noch in Süddeutschland gespielt und war direkt nach meinem Gig im N-Pir in Stuttgart zum Flughafen gefahren und hatte den ersten Flug nach Ibiza um sechs Uhr in der Früh genommen. Dementsprechend übernächtigt freute ich mich einfach nur auf mein Bett in meinem neuen Apartment. Ich ging davon aus, hier allein zu wohnen oder es mir wenigstens nur mit einer anderen Person teilen zu müssen. Vielleicht mit irgendeinem entspannten Barkeeper oder dem Host des VIP-Bereichs. Nach dem Öffnen der Tür musste ich mich erst mal durch dicke Schwaden Zigarettenrauchs kämpfen. In der Küche standen vier bleiche, kräftige, ungepflegte englische Mädels aus dem Londoner Eastend und quarzten eine nach der anderen. Sie eröffneten mir, dass sie die anderen beiden Zimmer des Apartments bewohnten und waren gerade dabei, ihren Ghettoblaster anzuwerfen. Als Erstes nordete ich sie kurz ein und machte ihnen klar, dass in dem Apartment ab sofort absolutes Rauchverbot herrsche und jetzt definitiv keine Musik gespielt werde. Wenn sie schon Krawall machen wollten, dann gefälligst draußen. Es gab ein wenig Gezeter, doch ich ließ keinerlei Diskussionen aufkommen und setzte sie vor die Tür. Drei Tage später wurden die Vier sowieso wieder heimgeschickt. Keiner im Büro des El Divino hatte genau gewusst, was und ob sie überhaupt für den Club arbeiteten.

Als Nächstes zogen zwei junge Männer ein, die zufällig auch aus Süddeutschland kamen. Sie arbeiteten als PAs, Promotional Agents, Flyerverteiler auf Deutsch. Das kam mir ganz recht, denn so hatte ich mein Zimmer für mich allein. Wir verstanden uns ziemlich gut und bildeten so etwas wie eine kleine Familie für die nächsten paar Monate.

Es war ein Sommer voller toller Feste und Bekanntschaften, die z. T. heute noch Bestand und sich zu richtigen Freundschaften entwickelt haben. Wie zu „Ibiza“-Andy, der heute immer noch jedes Jahr den Sommer auf der Insel verbringt und mit mir zusammen schon die dritte CD-Compilation fürs Hotel Garbi Ibiza abgemischt hat. Ich verbrachte eine unglaubliche Zeit und konnte dabei mein musikalisches Netzwerk erweitern und meinen Namen als internationaler DJ festigen. Mission completed, sozusagen.

Doch wie alles im Leben, hat auch ein vermeintlich endloser Party-Sommer ein Ende, und wenn man eine so lange Zeit auf einer Insel wie Ibiza verbringst, muss man ernsthaft aufpassen, sich nicht darin zu verlieren und nur noch von einer Feier zur nächsten zu tanzen. Die Möglichkeiten hier sind ja unendlich. Letztlich kann man an jedem Tag der Woche zu jeder Tages- und Nachtzeit irgendwo bis zum Exzess feiern.

Ein typischer 72-Stunden-Party-Marathon durch Ibiza sah ungefähr so aus: Erst einmal am frühen Samstagabend zum Warm-Up an den Hafen von Ibiza Stadt. Dort ein paar Drinks in der Zoo-Bar oder dem La Biela. Danach mit dem Roller Richtung Sant Jose ins KM5, um eine Kleinigkeit zu essen und einige Hierbas zu sich zu nehmen. Danach wieder zurück in die Stadt ins Schwulenviertel beim Dome. Dort gab und gibt es immer noch die bestaussehenden Männer der Insel zu bewundern. Zum Unglück der Frauen sind die meisten jedoch durch und durch schwul. Nach ein paar weiteren Wodka-Lemon ging es gegen vier Uhr morgens weiter ins Pacha, das sich um diese Stunde gerade zu füllen begann. Im bekanntesten Club Ibizas spielten samstags DJ-Legenden wie David Morales oder Frankie Knuckles House-Musik vom anderen Stern. Die Party ging bis zum Sonnenaufgang gegen sieben. Da das Space für seine größte Party, die „We Love Sundays At Space“, erst um acht öffnete, gönnte man sich schnell noch ein kleines Frühstück in der Croissant-Show in der Altstadt der Insel. Dann auf nach Playa D‘en Bossa und rein auf die damals noch offene Terrasse des Space zur laaangen Afterhour. 22 Stunden tanzen bis zum nächsten Morgen um sechs. Zusammen mit 2000 anderen Schwarzen oder Weißen, Schwulen, Lesben oder Heteros, Männern mit Indianerschmuck, Frauen mit Intimschmuck, sturzbetrunkenen und sonnenverbrannten Engländern, super stylishen Italienern, Bayern in Lederhosen, Tänzern mit Motorradhelm, der Junggesellenabschiedsgruppe von Anna aus Ludwigsburg und der Ibiza-Ikone Vaughn. Die wenigsten Gäste tranken dort alkoholische Getränke, denen genügte das Extasy, das sie intus hatten. Und das hielt lange vor. Bis zur After-Afterhour am Montagmorgen im DC10 in der Nähe des Flughafens. Der Club hatte seinen Namen von einer alten DC10, die dort auf einem offenen Feld langsam vor sich hin rostet. Hier waren die Leute noch verstrahlter. Ohne Drogen genommen zu haben oder gar nüchtern, war es kaum auszuhalten. Ein bisschen wie in einer Freakshow. Die Musik jedoch war unübertroffen. Hier spielten DJs wie Tania Vulcano den abgefahrensten Sound der Insel. Das ging weiter und immer weiter bis zum Abend, um dann sein Ende im Bora-Bora am Strand von Playa D‘en Bossa zu finden. Musik und Party for free. Die Leute tanzten auf den Tischen, während die Flugzeuge über den direkt in der Anflugschneise liegenden Strandabschnitt düsten. Jedes Mal, wenn eine Maschine zur Landung ansetzte, begannen die Leute die Hände in den Himmel zu strecken und kollektiv zu schreien. Ein typischer „Ibiza“-Moment.

Doch auch jede Party findet einmal ihr Finale und Ende September ist die Saison vorbei und nicht zuletzt spätestens dann stellt sich für viele Ibizenkos die Frage, was danach kommt. Ich habe zahllose Animateure oder PAs Jahr für Jahr immer wieder an denselben Stränden und Plätzen der Insel gesehen. Manche über zehn Jahre lang. Immer der gleiche Typ, der dir vor dem Marisol in Ibiza-Stadt jedes Jahr wieder die „günstigsten“ Tickets fürs Pacha, Amnesia oder Space verticken will. Mit Mitte oder Ende 20 ist das vielleicht noch irgendwie cool und bei manchen mit Mitte 30 noch eine Lebenseinstellung, aber irgendwann sind die Leute für mich nur noch hängengeblieben und tun mir einfach leid. Vielleicht bin ich einfach zu normal, aber von was wollen sie mit 50 oder gar 60 leben? Immer noch am Hafen stehen und Leute überreden, in einer der Bars einen überteuerten Cocktail während der Happy Hour zu trinken, die eigentlich gar keine ist, weil gleich nach der Bestellung die Bedienung vergessen hat, dass das ja eigentlich „Zwei Cocktails zum Preis von einem“ bedeutet?

Das war nichts für mich. Dazu bin ich zu bodenständig oder strebsam oder beides. Jedenfalls muss ich vorankommen im Leben, mich weiterentwickeln. Der Sommer war für mich unglaublich interessant und erfahrungsreich und in dem kleinen Büchlein, in dem ich meine Lebensträume aufgelistet habe, konnte ich ein weiteres Häkchen hinter einen Traum machen. „Einen Sommer in einem Ferienparadies arbeiten ...“ Zack! So viel dazu, abgehakt, was kommt als Nächstes? Die folgenden Jahre war ich immer wieder regelmäßig in meiner zweiten Heimat Ibiza und spielte zweiwöchentlich oder monatlich eine Residenz im El Divino, doch einen ganzen Sommer dort zu „verfeiern“, war für mich nie mehr ein Thema. Ich habe es gesehen, gelebt, erlebt, ausgelebt und danach mussten wieder neue Herausforderungen her. Ich hatte mich schon zu sehr verändert.

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