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Fast ein Jahr war vergangen. Ein Kind wollte geboren werden. Ich, Maria, Elsas Tochter, stand vor meiner zweiten Niederkunft. Elsa kam zu Ostern nach P. Mir war es zu anstrengend, mit Anette, die zwei Jahre alt war, die Reise nach Leipzig zu machen.

Elsa schien sich wohlzufühlen. Ich war froh, dass sie sich mit Anette beschäftigte und mich in Ruhe ließ.

Nach Hause zurückgekehrt, fand Elsa eine Postkarte vor, die sie nichts anzugehen schien. Die Lungenfürsorge bestellte sie in die Menckestraße zum Röntgen. Ich war doch erst, schrieb sie mir ärgerlich. Die Schussel! Das muss ein Irrtum sein.

Elsa sah die Reihenröntgenuntersuchungen für sich als überflüssig an, obwohl Karl Teubler vor ihren Augen an Tuberkulose zugrunde gegangen war. Sie glaubte sich gegen diese Krankheit gefeit. Sie hatte es im Kreuz. Und im Schultergelenk. Nicht auf der Lunge. Aber es schien kein Irrtum zu sein. Zu ihrem Erstaunen schloss sich dem neuerlichen Röntgen eine ganze Reihe von Untersuchungen an.

In der Abteilung Herrenkonfektion des HO-Warenhauses musste die Frühjahrskollektion an den Mann gebracht werden. Und sie wurde krankgeschrieben. Das vor allem ärgerte sie.

Sie hoffte, zu Pfingsten gesund geschrieben zu sein, um nach P. kommen zu können. Dann sollte Maria entbunden haben.

Luise kam eine Woche vor Pfingsten zu ihrem jährlichen Besuch nach Leipzig.

Am Abend vor ihrer Ankunft machte sich Elisabeth in strömendem Regen auf, um mit Elsa zu bereden, bei wem die Schwester wohnen sollte.

Hier nicht, sagte Elsa sofort. Ich habe den Kopf voll. Und ich muss zu Maria.

Elisabeth atmete heimlich auf, war froh, dass Elsa nicht von ihrem Röntgenbefund sprach, und ihre eigenen Befürchtungen nicht zu teilen schien. Elisabeth besaß genügend medizinisches Wissen, um sich über das Ausmaß der Untersuchungen, denen sich Elsa unterziehen musste, zu beunruhigen.

Komm aber zum Bahnhof, bat sie.

Elsa verspätete sich. Der Interzonenzug aus Köln über Dortmund war längst eingefahren. Die beiden Frauen standen auf dem Querbahnsteig, unschlüssig, ob sie noch warten sollten. Luises schweren Körper umhüllte ein glänzender, schwarzer Regenmantel. Elisabeth hatte um ihre Fülle einen schwarzblau changierenden Seidenmantel gelegt. Wie aufgeplusterte Krähen sehen sie aus, dachte Elsa.

Die Vögel steckten mit geschwollenen Füßen in Gesundheitsschuhen. Elsa nahm mit Genugtuung wahr, dass sie keinen Vergleich mit ihren Schwestern zu scheuen brauchte. In der Kindheit hatte sie Luise um ihren Zopf beneidet, Elisabeth um ihre ganze Person. Das war vorbei. Meine Beine können sich neben ihren immer noch sehen lassen!, denkt Elsa.

Vor einem Jahr noch war ihre sportliche Taille unverkennbar. Ihr rundes Gesicht ist voller geworden aber sie hat kein Doppelkinn. Ihr Fleisch ist fest. Ihr Haar hat seine schwarzbraune Farbe noch immer. Die grauen Haare reißt sie heraus. Sie pflegt sich, denn sie steht als Verkäuferin in der Öffentlichkeit. Sie zupft sich noch immer die Brauen und pudert ihre kleine, zum Glänzen neigende Nase. Das Rot, das sie sich auf die Lippen gelegt hat, ist nur noch auf der oberen vorhanden, da sie die Angewohnheit hat, die untere Lippe hinter die Zähne zu ziehen und zu belecken, wenn sie einem Gedanken nachhängt. Dieser Gedanke ist jetzt in ihren Augen zu lesen, genaue Spiegel ihrer Regungen, Körper von dunklem, lebhaftem Glanz. Die Schwestern wollten das Funkeln in Elsas Augen für Freude halten. Luise hob ihre Flügel, sie um das Jüngste zu schlagen, aber Elsa zeigte ihnen die kalte Schulter, musterte Luise über die Achsel und anstatt sich in ihre Arme zu begeben oder wenigstens guten Tag zu wünschen, sagte sie: Warst du beim Friseur? Du hattest mal ein Blond wie Asche.

Luise ließ die Arme sinken. Es ist nur dunkler geworden, sagte sie. Nain, ich mach da nix dran! Nur waschen und legen.

Elisabeth sagte: Wir leisten uns jetzt ein Taxi und fahren zu mir. Sie bestand darauf, dass Elsa mitkam. Wenigstens auf einen Kaffee!

Elisabeths Wohnung lag im vierten Stock eines Hauses in der Ernst-Thälmann-Straße. Als sie Frau Pinkert geworden war und mit Max, ihrem Mann, in den Dreißigerjahren dort einzog, hieß sie Eisenbahnstraße. Elsa nannte sie heute noch so.

Die zweiflügelige Wohnungstür ließ Geräumigkeit erwarten. Aber hinter ihr lag ein nur winziger Vorraum. Von ihm führten Türen zu Küche und Schlafzimmer. Sommers wie winters hingen an den Garderobenhaken sämtliche Jacken und Mäntel Elisabeths. Man konnte sich kaum drehen. Die Küchentür ging nach innen auf, gebremst vom Küchenschrank, der, des Sofas wegen, das Elisabeth zwischen Schrank und Fenster gezwängt hatte, der Tür im Wege stand. Die Wand hinterm Sofa bedeckte ein Gobelin mit Elfen. Elsa fand ihn geschmacklos. Dem Sofa gegenüber drückte sich der Tisch an die Wand. Zwischen ihm und dem Sofa und zwischen Tisch und dem Herd klemmten zwei Stühle. Den gemauerten Herd benutzte Elisabeth nie. Er diente einer elektrischen Kochplatte als Fundament und Elisabeth zum Abstellen ihrer Töpfe und Tiegel.

Zieht euch aus und kommt rein!

Letzteres war unmöglich, solange sie sich zwischen Kochplatte und Wasserhahn bewegte. Der Ausguss nämlich, über dem er angebracht war, befand sich an dem Wandstück zwischen Herd und Tür.

Den Kaffee nehmen wir aber von mir, sagte Luise im Vorraum. Dazu habe ich ihn ja mitgebracht. Sie stieß die Tür zum Schlafzimmer auf und setzte ihre Koffer neben das monströse Ehebett, in dem sie zwei Wochen mit Elisabeth um die Wette schnarchen würde. Elsa versuchte, in die Küche zu gelangen, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass es sie interessiere, was Luise in ihren Koffern habe. Und noch ehe Luise die Küche betrat, spürte Elsa die wohlbekannte Wut, die von Kindesbeinen an in ihr aufstieg, wenn die Schwester sie in die Lage brachte, Dankbarkeit zeigen zu sollen. Stumm nahm sie ein Pfund in Folie geschweißtes Bauchfleisch, zwei Eckchen Käse und einen blau-weißen Kleiderstoff, der ihr sofort missfiel, und für Maria ein Seidentuch mit lila Tupfen entgegen. Elsa war überzeugt, dass ihre Tochter diese Tupfen verabscheuen würde.

Na? Freust du dich auch? fragte Luise, und entblößte ihre dritten Zähne.

Danke, murmelte Elsa. Ich wollte nichts.

Na freu dich man! Ich gebs gern, sagte Luise unbeirrt. Ich habe nun mal eine offene Hand.

Fröstelnd eilte Elsa von der Schönefelder Endstelle der Siebzehn die Vollbedingstraße entlang zur Unterführung der Gleise, über die Luises Zug vor drei Stunden in die Stadt gedonnert war. Sie fühlte sich in dieser Gegend unbehaust. In sehr ferner Zeit, im letzten Sommer vor dem Krieg, war sie hier mit Mann und Kind zum Freibad gelaufen. Sie hatten Maria zwischen sich getragen, in einem behenkelten Sitz aus derbem Leinen. Elsa wusste nicht mehr, wie peinlich ihr das lodernde Rot des Kinderschopfes war, das alle Blicke auf sich zog. Andere Leute hatten reizende Kinder mit blonden oder braunen Korkenzieherlöckchen, mit Äuglein wie Engel, die fielen nie hin und machten sich nicht schmutzig. Maria war ein hässliches Entlein. Ihre sommersprossenübersäte Haut fand nicht ihresgleichen, und ihre grünen Katzenaugen unter farblosen Wimpern vertrugen Sonne so schlecht wie diese Haut, sodass das Kind auf schattenlosen Straßen vor Unbehagen brüllte. Knie und Arme waren immer aufgeschlagen, und hatte Elsa ihre „Kröte" schick gemacht, passierte bestimmt ein Malheur, das Gamaschenhose oder Organdykleid zu „Gelumpe" machte. Im Wasser war das Kind in seinem Element. Es wollte niemals heraus, auch nicht, wenn die Lippen längst blau waren und sich seine Sommersprossen in eine Gänsehaut zurückgezogen hatten. Herbert sagte dann: Ganz wie du. Denn im Wasser wurde Elsa zum Fisch und auf dem Sprungbrett zum Vogel, der sich in dessen Tiefe schnellt. Herbert mochte Bodenlosigkeiten nicht und kein Getümmel. Maria im Planschbecken verlor er keinen Moment aus den Augen.

Elsa tauchte aus der feuchtglitschigen Eisenbahnunterführung erleichtert ans Licht. In der Theresienstraße, neben der Mauer des Nordfriedhofs, fühlte sie sich wieder heimisch.

Sie hielt durchs Friedhofstor und über die Straße nach der Schwiegermutter Ausschau. Nicht fünf Minuten brauchte die zum Grab ihres Alten! Elsas Blick ging zu den Fenstern des dritten Stockes des Hauses Nummer neunundfünfzig der dem Friedhof gegenüberliegenden Straße. Sie erkannte die Spitzenstores und daran, dass diese Fenster in der Sonne anders blitzten als die benachbarten: Die Alte hatte Frühjahrsputz gehalten. Wie von allein gingen Elsas Füße vorbei an Häusern mit Zwiebeltürmen, den mayerschen Häusern, hin zu dem Haus, in dem sie durch fünfundzwanzig Jahre mit wechselnden Gefühlen drei Treppen zur Wohnung ihrer Schwiegermutter hinaufgestiegen war.

Der Hausflur war sauber und still, die Holztreppen dufteten nach Wachs. Jede Bohle der geräumigen Treppenabsätze, jede Stufe glänzte von der ihr Jahrzehnte zuteilgewordenen Pflege. Die Treppenfenster gaben den Blick auf den mit roten Backsteinen gepflasterten Hof und ebensolchen Nachbarhöfen frei, an die sich grüne Wäschetrockenplätze legten. Und ehe der Blick die nächsten Häuser erreichte, schweifte er über Bleichen und Kinderspielplätze aus den Dreißigerjahren. Für eine Wohnung dort drüben hätte Elsa viel gegeben.

Sie gelangte auf den dritten Vorsaal und drückte die Klingel über dem in fleckenlos glänzendes Messing geschlagenen Namen: Richard Müller. Erleichtert nahm sie einen Schatten hinter dem grünen Kräuselglas in der Tür wahr. Das dürre Weiblein öffnete, ließ die Schwiegertochter eintreten, während es sich noch seine Hände an der Schürze trocknete.

Luise ist heute gekommen, sagte Elsa. Hab sie mit Elli vom Bahnhof geholt. Die Alte wartete auf eine andere Nachricht.

Mit Maria ist noch nichts.

Die Schwiegermutter seufzte.

Ich habe das Essen fertig, sagte sie. Iß was mit. Ein wehmütiges Gefühl beschlich Elsa in der vertrauten Küche. Es tauchte hin und wieder auf in letzter Zeit. Wie Trauer. Wie Abschied.

Die Kartoffeln sind immer noch gut, sagte die Großmutter, während sie aßen. Das werde ich dieses Jahr nicht mehr schaffen mit meinen Füßen. Sie hatte auch letzten Herbst wieder Kartoffeln mit dem Handwagen vom Lande geholt.

Du wirst uns allen noch was vormachen, sagte Elsa.

Die Alte fand den Kleiderstoff nicht so schlecht und lachte über die Drastik, mit der Elsa ihrem Ärger über Luise Luft machte. Sie riss dabei den Mund auf und Elsa erblickte den einzigen Zahn, der, bräunlich und fremd wie ein Stalagmit, vor der Gaumenhöhle stand.

Elsa blickte in das vertraute Gesicht, dessen Falten den Totenschädel schon durchscheinen ließen. Die tiefen Wangenlöcher, das fleischlose Kinn, die Zeichnung der Kiefer hinter schon fast unsichtbaren Lippen und die sich über den wässrigen Augen abzeichnenden Stirnbögen. Das weiße Haar, glatt hinter die Ohren gestrichen, im Nacken zu einem dünnen Zöpfchen geflochten und aufgesteckt, hatte sie dicht gesehen, zu einem Kauz gezwungen, der stärkste Haarnadeln brauchte.

Sie haben mir gestern die Kur gestrichen, sagte Elsa. Ein Jahr habe ich drum gekämpft. Nun sagen sie in der Menckestraße, erst muss klar sein, was die Schatten auf meiner Lunge bedeuten. Ins Moorbad könnten sie mich damit nicht schicken.

Wenn du's auf der Lunge hast, brauchst du eine andere Kur. Die Alte bewies es an Beispielen aus ihrem Bekanntenkreis von den Friedhofsbänken. Elsa hörte begierig zu.

Willst du mal dein Alpenveilchen sehn? fragte die Alte. Es hat dreiundzwanzig Blüten!

Die Wohnstube duftete nach frisch gewaschenen Gardinen. Der gestrichene Fußboden glänzte. Von diesem Fußboden konnte man essen.

Die Großmutter raffte den Store zur Seite und Elsa sah "ihr" Alpenveilchen: ein rot-weißer Blütenbusch zwischen schlierenlos blanken Doppelfenstern. Wie du das machst! sagte Elsa. Den Topf hatte sie vor Jahren herübergebracht. Mir geht alles ein.

Auf dem Schreibtisch neben dem Fenster standen Fotos von Anette. Die gleichen, wie auf Elsas Nachttisch und Elsa schnürte es die Kehle zu.

Ich bin morgen dort zum Essen, sagte sie und meinte: bei den Schwestern. Wenn eine Nachricht kommt, bringe ich dir Bescheid. Schon in der Tür zerrte sie das eingeschweißte Fleisch aus der Tasche. Nimm du's sagte sie. Die Großmutter wehrte ab.

Nimms nur, drängte Elsa. Es ist geräuchert und wird nicht gleich schlecht. Sie nötigte es ihr in die Hände. Aber lass vor denen nichts verlauten, falls ihr euch seht.

Die Alte schickte sich drein.

Elsa, von der Großmutter kommend, ging, entlang der Mauer des alten Jüdischen Friedhofs, nach Hause. Er grenzte an den Nordfriedhof und war ihr noch vertrauter, denn er lag unter ihren Fenstern. Das Hinterhaus, in dem sie wohnte, stand an der Mauer, die ihn gegen die Höfe der Hamburger Straße abschloss.

Sie wollte in der Drogerie an der Ecke eine Kerze zu Elisabeths Geburtstag kaufen. Sie vermochte nicht den Laden zu betreten. Ihr fehlte die Energie, um die Klinke zu drücken, die Tür hinter sich zu schließen, die wenigen Schritte zum Ladentisch zurückzulegen, zu lächeln. Man würde sie fragen, ob ihr nicht gut sei, was ihr denn fehle. Sie würde in Tränen ausbrechen. Diese Geburtstage! Gott sei Dank war dieser der Letzte im Jahr, sah man ab von dem Kind, das noch geboren werden sollte. Sie musste Maria an Ellis Geburtstag erinnern. Wenn Maria vergaß zu gratulieren, nähme Elisabeth das übel.

Elsa schlich an den Häuserwänden und Toreinfahrten der Hamburger Straße entlang zum Haus Nummer sechsunddreißig. Sie drückte den Körper gegen den Türflügel. Der gab nach. Das kastenartige Hofgebäude, dessen Mauern ein Gerüst umstellte, gelangte in ihr Blickfeld. Die Woche über hatten drei Arbeiter Putz von den Mauern gehackt, und es hatte für Elsa keinen Ort gegeben, wo sie dem Krach hätte entkommen können. Ihre Blicke saugten sich an den Knospen der Kirsche in Noas vorderem Garten fest, und, als sie vorüber war, an den Knospen des Apfelbaums, der seine Zweige zu ihrem Küchenfenster reckte und danach an den Knospen der Birne im hinteren Garten. Es kam ihr sehr weit bis zur Haustüre vor. Sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen, falls aus dem Vorderhaus jemand jetzt auf den Hof blickte und sie gehen sah. Die Tür zu Trummers Werkstatt, die unter ihrer Wohnung lag, stand offen, gehalten von einem der zerschlissenen Sessel, die er aufarbeitete. Sie hörte ihn husten. Er vertrug den Staub alten Seegrases so schlecht wie sie.

Im Winkel zwischen Friedhofsmauer und Grasers Garage - Gott sei Dank, er fummelte heut nicht dort drinnen an seinem alten BMW herum - hatten die Maurer den abgeschlagenen Putz auf einen Haufen geworfen und ihren Mörtelkasten deponiert. Von dorther setzte ein Geruch nach Ruinen, nach Krieg und Zerstörung, Elsa zu. Sechzehn Jahre nach dem letzten Bombenangriff auf Leipzig reagierte ihr Körper darauf mit Übelkeit, und es half nicht, dass sie sich sagte, dieses Mal geschähe dem Hause Gutes.

Das Futter ihrer Handtasche hatte ein Loch. Das Schlüsselbund war hindurchgeschlüpft und steckte zwischen Stoff und Leder. Geduldlos zerriss sie die Seide.

Hinter der Tür sank sie erschöpft auf die schmale Treppe, riss sich den Mantel auf. Aus dem Zentrum ihres Leibes steigend, schlug eine Hitzewelle über ihr zusammen. Feuer brannte hinter ihren Augäpfeln. Das sind die Wechseljahre, sagte sie sich.

Kein Brief, kein Telegramm lag auf dem Granit vor der Stiege. Sie schloss ab und schleppte sich hinauf. Jetzt fror sie. Sie zog den Mantel erst im Schlafzimmer aus. Ließ die Rollos herab und verkroch sich in das seit Tagen ungemachte Bett.

Ein Engel trat zu ihr. Trug Elisabeths Züge. Rabenschwarz seine Locken. Schweigend blickte er sie an. Sie fühlte, wie ihr Herz zu schlagen nachließ.

Nein! keuchte sie. Nein! Ich will leben. Muss leben! Ich habe Maria. Sie braucht mich!

Sie fand sich, erwachend, dem Nachhall ihrer Schreie ausgesetzt. Sie hatte ihn wiedererkannt. Dieser Engel war ihr am Krankenbett der Mutter erschienen. Sie fürchtete ihn. Sie fürchtete die Angst, die er ihr einflößte.

Sie ging in die Küche. Seit Tagen hatte sie die Dinge, die sie in die Hand genommen, nicht wieder an ihren Ort gestellt. Mit Widerwillen sah sie das Durcheinander und nahm sich vor, Ordnung zu schaffen. Morgen.

Im Schrank auf dem Korridor, zwischen Marias Büchern, verwahrte sie eine Flasche selbst gemachten Eierlikör. Mit dem Glas, das sie vom Tisch genommen und nicht ausgespült hatte, ging sie dorthin, goss die dicke Flüssigkeit hinein und kehrte mit Flasche und Glas zurück ins Schlafzimmer. Von der Bettkante aus betrachtete sie das Foto von Ostern. Darauf wurde Elsa von Anette umhalst. Beide hielten die Augen geschlossen. Das Kind küsste sie fest auf die Wange.

Mein Herzelein! Ich hole dich zu mir! Ich werde deine Mutter bewegen, dich mir zu geben. Nun, da Maria mit ihrem zweiten Kind niederkam, hoffte Elsa, dass sie ihr Anette anvertrauen würde.

Tango ohne Männer

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