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Elisabeth hatte Spargel aufgetrieben. Sein Duft hing im Treppenhaus. Elsa fand ihre Schwestern geschäftig zwischen Zimmer und Küche durchs Schlafzimmer eilen. Elisabeth drückte ihr eine Kristallschale mit Schokoladenpudding in die Hände. Ein geheiligtes Stück vom Buffet der Mutter. Die Schälchen stehen in der Vitrine! Oben! rief sie ihr zu.

Elsa trug den Pudding, vorbei an den Ehebetten, nach hinten. Wohnzimmer nannte Elisabeth dieses Hinten, das der Tisch so gut wie ausfüllte. Sie hatte ihn mit dem geerbten Damast gedeckt. Und dem Porzellan beladen, das die Mutter nur an Feiertagen auflegte.

In der Ecke am Fenster der Nähtisch, den Elisabeth niemals benutzte, war vollgestellt mit nickenden Chinesen, künstlichen Blumen, porzellanenen Katzen und anderen Nippes. Überm Sofa schien der Hirsch im bronzevergoldeten Rahmen, der in der Weite des mütterlichen Wohnzimmers ein wenig auffälliges Dasein geführt hatte, über Enge zu klagen. Elsa wandte sich zur Vitrine, die das Zimmer mit schwarzem Holz verdüsterte. Hinter den Glasscheiben stand eine Armee wurmstichiger Weihnachtsmänner und Osterhasen aus bunt eingewickelter Schokolade. Einige waren darunter, die hatte Elsa noch vor dem Kriege der Schwester geschenkt. Sie hatte diese Sammlung, die über alle Notzeiten hin unangetastet geblieben war, nie ohne Befremden gesehen. Seit sie im vergangenen Jahr im Schlafzimmer der Mutter das Vertiko aufbrechen mussten, weil sein Schlüssel unauffindbar blieb, und sie es vollgestopft mit wurmigem Mehl, steinhartem Fondant, ranzigem Speck und anderen verdorbenen Lebensmitteln fanden, seit jenem Tage schauderte es sie, in dieser Vitrine einen Charakterzug Elisabeths Gestalt annehmen zu sehen, den sie von der Mutter geerbt haben musste.

Weiß und zart, mit grünen Spitzen, lagen Spargelstangen auf noch weißeren Tellern, übergossen mit hellgelber Butter, daneben Schnitzel, goldgelb paniert und so weich, dass auch falsche Zähne damit fertig wurden.

Die Kartoffeln sind wässrig! Du musst sie nach dem Abgießen dämpfen! Das war der Elsa verhasste Ton an Luise. Elsa sah Röte die pigmentlosen Stellen an Elisabeths Hals färben. Dein Spargel ist wunderbar, sagte sie. Er zergeht auf der Zunge wie Sahne. Das war Elsas Angebot an die Schwester, sich wie in Kinderzeit mit ihr gegen Luise zu verbünden. Elisabeth nahm den Ton auf.

Meine Nachbarin war Spargel stechen. Heute Morgen. Er ist ganz frisch.

Ich könnte ihn auf dem Markt kriegen, sagte Luise. Aber nicht billig. Denkt nicht, ich leiste mir welchen.

Ich krieg ihn auch nicht umsonst, sagte Elisabeth.

Elsa nahm einen Spargel an seinem Ende in den Mund und zog ihn schmatzend durch die Lippen. Luise blickte sie missbilligend an. Elsa schmiss einen aufsässigen Blick zurück. Wie gehts deiner Nachbarin, erkundigte sie sich bei Elisabeth mit vollem Munde.

Nächste Woche soll sie niederkommen. Elisabeth lachte. Sie wird ihr Kind noch in die Furche werfen. Dann muss sie aber ohne mich auskommen. Sie hatte ihr einmal Hebammendienste leisten müssen. Auf der Türschwelle. Bei einer Sturzgeburt. Elisabeth erinnerte sich mit Vergnügen jener Aufregung.

Und wie weit ist Maria? fragte sie nebenher.

Elsa hatte die Frage erwartet.

Noch nicht so weit, sagte sie.

Es kommt zu meinem Geburtstag! Elisabeths Augen glitzerten. Quietschend rutschte Luises Messer über den Teller als sie sagte: Jaja! Sie legt es dir auf den Geburtstagstisch! Die Rivalität der Frauen um Marias Gunst war alt.

Maria entzog sich ihnen in jeder Hinsicht. Diese Gewissheit war für Elsa Genugtuung. Aber in ihrer Brust meldete sich ein Gefühl, anders als jenes, das sie gestern beim Eintritt in Großmutters Küche überfallen hatte. Dieses schmerzliche Ziehen, diese Traurigkeit kam aus der Erfahrung, dass Maria auch ihr sich entzog und der Ahnung, dass ihre Hoffnungen auf Anette sich nicht erfüllen würden. Sie war vollauf damit beschäftigt, dieses Gefühl niederzukämpfen, während Luise redete.

Warum sächst du nix?, fragte Luise und blickte sie eindringlich an. Ich sächte, wiederholte sie, jetzt, wo Maria noch ein Kind bekommt, sollte sie es sich wegen Anette überlegen. Ich könnte sie adoptieren. Oder wenn Maria das nicht will, nähme ich sie auch so zu mir. Dann hätte ich wieder einen Lebensinhalt. Sie wird alles erben, wenn ich Ernst nachfolge. Elsa blickte sie sonderbar an. Unbeirrt sprach Luise weiter: Das Kind hätte doch ein viel schöneres Leben als hier! Bei mir kann es alles bekommen, was es braucht. Ich bin zu Hause und kann mich kümmern. Ich würde es auch was lernen lassen. Und du hättest ein Ziel. Du könntest jedes Jahr im Urlaub nach Dortmund kommen.

Elsas Pupillen verengten sich. Sie legte Messer und Gabel weg, beugte sich vor und griff mit ihrer kleinen, festen Hand an Luises Stirn. Elsa hatte diese Geste als Kind der Mutter abgesehen. Sie sagte auch den dazugehörenden Satz: Du bist wohl meschugge!

Elisabeth triumphierte stumm.

Elsa nahm ihre Hand zurück. Mach dir keine Hoffnung, sagte sie spöttisch. Wir ziehen unsere Kinder selber auf!

Nach dem Essen zeigte sie die Fotos von Ostern. Der Kuss, den Anette, auf ihrem Schoße kniend, in ihr Gesicht drückte, zeichnete sie aus.

Sie rissen sich die Bilder gegenseitig aus den Händen. Warum ist denn Maria nirgends drauf, fragte Luise.

Weil sie uns fotografiert. Elsa las auf den über die Bilder geneigten Stirnen den Verdacht, den sie selbst hegte: Maria wollte nicht, dass ihr schwangerer Leib von diesen Augen gemustert werde. Und in den Mienen ihrer Schwestern erkannte sie den Wunsch, Marias Schande zu sehen. Sich daran zu weiden. Selbstgerecht. Sich daran schadlos zu halten für alle Widerspenstigkeit, die ihr Kind ihnen entgegensetzt hatte, vom ersten bis zu diesem Augenblick.

Ihr könnt mir glauben: Sie sieht gut aus. Richtig schön ist sie, sagte Elsa in die unheilvolle Stille. Ihr passt zwar nur noch ein einziges Kleid, aber es steht ihr. Und alle dort sind zu ihr gut und rücksichtsvoll. Sie hat im Internat ein Zimmer für sich allein. Mit einem Kinderbett für Anette und einer Wiege für das, was kommt.

Gehn wir noch zum Friedhof? fragte Luise. Vorigen Sonntag war Muttertag!

Gehn wir doch morgen, schlug Elisabeth vor. Sie hatte Nachtdienst gehabt und wollte ruhen.

Die Schwestern verabredeten sich für den anderen Tag am Haupttor des Südfriedhofs.

Tango ohne Männer

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