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II. Massenbewegung
ОглавлениеEin lautes Knarzen aus seinem Kopfhörer holte ihn aus den Träumen zurück. Er konnte hören, wie der Kopilot funkte.
„Hallo? ... Nein, noch nicht ... Über dem Friedrichstadt-Palast … In Ordnung, wir drehen noch eine Runde über dem Reichstag.“
Er öffnete seine Augen. Es war ein schöner Spätsommertag. Die Abendsonne spiegelte sich in der Kuppel des Reichstags, dem sie sich langsam näherten. Wie oft war er dort oben gewesen und hatte den atemberaubenden Blick über Berlin genossen. Berlin, die Weltmetropole und Hauptstadt von Deutschland. Das Land, in dem er geboren und aufgewachsen war, das für ihn Heimat war. Sein Gedankengang brach abrupt ab.
Er konnte jetzt die Wiese vor dem Reichstag sehen, doch sie war nicht grün, sondern bunt und bewegte sich. Als sie näher kamen, erkannte er den riesigen Menschenauflauf. Rund um den Reichstag, den Tiergarten entlang bis zur Siegessäule und zum Schloss Bellevue hatten Hunderttausende ihre Zelte aufgeschlagen. Es sah aus wie eine Mischung aus Love-Parade und Flüchtlingslager.
„Meine Güte, das müssen Millionen sein!“, sagte Schulze schwer beeindruckt.
Er hatte Recht, es waren Millionen. Wie viele, konnte man nur schätzen. Er hatte sie nicht aufgefordert zu kommen. Sie waren gekommen, um seine Freilassung zu fordern und die Regierung zu zwingen, sich mit einem Thema auseinanderzusetzen, das jahrzehntelang ein Schattendasein geführt hatte.
Er hatte nur einen vermeintlich kleinen Film über das Verhältnis der Deutschen zu ihrem Land gedreht. Eine unterhaltsame deutsche Selbstreflexion. Niemand hätte auch nur im Geringsten voraussehen können, dass dieser Film die Republik derartig in Aufruhr versetzen würde.
Begonnen hatte alles in Paris, vier Jahre zuvor. Patriotismus war ihm in Deutschland nie begegnet. In Frankreich war er überoffensichtlich und allumfassend. La Grande Nation eben. Davon konnte in Deutschland keine Rede sein, und er fragte sich warum. Es gab eigentlich keinen Grund, nicht von Deutschland begeistert zu sein. Er stellte sich diese Frage wieder und wieder, während er durch die Straßen von Montmartre schlenderte.
Eines Abends sah er im Kino „Bowling for Columbine“ und in ihm platzte der Knoten. Wenn Michael Moore einen unterhaltsamen Film über das amerikanische Waffenproblem machen konnte, war dies auch die richtige Form, dem Patriotismus in Deutschland auf den Zahn zu fühlen.
Ein unterhaltsamer Dokumentarfilm sollte es werden, persönlich, direkt und ganz nah an den Menschen. Ein Film über sein Verhältnis zu Deutschland und das Verhältnis der Deutschen zu ihrer Heimat. Nächtelang arbeitete er an einem Drehbuch, schickte E-Mails mit Interviewanfragen an Politiker, Musiker, Manager, Sportler und Historiker. Er war sich sicher, dass das Interesse riesengroß sein würde. Die ersten Reaktionen waren durchweg sehr positiv, allerdings nicht bei den Politikern. Nur der Bundespräsident reagierte sofort und lud ihn zu einem Gespräch ins Schloss Bellevue.