Читать книгу Einrichtung von Compliance Management Systemen (CMS) im Krankenhaus - Christian Corell - Страница 14
Оглавление4 Compliance-Kultur
Der Prüfungsstandard IDW PS 980 stellt die Compliance-Kultur bewusst an den Anfang des Compliance-Verständnisses. Dadurch kommt zum Ausdruck, dass das für die Mitarbeiter wahrnehmbare Reden ebenso wie das sichtbare Handeln des Top Managements unerlässliche Schlüsselfaktoren für die Compliance einer Organisation sind. Im Text des Prüfungsstandards heißt es dazu:
»Die Compliance-Kultur stellt die Grundlage für die Angemessenheit und Wirksamkeit des CMS dar. Sie wird vor allem durch die Grundeinstellungen und Verhaltensweisen des Managements sowie durch die Rolle des Aufsichtsorgans im Sinne des ›tone at and from the top‹ geprägt. Die Compliance-Kultur beeinflusst maßgeblich die Bedeutung, welche die Klinik-Mitarbeiter der Beachtung von Regeln beimessen und damit die Bereitschaft zu regelkonformem Verhalten.«2
4.1 Tone at the top und tone from the top
4.1.1 Vorbildfunktion des Managements
Eine der zentralen Herausforderungen eines CMS der im mittleren Management mit dem Thema »Compliance« in Verbindung stehenden Personen ist die Glaubwürdigkeit des CMS an sich. Der Begriff »Compliance« als solcher ist leider nicht selten missbraucht und dadurch im öffentlichen Bewusstsein diskreditiert worden. Kaum einer der großen Compliance-Skandale ist in einer Organisation aufgekommen, in der nicht zuvor vom Management ein CMS eingerichtet und meist stolz präsentiert worden ist. Das hat zu einem unvermeidlichen Argwohn gegenüber dem Begriff »Compliance« und in der Folge auch gegenüber dem Anliegen der Compliance geführt.
Je ehrlicher und früher dieses Handicap in einem Compliance-Projekt akzeptiert und berücksichtigt wird, desto besser. Wenn der Prüfungsstandard des IDW von »tone at the top« spricht, so ist damit nicht in erster Linie das Reden gemeint (wie der Begriff »tone« vielleicht suggeriert), sondern das Handeln: »Die Compliance-Kultur […] wird vor allem durch […] die Verhaltensweisen des Managements geprägt«, heißt es dort nicht von ungefähr. Dieses Verhalten, also das Handeln des Top-Managements und des Aufsichtsorgans, stellt den »natürlichen Rahmen« dar, in dem sich die Kommunikation, also das Reden, bewegen sollte. Zu Beginn eines Compliance-Projekts unterscheidet sich die Grunddisposition der Belegschaft zu dem Begriff der Compliance vermutlich kaum von der insgesamt kritischen Haltung der Öffentlichkeit. Gleichzeitig jedoch kennt niemand das Handeln des Managements so konkret wie die Belegschaft. Kaum jemals also beginnt ein Compliance-Projekt bei einem imaginären »Nullpunkt« – vielmehr bringen alle Beteiligten, d. h. Mitarbeiter, Compliance-Schaffende und Management, sowohl Erfahrungen als auch persönliche Dispositionen ein.
Deshalb bildet das für die Mitarbeiter wahrnehmbare Verhalten der Klinikleitung in Vergangenheit und Gegenwart die Messlatte des Compliance-Verständnisses. Je klarer das Management über Compliance kommuniziert, umso kritischer vergleichen Mitarbeiter dieses Reden mit den bekannten Handlungen des Managements. Im Falle einer – vielleicht gefühlten – Divergenz von Reden und Handeln entsteht eine Negativ-Dynamik, »Compliance« wird buchstäblich in Gänsefüßchen gesetzt und ist schnell diskreditiert.
Am Beginn eines CMS steht also der tone from the top – und am Beginn des tone from the top steht Ehrlichkeit, insbesondere zu sich selbst.
4.1.2 Compliance-Bekenntnis der Klinikleitung
Parallel zur Bereitschaft, das sichtbare Verhalten des Managements zur Messlatte für Compliance werden zu lassen, ist für die Wahrnehmung der Compliance-Kultur auch ein grundlegendes Bekenntnis der Klinikleitung zu eigenem gesetzes- und regelkonformem Verhalten erforderlich. Zugleich nimmt die Leitungsebene diese Selbstverpflichtung als Grundlage, auch von jedem Mitarbeiter ein kompromissloses Eintreten für Regeltreue einzufordern. Die Erklärung sollte als Kernaussage also eine eindeutige Selbst- und Mitarbeiterverpflichtung zu rechtskonformem, ethischem Verhalten enthalten. Häufig werden hierfür Bezeichnungen wie Grundwerteerklärung, (Compliance-)Leitbild, Compliance-Bekenntnis o. ä. verwendet.
Für diesen ebenfalls unverzichtbaren Compliance-Baustein empfiehlt es sich, frühzeitig Kollegen oder externe Experten mit besonderer Methodenkompetenz in der Kommunikation einzubinden. Denn für diesen wie für zahlreiche weitere Schritte in Sachen Compliance gilt: Es handelt sich ganz wesentlich um Kommunikation. Sie muss von Tonalität und konkreter Umsetzung her zum Haus passen und für die Empfänger plausibel und glaubwürdig sein. Gleichzeitig sind das richtige Timing (Startschuss-/Rollout) und v. a. angemessene Wiederholungsformen erfolgskritisch. Alle internen Kommunikationskanäle, die sich für eine solch bedeutende Kommunikation eignen, sollten genutzt werden; in Frage kommen Intranet und Mails, aber auch Rundschreiben, Aushänge und die Mitarbeiterzeitung. Wiederum spielt das persönliche Auftreten des Klinikmanagements die Schlüsselrolle. Erst wenn die Klinikleitung in unternehmensweit angesetzten Veranstaltungen (Betriebsversammlung, Mitarbeiterversammlung, große Institutsbesprechungen o. ä.) das Thema Compliance persönlich, nachdrücklich, authentisch und damit überzeugend, also möglichst ohne »Manuskript«, besprochen hat, wird glaubhaft, dass Compliance ein persönliches Anliegen des Managements ist.
Wenn sich der Kern einer solchen Erklärung auch nicht verändern sollte, so unterliegen dennoch Tonalität, Kontext und damit auch Wording unternehmensinterner Dokumente stets einem Veränderungs- und Reifeprozess. Deshalb ist zu empfehlen, die Erklärung in größeren Abständen (von 2 bis 3 Jahren) in einer aktualisierten Version herauszugeben.
Um authentisch zu wirken, sollte die Compliance-Erklärung tatsächlich individuell für das Haus und durch das Haus erstellt werden.
Die Glaubwürdigkeit von Compliance hat mit den Menschen zu tun, die in der Wahrnehmung der Mitarbeiter »für Compliance stehen«. Deshalb ist es sinnvoll, auch die hausinternen Verantwortungsträger für das CMS im Rahmen des Compliance-Bekenntnisses vorzustellen und ihre Funktion zu beschreiben.
4.2 Tone at the middle und tone from the middle
Mit welcher Häufigkeit begegnet ein Krankenpfleger, eine MTRA oder ein Koch im Krankenhaus dem Geschäftsführer oder Vorstand direkt? Wie intensiv sind solche Kontakte? Auch ein Geschäftsführer, dem direkter Mitarbeiterkontakt wichtig ist, kann nicht die Führungskraft sein, welche die Mitarbeiter im gewöhnlichen Arbeitsalltag als »Chef« erleben. Es ist das mittlere Management, dem Mitarbeiter tatsächlich kontinuierlich begegnen, das Weisungen gibt und von dem die tatsächliche »Modellfunktion« auch hinsichtlich Einstellungen und Werten ausgeht. Für die große Mehrheit der Beschäftigten eines Krankenhauses wird diese Funktion durch Ärzte und Pflegedienstleitungen ausgefüllt.
Deshalb spielen diese Führungskräfte die Schlüsselrolle für den Transfer des Compliance-Bekenntnisses von der Krankenhausleitung zu jedem einzelnen Mitarbeiter. Auch hier muss das Reden unbedingt mit dem für die Mitarbeiter sichtbaren Handeln der Führungskraft übereinstimmen.
Das bedeutet für die Geschäftsleitung, beides vom mittleren Management einzufordern: Sowohl das persönliche, vorbehaltlose Bekenntnis zu Compliance als auch das aktive Bemühen um Compliance im persönlichen Verantwortungsbereich. Denn Compliance-Verantwortung ist untrennbarer Teil jeder Führungsverantwortung, egal ob diese wie bei der Geschäftsleitung umfassend gilt oder sich wie im mittleren Management nur auf Ausschnitte bezieht.
4.3 Klinikweiter Verhaltenskodex
4.3.1 Formale Gesichtspunkte
Die Selbstverpflichtung des Managements, die sich in einem Compliance-Bekenntnis ausdrückt, sollte in einem zentralen Verhaltenskodex (oder vergleichbarer Name) mit Aufforderungscharakter niedergelegt sein. Dieser Kodex richtet sich direkt an alle Mitarbeiter. Darin wird der Compliance-Anspruch auf wesentlichen Handlungsfeldern eines Krankenhauses konkretisiert.
Unter arbeitsrechtlichen Gesichtspunkten ist eine formale Verpflichtung der Mitarbeiter auf den Verhaltenskodex sinnvoll. Sie verleiht dem Compliance-Anspruch in einer Art und Weise Nachdruck, wie dies bei Beamten durch den Amtseid erfolgt. Falls möglich, bietet sich alternativ der Abschluss einer Betriebsvereinbarung an. Auf diese Weise können auch mitbestimmungspflichtige Sachverhalte (z. B. Wertgrenzen) im Verhaltenskodex behandelt werden.
Der Verhaltenskodex sollte zusammen mit dem Compliance-Bekenntnis der Krankenhausleitung ( Kap. 4.1.2) zentraler Gegenstand der Compliance-Kommunikation sein. Dementsprechend sollten sämtliche dafür geeigneten Kommunikationskanäle zum Startzeitpunkt des CMS auch für den Verhaltenskodex genutzt werden.
Aus den Risikomaßnahmen im Compliance-Risikomanagement ( Kap. 6.6) und im Compliance-Programm ( Kap. 7) leiten sich konkrete Handlungsanforderungen (»To-dos«) für die Führungskräfte ab.
4.3.2 Inhalt
Da der Verhaltenskodex die Grundanforderung der Compliance in der alltäglichen Arbeitswelt der Mitarbeiter anspricht, besteht die Herausforderung, die Balance herzustellen zwischen einer als realistisch und vollständig wahrgenommenen Themenabdeckung einerseits und einem noch lesefreundlichen Gesamtumfang andererseits. Ein Lösungsansatz liegt darin, allgemeinverständliche, übersichtliche und prägnante Regelungen zu formulieren. Dabei empfiehlt es sich, eher Prinzipien und Werte zu benennen, da der Verhaltenskodex nicht den Detaillierungsgrad einer Dienstanweisung haben muss und diesen auch nicht anstreben sollte. Folgende Themen haben sich bewährt:
• Qualität und Sicherheit medizinischer und sonstiger Leistungen
• Persönlichkeitsrechte/Umgang mit Mitarbeitern, Patienten und Dritten, insbesondere Diskriminierungsverbot
• Verbot von Zwangs- und Kinderarbeit
• Arbeitssicherheit
• IT-Sicherheit
• Datenschutz-Grundsätze
• Umgang mit Betriebsgeheimnissen/Vertraulichkeit
• Umgang mit Interessenskonflikten
• Umgang mit Klinikeigentum
• Techniknutzung
• Wettbewerbsteilnahme-Grundsätze/Vergabeverfahren
• Korruption
• Redlichkeitsgrundsätze bei Dokumentation und Buchführung
• Abrechnungsverhalten
• Umweltschutzgrundsätze zur Ressourcenschonung
• Kommunikationsgrundsätze/Umgang mit sozialen Netzwerken
• Ökonomisch sparsamer Umgang mit Ressourcen
• Meldung von Verstößen/Hinweisgebersystem
• Ombudsmann
• CIRS (Critical Incident Reporting System)
• Umgang mit Verstößen
• Ansprechpartner bei Compliance
Dem ersten Punkt »Qualität und Sicherheit medizinischer und sonstiger Leistungen« kommt in dem Gesamtzusammenhang der Themen die überragende Bedeutung zu, denn es handelt sich um die für die Patienten lebenswichtige Kernleistung eines Krankenhauses. Aus einem solchen Compliance-Verstoß können existenzbedrohende Situationen für das Krankenhaus entstehen.
4.4 Messung des Compliance-Kultur-Index
Der Lackmustest der Compliance-Kultur liegt in der Frage, inwieweit Mitarbeiter auf Grund des Compliance-Bekenntnisses des Managements Ziel, Anliegen und Auswirkung von Compliance für sich persönlich akzeptieren und ernst nehmen. Im PS 980 heißt es nicht ohne Grund »Die Compliance-Kultur beeinflusst die Bedeutung, welche die Mitarbeiter des Unternehmens der Beachtung von Regeln beimessen und damit die Bereitschaft zu regelkonformem Verhalten.«3
Deswegen ist es empfehlenswert, den Mitarbeitern Gelegenheit zu geben, in einer Befragung ihre Sicht zum Stand der Compliance zu äußern. Für die Belastbarkeit der Ergebnisse spielt das Vertrauen der Mitarbeiter in die Anonymität der Befragung die Schlüsselrolle. Daher sollte die Befragung außerhalb der technischen Infrastruktur des Krankenhauses erfolgen. Ansonsten rechnet der Mitarbeiter damit, bereits auf Grund seines Logins identifizierbar zu sein. Es kann aus diesem Grund auch sinnvoll sein, die Befragung durch ein externes Institut durchführen zu lassen.
Da die Mitarbeiter Inhalte und Formulierung der gestellten Fragen kennen, besteht kaum Möglichkeit, die Ergebnisse der Befragung anschließend nicht oder nur selektiv intern zu kommunizieren, ohne die Glaubwürdigkeit zu beschädigen. Also ist die Bereitschaft zum offenen Umgang mit den Ergebnissen eine weitere Voraussetzung eines aussagefähigen Compliance-Barometers. Andererseits bietet das Instrument die Chance, besonders konkrete und ehrliche Hinweise für den weiteren Entwicklungsbedarf des CMS zu erhalten.
2 IDW PS 980, Abschnitt 4, Tz 23.
3 IDW PS 980, Abschnitt 4, Tz 23.