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Fünf

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Der Nachmittag war bereits angebrochen und immer noch strömte der Regen auf Rohars Kriegstrupp herab. Eisige Tropfen durchdrangen die Rüstung und fanden ihren Weg auf die Haut. Der Wind zerrte an Kleidung und Nerven. Durch den vollends in Schlamm und Matsch verwandelten Untergrund gebremst, kam der Trupp nur langsam voran. Aber nach den regelmäßigen Meldungen der Späher, die sich nun abwechselnden, ging es den Todesklingen, wie der Halbling Crows sie genannt hatte, nicht anders. Fast schien es, als wollten die Elfen den Abstand nicht größer werden lassen. Es sah beinahe so aus, als wären sie nicht auf ihr Entkommen bedacht.

Andererseits ob sie entkommen konnten, wenn sie wollten, war fraglich. Und letztlich, sagte sich Rohar, war es einerlei. Es gab nur einen Weg.

Wie immer. Ein Weg, keine Wahl.


Die Greakar erreichten den Rand eines Waldes. Alte, hochgewachsene Bäume bogen sich knarrend im Wind. Rohar ließ die Greakar ihre Pferde zügeln. Offenbar gab es keinen Weg um den Wald herum. Nur unwegsames Gelände. Felsen, die, die Pferde nicht würden bewältigen können auf der einen Seite, auf der anderen unpassierbarer Morast und Sümpfe. Dort würden die Reittiere einsinken und untergehen. Der Trupp musste den Wald zumindest am Rand passieren. Die Spuren der Elfen führten ebenfalls dort entlang.

Aldrar kaute Trockenfleisch, schluckte und spuckte dann aus. Der Alte wand sich in seinem Sattel und reckte den Hals.

»Gefällt mir nicht…«, sagte er zu niemand bestimmten. »Das ist der schwarze Wald. Hier gibt es gefährliche Tiere und - ihr kennt die Geschichten, die man sich am Feuer erzählt - Geister und Dämonen hausen hier.«

Rohar betrachtete den Alten ausdruckslos. Dann warf er einen Blick in das knarrende Geäst. »Ich mache mir eher Sorgen um den Sturm und herabfallende Äste oder umstürzende Bäume als um Geister oder ... Dämonen.« Schließlich wandte der Anführer sich an seinen Trupp. »Vorsicht! Haltet euch am Rand und achtet auf die Bäume!«


In einer Schützenreihe - paarweise nebeneinander und langsamen Schrittes - bahnte sich der Trupp einen Weg durch den alten Wald. War es draußen in der Ebene schon recht dunkel, so war es hier, unter dem Blätterdach, regelrecht finster. Dafür war der Wind nicht mehr so schneidend. Nur sein Heulen in den Blättern war lauter geworden. Es war, als sängen die Geister des Waldes ein schauriges Lied, dachte sich Rohar. Ein Lied für die Toten...

Aus dem Wald ertönte lautes Brüllen, gefolgt von ohrenbetäubender Stille. Und wieder ein Brüllen. Lautes Wiehern ließ Rohar herumfahren und er sah Tjagar, dessen Pferd gescheut hatte, direkt hinter sich. Der große Greakar bemühte sich, das Tier unter Kontrolle zu halten und zu beruhigen. Er tätschelte ihm etwas unbeholfen den schlanken, braunen Hals und beugte sich vor, als er in leisen Worten mit dem aufgeregten Tier sprach.

»Waldpanther«, flüsterte Rohar seinem Freund zu.

»Hmm«, brummte Tjagar mit seiner tiefen Bassstimme, »aber diese Tiere sind für gewöhnlich scheu und greifen keine berittenen Kriegertrupps an. Es sei denn, sie hätten Hunger ...« Tjagar grinste breit, was die Tätowierungen in seinem Gesicht zucken ließ. »Es sind ja keine Steinlöwen.«

Rohar erlaubte sich ein schmales Lächeln. »Nein, sind sie nicht.«

Möglicherweise...

Steinlöwen galten im wilden Land als überaus gefährlich. Sie waren große und starke Raubtiere, die in Rudeln lebten und jagten und dabei - anders als Waldpanther - weder vor Kriegstrupps noch vor Dörfern oder Siedlungen haltmachten.

Der Truppführer gab ein Zeichen und der Trupp setzte sich wieder in Marsch. Der Weg durch den knarrenden und knirschenden Wald zog sich hin. Immer wieder mussten die Krieger herabstürzenden Ästen ausweichen, die krachend zu Boden fielen.

»Das ist seltsam.« Tjagars Brauen über den Kriegertätowierungen zogen sich zusammen.

Rohar blickte ihn an, wobei sich deutlich eine Furche auf der Stirn des Truppführers abzeichnete.

»Das Brüllen…«, Tjagar wies mit einer Hand unbestimmt in Richtung des tieferen Waldes, »es begleitet uns. Es ist fast als verfolgte es uns.«

Rohar hob die rechte Faust. Der Trupp hielt daraufhin an. Der Anführer legte den Kopf schräg und lauschte. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen.

»Und wird lauter«, sagte der Truppführer tonlos.

Gerade als Tjagar etwas erwidern wollte, fuhr eine Sturmböe in die alten Bäume.

»Vorsicht!«, brüllte einer hinten im Trupp.

Einer der hohen alten Bäume begann, sich zu neigen. Die Wurzeln rissen die Erde auf, als der Baum kippte. Dann krachte er mit einem ohrenbetäubenden Knall mitten in den Trupp.

»Verdammte Axt!«, brüllte Rohar über das Chaos aus Lärm, Schreien, Wiehern der Pferde und den Sturm hinweg.


Telrars Schreie übertönten sogar den Lärm des Unwetters. Die Beine des jungen Kriegers lagen zerschmettert unter dem umgestürzten Baum, während der Trupp versuchte, ihn mit vereinten Kräften zu befreien. Es schien sinnlos.

»Hier! Drauf beißen! Und kauen!« Rohar schob dem Jungen ein Stück Peinwell zwischen die Zähne.

Währenddessen lugte Aldrar unter den Baum. Der alte Krieger versuchte irgendwie, an Telrars Beine zu gelangen. Dann warf der Veteran Rohar einen stummen, aber vielsagenden Blick zu. Der Alte schüttelte den Kopf.

Rohar biss die Kiefer zusammen. »Holt ihn raus!«, die Stimme des Truppführers scholl durch den dunklen Wald.

Aldrar nahm Rohar beiseite. »Seine Beine sind zerschmettert, wie ich es noch nie gesehen habe, Rohar. Er wird nie wieder laufen oder reiten können.«

Rohar warf dem Alten einen grimmigen Blick zu.

»Rohar, der Junge wird sterben«, sagte der Veteran.

Eine tiefe Falte zeigte sich an der Stirn des Truppführers. »Was versuchst du mir zu sagen, Aldrar?«

»Du musst eine Entscheidung treffen.«

Die Augen des Truppführers blitzten, wie das Unwetter über ihnen. Rohar wusste, was der Alte sagen wollte.

Verwundete binden Kräfte.

Aldrar hob hilflos die Hände. »Er macht uns noch langsamer, Rohar. Und er kann nicht mehr kämpfen. Du weißt das… Truppführer!«

Rohar mahlte unaufhörlich mit den Zähnen.

Dann sprach Aldrar, der erfahrenste der Krieger, den Gedanken aus, den sein Truppführer sich nicht zu denken gestatten wollte. »Wir müssen Telrar zurücklassen!«


Noch bevor Rohar eine Entscheidung treffen konnte, brach ein gewaltiges Brüllen in seine Gedanken. Düstere Schatten zerrissen die Reihen der Greakar. Pferde scheuten und stoben davon. Schreiende Krieger übertönten den Sturm.

»Alarm! Waldpanther!«

Mehrere der großen Tiere sprengten mitten durch den Trupp. Waffen wurden gezogen. Rohar schlug mit dem Hauschwert auf die Bestie ein, die ihm am nächsten war. Die Schreie der Krieger peitschten durch die Dunkelheit des Waldes. Mit vereinten Kräften schafften es mehrere Kämpfer, eine der riesigen Raubkatzen einzukesseln. Crows schwang sich blitzschnell auf das Tier und stieß ihm die Klinge zwischen die Schulterblätter. Als der Panther nach hinten schnappte, nutzte ein anderer Greakar die Ablenkung - und stach dem Tier einen Speer zwischen die Rippen. Rohar sah, wie die Bestie unter dem Halbling Crows zusammensank. Und dann war es auch schon vorbei.

So schnell, wie sie gekommen waren, verschwanden die übrigen Tiere im Wald. Schwer atmend und immer noch alarmiert, sahen sich die Greakar um. Ein Gemisch aus Schweiß, Blut und Regen verklebte Rohars Haar und troff von seiner Stirn. Der Truppführer ließ den Blick schweifen. Zwei seiner Soldaten lagen tot am Boden, Tjagar war gerade dabei, ein verwundetes Pferd zu erlösen und Aldrar kniete bereits bei Kitany, einer jungen Kriegerin, am Boden. Eine der Waldkatzen lag ebenfalls im schlammigen Dreck. Zumindest eine Entscheidung hatte Rohar nicht mehr zu treffen. Telrar atmete nicht mehr.


Aldrar, der sich um Kitany gekümmert hatte, wischte sich mit einem blutverschmierten Tuch die Hände ab. Sein steingrauer Blick sagte Rohar alles. Dennoch schüttelte Aldrar knapp den Kopf.

»Sie will mit dir reden«, sagte der alte Krieger zu Rohar.


Ihre Brust hob und senkte sich unregelmäßig. Glasige Augen, die jeden Moment brechen wollten, suchten seinen Blick. So viel Blut, Schmerz und Tod Rohar in seinem Leben auch gesehen haben mochte, er fühlte einen Kloß in seiner Kehle. Der Anführer befeuchtete seine Lippen, wollte etwas sagen. Aber Kitany sprach zuerst.

»Lasst mich hier. Ich werde es nicht schaffen. Und ich halte euch nur auf.«

»Kitany...«

»Nein, Truppführer. Ich mache euch Ehre, dem Trupp und… meinen Ahnen. Lasst mich hier. Gebt mir meine Waffe und setzt mich auf!«

Rohar presste die Lippen zusammen und wandte den Blick ab. Dann hob er ein schartiges Kurzschwert vom Boden, drückte es in Kitanys feuchtkalte Hände. Rohar sog tief die Luft ein und ließ sie in einem langen Zug entweichen. Er packte die Kriegerin und hob sie mit einem Ruck hoch.

Ein Stöhnen kam über ihre Lippen. Sie hustete und spuckte Blut. Ein paar Tropfen davon klebten an ihren grauen Lippen.

»Die Ehre im Blut und den Tod im Herzen«, sagte sie den Wahlspruch der Einheit.

Rohar schluckte trocken, griff in seinen Gürtel und zog zwei Stücke Peinwell hervor. Dann holte er Luft. Doch Kitany unterbrach ihn.

»Geh, Truppführer!« Sie schob sich die Wurzel zwischen die Zähne.

Rohar schluckte trocken, nickte. Dann drehte er sich um. Der Sturm übertönte gnädig das rasselnde Atmen der jungen Kriegerin.

Eine Entscheidung für eine andere. Ein schlechtes Geschäft.

»Aufsitzen!«


Schwer und schmerzhaft hob und senkte sich ihre Brust. Das Atmen wurde von Augenblick zu Augenblick mühevoller. Jeder Luftzug stach wie ein Dolch in ihre Lungen. Zwar hatte der Veteran Aldrar Kitanys Wunden versorgt, aber sie spürte bereits wieder ihr Blut durch die groben Leinenverbände dringen. Zahlreiche Wunden hatte sie bei dem Angriff der Waldpanther davon getragen und es war nur eine Frage der Zeit bis sie verbluten würde. Sie wusste nicht, wie lange sie hier bereits gesessen hatte, seit der Trupp weitergezogen war. Es war ihre eigene Entscheidung gewesen, den Pfad der Ehre zu wählen - und zurück zu bleiben. In den Augen der Greakar hatte sie ihre Ehre bewahrt. Sie war zur Heldin geworden und noch in Hunderten von Jahren würden die Greakar am Feuer ihre Geschichte erzählen. Die Wirkung der Peinwellwurzel, die Rohar ihr gegeben hatte, dämpfte einen Teil des Schmerzes - aber sie dämpften auch Kitanys Wahrnehmung. Die Umgebung hatte begonnen, vor ihren Augen zu verschwimmen. Dennoch sah sie die drei Elfen auf sich zukommen. Schattengestalten in einem dunklen Wald, der nur aus Schatten zu bestehen schien. Schwarze Rüstungen, geschwärzte Klingen. Bis auf eine.

Einer der Elfen trat auf sie zu. Kraftlos und mit zitternden Händen hob Kitany ihre Waffe und starrte ihn aus zusammengekniffenen Augen an. Er stand einfach nur da - gerade außerhalb ihrer Reichweite - strich sich eine weißliche Strähne aus dem ebenmäßigen Gesicht. Sein Haar tropfte und Schlamm klebte an seinen Stiefeln. Dennoch war seine Rüstung weniger verdreckt als die seiner Begleiter. Der Elf legte den Kopf leicht schräg und betrachtete Kitany ausdruckslos. So als beobachtete er ein seltenes Tier oder ein Insekt unter einem Brennglas. Ein Lächeln, eisig wie der gefrorene Greaksee im Winter, zuckte über seine Züge. Dann griff der Elf nach seiner Klinge. Fahles Leuchten, das trotz der sie umgebenden Finsternis kein Licht bringen wollte. Dann nahm Kitany nur noch ein fernes Flüstern unzähliger, fremder Stimmen wahr.



Der Kundschafter der Greakar kam im Galopp zurück geritten. Sein Pferd tänzelte unruhig und schäumte. Der Reiter schnappte nach Luft. Die sonst graue Haut war bleich geworden unter den Gesichtstätowierungen, an denen man seinen Rang und seine Sippe erkennen konnte.

»Rohar! Das musst du dir ansehen, Truppführer!«, stieß der Mann abgehackt hervor, nachdem er mühsam zu Atem gekommen war. Dann wendete er sein Pferd und ritt bereits wieder in die Richtung, aus der er gekommen war.

Rohar griff in die Zügel seines Pferdes, dass die Knöchel durch die Haut an den Händen des Truppführers schienen. Sein Herz schien ihm die Brust sprengen zu wollen. Rohar presste die Schenkel gegen den Leib seines Reittiers. Das Pferd befolgte den Befehl, wurde schneller und folgte dem Späher.


Der Trupp hatte den Rand des schwarzen Waldes erreicht. Während der Wind zwar nachgelassen hatte, prasselte der Regen unaufhörlich weiter.

Rohar betrachtete den einzelnen Baum am Waldrand mit einer Mischung aus Abscheu und Wut. Seine Kiefer mahlten aufeinander, die Fäuste ballte er so fest, dass die Knöchel weiß hervortraten.

Etwas abseits standen die übrigen Soldaten des Trupps. Wortlos, angesichts des Frevels, den die Elfen verbrochen hatten, standen sie da. Zumindest zweifelte niemand daran, dass die Elfen das getan hatten.

Rohar konnte den Blick nicht abwenden von diesem Baum. Er wirkte nicht natürlich, wie die anderen Bäume des Waldes. Er war nicht natürlich. Einzeln stand er - etwas abseits - aber es erschien kaum möglich, dass er dort gewachsen sein konnte. Nicht so. Nicht auf diese Weise.

Sein Stamm war breit und stark. Ausladendes Wurzelwerk lag über der Erde. Dort, wo die hellen Wurzeln in den Boden reichten, war dieser schwärzlich verfärbt. Eine ölige, schmierige Flüssigkeit aus dreckigem Rot trat an mehreren Stellen aus der Rinde dieses Baumes. An einigen Stellen war die weiße Rinde des widerwärtigen Gebildes durchbrochen - durchbrochen von Fingern.

Die Hände und Füße, die aus dem Baum ragten, waren an nahezu jedem Glied gebrochen worden. Das Schlimmste aber war das Gesicht. Es brach durch die Rinde und war doch mit dem blutenden, weißen Baum verwachsen. Niemand vermochte zu erkennen, wo der Körper anfing und der Baum aufhörte. Aber das Gesicht - in Todesqualen schrecklich verzerrt - konnte Rohar erkennen.

»Kitany«, flüsterte er vor sich hin.

Sie musste unvorstellbar gelitten haben. Rohar - und auch kein anderer des Trupps – wollte oder konnte sich vorstellen, welch finstere Magie die Elfen hier benutzt haben mochten.

»Kitany…« Rohars Stimme klang rau und belegt.

Er wandte sich ab von dem geschundenen, mit dem unheiligen Baum verwachsenen Körper. Dann brach Rohars Zorn aus ihm heraus, wie glühende Lava aus einem Vulkan.

»Ehrloses Pack! Verfluchte Irre!« In hilfloser Wut brüllte der Truppführer seinen Schmerz in die Weite des wilden Landes.

Der Abend zog langsam herauf in der Ebene - und mit ihm kroch die Dunkelheit näher.

*


Das Herz der Greakar

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