Читать книгу Welt ohne Urknall - Christian Hermenau - Страница 8
Newtons instantane Kraftübertragung
ОглавлениеNewtons Weltbild ist ein mechanistisches Weltbild, dass er in seinem Werk „Philosophiae naturalis principia mathematica“ 1687 herausbrachte. Das Universum war noch recht übersichtlich und bestand aus der Sonne, den Planeten mit ihren Monden und ganz allgemein den Sternen. Um die Sterne musste man sich nicht weiter kümmern, die standen fest in Bezug zueinander. Aber die Planeten bewegten sich nach den Keplerschen Gesetzen um die Sonne und daraus entwickelte Newton sein Gravitationsgesetz. Auch konnte Newton die Masse, den Impuls und die Kräfte verallgemeinern und weiter dann damit die Mechanik der schwingenden Systeme entwickeln. Die Masse ist dabei träge, einem zentralen Begriff der Newtonschen Mechanik. Newton konnte nicht erklären warum ein Materiekörper sich träge verhält. Er legte fest, dass dies ganz allgemein so ist und für alle Massen gilt. Die Verallgemeinerung bestand nun darin, dass er nicht nur an Massekörper hier auf der Erde dachte, Bewegungen von Pferdekarren, Wurfgeschosse oder Steinen, sondern er hatte die Idee, dass dieses Trägheitsgesetz auch für Sterne und Planeten oder für kleinste Teilchen und Atome gilt. Auch wenn Newton noch keinerlei Vorstellung davon hatte, was die Sterne darstellen und wie weit weg sie sind. Ebenso definierte er die Kraft, als eine Bewegungsänderung von trägen Massen. Dabei ist auch eine Richtungsänderung eine Bewegungsänderung, die eine Kraft benötigt. Hier verallgemeinert Newton sein Kraftgesetz auf alle Körper, sowohl im Großen, als auch im Kleinen. Dabei ging er intuitiv davon aus, dass die Kraft unmittelbar übertragen wird. Und dass dies nicht nur hier auf der Erde passiert, sondern auch zwischen den unterschiedlichsten Himmelskörpern. Ein fataler Fehler, der uns heute lebende Menschen sofort irritieren würde, der aber zu Newtons Zeiten ohne Zweifel postuliert werden konnte. Newton stellte zwar das Gravitationsgesetz auf, doch hatte er keine Idee oder auch nur eine Vorstellung davon, warum dieses Gesetz so existierte. Und doch war es für seine Zeit eine große Leistung, einen Zusammenhang zwischen den Himmelskörpern und den Fallgesetzen auf der Erde zu entdecken. Zusammenhänge, die für die damalige Zeit noch sehr gewaltig und wie völlig verschieden voneinander waren. Der letztendliche Hintergrund allen Seins lag sowieso bei Gott. Die Menschen damals waren froh überhaupt logisch reproduzierbare Verbindungen zwischen dem Kosmos und der Erde zu finden. Das man sich an die Ursachen hinter den Gesetzen wagte, dafür war die Zeit noch nicht reif. Newtons Universum war noch klein, auch wenn es ihm sehr groß vorkam. Im Wesentlichen bestand es aus unserem Sonnensystem, das sich beobachten und analysieren ließ und den anderen Sterne, die einfach nur da waren. Einen Zusammenhang zwischen Licht und Gravitation gab es noch überhaupt nicht. Zu Newtons Zeiten hatte das Licht und seine Ausbreitung nichts mit den Massen zu tun. Das Massen die Richtung oder sogar die Farbe von Licht ändern könnten, war seinerzeit noch ganz abwegig. Für Newton war die Gravitation etwas ganz anderes als die schnelle, aber endliche Lichtgeschwindigkeit. Sein Universum war endlich, die Übertragung und Reaktionen der Körper aufeinander zu hingegen unendlich. Warum sollte also nicht auch, rein intuitiv, die Gravitationskraft unmittelbar wirken? Was sollte sie verzögern? Abgesehen davon waren die Bewegungen der Gestirne ohne eine zeitliche Verzögerung, wesentlich leichter zu berechnen und mit der damaligen Präzision fanden sich die meisten Planeten auch da, wo man sie vorhergesagt hatte. Alles passte bestens zusammen. Newton wurde zwar nicht wie Galilei von der Kirche gegängelt, doch durchzog nach wie vor der göttliche Hintergrund von allem, stillschweigend die Natur. Die Vorstellung, dass Gott etwas Zeit braucht, weil er gerade zu weit weg ist und deshalb die Gebet nicht erhören könnte, war unerhört und nicht vorstellbar. Es war damals klar, dass auch in diesem kleinen Universum Gott alles unmittelbar und sofort erreichen kann und sich das auch in der Natur, also zum Beispiel der Gravitation zeigt. Ein heutiger religiöser Mensch glaubt zwar immer noch daran, dass Gott sich über die Naturgesetze hinwegsetzen kann, doch versucht er erst gar nicht mehr dies mit naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, in diesem Bereich erklären zu wollen. Ein persönlicher Gott muss inzwischen nicht nur die überschaubare Gemeinde des Altertums überblicken, als die jüdische und dann später die christliche Religion aufgeschrieben wurden und jedem einzelnen nahe sein. Also etwa nur einige Millionen Gläubige. Heute ist die Zahl der Menschen auf dramatische sieben Milliarden angewachsen und auch für diese große Zahl steht Gott jedem einzelnen zur Verfügung. Doch das reicht noch lange nicht aus. Gibt es für dieses Universum nur einen allmächtigen Gott, so muss er auch überall im Universum gleichzeitig sein können, hier wie in 13,7 Milliarden Lichtjahren Entfernung. Und geht es nach den Viele-Welten-Optimisten, dann hat Gott unfasslich viele Aufgaben. Denn dann muss er sich auch um die Milliarden über Milliarden anderer hochentwickelten Welten kümmern, die es danach noch in diesem Universum geben soll. Eine wahrlich große Aufgabe, auch für einen allmächtigen Gott.
Das Weltbild nach Newton hat sich inzwischen dramatisch verändert und doch werden nach wie vor zunächst seine Gedanken und Formeln, den Schülern und Studierenden beigebracht, weil sie bis zu einer bestimmten Genauigkeit immer noch gültig sind und so gut zu unserem Alltagsleben passen. Man käme nicht auf die Idee, einen Wolkenkratzer nach der Relativitätstheorie zu bauen. Man muss noch nicht einmal beachten, dass die Erdbeschleunigung am Fuß des Hochhauses etwas größer ist als in 400 Meter Höhe. Wir können also im Alltag Prioritäten setzen. Im Alltag, doch auch bei den Berechnungen der Planeten, reicht die Newtonsche Mechanik aus. Die Berechnungen sind ohne dem schon für Vielkörperbewegungen schwierig genug. Nur wissen wir heute, wo die Grenzen liegen. Wollen wir noch genauer werden, zum Beispiel bei einer GPS Positionsbestimmung mittels Satelliten, dann spätestens müssen wir die Erkenntnisse der Relativitätstheorie mit einbeziehen, uns an die neuen, kompliziertere Formeln wagen. Doch auch wenn die Bewegungen wirklich schnell sind oder die Massen extrem kompakt und groß, hilft uns Newton nicht weiter. Eine weitere Grenze für Newtons Mechanik liegt im Atombereich. Hier verhält sich Materie immer kompliziert und ganz anders als wir es von unserem Alltag her kennen. Bei den Atomen, den Molekülen oder dem Licht versagen unsere vertrauten Vorstellungen. Newton hat von unserem physikalischen Denken Besitz ergriffen. Wir benutzen gerne seine Gesetze. Sie sind so schön passend zu unserer Alltagswelt, mechanistisch und deterministisch. Sein Hintergrund ist die Idee von einem Uhrwerk. Alles ist mit allem verbunden, wie eine riesige Maschine mit Räderwerk, die durch eine Energie angetrieben wird. Vom Bild her ist das überschaubar. Aber eins ist klar, so mechanistisch gedacht werden wir nie erfahren, wer die Maschine gebaut hat und woher die vielen Teile dafür kommen. Denn Newton hat nicht nur den Begriff von der Trägheit geprägt und damit unser Denken für eine bestimmte Richtung festgelegt, er ging auch nicht nur stillschweigend von einer unmittelbaren Kraftübertragung aus, davon haben wir uns längst gelöst. Sondern er hat auch stillschweigend die Idee in uns verankert, dass Massen überall gleich im Universum sind, obwohl sein Universum noch recht klein war. Die träge Masse oder ganz allgemein die Trägheit sollten etwas universell Allgemeingültiges haben, auch wenn keiner bis heute wirklich weiß, was Trägheit ist und obwohl sich das Universum seit damals in unserem Denken irrsinnig vergrößert hat. Die Massenträgheit bleibt unangetastet, obwohl es vor der Urknalltheorie keinen wirklichen Grund dafür gab, warum elementare Masseteilchen überall gleich träge sein müssen. Wir haben uns für den Urknall entschieden und die Massen unangerührt gelassen. Danach konnte man die Rotverschiebung der Galaxien erklären, aber keine später entdeckte dunkle Materie, keine dunkle Energie und keinen Urknall in den ersten Sekunden ohne eine verflixte Inflation. Plötzlich stand man vor Konstanten, die ohne Inflation, am Anfang so unvorstellbar präzise aufeinander abgestimmt sein mussten, dass man daran nicht mehr glauben konnte und lieber ein Universum in Kauf nahm, dass sich exponentiell aufblähte und dabei alle Spuren verwischte. Doch der Preis der Inflation bei der Urknalltheorie war etwas, das um 80 Größenordnungen mit dem unvereinbar ist, was man heute als Ursache der Inflation ansieht, dem was heute als abstoßende Kraft noch davon übrig sein kann. 80 Größenordnungen, das sind eine eins mit 80 Nullen. Um das So-viel-Fache ist die Inflationskraft damals größer gewesen oder stimmen die Werte zwischen Theorie und Praxis nicht überein. Statt dreißig extrem genau aufeinander abgestimmten Anfangskonstanten ist es nun nur noch ein Wert, doch dafür rätselt man völlig im Dunkeln, wie der zustande kommt. Unser Urknallmodell findet keine innere Geschlossenheit und das vielleicht nur, weil wir so beharrlich an etwas festhalten, was wir bis heute nicht richtig verstanden haben. Etwas das nie eine feste überall gleiche Größe war: die Trägheit der Teilchen im Universum.