Читать книгу Fakemedizin - Christian Kreil - Страница 6
Eine Bestandsaufnahme
ОглавлениеIch befasse mich seit fast zehn Jahren mit Esoterik, Fakemedizin und Verschwörungsplaudereien. Ich schreibe darüber in meinem Blog Stiftung Gurutest in der österreichischen Tageszeitung Der Standard. Der Name der Kolumne ist provokant, das ist Absicht. Eine Reihe von Fragen wird immer wieder an mich gerichtet. Die häufigste: Warum tue ich mir das an? Meine Antwort lautet: Ich lasse mich ungern für dumm verkaufen, und ich will auch nicht, dass jemand meine Mitmenschen für dumm verkauft. Wenn ich mit Bekannten über kleine Zipperlein plaudere, die uns hie und da plagen, werde ich fast täglich mit »Alternativmedizin« konfrontiert. Mir werden homöopathische Notfalltropfen angeboten, wenn ich scherzhaft meine Angst vor dem Zahnarzt erwähne. Bekannte erzählen bedeutungsschwer, dass der Energetiker mit Bioresonanz herausgefunden hat, was die Ursache für die Frühjahrsmüdigkeit ist: Vitamine! Und davon hatte er zufällig ein paar im Schrank zum Verkauf. Ein feines Set homöopathischer Globuli scheint ohnehin in fast keinem Haushalt zu fehlen. Bin ich ein paar Wochen ein wenig schlapp beim Radfahren, raten mir Kollegen von der wöchentlichen Radausfahrt, mich doch einmal von einem Energetiker austesten zu lassen.
Diesen Leuten ist oftmals gar nicht bewusst, dass das, was sie da propagieren, Pseudomedizin ist. Die Leute, die ich und vermutlich auch Sie kennen, sind nicht dumm. Aber sie fallen auf ein Marketing der Pseudomedizin herein, das ausgefuchst ist.
Was mich unter anderem motiviert hat, dieses Buch zu schreiben: Die Mehrzahl der Reaktionen auf meine Beiträge ist positiv. Ich erhalte täglich E-Mails von Personen, die sich bedanken, mir Hinweise zu Gurus und Scharlatanerien geben und mich bitten, denen mal – schreibend – eine vor den Latz zu knallen. Mein Blog verzeichnete mehr als 6 Millionen Aufrufe (Stand November 2020), unter meinen Beiträgen finden sich gut 50.000 Kommentare von Lesern.
Das Thema interessiert und bewegt Menschen, hie und da werde ich für Reportagen zu Interviews gebeten oder zu Fernsehdiskussionen eingeladen. Besonders prickelnd ist es, dabei einem der von mir »getesteten« Gurus gegenüberzusitzen. Im November 2019 war ich zu einem Talk im ORF mit Rüdiger Dahlke geladen. Die Plaudertasche unter den Gurus fand es nicht sehr prickelnd, von einem »Nobody« wie mir als »Kalauer-Mediziner« bezeichnet zu werden. Er drohte sogar, die Diskussion zu verlassen.
Bedrückend sind indes Zuschriften von Ärzten oder Angehörigen, die von verschleppten oder verweigerten Therapien bei ernsten Krankheiten berichten, weil ein selbst ernannter Heiler oder ein skrupelloser Arzt schwer kranken Menschen haltlose Heilversprechen macht. Leute, die mich – in der Regel von anonymen E-Mail-Accounts – beschimpfen, gibt es auch. Die sind aber in der Minderheit, und in meinem Papierkorb ist ausreichend Platz.
Die zweite Frage ist zumeist eine Anklage: Wie komme ich als Nichtmediziner dazu, mich über »Alternativmedizin« auszulassen? Ich stelle dann zumeist die Gegenfrage: Muss ich Pilot oder Flugzeugkonstrukteur sein, um feststellen zu können, dass der fliegende Teppich aus dem Märchen 1001 Nacht niemals abheben wird? Eben. Ich schreibe nicht über Medizin, ich schreibe über Pseudomedizin und versuche, sie bestmöglich zu dechiffrieren.
Von dieser Seite kommt auch meist der Vorwurf, ich würde nicht fair an die Sache herangehen, ich sei voreingenommen und ließe »die andere Seite nicht zu Wort kommen«. Das muss ich zurückweisen. In der Regel zitiere ich die Ärzte, Gurus und Scharlatane sehr ausführlich. Ich klicke mich zu diesem Zweck durch stundenlange YouTube-Filmchen und wühle mich durch Webseiten, Bücher, Newsletter und Flyer der zumeist sehr mitteilungsbedürftigen Akteure. Ich nehme diese Leute einfach beim Wort, etwas Entlarvenderes gibt es kaum.
Hie und da muss ich zu journalistischen Tricks greifen, um Informationen zu bekommen. Auf eine offene Anfrage in meinem Namen reagieren die Akteure in der Regel nicht. Mein Name ist nicht mehr ganz unbekannt in der Esoterikszene. Ein Aurachirurg, den ich mit meinem echten Namen für eine Stellungnahme kontaktiert hatte, schrieb mir zurück: »Ich habe mir Ihre Artikel angesehen und bin nicht bereit, Ihnen zu antworten.«
Großes Verlangen, von mir thematisiert oder porträtiert zu werden, hat in der Szene kaum jemand. Brauchbare und entlarvende Informationen erhalte ich in der Regel dann, wenn ich mich mit einer Fake-Identität als Patient ausgebe. Kaum wittern die Akteure einen Kunden, wird geplaudert und die Heilung vom blauen Himmel herunter versprochen. Wittern die Akteure einen wohlbestallten Kunden, sind sie beim Plaudern und Schwurbeln gar nicht mehr zu stoppen. Meine Vorgehensweise ist natürlich ein wenig »g’feanzt« – wie wir Österreicher sagen. Und ich weiß, das gibt Abzüge auf meinem Karma-Konto. Aber: Dem einen oder anderen skrupellosen Heilversprecher hat eine Veröffentlichung von mir bereits die Flügel gestutzt. Immer wieder verschwinden dubiose Heilangebote von Webseiten, nachdem ich in meiner Kolumne darauf hingewiesen habe. Wenn künftig weniger ahnungslose Kranke auf solche Scharlatane hereinfallen, dann hat sich die Sache gelohnt, finde ich.
In diesem Buch beschränke ich mich auf jenen Teil der Esoterik, die den Anspruch erhebt, bei Gesundheitsthemen mitreden zu können – und das ist eben die »Alternativmedizin«. Alles andere würde den Rahmen sprengen. Das Buch nennt die Dinge beim Namen und verpasst der »Alternativmedizin« einen neuen. Aus einem ganz einfachen Grund: Wenn etwas nachweislich hilft oder heilt, dann ist es Medizin (und keine »Schulmedizin«), wenn etwas nicht hilft oder heilt, dann ist es keine Medizin und auch keine »Alternativmedizin«, sondern: Fakemedizin.
Diese Bezeichnung ist bewusst gewählt, und sie spielt natürlich auf den Begriff Fake News an. Diese machen uns seit einigen Jahren das Leben schwer, sie überfluten die sozialen Medien, populistische Politiker nutzen sie schamlos für ihre Agenda. Dass Fake News oftmals die Agenda der Fakemedizin bedienen, ist evident. Wenn wir in einem dubiosen Internetkanal lesen, dass Bill Gates den Corona-Virus in die Welt gesetzt hat, um uns mit einer Impfung, deren Serum er längst in seinem Kühlschrank gelagert hat, einen Chip einzupflanzen, mit dem uns eine Elite künftig fernsteuern kann, dann wissen wir: Es sind Fake News. Fake News sind und bleiben Falschmeldungen, und zwar völlig unabhängig davon, ob sie Donald Trump oder Millionen von Menschen gefallen. Ebenso ist und bleibt Fakemedizin Unsinn, auch wenn Millionen Menschen darauf schwören.
Dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über wesentliche Akteure der Fakemedizin und allerlei Praktiken und Schulen und Tand. Ich habe keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bei den Recherchen zu diesem Buch poppten an allen Enden neue Scharlatane und Fakemedizin-Angebote auf, von denen ich noch nie gehört hatte. Eine vollzählige Auflistung wäre der Irrsinn, es würde nicht ein Buch füllen, sondern ganze Regale. Es gibt noch viel zu tun für die Stiftung Gurutest.
Die Auswahl, die ich getroffen habe, ist daher ein buntes Potpourri. Es reicht von lustigen Vögeln, über die man mit etwas gutem Willen noch lachen kann, über messerscharf kalkulierende Tandverkäufer, über deren Chuzpe man sich ärgern muss, über zynische Seuchenfreunde, die sich selbst gern als Impfkritiker zu verharmlosen versuchen, bis zu ideologisch motivierten Agitatoren, deren menschenverachtenden Anschauungen man mit aller Vehemenz entgegentreten muss.
Der Fokus des Buches ist natürlich auf die Fakemediziner gerichtet, die sich bei uns in Mitteleuropa tummeln. Aus guten Gründen: Die zu Beginn angeführten Schilderungen von der Zauberei des Medizinmanns bei den Zande in Afrika sind fast 100 Jahre alt und längst Geschichte. Bedeutend öfter als von zentralafrikanischen Medizinmännern werde ich von heimischen Schamanen, Heilern und pseudomedizinischen Ärzten belästigt. Die Zaubereien dieser Ärzte mit Informationsmedizin, Homöopathie und Ähnlichem sind topaktuell, das Angebot an Fernheilungen diverser Schamanen und rasanter Krebstherapien selbstbewusster Heilpraktiker und Energetiker ist enorm. Dabei scheint stets die Frechheit zu siegen. Ein österreichischer Humanenergetiker macht mir da schon einmal das Angebot, Krebs »mit guten Chancen für die Behandlung«1 in seiner selbst gebastelten »Therapiekapsel« zu therapieren. Der Kostenvoranschlag für drei Stunden Therapie: 25.000 Euro. Alternativmedizinischer Schrott und Tand wird allerorten feilgeboten und verkauft sich scheinbar umso besser, je unverschämter das Versprechen ist.
Ein elektronisches Kästchen mit dem schönen Namen Ravo-Zapper verspricht, die Krankheiten einfach aus unserem Körper wegbrummen zu können. Um knappe 500 Euro wandert das Teil in den Warenkorb, 100 unterschiedliche Frequenzen sind im Preis enthalten, sie werden einfach im Display ausgewählt, und sie helfen bei Alkoholismus, Impotenz, Migräne, Neurodermitis, Krebs und 95 weiteren Leiden. Man muss in dem Gerät nur die richtige Programmnummer einstellen.
Allerlei Gurus bereiten in Büchern und Vorträgen vor einem Millionenpublikum den Boden für eine Atmosphäre, in der man über den ernsthaften und gewissenhaften Wissenschaftler lacht, während man dem kalauernden Schlangenölverkäufer mit aufmerksamer Miene sein Ohr schenkt.
Was ich ebenfalls oft gefragt werde: Ob ich denn nicht akzeptieren könne, dass es »zwischen Himmel und Erde« mehr geben kann, als wir mit unserem Verstand erfassen können?«
Meine Antwort darauf ist erstens: Was wir mit unserem Verstand nicht fassen können, das wird uns wohl auf ewig verborgen bleiben. Zweitens: Ich lasse mir ungern von jemandem erzählen, dass ausgerechnet er etwas fassen kann, wofür es mir und dem Rest der Welt an Verstand fehlt. Drittens: Mit meinem Verstand kann ich sehr gut erfassen, dass die Anbieter der Fakemedizin mit beiden Beinen auf dem Boden stehen, auch wenn sie sich gern eine wenig zwischen Himmel und Erde schwebend darzustellen versuchen. Dieses Buch appelliert daran, unseren Verstand zu nutzen, um mit Scharlatanen Tacheles reden zu können.
Die große Fangfrage an mich wird selten ausgelassen: Ob ich denn selbst völlig immun bin gegen Spirituelles, Übersinnliches, Magie oder Unerklärliches. Ich gebe zu: Wenn mir eine Zeitung in die Hand fällt, lese ich schon mal mein Horoskop und freue mich natürlich, wenn die gute Fee, die ein paar Zeilen über mein Sternzeichen getippt hat, mir just an dem Tag Glück im Spiel, in der Liebe im Beruf und im Sport prophezeit. (In meinem Lebenslauf gebe ich an, kein Sternzeichen zu haben. Da dürfen Sie sich ein Augenzwinkern hinzudenken. Ich bin Schütze, und was esoterischen Unsinn betrifft, bin ich sogar Scharfschütze.)
In meinem Auto befindet sich eine kleine Christophorus-Plakette. Christophorus ist der Patron der Reisenden. Die silberne Plakette hat mir meine Mutter geschenkt, zusammen mit dem klaren Auftrag, sie auch wirklich im Auto anzubringen. Der Christophorus trägt zu meiner Sicherheit im Auto bei. Vermutlich fällt er mir manchmal ins Auge und erinnert mich daran, dass sich jemand um mich sorgt. Und vielleicht fahre ich deswegen tatsächlich vorsichtig, und sei es unbewusst. Das kleine Totem in Form eines münzgroßen Heiligenbildes wirkt also. Der Punkt ist aber der: Ich würde deswegen nicht darauf verzichten, mich anzugurten. Müsste ich die Wahl treffen zwischen Christophorus und dem Sicherheitsgurt, so würde ich den Sicherheitsgurt wählen. Auf die Christophorus-Plakette alleine würde ich mich im Straßenverkehr nicht verlassen. Würde ich die Argumentation der Fakemediziner auf den Straßenverkehr übertragen, dann hieße es: Mit dem Christophorus bist du auf der sicheren Seite, das ist sanfter als der Sicherheitsgurt der Autoindustrie. Vertrau lieber auf deine Selbstsicherheitskräfte und nicht auf eine Mechanik, die auf deine individuelle Konstitution im Straßenverkehr keine Rücksicht nimmt. Und vergiss nicht, gegen das Karma kommst du ohnehin nirgendwo sicher an.
Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr kletterte ich in den Bergen, in jungen Jahren durchaus extrem. Meinen Kletterhelm in wilden Jahren schmückte das Abziehbild eines Engels aus dem Wallfahrtsort Maria Taferl, ein kleiner Davidstern und die erste Sure des Korans. Hie und da fragte mich in den Bergen jemand, was das bedeuten soll. Ich sagte scherzhaft: Ich bereite mich auf alle Eventualitäten vor in der Nordwand der Westlichen Zinne. Sollte ich den Heldentod in den Bergen erleiden, so bin ich auf der sicheren Seite beim Eintritt ins Paradies, egal ob der Pförtner Christ, Muslim oder Jude ist. Hinduistische und buddhistische Symbole habe ich keine auf meinem Helm. Noch ein paar Karmarunden mit unvorhersehbaren Reinkarnationen als Lastenesel, als Fan des FC Bayern oder als Vegetarier, darauf kann ich verzichten.
Anfang der neunziger Jahre forschte ich im Sudan und ritt mit Nomaden und ihren Kamelherden durch die Wüste. Die Atmosphäre im Sudan war damals etwas aufgeladen, marodierende Viehräuber überfielen manchmal Herden und Hüter. Alle Nomaden, mit denen ich unterwegs war, trugen auf ihren Oberarmen kunstvoll vernähte Lederetuis. In die waren Zaubersprüche eingenäht, die eine Art islamischer traditioneller Heiler verfasste, ein Sufi. Die Zaubersprüche versprachen Glück in der Liebe, Gesundheit und noch wichtiger: Glück auf der Suche nach saftigen Weiden, Glück beim Finden der wenigen Tränken. Mir wollte man unbedingt einen Zauberspruch zum Schutz vor Gewehrkugeln aufschwatzen. Ich blieb hart und sagte: »Wenn geschossen wird, dann lauf ich weg und verstecke mich hinter einem Felsen.« Die Nomaden haben über meine Antwort gelacht. Sie haben die Sache auch nicht so ernst genommen, denn der beste Schutz vor fremden Kugeln waren die Kugeln in den eigenen Gewehren, die sie selbstverständlich dabeihatten, wenn es mit den Herden auf Tour ging.