Читать книгу Malvina Moorwood (Bd. 1) - Christian Loeffelbein - Страница 10

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Zum Abendessen gab es eine kalte Version von Tante Fridas Schweinebraten und diesmal waren alle Familienmitglieder in der Küche versammelt. Allerdings nicht um den Tisch herum, sondern im Raum verstreut. Das war nicht unüblich bei uns, wenn eine Art Buffet serviert wurde.

Papa hatte ein Stück Schweinebraten in der einen Hand und unsere alte, klapprige elektrische Heckenschere in der anderen. Er versuchte, das Teil auf ein Stück Zeitung zu legen (also die alte, klapprige elektrische Heckenschere, nicht den Schweinebraten), wobei ihm Poldi fortwährend in die Quere kam.

Onkel Bob scherzte am Herd mit Tante Frida, wobei er abwechselnd ein riesiges Stück Käse und ein Glas Rotwein zum Mund führte und laut lachte. Offenbar hatte das mit den Hufeisen und unserem Hengst geklappt, denn sonst wäre Onkel Bob nicht so gut drauf gewesen.

Tante Frida rührte konzentriert in einem Topf, in dem sich ihre berühmte rote Grütze aus Erdbeeren, Himbeeren und Johannisbeeren befand. Hin und wieder sagte sie Sachen wie »Aha«, »Na, so was« und »Ist ja nicht zu fassen« (Tante Frida interessierte sich nicht besonders für Pferde).

Mama saß mir gegenüber am Esstisch, knabberte gedankenverloren an einer Mohrrübe und ging irgendwelche Rechnungen durch (Mama interessierte sich nicht besonders fürs Essen).

Amalia und Georgina (meine beiden großen Schwestern, wie immer gleich angezogen und geschminkt und mit dem gleichen nervigen Wir-sind-Zwillinge-und-etwas-Besseres-Blick) tippten auf ihren Handys herum, während sie in der Mitte der Küche und Tristan im Weg standen. Der versuchte nämlich gerade, eine geöffnete Flasche Cola, ein geöffnetes Glas Erdnussbutter, eine Packung Toastbrot, zwei Bananen und einen Teller zum Esstisch zu balancieren, und kam an den beiden nicht vorbei.

Genau der richtige Moment, um die Bombe platzen zu lassen.

Tom hatte mir zwar davon abgeraten, aber man kann nicht immer auf seine Freunde hören. Und der schlimmste Tag meines Lebens sollte auch für meine Familie (und vor allem für meinen hinterhältigen Papa) nicht angenehm enden.

»Ich habe heute so einen Typen in Moorwood getroffen«, sagte ich.

Tante Frida schaute an Onkel Bob vorbei zu mir. Sie hob die Augenbrauen und eventuell bewegte sie den Kopf ganz leicht von links nach rechts, das konnte ich aus dem Augenwinkel nicht so genau sehen. Ansonsten reagierte keiner.


Papa untersuchte das Kabel der Heckenschere, das offenbar defekt war. Onkel Bob wedelte mit Käse und Rotwein herum, Mama knabberte, die Zwillinge kicherten und Tristan versuchte weiter, sich an ihnen vorbeizuschieben.

»Hat gesagt, dass er zu wissen glaubt, wer ich bin, der Typ«, fuhr ich fort.

Tante Frida zog die Augenbrauen noch eine Spur höher. Papa drehte den Kopf in meine Richtung, und Mama hörte mit dem Knabbern auf, nicht aber damit, die Rechnungen durchzuschauen.

»Hat gefragt, ob ich die kleine Lady Moorwood bin«, sagte ich.

Tante Frida hob jetzt zusätzlich zu ihren Brauen auch noch ihren Kochlöffel. Mama hörte auf, in ihren Rechnungen zu blättern.

»Und wer war dieser Gentleman, Liebes?«, fragte Papa.

»Hat gemeint, dass er Mr Bommel heißt«, sagte ich.

Der erste Teil der Bombe war explodiert und die Wirkung nicht schlecht.

Tante Fridas Kochlöffel zitterte in der Luft, Onkel Bob bekleckerte sich mit Rotwein, Papa wurde so bleich wie das Stück Käse, das Onkel Bob inzwischen fallen gelassen hatte, und Mama holte zischend Luft und hüstelte. Die Zwillinge stellten ihr Gekicher ein, weil sie merkten, dass irgendetwas vor sich ging (sie waren zwar hochnäsig, aber nicht blöd). Nur mein Bruder machte ungerührt mit seinem Geeiere weiter und versuchte jetzt, links an Amalia vorbeizukommen.

»Hat erzählt, dass er unser Schloss gekauft hat, der Mr Bommel«, sagte ich.

Kawumms! Volle Ladung!

Tante Fridas Kochlöffel verschwand in der Grütze. Onkel Bob begoss das am Boden liegende Stück Käse mit dem Rotwein. Papa riss die Heckenschere an ihrem Kabel nach oben und ließ sie dann gleich wieder fallen, wobei sie um ein Haar Poldi den Schwanz abrasiert hätte. Poldi fing an, klagend zu bellen, aber das war nichts gegen den Lärm, den Tristan mit dem Erdnussbutterglas, der Colaflasche und dem Teller veranstaltete. Ich hätte nie gedacht, dass es derart laut werden kann, wenn Glas und Porzellan auf dem Küchenfußboden zerschellen. Die Zwillinge kreischten »Igitt!« und »Äh!«, weil sie von einer Erdnussbutter-Cola-Scherben-Mischung getroffen wurden, und Mama legte ihre angeknabberte Möhre auf einen Teller und sagte: »Dieser Vollidiot.«

Tristan wollte protestieren, weil er diese wenig schmeichelhafte Bezeichnung auf sich bezogen hatte, aber dann merkte er, dass es gar nicht um ihn ging, und hielt den Mund.

Überhaupt war es plötzlich ganz still in der Küche. Poldi bellte nicht mehr und die Zwillinge hörten auf zu kreischen. Niemand gab einen Laut von sich, bis auf die rote Grütze, die in ihrem Topf vor sich hin blubberte.

»Stimmt das?«, fragten Amalia und Georgina nach einer Weile wie aus einem Mund.

»Nein«, sagte mein Vater.

»Lügner!«, rief ich und verlor dabei leider die Beherrschung. Ich hatte plötzlich Tränen in den Augen. »Du hast unser Schloss an diesen Mr Bommel verkauft. Unser schönes, altes Schloss.«

»Echt jetzt?«, wollte Tristan wissen und nutzte die Dramatik der Ereignisse dazu, sich nicht weiter um die Schweinerei zu kümmern, die er auf dem Küchenfußboden angerichtet hatte.

Papa machte das, was er immer tat, wenn er nicht weiterwusste. Er streichelte Poldi und sah Hilfe suchend zu Mama.

»Nein«, sagte Mama.

»Ihr lügt«, kreischte ich. »Alle beide! Mr Bommel hat es mir gesagt. Ihr lügt! Ihr lügt!! Ihr lügt!!!«

Natürlich log ich auch, aber das war in diesem Fall erlaubt, hatte ich entschieden. Tatsächlich hatte ich diesen Mr Bommel ja gar nicht getroffen, sondern nur seinen Namen auf der Verkaufsurkunde in den verbotenen Zimmern des Ostflügels gelesen, und auch das nicht besonders deutlich.

»Wir lügen nicht«, sagte Mama und reichte mir ein Taschentuch. Keine Ahnung, wo sie das plötzlich herhatte.

»Der Name des Herrn wird übrigens französisch ausgesprochen und er heißt Beaumel und nicht Bommel. In der Tat interessiert sich Mr Beaumel dafür, Moorwood Castle zu erwerben«, fuhr Mama fort. »Aber wir hatten mit ihm vereinbart, darüber Stillschweigen zu bewahren.«

»Krass«, stellte Tristan fest. »Ihr wollt die Hütte also echt verticken.«

»Für wie viel?«, fragten Amalia und Georgina – erneut im Chor.

»Das spielt doch überhaupt keine Rolle!«, rief ich mit viel zu schriller Stimme. »Unser Schloss ist unverkäuflich. Es gehört uns, nur uns und niemandem sonst, und man darf es nicht verkaufen, weil es seit Jahrhunderten unserer Familie gehört, und Opa würde niemals …«

Ich wusste nicht mehr weiter. Wo steckte Opa überhaupt? Erst jetzt und leider etwas zu spät fiel mir auf, dass er gar nicht in der Küche war, als ich die Bombe hatte platzen lassen. Nicht auf Opa zu warten, war natürlich ziemlich dämlich von mir, denn er wäre bestimmt super sauer auf Papa und auf meiner Seite gewesen.

»Was ist denn hier los?«

Na, wer sagt’s denn – da kam Opa gerade noch rechtzeitig durch die Küchentür, mit einem Schraubenschlüssel in den ölverschmierten Händen. Vermutlich hatte er mal wieder an der Heizung herumgewerkelt, die war nämlich des Öfteren kaputt, obwohl sie dringend gebraucht wurde, auch im Sommer. Von der Hitze draußen kam so gut wie nichts in unsere Räume hinein. Wegen der dicken Mauern und der schmalen Fenster.

»Papa will unser Schloss verkaufen, an einen Typen, der Mr Bommel heißt«, berichtete ich schnell, ehe jemand etwas anderes behaupten konnte. Und natürlich sprach ich den Namen von diesem schmierigen Typen nicht französisch aus.

Jetzt würde es gleich ein Donnerwetter geben, das sich gewaschen hatte. Opa war zwar nicht so der zornige Typ und er war ja auch nicht mehr der Jüngste, aber er war unglaublich stark, stärker noch als Onkel Bob. Und früher war Opa mal Soldat gewesen und hatte in einem echten Krieg mitgemacht, wegen irgendwelcher Inseln bei Argentinien, glaube ich. Keine Ahnung, ob damals auch richtig geschossen wurde, aber in unserer Küche würde es auf jeden Fall gleich noch mal richtig rumsen.

Dachte ich.

Tatsächlich schlenderte Opa nur zum Herd, wich mit einem eleganten Seitwärtsschritt dem Käse auf dem Fußboden aus und verkündete:

»Stachelbeerkompott, das ist mein Lieblingsnachtisch.«

»Es gibt rote Grütze, Georgy«, sagte Tante Frida.

»Noch besser«, bemerkte Opa und saß keine fünf Sekunden später mit einem Teller dampfender Grütze vor seiner Nase neben mir.

»Unser Schloss«, jammerte ich. »Unser Schloss, Papa hat es verkauft!«

Jetzt musste Opa mich gehört haben. In seinem Gesicht bildeten sich Falten.

Vielleicht wurde er sogar so wütend, dass er den Teller mit der Grütze nach Papa schmiss.

Schon wieder falsch gedacht.

Die Falten, das waren Lachfalten.

Opa sah mich mit einem verschmitzten Grinsen an.

»Hat dieser Bommel also tatsächlich zugeschlagen?«, raunte er mir verschwörerisch zu.

»Nein, das hat er noch nicht«, mischte sich nun Mama ein. »Und der Mann heißt Beaumel. Er hat lediglich eine Absichtserklärung unterschrieben und sich damit ein Vorkaufsrecht gesichert.«

»Na, immerhin«, freute sich Opa und löffelte vergnügt rote Grütze.

Ich verstand die Welt nicht mehr.

»Opa, hast du mir nicht richtig zugehört?«, fragte ich und rüttelte an seinem Arm. »Unser Schloss! Papa will es verkaufen.«

»Ja, natürlich«, sagte Opa sanft. »Das wollen wir doch alle, oder?«

»Sind wir dann reich?«, fragte Georgina.

»Ziehen wir nach London?«, wollte Amalia wissen.

»Wird die Bruchbude abgerissen?«, erkundigte sich Tristan und fügte noch hinzu: »Falls sie nicht vorher von allein zusammenkracht.«

Statt einer Antwort sagte Mama: »Wir wollten es euch eigentlich erst nach den Sommerferien sagen. Es ist sehr ärgerlich, dass Mr Beaumel so indiskret war und Malvina einfach angesprochen hat.«

»Ach egal«, nuschelte Opa und gab Tante Frida durch Handzeichen zu verstehen, wie sehr ihm die rote Grütze schmeckte. »Hauptsache, wir sitzen nächstes Jahr um diese Zeit alle in einer schönen, gemütlichen Neubauwohnung.«

Da riss bei mir endgültig der Geduldsfaden.

»Neiiiiiiin!«, kreischte ich und schlug mit beiden Fäusten so doll auf den Tisch, dass Opas Teller in die Luft sprang.

Leider war ich nicht besonders geübt darin, auf Tische zu schlagen, und es tat so weh, dass ich für ein paar Sekunden keine Luft mehr bekam. Als ich wieder atmen konnte, ging es mir noch schlechter als vorher.

Mir blieb nichts weiter übrig, als mich fallen zu lassen, unter dem Tisch hindurchzukrabbeln (wobei ich mir natürlich auch noch den Kopf stieß) und aus der Küche zu rennen. Währenddessen sagte Mama etwas, das ich nicht verstand, Opa meinte, dass ich mich schon wieder einkriegen würde und morgen beste Laune hätte, und Papa erwiderte: »Das glaube ich nicht. Malvina hängt an Moorwood Castle.«

Immerhin gab es in meiner missratenen Familie wenigstens einen, der mich verstand, aber das nutzte mir jetzt auch nichts mehr.

Malvina Moorwood (Bd. 1)

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