Читать книгу Die Höhle des Löwen - Christian Macharski - Страница 10
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ОглавлениеFredi Jaspers nippte lautstark an seinem Kaffee. Sabrina konnte das Schlürfen bis in die Küche hören. Sie musste lächeln, denn sie liebte diese kleinen Macken an ihrem Verlobten. Ihr Start in Saffelen war zwar aufregender gewesen, als sie es sich vorgestellt hatte, dennoch hatte sie sich schon nach kurzer Zeit in diesem ganz speziellen Kosmos ganz gut eingelebt. Die Menschen begegneten ihr weitgehend offen und freundlich, was natürlich auch daran lag, dass Fredi und dessen Freund Borowka die Fußballstars der Kreisliga-C-Mannschaft waren und zudem zu den engsten Freunden des hoch angesehenen Ortsvorstehers Hastenraths Will gehörten. Das hatte ihr sicher geholfen, sich zu akklimatisieren, schließlich hatte sie bis dahin Berlin nie verlassen. Aber ein so großer Unterschied schien zwischen ihrer hektisch-quirligen Heimatstadt und dem scheinbar verschlafenen Dorf an der holländischen Grenze gar nicht zu bestehen. An diesem Morgen beherrschte eine unfassbare Bluttat die Schlagzeilen. Die Heinsberger Zeitung, aber auch viele überregionale Zeitungen hatten groß aufgemacht mit der Geschichte um Peter Kleinheinz. Allzu viele Details gab es nicht, da die Staatsanwaltschaft eine strikte Informationssperre verfügt hatte, um die Ermittlungen nicht zu gefährden. Peter Kleinheinz war, soviel hatte Sabrina mitbekommen, eine Berühmtheit unter den Kommissaren in der Region. Er hatte einige spektakuläre Fälle gelöst, den letzten erst vor wenigen Wochen, und galt vielen seiner Kollegen als Vorbild, auch aufgrund seiner oft unkonventionellen Methoden. Umso unglaublicher war, was sich im Haus an der Saffelener Goethegasse zugetragen haben sollte.
Als Sabrina sich mit einem Cappuccino zu Fredi an den Frühstückstisch setzte, las dieser ihr laut und etwas holprig aus der Zeitung vor: „Hör dir das an, zusammenfassend muss man von folgendem Szenario ausgehen: Da seine Nachtschicht ausgefallen war, kam der bekannte Hauptkommissar Peter Kleinheinz am späten Samstagabend unerwartet nach Hause. Dort überraschte er seine Lebensgefährtin Bettina H. mit einem noch nicht identifizierten Mann im Bett. Offenbar aus rasender Eifersucht gab Kleinheinz zunächst Schüsse auf den Mann ab. Die Polizei fand den 42-jährigen später im Schlafzimmer. Der Notarzt konnte nur noch seinen Tod feststellen.“
„Unfassbar“, entfuhr es Sabrina, „dabei war der doch immer so nett und freundlich.“
„Man kann die Leute immer nur vor der Kopf gucken“, murmelte Fredi, bevor er weiter vorlas: „In einer Pressekonferenz am Sonntag äußerte sich Polizeisprecher Hanno Heinrichs wie folgt: ‚Die Obduktion ergab, dass das Opfer aufgrund von Schussverletzungen starb.‘ Nicht bestätigen hingegen wollte er, dass auch Bettina H. Schussverletzungen erlitt, obwohl vieles darauf hindeutet. Der 36-jährigen gelang offensichtlich schwer verletzt die Flucht. Eine Blutspur, die ihr zugeordnet wird, erstreckte sich die Treppe hinunter bis auf die Außenterrasse des Hauses, wo sie sich aufgrund der Wetterverhältnisse verlor. Seit gestern laufen umfangreiche Suchaktionen, bei der auch eine Hundestaffel eingesetzt wird. Wie unsere Zeitung aus gut unterrichteten Quellen erfuhr, soll Bettina H. einen erheblichen Blutverlust erlitten haben. Dass dieser auf eine Schussverletzung zurückzuführen ist, lässt die Aussage eines Nachbarn vermuten: ‚Ich hörte kurz hintereinander vier Schüsse‘. Dies deckt sich auch mit unseren Recherchen, dass aus der Dienstwaffe des mutmaßlichen Täters Peter Kleinheinz vier Kugeln abgefeuert wurden, von denen am Tatort aber nur zwei sichergestellt werden konnten. Kurz nach der Tat war der 44-jährige Kriminalhauptkommissar am Tatort festgenommen worden. Er leistete keinen Widerstand. Schmauchspuren an seiner Hand sollen belegen, dass es sich bei ihm um den Schützen handelt. Noch am Sonntag wurde ein Haftbefehl erlassen.“
Fredi legte die Zeitung zur Seite: „Unglaublich, oder?“ Sabrina, die gebannt zugehört hatte, nickte. Das meiste wusste sie schon, da sich Informationen in diesem kleinen Dorf meist schneller verbreiteten als im Internet, was allerdings zum Teil daran lag, dass die Internetverbindung in Saffelen ausgesprochen schlecht war. Auch zwei Tage nach den dramatischen Ereignissen konnte Sabrina alles noch nicht glauben. „Der Kommissar Kleinheinz ist doch so ein netter Kerl. Es ist doch noch gar nicht so lange her, dass er uns das Leben gerettet hat. Überleg mal: Jetzt lebe ich erst seit zwei Monaten hier in Saffelen und hier ist mehr los als früher immer in Berlin.“
Fredi schüttelte vehement den Kopf. „Moment mal. Du denkst bestimmt jetzt, ich hätte die ganze Zeit Scheiße erzählt. Aber ich schwöre dir: Die ersten dreißig Jahre meines Lebens war hier absolut nix los. Ich würde sogar sagen: doppelt so wenig wie nix.“
„Meinst du denn wirklich, dass Peter Kleinheinz zu so was in der Lage ist?“
Fredi hob die Schultern. „Wie gesagt, man kann Leute immer nur vor der Kopf gucken. Ich glaube, ich dürfte auch keine Pistole in der Hand haben, wenn ich dich mit ein anderer Mann …“
„Fredi!“, fuhr Sabrina empört dazwischen. „Solche Gedanken schlägst du dir mal ganz schnell aus dem Kopf! Ich will keinen anderen als dich. Oder hast du etwa schon vergessen, dass ich deinen Heiratsantrag angenommen habe?“
Fredi grinste breit. „Nein, natürlich nicht.“
„Aber, wo wir gerade beim Thema sind. Schau doch mal in den Garten. Fehlt da nicht was?“
Fredi folgte ihrem Blick durch die große Glasschiebetür, deren Einbau ihm und Borowka eine Menge abverlangt hatte, hinaus auf das satte Grün des Rasens. Ihm fiel jedoch nichts auf, was fehlen könnte.
Sabrina half ihm auf die Sprünge. „Würde da nicht unheimlich gut eine Kinderschaukel hinpassen?“
Fredi sah sie irritiert an. „Eine Kinderschaukel? Wofür das denn? Aus dem Alter sind wir ja wohl raus. Wo ich aber tatsächlich drüber nachdenke, ist so ein großer Weber-Gasgrill für draußen. Spargel seine Eltern haben so einen. Und zwar der Genesis E 330. Den hab ich mir letztens mal bei denen angeguckt. Der macht besonders hohe Temperaturen und damit kann man so lustige Grillmuster auf die Steaks drauf machen. Der ist mit ein intrigiertes Thermometer für Temperaturkontrolle und so gusseiserne Grillroste. Damit kann man direkt und indirekt grillen, da muss ich wohl noch mal nachgucken, was genau der Unterschied ist. Auf jeden Fall ist das superlecker. Ich hatte schon mal mit der Borowka überlegt, da hinten in die Ecke der Boden zu pflastern und dadrauf dann der Grill …“
„Okay, ich versuch’s mal anders“, unterbrach Sabrina ihn sanft. „Hast du dir schon mal Gedanken gemacht, was wir mit dem leer stehenden Zimmer neben unserem Schlafzimmer machen sollen?“
Fredi nahm einen Schluck Kaffee und verzog das Gesicht, weil er mittlerweile kalt war. Nach kurzer Überlegung sagte er: „Aaah, ich verstehe. Du hast keine Lust mehr, die Wäsche im Keller zu machen. Du möchtest da dein Bügelzimmer reinmachen. Das ist kein Problem. Meine Mutter hatte das auch dadrin.“
„Falsche Antwort.“
„Hmm. Was könnte man denn sonst …? Ein Bürro? Aber was soll man dadrin machen?“
Sabrina seufzte. Sie stand auf, ging in die Küche und kam mit einer frischen Tasse Kaffee zurück, die sie vor Fredi abstellte. Fredi bedankte sich und nahm einen großen Schluck. Sabrina sagte: „Ich möchte ein Kind.“
Fredi spuckte den Kaffee in hohem Bogen aus. Die braune Flüssigkeit verteilte sich auf dem Laminat, dessen Verlegung ihm und Borowka ebenfalls einiges abverlangt hatte. Hustend sagte er: „Wie jetzt, ein Kind? Du meinst …?“
Sabrina ergriff seine Hand und sah ihm mit verträumtem Blick in die Augen. Fredi wusste, dass er jetzt irgendetwas sagen musste, aber ihm fiel partout nicht ein, was.
Zum Glück klingelte in diesem Augenblick sein Handy. Hastig drückte er die Annahmetaste und Borowkas laute Stimme drang in den Raum: „Wann kommst du mich endlich abholen, du Aschloch? Hast du mal auf die Uhr geguckt? Der Oellers reißt uns der Arsch von hier bis Himmerich auf, wenn wir wieder zu spät kommen. Ich werd noch bekloppt. Ohne Auto kommt man sich ja vor wie der Einarmige unter die Blinden.“