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Hastenraths Will ließ die Zeitung sinken und schnaubte wie ein Pferd, so sehr ärgerte ihn das, was er da lesen musste. Dunkle Ränder unter seinen Augen zeugten von zwei schlaflosen Nächten. So viel Zeit war bereits vergangen seit der Festnahme seines besten Freundes.

Die immer noch stark erkältete Marlene betrachtete ihren Mann besorgt, während sie sich ein Marmeladenbrot schmierte.

„Was steht denn da?“, fragte sie, obwohl sie die Antwort längst wusste.

„Nur Schwachsinn!“, echauffierte sich Will. „Ich habe doch gestern erst mit der Kommissar Dohmen telefoniert und der hat mir gesagt, dass bis auf Weiteres keine Informationen an die Presse rausgehen. Das ist alles zusammenfantasiertes Zeug. Wenn das so weitergeht, schreibe ich die mal ein gesalzener Leserbrief.“

„Was hat der Herr Dohmen dir denn gesagt, wie du dem angerufen hast?“

Will überlegte kurz. „Wissen Sie eigentlich, wie spät es ist, Herr Hastenrath?!“ Marlene verpasste ihm einen spielerischen Klaps auf den Arm. „Danach, mein ich!“

„Ach so“, Will schnaubte erneut, bevor er antwortete: „Nicht viel. Das Problem ist, dass eine Mordkommission aus Aachen die Ermittlungen übernimmt. Das ist wohl immer so.“

„Ja, aber, da werden doch wohl auch dem seine Kollegen aus Heinsberg mithelfen.“

„Ja schon“, erwiderte Will und nippte an seinem Kaffee.

„Die Aachener richten sich auch ein Bürro in der Kreispolizeibehörde ein und werden von Kommissare von da unterstützt. Aber das Problem ist natürlich, dass Kleinheinz ein Kollege ist. Und deshalb hat der Chef, dieser Pimpertz, von dem Peter früher immer schon mal erzählt hat, der Dohmen ausgeschlossen, wegen weil der vielleicht befangen ist als guter Freund. Das passt der Dohmen natürlich nicht. Deshalb darf der auch nicht mit der Peter sprechen. Der sagt, zu dem dürfte im Moment nur ein Anwalt, aber der Peter weigert sich, einen zu engagieren. Dabei, sagt Dohmen, gäbe es bei der Fall eine ganze Menge Ungereimtheiten, die der Peter entlasten könnten. Zum Beispiel sagt der, dass der so gut wie nie seine Dienstwaffe mit nach Hause genommen hat, weil die Bettina das nicht wollte. Der hat die normalerweise immer direkt nach Feierabend in sein Waffenschrank auf der Dienststelle eingeschlossen. Außer am Samstag – da hatte er sie, warum auch immer, dabei.“

Marlene zog die Stirn kraus und dachte nach. „Aber … wär das am Ende nicht sogar ein Beweis dafür, dass der das Ganze geplant hat?“

Will sah seine Frau irritiert an, bis es ihm dämmerte, dass sie recht haben könnte. Dennoch schüttelte er trotzig den Kopf. „Marlene, du glaubst doch nicht ernsthaft, dass der Peter zu so was in der Lage wäre?!“

„Natürlich nicht. Aber findest du nicht auch, dass so ziemlich alles, was bisher bekannt ist, gegen dem spricht?“

Plötzlich klingelte das Telefon im Flur. Will zeigte keine Reaktion und starrte nur stumpf auf die vor ihm liegende Zeitung. Seufzend quetschte Marlene sich aus der Kücheneckbank heraus und schlurfte auf ihren Hausschuhen zum Telefon. Unmittelbar nachdem sie den Hörer abgehoben hatte, plapperte eine hochgradig aufgeregte Billa Jackels los wie ein Maschinengewehr. In atemlosen Sätzen berichtete sie davon, dass sie vor wenigen Minuten beobachtet habe, wie ein großer Bagger von der Polizei in den Garten von Bettina Hebbel und Peter Kleinheinz eingewunken worden sei. Sie war sich sicher, dass man dort nach der Leiche der jungen Frau suchen wollte. Angeblich habe man auf der Terrasse einen blutverschmierten Spaten mit den Fingerabdrücken von Peter Kleinheinz gefunden. Letzteres wusste sie allerdings nur von Eidams Fine, die das wiederum beim Metzger gehört hatte. Den Bagger jedoch habe sie eben mit eigenen Augen gesehen, als sie zufällig durch die Goethegasse spaziert sei.

„Zufällig spaziert? Um kurz nach sieben?!“, fragte Marlene argwöhnisch.

„Ja … ich dachte, ich hätte gestern Abend mein Portemonnaie da verloren“, geriet Billa kurz ins Stocken, bevor sie mit unvermindertem Tempo weiterredete, „ich habe es aber eben in meine Handtasche gefunden. Ist ja auch egal. Auf jeden Fall läuft die Suche nach die Frau Hebbel auf Hochtouren. Die Polizei ist wohl zusätzlich zu die Baggeraktion mit eine sogenannte Hundertschaft der Wald am durchkämmen – obwohl ich nicht glaube, dass das hundert Leute sind. Aber die haben sogar Spezialhunde dabei, die sich an der Geruch von vermisste Personen orientieren. Unfassbar, oder? Ich mein, ich muss ganz ehrlich sagen. Dieser Kleinheinz war mir nie geheuer. Weißt du noch, wie betrunken der letztens bei der Feier von Eidams Juppi war.“

„Jetzt mach aber mal halblang, Billa. Zum einen waren da alle betrunken und zum anderen hatte der Richard Borowka dem doch gegen dem sein Willen mit Saffelener Höllentropfen abgefüllt.“

„Ja, schon, aber … aber, ich bin dem schon mal auf der Straße begegnet und da hat der nicht gegrüßt.“

Marlene seufzte und verkniff sich eine Antwort. Stattdessen beendete sie das Telefonat mit den Worten: „Billa, der Wäschetrockner geht. Ich melde mich später noch mal.“

Als sie in die Küche zurückkehrte, saß Will immer noch unbeweglich und mit eingefrorener Miene an seinem Platz. Marlene machte sich zunehmend Sorgen, denn in den 30 Jahren ihrer Ehe hatte sie ihren Mann selten so niedergeschlagen erlebt wie im Moment. Höchstens vielleicht beim Tod seiner geliebten Oma. Leider fiel ihr nichts wirklich Aufmunterndes ein, denn Kommissar Kleinheinz, den auch sie sehr schätzte, schien sich in eine hoffnungslose Lage manövriert zu haben. Die gegenwärtige Situation, die sich aus Gerüchten, aber auch aus unbestreitbaren Fakten zusammensetzte, ließ kaum einen anderen Schluss zu, als dass Peter Kleinheinz in einer Affekthandlung zum Mörder geworden war. Möglicherweise war ihm sogar seine Lebensgefährtin zum Opfer gefallen, doch von ihr fehlte nach wie vor jede Spur. Nicht zuletzt Billas Baggerbeobachtung ließ in Marlene jedoch den furchtbaren Verdacht aufkeimen, der bereits seit gestern im Dorf die Runde machte. Demnach soll Kleinheinz seine Freundin bis in den Garten verfolgt und dann dort getötet und vergraben haben. Dafür sprach, dass Bettina Hebbel aufgrund ihres starken Blutverlusts nicht weit hätte kommen können und dennoch wie vom Erdboden verschluckt war. Im wahrsten Sinne des Wortes, dachte Marlene unwillkürlich und ein kalter Schauer legte sich über ihren Rücken. Sie schob die gruseligen Gedanken beiseite und sagte sich, dass auch gegenüber Peter Kleinheinz so lange die Unschuldsvermutung zu gelten hatte, bis der Fall aufgeklärt war. Und auch Will zuliebe wollte sie sich gar nicht erst an wilden Spekulationen beteiligen. Der hielt nämlich unerschütterlich daran fest, dass sein bester Freund Peter Kleinheinz das Opfer einer Verwechslung, eines Komplotts oder wovon auch immer geworden war. Ihr war klar, dass Wills detektivischer Geist längst geweckt war und er nicht ruhen würde, bis der Fall aufgeklärt war. Ob ihm das, was er herausfinden würde, jedoch gefallen würde, da war Marlene sich alles andere als sicher. Eifersucht hatte schon viele Existenzen zerstört und war, das hatte Marlene erst kürzlich in der „Frau im Spiegel“ gelesen, mit Abstand das häufigste Mordmotiv.

Plötzlich musste sie darüber nachdenken, wie sie wohl selbst in einer ähnlichen Situation reagiert hätte. Doch als sie ihren mit dem Schicksal hadernden Mann in seinem abgetragenen Hemd und der altmodischen Hornbrille musterte, fehlte ihr schlicht die Fantasie, sich diesen Mann in den Armen einer fremden Frau vorzustellen. Aber wie würde Will über so etwas denken? Schließlich war er durchaus bekannt für seine cholerischen Momente, die sich allerdings meist gegen politische Gegner oder Nachbarn richteten. Neugierig fragte sie: „Sag mal: Wenn du mich mit ein anderer Mann im Bett erwischen würdest, was würdest du dann machen?“

Will hob den Kopf und sah seine Frau überrascht an. Nachdem er sich kurz mit der Frage beschäftigt hatte, antwortete er im Brustton der Überzeugung: „Wenn ich dich mit ein anderer Mann im Bett erwischen würde? Ich glaube, ich würde der Mann mit sein eigener Stock verprügeln.“

Marlene strich sich geschmeichelt durchs Haar. Dann hielt sie plötzlich inne und fragte: „Was denn für ein Stock?“

Will grinste schief und antwortete: „Wie, was für ein Stock? Ich geh doch mal davon aus, dass ein Mann, der sich in dein Bett legt, sein weißer Blindenstock dabei hat. Wie würde der sonst hochfinden?“

Will brach in sein typisches schepperndes Gelächter aus. Erst als Marlene mal wieder mit großer Geste und schneidendem Blick ihre Arme vor der Brust verschränkte, erstarb das Lachen und der Landwirt erhob sich mit einer schnellen Bewegung von der Eckbank. „Ähm, wo ist denn die Leine?“, lenkte er im Angesicht des drohenden Gewitters geschickt ab. „Ich geh, glaube ich, mal eine Runde mit der Knuffi.“

Die Höhle des Löwen

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