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Freunde fürs Leben 3
ОглавлениеFreitag, 5. Juni, 21.10 Uhr
Die dampfende Schüssel Spaghetti stand mitten auf dem Tisch und Sabrina schöpfte Borowka den Teller voll. „Lang zu, Richard. Jetzt, wo Rita weg ist, gibt es bestimmt nicht viel zu essen bei dir, oder?“, sagte sie.
Borowka schaufelte sich reichlich Hackfleischsoße aus dem danebenstehenden Topf über die Nudeln. „Doch, doch. Ich krieg genug. Ich helf der Will ja beim Renovieren und die Marlene kocht immer ordentlich. Ich mein, ich hätt sogar schon was zugenommen.“
„Apropos Renovieren“, warf Fredi Jaspers kauend ein. „Der alte Oellers ist stinksauer, weil du dich schon wieder wegen Husten zwei Wochen hast krankschreiben lassen. Der ist doch auch nicht doof. Der kriegt doch mit, dass du nebenbei bei der Will arbeitest.“
Fredi war wie sein bester Kumpel beim Autohaus Oellers beschäftigt. Während Borowka in der Werkstatt malochte, wenn er dann mal da war, hatte Fredi sich bereits zum Büroleiter hochgearbeitet. Darauf war er stolz, auch wenn neben ihm nur noch Fräulein Wallraven im Büro saß. Und deren Aufgabe bestand in Ermangelung anderer Qualitäten darin, an der Rezeption zu sitzen und die Kunden anzulächeln, die den Verkaufsraum betraten. Aber das war Fredi egal, er war zufrieden mit seiner beruflichen Situation. Und mit seiner privaten sowieso. Die Beziehung mit Sabrina, die er vor einigen Jahren in Berlin kennengelernt hatte bei einer Art Sabbatical und die sofort sein Leben auf den Kopf gestellt hatte, hatte ihn zu einem glücklichen und ausgeglichenen Menschen gemacht. Der einzige Wermutstropfen ihrer Liebe war, dass trotz schweißtreibender Bemühungen noch immer nicht Sabrinas sehnlicher Babywunsch in Erfüllung gegangen war. Das tat Fredi einerseits leid und kratzte auch ein wenig an seiner Mannesehre, andererseits war er sich aber auch alles andere als sicher, ob er überhaupt zum Vater taugen würde. Am Beispiel seines besten Kumpels erlebte er ja gerade hautnah, dass ein Kind auch eine große Belastung für eine Beziehung darstellen konnte.
„Der Oellers kann mich mal“, polterte Borowka, „der alte Sklaventreiber. Der wollte doch allen Ernstes, dass ich der Freitag nach Vatertag arbeiten komm! Wie soll das denn gehen mit drei Promille? Da darf der sich nicht wundern, wenn ich mir der gelbe Urlaubsschein hol.“ Borowka verschluckte sich vor Aufregung, fuhr dann aber etwas ruhiger fort: „Sag mal Fredi, warum bist du eigentlich Vatertag schon wieder nicht mitgekommen? Tonne und Spargel waren dabei, der bekloppte Richterich und selbst der Klosterbach auf seine alten Tage. Der hat sogar fast die ganze Strecke der Bollerwagen allein gezogen.“
Bevor Fredi antworten konnte, warf Sabrina spitz ein: „Weil der noch kein Vater ist!“
„Moment mal, Sabrina“, Borowka legte das Besteck beiseite, „da hast du aber was falsch verstanden. Es gibt Muttertag und es gibt Vatertag und an Vatertag …“
„Bei uns im Osten nicht.“
„Was? Wie, ihr hattet im Osten kein Vatertag? Das ist doch mit der wichtigste deutsche Feiertag.“
Sabrina verdrehte die Augen, weil sie eigentlich keine Lust auf eine solche Diskussion hatte. Da sie aber wusste, wie hartnäckig Borowka sein konnte, antwortete sie. „Bei uns wurde der Muttertag nicht gefeiert, weil der von den Amis erfunden worden war. Stattdessen hatten wir den Internationalen Frauentag. Und deshalb gab es auch keinen Vatertag, sondern einen sogenannten Herrentag. Da wurde zwar auch nur gesoffen, aber man musste dafür kein Vater sein – so wie hier.“
„Muss man ja hier bei uns auch nicht“, verteidigte Borowka seinen Standpunkt voller Inbrunst. „Das ist anders als wie bei Muttertag. Da dürfen wirklich nur Mütter dran teilnehmen, aber an Vatertag darf jeder Mann mitmachen, unabhängig von irgendseine Vaterschaft. Bei uns hier im Westen gilt nämlich das gleiche Prinzip wie bei der GEZ: Es ist nicht entscheidend, ob man Fernsehen guckt, sondern ob man ein Gerät besitzt, mit dem es theoretisch möglich wär, Fernseh zu gucken. Verstehst du?“ Borowka lachte dreckig.
Sabrina verzog das Gesicht. Um die Diskussion zu beenden, antwortete sie knapp: „Ich geh mal eben in den Keller, gucken, ob der Trockner schon fertig ist.“
Nachdem sie den Raum verlassen hatte, raunte Borowka seinem Kumpel zu: „Wie hältst du diese Besserwisserei bloß immer aus?“
Fredi wischte sich den Mund mit der Serviette ab und erwiderte: „Dass ihr euch immer streiten müsst. Du weißt doch genau, dass die Sabrina deine Witze nicht versteht. Aber was anderes. Du gefällst mir im Moment überhaupt nicht, Borowka. Du bist in letzter Zeit immer so nachdenklich. So kenn ich dich gar nicht. Der Tonne erzählte, dass du letztens nach dem Fußballtraining an der Theke sogar plötzlich angefangen hättest, über der Sinn vom Leben zu erzählen.“
Borowka putzte sich den Mund mit dem Ärmel ab. „Ja gut, da ging es sich aber um die Frage, ob das Leben mit ein Passat-Kombi überhaupt noch ein Sinn hat.“
Fredi sah ihm direkt in die Augen. „Richard, wenn ich dir irgendswie helfen kann, dann sag mir das bitte.“
„Echt jetzt?“
„Ja logisch, du bist mein bester Freund – und mein einzigster.“
Borowka atmete tief durch und sagte mit ernster Stimme: „Es gibt da wirklich was, wobei du mich unterstützen könntest. Das wär sehr wichtig für mich. Aber es könnte sein, dass du Ärger kriegst mit Sabrina, wenn die das rausbekommt.“
Fredi blickte sich verstohlen um, aber seine Freundin war noch im Keller. Er flüsterte: „Lass das mal meine Sorge sein. Raus damit. Wobei kann ich dich unterstützen?“
„Ich weiß nicht, ob ich das von dir verlangen kann.“
„Doch, natürlich!“
„Hoch und heilig versprochen?“
„Versprochen. Hoch und heilig!“
Fredi saß schlecht gelaunt auf dem Beifahrersitz, während Borowka mit Schwung rückwärts aus dessen Einfahrt zurücksetzte. „Das find ich super, dass du heute Abend spontan mit mir nach Himmerich, in die Disko fährst, und das, obwohl Sabrina extra eine DVD für ein romantischer Videoabend besorgt hat. Ich glaub, die war stinksauer, oder? Wieso schmeißt man sonst ein Teller gegen die Wand?“
Fredi hielt die Arme verschränkt vor der Brust und antwortete: „Halt die Fresse und fahr.“
„Fredi, jetzt stell dich nicht so an. Das wird super“, rief Borowka euphorisiert. „In Himmerich ist heute 90er-Party. Das war unser Jahrzehnt. Da lassen wir es nochmal richtig krachen! Die Jungs vom Fußball sind auch alle da.“
Borowka setzte mit dem Auspuff auf, als er über den Bürgersteig auf die Straße fuhr. Dann drückte er das Gaspedal voll durch, ließ die Reifen quietschen und jagte durch das abendliche Saffelen. Nachdem sie das Ortsschild passiert hatten, musste er wegen der dahinterliegenden Schikanen noch mal kurz abbremsen. Er umkurvte sie mit schlafwandlerischer Sicherheit und beschleunigte sofort wieder. Nach der nächsten Kurve musste er allerdings schon wieder vom Gas gehen, weil ihm in einiger Entfernung auf der Gegenfahrbahn ein dunkler Mercedes C-Klasse entgegenkam. „Oh, Mann“, entfuhr es Borowka, „was für eine piefige Karre. Kackbraun und dann allen Ernstes Stahlräder. Von Kronprinz. Ich kack ab. Das ist garantiert kein Saffelener. Wer so ein Hausfrauenpanzer käuft, müsste erschlagen werden.“
„Ich find der Auto gar nicht so schlecht“, widersprach Fredi, der sich wieder beruhigt hatte und sich insgeheim auch schon auf Himmerich freute. „Der hat ein Kompressor-Vierzylinder. Der macht richtig Druck im sechsten Gang. Und trotzdem ist der sparsam. Tolle Schaltung, super Sitze, 1A Federkomfort. Das ist, wie wenns du zu Hause auf dem Sofa sitzt. Ich würde sagen, der ist bequem und sportlich.“
Borowka blickte zweifelnd zu seinem Kumpel hinüber. „Sag mal, hast du Schmieröl gesoffen oder was? Ich glaub, du hast zu oft danebengestanden, wenn der alte Oellers wieder ahnungslose Kunden Schrottkarren angedreht hat. Kein normaler Mensch setzt sich in so eine Oppa-Karre … außer Oppas.“
„Ist ja gut“, lenkte Fredi ein. „In eins geb ich dir recht: Das kann kein Saffelener sein.“
Neugierig geworden, drosselte Borowka sein Tempo, um den Mercedes langsam zu passieren. Als die beiden Autos auf gleicher Höhe waren, reckte er den Kopf, um einen Blick in den Innenraum zu werfen. Er erspähte zwei Personen. Der Beifahrer war zwar von einem Schatten verdeckt, aber dafür erkannte er den Fahrer umso deutlicher. Es handelte sich um ein vertrautes Gesicht aus alten, aber nicht unbedingt besseren Zeiten.
Fredi, der von seinem Platz aus nichts hatte sehen können, fragte neugierig: „Und? Konntest du der Typ erkennen?“
„Allerdings“, antwortete Borowka mit tonloser Stimme, „und dass der nach Saffelen kommt, bedeutet nix Gutes.“