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Samstag, 11. Juli, 11.38 Uhr

Die Erinnerung war sofort wiedergekommen, als Kommissar Kleinheinz die Küche der Hastenraths betreten hatte. Der einzigartige Möbelmischmasch, das Fliegenklebeband über dem Tisch, das monotone Brummen der Milchkühlanlage aus dem Nebenraum und ein Geruchswirrwarr aus rustikaler Eiche, Duftbäumchen und Kuhstall, diesmal durchsetzt mit der kräftigen Note eines dunkelschwarzen Filterkaffees, den Marlene Hastenrath an den Tisch brachte.

Will wartete voller Spannung auf den Bericht des Beamten, doch seine Frau schien von einer gewissen Unruhe getrieben. Während sie die Tassen randvoll goss, lieferte sie gleich die Erklärung für ihre Nervosität: „Ich hab leider nicht viel Zeit, Herr Kleinheinz. Billa und ich haben bei ein Preisausschreiben in der Prisma ein Kurzaufenthalt in ein Wellnesshotel in der Eifel gewonnen. Und gleich geht’s schon los. Da musste man rauskriegen: eine babylonische Gottheit mit sechs Buchstaben, die mit M anfängt. Das war vielleicht schwierig. Alle katholischen Strickfrauen haben über eine Woche mit dadran rumgeknobelt.“

Will sah sie grimmig an. „Marlene, ich glaube nicht, dass der Herr Kommissar sich für deine Kreuzworträtsel interessiert. Der ist hier, für mit mir über der Überfall zu reden und was das für Saffelen bedeutet.“

„Moloch“, sagte Kleinheinz.

„Wie bitte?“ Will war verwirrt.

„Moloch. Babylonische Gottheit mit sechs Buchstaben.“

„Stimmt!“, strahlte Marlene. Jetzt wusste sie, dass Kommissar Kleinheinz mit seinem durchtrainierten Körper und seinen angegrauten Schläfen nicht nur aussah wie George Clooney, sondern auch mindestens so schlau war wie Albert Einstein.

Will entging die Verzückung in ihrem Blick nicht. „Musst du nicht packen?“

„Doch, doch. Aber erst muss ich natürlich noch wissen, was passiert ist. Möchten Sie ein Stück Kiwi-Jägermeister-Torte zum Kaffee?“

„Nein danke.“ Kleinheinz kramte seinen Notizblock hervor und schlug die erste Seite um. „Also, Herr Hastenrath. Wie versprochen, einige Infos zum Überfall. Ich muss Sie aber noch mal daran erinnern, Stillschweigen zu bewahren. Es handelt sich um eine laufende Ermittlung.“

„Aber natürlich. Sie kennen mich doch.“

„Eben drum“, sagte Kleinheinz, ohne aufzusehen. Er nahm einen Schluck Kaffee und begann: „Nachdem ich den Laden betreten hatte, schilderte mir mein Kollege, Oberkommissar Dohmen, die Lage. Gegen 8.20 Uhr am Morgen befanden sich in dem kleinen Gemischtwarenladen, der gleichzeitig offensichtlich auch als Postannahmestelle dient, zwei Personen. Der 38-jährige Inhaber Hans-Peter Eidams, der sich im Kassenbereich aufhielt, sowie eine Kundin, die 70-jährige Katharina Thönnissen.“

„Oh Gott, Käthchen!“ Marlene schlug die Hände vor den Mund.

Kleinheinz fuhr unbeirrt fort: „Ein mit einer schwarzen Motorradsturmhaube maskierter Mann stürmte das Geschäft und forderte Herrn Eidams auf, den Inhalt der Kasse herauszugeben. Herr Eidams weigerte sich und es kam zu einem Handgemenge, in dessen Verlauf er dem Täter die Maske vom Kopf riss. Daraufhin zog der Mann eine Waffe und schoss auf Herrn Eidams, der mit einer Schussverletzung am Oberarm zusammenbrach. Der Täter leerte die Kasse und verschwand mit einem schwarzen Motorrad mit holländischem Kennzeichen. Herr Eidams hat großes Glück gehabt. Die Kugel hat ihn nur am Arm gestreift und ist dann in die Wand eingeschlagen. Er wurde vor Ort notärztlich versorgt und dann ins Krankenhaus gebracht. Sein Zustand war aber so stabil, dass Dohmen und ich ihn kurz befragen konnten. Das Nummernschild hat er nicht erkannt, dafür konnte er eine relativ genaue Täterbeschreibung abgeben. Es wird jetzt ein Phantombild erstellt und nach dem schwarzen Motorrad wird gefahndet. Leider gibt es ansonsten keine Zeugen, die irgendwas gesehen oder gehört haben.“

Will rieb sich das Kinn. „Und was hat Käthchen gesehen? Also, ich meine, Frau Thönnissen.“

„Frau Thönnissen stand unter Schock. Wir konnten sie noch nicht befragen. Sie bekam ein Beruhigungsmittel und wurde ins Saffelener Seniorenheim gebracht. Wo sie offensichtlich lebt.“

Marlene nickte. „Ja. Frau Thönnissen hat vor zwei Jahren ihr Haus verkauft. Die hat ja keine Familie mehr. Deshalb ist die ins Altenheim gezogen. In so ein Einzimmerapartment. Obwohl die eigentlich noch ganz rüstig ist.“

„Na ja, da läuft sie uns ja nicht weg“, konstatierte Kleinheinz. „Ich werde morgen noch mal hinfahren und sie befragen. Ansonsten ist das erst mal alles. Der Laden bleibt bis auf Weiteres versiegelt, die Spuren werden in Ruhe ausge wertet. Die Kugel haben wir zur kriminaltechnischen Untersuchung nach Düsseldorf geschickt, um die Tatwaffe zu ermitteln.“

Will wirkte nachdenklich. „Eins versteh ich nicht, Herr Kommissar. Sie sagten, der Mann hätte auf Hansi geschossen. Warum gibt es denn keine Zeugen, die einen Schuss gehört haben?“

„Tja. Wie es aussieht, hat der Täter einen Schalldämpfer benutzt. Sagen Sie mal, Herr Hastenrath. Was muss man denn über Hans-Peter Eidams wissen? Gibt es keine Frau Eidams?“

„Doch. Dem seine Mutter.“

„Nein, ich meine, hat Hans-Peter Eidams keine Ehefrau?“

Nun schaltete sich Marlene ein: „Vor ein paar Jahren war der mal verlobt gewesen. Mit eine Frau aus Thailand. Kim Su Peng hieß die. Die hat der damals im Urlaub kennengelernt. Und da hat der sich auf der erste Blick in die drin verliebt, wie der die im Katalog gesehen hat. Die hat ein paar Monate hier gewohnt und überall in der Nachbarschaft geputzt. Die war sehr fleißig, aber das Proplem war, dass die weder Deutsch noch Saffelener Platt verstand. Und dann hat der Hansi Krach bekommen mit seine Eltern wegen weil der das Geschäft vernachlässigt hat. Der wollte sogar mit die Kim Su Peng ein Restaurant in Uetterath aufmachen. Ein ägyptisches Steakhaus oder so. Und irgendwann war plötzlich der ihre Aufenthaltsgenehmigung abgelaufen. Der alte Eidams kennt da wohl ein paar Leute bei der Stadtverwaltung.“

„Da dürfte das Verhältnis zu seinem Vater ja nicht das beste sein, oder?“

Marlene zuckte die Schultern. „Der Hansi hatte ja keine Wahl, weil der Vater dem immer finanziell unterstützt hat. Der verdient mit sein kleiner Laden ja nicht so viel.“

„Und seit damals ist Hans-Peter Eidams alleinstehend?“

„Ja, ja. Seitdem ist der ein eingeschweißter Junggeselle. Der ist sogar der Vorsitzende vom Saffelener Junggesellenverein „Heiß wie Frittenfett e.V.“ Marlene sah auf die Uhr. „Um Gottes willen. Ich muss los. Um zwölf Uhr muss ich bei Billa sein.“

Auch Kommissar Kleinheinz sah auf die Uhr. „Ich muss dringend zurück aufs Revier. Den Bericht schreiben. Hier ist eine Karte mit meiner Handynummer, Herr Hastenrath. Rufen Sie mich jederzeit an, wenn Sie irgendwas Neues hören. Und ich warne Sie – fangen Sie nicht wieder hinter meinem Rücken an, auf eigene Faust zu ermitteln. Wir haben es hier ganz offen sichtlich mit einem gefährlichen Täter zu tun.“ Während er sich erhob, schob er die Visitenkarte über den Tisch. Will nahm sie und steckte sie in seine Hosentasche. „Und Ihnen, Frau Hastenrath, gute Erholung bei Ihrem Wellnesstrip.“ Er nickte ihr galant zu.

Marlene errötete leicht und fuhr sich verlegen mit der Hand durchs Haar. Wie Kleinheinz so dastand, wirkte er im matten Schein der Deckenlampe wie Sky Dumont in ihrer Lieblings-Rosamunde-Pilcher-Verfilmung „Blüte des Lebens“, nur jünger und sportlicher. Der Gedanke wurde aber schnell von Wills rasselndem Husten vertrieben, mit dem er den Kommissar zur Tür geleitete. Auf dem Treppenabsatz drehte dieser sich noch einmal um und sah den Landwirt besorgt an. „Eins versteh ich einfach nicht. Warum um alles in der Welt überfällt jemand so früh am Morgen einen Tante-Emma-Laden in Saffelen?“

„Vielleicht, weil der danach noch andere Termine hatte?“

Kleinheinz ignorierte die Antwort. „Irgendetwas stimmt hier nicht. Wenn jemand einen Raubüberfall auf ein Geschäft begeht, dann macht er das abends, wenn die Kasse voll ist und nicht morgens. Das macht einfach keinen Sinn.“ Grübelnd ging der Hauptkommissar zu seinem Wagen und ließ Hastenraths Will grußlos im Hauseingang zurück.

Die Königin der Tulpen

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