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Sonntag, 12. Juli, 16.10 Uhr

Kommissar Kleinheinz hatte sein Laptop aufgeklappt und einen kleinen tragbaren Drucker auf den Tisch gestellt. Er sah Frau Thönnissen beruhigend in die Augen und strich ihr über die leicht zitternde Hand. „Machen Sie sich keine Sorgen. Es dauert nicht lang.“ Nachdem Kleinheinz sich davon überzeugt hatte, dass die alte Dame vernehmungsfähig war und auch bereit, mit ihm über den gestrigen Vorfall zu sprechen, hatten sie sich auf ihren Wunsch hin in einer kleinen abgemauerten Nische des großen Saals einander gegenübergesetzt, um sich zu unterhalten. Kleinheinz hätte zwar ein abgeschlossenes Zimmer vorgezogen, doch er wollte die alte Frau nicht einem größeren Stress aussetzen als nötig. Ein wenig beunruhigte es ihn zwar, dass sich der zuvor leere Saal zunehmend füllte, aber dennoch konnten sie in ihrer Ecke trotz des leichten Gemurmels ungestört sprechen. Um ihr die Aufregung zu nehmen, schlug er einen sonoren Ton an: „Wenn es Ihnen zu viel ist, komme ich auch gerne an einem anderen Tag wieder.“

„Ach was“, sagte sie tapfer, „bringen wir es hinter uns. Ich habe in meinem Leben schon so viel mitgemacht, dann werde ich das auch noch überleben.“

Kleinheinz nickte. „Bevor wir anfangen, muss ich Sie belehren, dass ich Sie als Zeugin in einer Strafsache vernehme. Als Zeugin haben Sie ein Zeugnisverweigerungsrecht, das heißt, Sie sind nicht verpflichtet, Angaben zu machen. Des Weiteren müssen Sie sich als Zeugin nicht selbst belasten und Sie müssen keine Angaben über Personen machen, die in einem verwandtschaftlichen Verhältnis zu Ihnen stehen. Und Sie müssen selbstverständlich die Wahrheit sagen. Haben Sie das verstanden?“

„Ich bin zwar alt, aber nicht senil“, erwiderte sie leicht gereizt.

„Natürlich nicht“, lächelte Kleinheinz. „Ich möchte eine Vernehmung mit Ihnen durchführen über das, was Sie gestern Morgen im Geschäft von Hans-Peter Eidams gesehen, gehört oder wahrgenommen haben. Vielleicht schildern Sie mir zuerst mal in eigenen Worten, was genau passiert ist.“

Ihre Stimme zitterte leicht, als sie begann: „Ich wollte gerade an der Theke zwei Dosen Ravioli bezahlen, als die Ladentür aufgerissen wurde. Ein Mann mit so einer schwarzen Kapuze über dem Kopf, wie Motorradfahrer sie anhaben, brüllte plötzlich: ,Geld raus!’ Dann ist der Hansi um die Theke herumgekommen und hat zu dem Mann gesagt: ,Verschwinden Sie.’ Danach ging alles sehr schnell. Sie haben sich irgendwie geschubst, der Hansi hat dem Mann die Kapuze vom Kopf gezogen und plötzlich hatte der Mann eine Pistole in der Hand und hat sie dem Hansi vor die Brust gehalten.“ Sie stockte. Dann kramte sie umständlich ein Stofftaschentuch heraus und tupfte sich ein paar Tränen ab. Sie schluchzte noch mal kurz, dann sprach sie schleppend weiter: „Der Hansi wusste gar nicht, was los war. Dann hat der Mann mich auf Seite geschubst und ich bin gefallen. Als ich hochgucke, sehe ich, wie Hansi das Gesicht verzieht und sich die rechte Schulter festhält.“

„Das heißt, Sie haben keinen Schuss gehört?“

„Nein. Gar nichts.“

„Ist Ihnen an der Pistole irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen?“

„Die war vorne sehr lang.“

„Ein Schalldämpfer“, murmelte Kleinheinz leise vor sich hin und tippte alles ein. „Was ist dann passiert?“

„Der Hansi hat auf dem Boden gelegen und geschrien. Der Mann hat in aller Seelenruhe das Geld aus der Kasse genommen, in eine Tüte gepackt und ist gegangen. Draußen ist er auf ein Motorrad gestiegen und weggefahren.“

„Wissen Sie zufällig, was für ein Motorrad das war? Eine bestimmte Marke?“

„Nein. Ein ganz normales Motorrad.“

„Konnten Sie das Kennzeichen lesen?“

„Nein. Ich habe nur gesehen, dass es ein gelbes Nummernschild war.“

„Holländisches Nummernschild“, tippte Kleinheinz in seinen Computer. „Was ist dann passiert?“

„Das weiß ich alles gar nicht mehr so genau. Der Hansi hat geblutet und gestöhnt. Und dann muss ich wohl mit dem Telefon auf der Theke die 110 angerufen haben. Obwohl ich mich da gar nicht mehr dran erinnern kann.“

„Ihr Notruf ging um 8 Uhr 23 bei uns ein. Sie haben sehr verwirrt geklungen. Kein Wunder, Sie standen unter Schock. Ich würde noch gerne wissen ...“

Mitten im Satz setzte plötzlich ohrenbetäubende Musik ein, die aus dem großen Saal kam. Kleinheinz zuckte heftig zusammen und Frau Thönnissen sah interessiert auf. Ihre Miene erhellte sich, und das, obwohl grauenhafte Akkordeonmusik erklang.

Kleinheinz sprang auf und schaute aus der Nische heraus. Er konnte nicht in den Saal sehen, weil ihm eine Säule den Blick versperrte. Er brüllte: „Macht mal bitte jemand das verdammte Radio leiser!“

Im nächsten Moment kamen Hastenraths Will und Josef Jackels um die Ecke. Will strahlte den verdutzten Kleinheinz an. „Hallo Herr Kommissar. Was machen Sie denn hier?“

„Ich führe gerade eine Vernehmung durch. Und was machen, bitte schön, Sie hier?“ Plötzlich ertönte auch noch Gesang zu dem Akkordeon. Kleinheinz bekam auf der Stelle Kopfschmerzen. Er brüllte noch lauter: „Mach doch mal jemand das Radio leiser.“

„Das ist kein Radio“, sagte Will ruhig, „das ist Charlie van der Valk.“

„Wer?“

„Sagen Sie bloß, Sie kennen der Charlie van der Valk nicht?“

„Wer zum Teufel soll das sein?“

Jetzt meldete sich Josef zu Wort. Seine Stimme klang belehrend, als er sagte: „Charlie van der Valk. Der Mann mit dem Akkordeon. Der berühmte holländische Schlagerstar. Da müssen Sie doch mal was von gehört haben. Der Tulpenkavalier.“

Kleinheinz verstand gar nichts mehr. Die Akkor deontöne hämmerten sich erbarmungslos in sein Hirn.

Will rief durch den Saal: „Herr van der Valk, kommen Sie doch mal eben.“

Mitten im Lied brach die Musik ab. Kleinheinz entspannte sich. Im nächsten Augenblick tauchte ein groß gewachsener, schlanker Mann mit dünnem, grauem Haar auf, der ein Akkordeon umgeschnallt hatte. Der Kommissar schätzte ihn auf Mitte bis Ende 60.

„Das ist der große Charlie van der Valk“, stellte Will den Mann mit Pathos in der Stimme vor. „Der hatte in den 70er Jahren viele Hits: ,Walzer ins Glück‘, ,Du bist die eine‘ oder ,Akkordeon der Liebe‘. Der gibt einmal im Monat ein Umsonst-Konzert hier im Altenheim. Der Josef und ich sind hier, für mit dem zu verhandeln wegen ein Auftritt auf dem Feuerwehrfest nächste Woche. Aber ich denk, da werden wir uns schon einig, oder Herr van der Valk? Ein bisschen was am Preis tun Sie noch, oder?“ Mit dem letzten Satz wendete sich Will in seiner plump vertraulichen Art direkt an den Musiker. Der nickte sparsam, machte aber insgesamt ein freundliches Gesicht.

Kleinheinz konnte das alles nicht fassen. Resigniert fragte er: „Und warum ,Der Tulpenkavalier‘?“

Hastenraths Will spielte den Empörten. „Aber das gibt es doch nicht, Herr Kommissar. Haben Sie denn die letzten 30 Jahre in ein Kellerverlies verbracht? Der Name bezieht sich auf dem sein Riesenhit, mit dem der damals hier in der Region weltberühmt geworden ist: ,Die Königin der Tulpen‘!“

Kleinheinz war mittlerweile zu schwach, um zu antworten. Sein Gesicht verzog sich, als hätte er in eine Zitrone gebissen, denn ohne Vorwarnung begann Will nun zu allem Überfluss mit seiner durchdringenden Bassstimme zu singen: „Die Königin der Tulpen – die bist du!“ Der Kommissar sah sich hilflos um, verzweifelt auf der Suche nach jemandem, der mit einer versteckten Kamera um die Ecke kommt, um die bizarre Situation aufzuklären. Doch das Gegenteil war der Fall. Unmittelbar nachdem Will angefangen hatte zu singen, stimmte auch Josef Jackels schmetternd mit ein.

Charlie van der Valk setzte zum ersten Mal, seit er dabeistand, ein breites Lächeln auf, nahm sein Akkordeon hoch und stieg auf den nächsten Takt ein. Sekunden später begann der ganze Saal, in dem sich mittlerweile bestimmt 70 Bewohner befanden, lauthals mitzusingen:

Erst Rendezvous – dann Schubidu

Doch eines sollst du wissen immerzu

Die Königin der Tulpen – die bist du!

Die Königin der Tulpen

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