Читать книгу Grundeinkommen von A bis Z - Christian Müller - Страница 11
Demokratie Für die Schweiz ist direkte Demokratie ein Teil der Identität. Und sie ist Voraussetzung zur Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens – weil es im Grunde dieselbe Idee ist. Die direkte Demokratie setzt Eigenverantwortung voraus und ist gleichzeitig die Form, die sie stärkt: Weil die Freiheit gegeben ist und jeder als Teilnehmer Verantwortung trägt und ernst genommen wird. Bedingungsloses Grundeinkommen in der Schweiz wäre eine weitere Pioniertat in Sachen Demokratie.
ОглавлениеMit der politischen Debatte über die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens in der Schweiz und verschiedenen anderen Ländern weltweit geht auch die Botschaft der direkten Demokratie in die Welt. Demokratie und bedingungsloses Grundeinkommen stehen in einem Zusammenhang. Sie sind beide von einer Idee: Dass über den Menschen in ihrer Entscheidung kein höheres System des Richtigen und Wahren steht. Die Souveränität liegt beim Volk und in der Stimme jedes Einzelnen. Ernst genommene Demokratie ist Voraussetzung für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Denn es kann nur von denen eingeführt werden, die es betrifft. Und es kann nur reifen in der demokratischen Auseinandersetzung, in der alle Mitsprache und eine Stimme haben. Was für alle ist, das kann auch nur durch alle und in Abstimmung miteinander kommen. Sonst ist auch ein Grundeinkommen letztlich nur ein Instrument für alte Interessen. Von einem Herrscher oder einer Regierung von oben herab spendiert wäre es eine Loyalitätsverpflichtung.
«Eine Demokratisierung der Demokratie», nennt Andreas Gross, ehemaliger Vertreter der Sozialdemokraten im Schweizer Parlament, die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen. «Denn die Chancengleichheit wird wesentlich erhöht, wenn die Menschen nicht mehr Angst um ihre Existenz haben und eben auch Zeit bekommen, sich um die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsfragen zu kümmern.» Viele, bemerkt Andi Gross, würden diese Initiative zu einem bedingungslosen Grundeinkommen anstößig finden. Aber das sei auch gut so, sagt er, wenn etwas anstößig ist. Da würde man angestoßen. Das ist der Vorteil der direkten Demokratie, dass auch neue und ungewöhnliche Gedanken in die Gesellschaft kommen können. Die direkte Demokratie ist ein permanenter Bildungsprozess: Der Prozess und der Zeitraum einer Einführung sind notwendig als eine Weiterbildung. Dieser Entstehungszeitraum eines bedingungslosen Grundeinkommens wird oft ausgeblendet. Was jetzt noch nicht klar ist und wo Fragen offen sind, da entstehen Antworten, bessere Fragen und auch Reife. Man hört, was andere denken, und muss sogar zuhören, weil diese auch eine Stimme haben. Man hört vielleicht auch zur eigenen Überraschung, wie viele so denken wie man selbst. Und an das, was man selber denkt, richtet sich ein höherer Anspruch, wenn daraus Ernst werden kann. Menschen lernen, wenn es Ernst wird.
Darum ist die Diskussionskultur in der Schweiz relativ hoch. Die Auseinandersetzung kann polemisch sein, aber das Einverständnis steht über allem, dass der andere das Initiativrecht hat und seine Stimme zählt. Seine wie auch die eigene Stimme kann zur politischen Umsetzung führen. Darum muss man besser auf das eigene Urteil achten, als wenn es sowieso keine Rolle spielt. Das ist ähnlich wie mit einem bedingungslosen Grundeinkommen auf der wirtschaftlichen Ebene. Damit hat die eigene Stimme auch mehr Gewicht. Und es steht weniger ein vorgegebenes Richtig oder Falsch über dem, was ein Mensch für sich entscheidet. Man kann oder muss mehr auf das achten, was man wirklich will, weil es eher zur Umsetzung kommen kann.
Wo es kein Initiativrecht der Bevölkerung gibt, muss die Bürgerin, der Bürger sich öfter sagen, dass er oder sie nun mal nichts verändern kann. Wo es das Initiativrecht gibt, kann er oder sie das nicht so sagen. Da liegt es an einem selbst, wenn man nicht initiativ wird. Und wird man es mit einem Vorschlag, der für alle sein soll, und findet man nicht genügend Zustimmung, dann korrigiert einen die Wirklichkeit der anderen, dass der Vorschlag wohl noch nicht für alle ist. Das ist ein ganz anderes Erleben, als wenn einem von vorneherein keine Möglichkeit gegeben ist.
Ähnlich wäre es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Man kann, wenn man will, mehr ausprobieren. Und die Resonanz lehrt einen. Keine Möglichkeit von vorneherein lässt nicht lernen. Was man nicht macht oder womit man nicht weiterkommt, liegt dann eher bei einem selbst, als dass nur die äußeren Umstände schuld wären. Neues und Ungewöhnliches hat mehr Chancen, sich in die Gesellschaft einzubringen. Das ist so in der direkten Demokratie; so wäre es mit dem bedingungslosen Grundeinkommen.