Читать книгу Grundeinkommen von A bis Z - Christian Müller - Страница 7
Arbeitsplätze Es gibt zwei gute Nachrichten: Erstens werden uns laut verschiedener Prognosen in den nächsten zwei Dekaden Maschinen und Computer bis zur Hälfte der heutigen Jobs abnehmen. Zweitens wird es genug zu tun geben für alle: vor allem Arbeiten, die Persönlichkeit verlangen und individuell Sinn stiften. Das Grundeinkommen wäre nüchtern betrachtet die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.
ОглавлениеLaut einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Demoscope vom Dezember 2015 würden mit einem bedingungslosen Grundeinkommen insgesamt 90 % weiterhin erwerbstätig sein, 34 % der Erwerbstätigen würden weniger arbeiten wollen. 40 % möchten sich mehr in der Freiwilligenarbeit engagieren, 53 % möchten mehr Zeit mit der Familie verbringen, 54 % möchten sich mehr weiterbilden. 13 % würden gerne den Arbeitsplatz wechseln und 22 % wollen sich selbständig machen.
Die Frage, wer mit einem bedingungslosen Grundeinkommen noch arbeitet, muss man differenzieren. Sie betrifft nicht die unbezahlte Arbeit, die über die Hälfte aller geleisteten Arbeitsstunden ausmacht und das Gemeinwesen trägt. Also Freiwilligenarbeit, Care-Arbeit, Hausarbeit. Diese Arbeiten würden eher aufgewertet. Sie betrifft nicht die gut bezahlte Arbeit. Der gewohnte Lebensstandard, die laufenden Kosten und auch das Selbstverständnis lassen einen nicht einfach auf die Einkommenshöhe nur eines Grundeinkommens umsteigen. Das Grundeinkommen ist kein Grund, eine eigene Arbeit aufzugeben. Weniger gut bezahlte Arbeiten, die aber letztlich doch gerne gemacht werden, die zumindest lieber gemacht werden, als zuhause zu sitzen, werden mit einem bedingungslosen Grundeinkommensbetrag auch weiterhin gemacht werden. Die Frage: «Wer arbeitet dann noch?» betrifft alle Arbeitsstellen, in denen Menschen ihre soziale Einbindung haben und eine Aufgabe sehen. Warum sollte jemand sein Lebensumfeld am Arbeitsplatz verlassen, nur weil die Existenz bedingungslos gesichert ist?
Wie sieht es aus bei der ungeliebten und gering bezahlten Arbeit – der sogenannten Drecksarbeit? Wenn sie unverzichtbar ist, ist sie gesellschaftlich wertvoll und müsste mehr Wertschätzung erfahren. Sie wird besser bezahlt werden müssen, wenn sie sonst niemand macht. Die Arbeitsbedingungen müssten verbessert werden, damit Menschen sie machen. Häufig sind solche Arbeiten für die Menschen, die sie tun, nicht Drecksarbeiten, sondern sie sehen einigen Sinn darin und haben andere Erlebnisse, als Außenstehende wissen können. Bei manchen Arbeiten kann man sich nicht vorstellen, dass man selbst sie freiwillig täte, und also auch nicht, dass ein anderer das macht. Das trägt zur Geringschätzung dieser Arbeiten bei und leider auch zur Geringschätzung derer, die sie tun.
Die Frage, wer dann noch arbeitet, reduziert sich letztlich auf diejenigen, die auch heute schon nichts tun. Die also auch nicht in irgendeiner Weise künstlerisch oder im sozialen Umfeld tätig sind und auch nicht einer noch so eigenartigen Idee nachgehen. Statistisch gesehen ist das heute ein ganz kleiner Teil der Bevölkerung. Den wird es mit einem bedingungslosen Grundeinkommen vielleicht auch geben.
Laut einer Studie der Oxford Martin School vom Dezember 2013 werden innerhalb der nächsten zwanzig Jahre etwa die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze von Robotern, Datenplattformen und Algorithmen übernommen. Betroffen sind alle Branchen in allen Bereichen, wo sich Arbeit quantifizieren, analysieren und digitalisieren lässt. Was nicht ersetzt werden kann, sind laut der Studie Tätigkeiten, die Empathie, Überzeugungskraft, Originalität, Verhandlungsgeschick oder besondere motorische Fähigkeiten brauchen.
Was viele Ingenieure, Konzernchefs, Wissenschaftler weltweit über diese sogenannte Industrialisierung 4.0 sagen, zeigt Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums in Davos, in Bezug auf die Schweiz auf: «Zuerst wirbelte die Digitalisierung die Medien durch, nun die Banken. Das Gesundheitswesen und die Bildung werden bald erfasst. (…) In der Schweiz fallen 200 000 Bürojobs weg. Der Mittelstand löst sich auf. Der tragende Pfeiler unserer Demokratie ist bedroht. (…) Jeder Einzelne muss bereit sein, sich ständig weiterzubilden. Und der Staat soll Strukturen schaffen, die allen ein unternehmerisches Verhalten ermöglichen. Die Zukunft gehört nicht den großen, sondern den eigenen Firmen. (…) Das Volk muss die Regeln setzen, auch für die Wirtschaft. Da sich alles so schnell ändert, besteht die Gefahr, dass Firmen Regeln setzen und ihre Regeln automatisch Gesetz werden. Nötig sind politische Prozesse, die ständige Anpassungen der Regeln an die Entwicklungen zulassen. (…) Der Wettbewerb der Zukunft wird ein Wettbewerb der Systeme sein, nicht der Produkte.» Damit meint Klaus Schwab auch eine Neustrukturierung in der Einkommensregel wie zum Beispiel ein bedingungsloses Grundeinkommen.
«Neugierig auf die Welt zu sein, mit Wandel und Veränderungen umzugehen, dauerhaft lernen zu können, Veränderungen einordnen zu können im Kontext», das hält Klaus Wellershoff, Präsident des Volkswirtschaftlichen Instituts an der Universität St. Gallen HSG, für die wichtigsten Eigenschaften, die Jugendliche lernen sollten und die auch für uns alle gelten.
Aber kommt es wirklich so, wie die Vorhersagen es zeigen? Betrifft uns das?
Die Digitalisierung verändert nicht nur das, was man sich vorstellen kann. Die Veränderungen in der Wirtschaft werden so groß sein wie dereinst beim Wandel von der Agrarwirtschaft zur Kapitalwirtschaft. Die Landwirtschaft gibt es immer noch. Effizienter als früher, nicht weniger wichtig, aber sie macht nicht mehr den Schwerpunkt der Arbeit für die meisten aus.
Was Klaus Wellershoff voraussagt, bedeutet, dass sich ein Schwerpunkt der menschlichen Arbeit in den nächsten Jahrzehnten bei personenbezogenen Dienstleistungen, kultureller und künstlerischer Arbeit auch im Kontext mit sozialer Gestaltung herausbilden wird. Mehr selbständige Arbeiten als heute, mehr Projektarbeiten und wechselnde Zusammenarbeit.
Das hieße nicht, dass wir alle dann nur ein Grundeinkommen hätten. Aber das Grundeinkommen könnte unentbehrlich und förderlich sein bei Übergängen und dabei, etwas aufzubauen, sich neu zu orientieren und in neuen Arbeiten auch zu einem guten Gesamteinkommen zu kommen. Es wäre, nüchtern betrachtet, die Basis der kommenden Leistungsgesellschaft.