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Vom Vater zum getrennten Vater
ОглавлениеDie Trennung von meiner ersten Frau im Jahr 2006 riss in unser Familienleben eine tiefe Kluft. Ich war derjenige, der die gemeinsame Wohnung verließ und sich ein Stück entfernt eine eigene Wohnung suchte. Unsere Kinder mussten damals damit zurechtkommen, dass ihr Papa nicht mehr so wie sonst nach der Arbeit nach Hause kam. Und auch die Wochenenden oder Ferien verbrachten sie entweder bei ihrer Mutter oder bei ihrem Vater, aber nicht mehr mit ihren Eltern zusammen.
Das war für uns alle eine schwierige und herausfordernde Zeit. Abgesehen von ganz praktischen Problemen war die emotionale Belastung extrem hoch. Aber meine Frau und ich schafften es, einigermaßen fair miteinander umzugehen und unsere Kinder nicht mit unseren Meinungsverschiedenheiten, die nicht immer konstruktiv waren, zu belasten.
Rückblickend betrachtet würde ich sagen, dass sich ungefähr ein halbes Jahr nach meinem Auszug von zu Hause die Wogen soweit geglättet hatten, dass ein geregelter und entspannter Umgang zwischen uns allen, aber insbesondere zwischen meinen Kindern und mir, möglich war.
Unsere Tochter war zu dieser Zeit zehn Jahre alt, unser Sohn war vier. Ich sah meine Kinder regelmäßig an den Wochenenden, in den Ferien und bei Bedarf auch mal zwischendurch. Es war nicht allzu schwer, denn wir wohnten nur 50 Kilometer voneinander entfernt. Ein kurzer Anruf genügte, und ich fuhr auch mal nach der Arbeit zu meiner Familie, um Dinge zu besprechen oder Nachhilfe in Mathe zu geben.
Ich fühlte mich damals auch noch nicht so richtig als getrennter Vater. Es tat zwar weh, dass ich meine Kinder nicht mehr täglich sah, aber andererseits war es ohne Probleme möglich, sie häufig und auch kurzfristig zu treffen und Zeit mit ihnen zu verbringen. Auf diese Weise konnte ich sie in ihrer Entwicklung beobachten, begleiten und unterstützen, was mir als liebender Vater ein großes Bedürfnis war und noch immer ist.
Diese recht entspannte Zeit änderte sich ungefähr zwei Jahre nach unserer Scheidung im Jahr 2008. Meine geschiedene Frau verkündete mir, dass sie plane, mit unseren Kindern nach Hamburg umzuziehen. Ihre Gründe waren für mich nicht nachvollziehbar, zumal es keine Sachzwänge gab. Sie wollte nach Hamburg umziehen, weil sie sich dort ein besseres Leben in einer zugegebenermaßen tollen Stadt erwartete.
Nachdem ich den ersten Schreck überwunden hatte, diskutierten wir sehr viel und ausführlich darüber, aber sie ließ sich nicht von meinen Argumenten beeindrucken. Sie hatte es sich in den Kopf gesetzt, da war nichts zu machen.
Natürlich sprach ich auch mit meiner Tochter und meinem Sohn darüber, aber ich wollte auf die beiden möglichst keinen Druck ausüben. Ich sah, dass sie in einer schwierigen Zwickmühle steckten, und wollte ihr Dilemma nicht dadurch verschlimmern, dass ich ihnen von meinen Nöten und Sorgen erzählte.
Ich beließ es also dabei, dass ich meinen Kindern anbot, sie könnten auch gerne bei mir bleiben, wenn sie nicht mit ihrer Mutter nach Hamburg umziehen wollten. Ich brachte außerdem zum Ausdruck, dass ich überzeugt war, dass die Pläne ihrer Mutter sowieso nicht aufgehen würden. Ein schwieriger Arbeitsmarkt und ein angespannter Wohnungsmarkt sprachen deutlich dagegen. „Macht euch keine Gedanken!“, sagte ich immer wieder zu meinen Kindern.
Da ich mich nicht dauerhaft mit dieser Thematik beschäftigen konnte und wollte, schob ich sie in die Schublade „Hirngespinste“. Dort ließ ich sie und lebte ein paar Monate lang einigermaßen in Frieden damit, auch wenn meine geschiedene Frau diese Schublade immer wieder aufzog und mich erinnerte, dass da ein Damoklesschwert über unseren Köpfen schwebte.
Ihre telefonische Nachricht kam deshalb nicht völlig unerwartet, aber trotzdem hatte sie mich eiskalt erwischt: „Wir ziehen Anfang Juli nach Hamburg.“ Das war im März 2011.
Ich stellte meiner geschiedenen Frau ein paar Fragen, um sicherzugehen, dass sie mir keinen Bären aufband. Aber klare Gedanken konnte ich nicht fassen, außerdem ertrug ich nur schwer ihre zur Schau gestellte Euphorie. Also beendete ich das Gespräch relativ rasch, legte mich auf mein Bett und versuchte mit geschlossenen Augen zu begreifen, was mir gerade verkündet worden war.
50 Kilometer sind ein Klacks, 850 Kilometer sind eine andere Größenordnung. Nach der Arbeit mal schnell vorbeischauen geht dann nicht mehr. Und Besuche am Wochenende sind zwar machbar, aber zeitaufwendig und mit hohen Reisekosten verbunden – also nicht so richtig geeignet für jedes zweite Wochenende.
Wie also sollten meine Kinder und ich unter diesen Umständen einen Kontakt pflegen, bei dem Vertrautheit, gegenseitiges Interesse, Verbundenheit und Liebe erhalten bleiben? Meine große Angst war damals, dass ich meine Kinder verlieren könnte. Aus den Augen, aus dem Sinn und irgendwann auch aus dem Herzen …
Ich erzählte meiner geschiedenen Frau von meinen Ängsten, aber sie versicherte mir, dass sie unbegründet seien. Ich würde meine Kinder nicht viel weniger sehen, und außerdem würde sie sich zur Hälfte an den anfallenden Reisekosten beteiligen. Ich glaubte ihr, weil ich ihr glauben wollte.
Das war damals eine Mischung aus Hilflosigkeit, Angst und Ungläubigkeit: Wie konnte meine geschiedene Frau einfach so mit unseren Kindern nach Hamburg ziehen? Es konnte doch nicht möglich sein, dass sie mehr oder weniger über meine Leiche und die Leichen unserer Kinder ging, nur um sich einen Lebenstraum zu erfüllen! Aber ging sie denn damals wirklich über die Leichen unserer Kinder? Sie hatte natürlich Zeit und Gelegenheit genutzt, um unsere Kinder ganz allmählich auf das Bevorstehende vorzubereiten. Als es dann schließlich so weit war, waren beide Kinder zumindest nicht mehr abgeneigt. Unsere Tochter war froh, aus ihrer verhassten Schule mit G8-Abitur herauszukommen. Und unser Sohn war damals in einem Alter, wo er sich weder auflehnte noch Fragen stellte. Er nahm es hin, wie es kam.
Blieb also nur meine Leiche beziehungsweise mein gebrochenes Vaterherz. Natürlich kam mir auch der Gedanke, mir einen Anwalt zu nehmen und die Pläne meiner geschiedenen Frau gerichtlich unterbinden zu lassen. Warum ich das nicht tat, möchte ich an anderer Stelle erklären. Und natürlich werde ich noch darüber schreiben, wie sich das Verhältnis zu meinen Kindern und wie ich mich selbst – als Mensch, als Mann, und ganz besonders als Vater – weiterentwickelt haben!