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Umgangsrecht, Sorgerecht und das Kindeswohl
ОглавлениеBevor du weiterliest, möchte ich betonen, dass dieses Kapitel lediglich meine persönliche Sicht auf die erwähnten Themen beschreibt. Im Laufe vieler Jahre als getrennter Vater und als Folge der vielfältigen Erfahrungen, die ich inzwischen sammeln durfte, hat sich in mir eine Meinung zu den rechtlichen Aspekten gebildet, die keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Rechtsverbindlichkeit erhebt. Verbindliche und ausführliche Auskunft zu deiner individuellen Situation bekommst du bei einem Fachanwalt oder auch beim Jugendamt.
Im Zusammenhang mit der Trennung und Scheidung von Eltern tauchen immer wieder bestimmte Begriffe aus dem deutschen Familienrecht oder anderen Rechtsgebieten auf, die ich hier kurz erläutern möchte. Im Internet findest du außerdem zu jedem Stichwort eine immense Vielzahl an weiteren Informationsquellen.
Das Umgangsrecht aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch regelt unter anderem den Anspruch auf regelmäßigen Kontakt zwischen Eltern und minderjährigem Kind. Dieses Recht haben sowohl beide Elternteile wie auch deren Kind, womit eine Umgangspflicht für die Eltern einhergeht. Eine Umgangspflicht für das Kind gibt es nicht.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass auch andere Familienangehörige, zum Beispiel die Großeltern, ein Umgangsrecht haben. Da dieses Kapitel sich auf das Verhältnis des getrennten Vaters zu seinem Kind konzentriert, möchte ich es bei dieser Erwähnung belassen und nicht weiter darauf eingehen. Damit wieder zurück zu dir, dem getrennten Vater.
Möchte zum Beispiel dein Sohn dich sehen, du hast aber keine Lust, ihn zu treffen, dann kann dein Sohn dich aufgrund seines Umgangsrechts in die Pflicht nehmen, Zeit mit ihm zu verbringen. Umgekehrt gilt das nicht: Wenn dein Sohn dich nicht sehen möchte, hast du Pech.
Ein weiteres Beispiel: Möchtest du deine Tochter sehen und deine Tochter möchte dich auch sehen, dann darf sich die Mutter diesem beiderseitigen Wunsch nach Umgang nicht entgegenstellen. Die Mutter darf dir nicht ohne Weiteres (aus ihrer Laune heraus) den Umgang mit deinem Kind verwehren.
Das Umgangsrecht bringt außerdem ein Besuchsrecht mit sich, andernfalls könnten sich Väter und ihre Kinder nur an neutralen Orten (Café, Park, Museum) treffen. Dies wäre aber der Bildung einer eigenständigen, von der Mutter unabhängigen Beziehung, abträglich.
Zum Umgangsrecht gehört auch die Wohlverhaltenspflicht. Sie gebietet den Eltern, alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum anderen Elternteil beeinträchtigt. Dazu gehört, dass man sich in Gegenwart des Kindes nicht herablassend über den anderen Elternteil äußern darf. Es gehört auch dazu, dass man sein Kind zum Bahnhof oder Flughafen bringt, damit es zum anderen Elternteil reisen kann.
Das Umgangsrecht muss nach einer Trennung oder Scheidung nicht extra eingeklagt werden. Es ist ein grundlegendes Recht aller Familienmitglieder und kann nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gerichtlich vorübergehend ausgesetzt, teilweise eingeschränkt oder komplett verweigert werden. Solche Voraussetzungen liegen immer dann vor, wenn das Kindeswohl in konkreter Gefahr ist.
Das Sorgerecht (Personen- und Vermögenssorge) aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch ist unabhängig vom Umgangsrecht. Wer also das Umgangsrecht hat, hat nicht auch automatisch das Sorgerecht – es kann bei einem oder bei beiden Elternteilen oder auch bei Dritten, zum Beispiel dem Jugendamt, liegen. Ich gehe bei meinen weiteren Ausführungen davon aus, dass du als getrennter Vater das Sorgerecht für dein minderjähriges Kind hast. Übrigens ist das gemeinsame Sorgerecht die Regel nach Trennung und Scheidung, so sieht es der Gesetzgeber vor.
Für alltägliche Entscheidungen, die keine gravierenden Auswirkungen auf die Entwicklung eines Kindes haben, liegt die Befugnis bei dem Elternteil, bei dem das Kind hauptsächlich lebt (in unserem Fall also die Mutter). Dies soll einen unkomplizierten und reibungslosen Tagesablauf zum Wohl des Kindes ermöglichen.
Die Mutter deines Kindes muss dich also nicht in jede Entscheidung einbeziehen, zu allem deine Zustimmung einholen oder dich über jede Kleinigkeit informieren. Im Sinne eines normalen und flüssigen Tagesablaufs wäre das weder sinnvoll noch hilfreich oder praktikabel. Dies betrifft aber nur solche Entscheidungen, die für die Entwicklung des Kindes unerheblich sind.
Bedeutsame Entscheidungen, wie die Wahl der Schule, größere chirurgische Eingriffe oder auch ein Umzug, müssen zwischen den Sorgeberechtigten im Einvernehmen getroffen werden. Das Sorgerecht enthält also unter anderem ein Aufenthaltsbestimmungsrecht, wonach ein Umzug des Kindes im Einvernehmen entschieden werden muss. Eigenmächtiges Handeln eines sorgeberechtigten Elternteils ist somit rechtswidrig, aber zum Teil auch gar nicht möglich. Nach meiner Erfahrung ist es bei vielen dieser bedeutsamen Entscheidungen erforderlich, dass auf einem Anmeldeformular (für die Schule oder das Einwohnermeldeamt) oder einer Einverständniserklärung (für eine Operation oder andere Vorgänge) beide sorgeberechtigten Elternteile unterschreiben. Die Mutter kommt also normalerweise bei solchen Themen nicht an dir und einer Einigung mit dir vorbei.
Nur der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass zum Sorgerecht nicht nur das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Erziehungsrecht, sondern auch die Unterhaltspflicht und die Aufsichtspflicht gehören.
Auch das Sorgerecht kann gerichtlich beschnitten werden, wenn das Kindeswohl in konkrete Gefahr gerät. Andererseits kann das Sorgerecht auch gerichtlich erteilt werden, wenn dies dem Wohl des Kindes dient.
Im Zusammenhang mit Umgangsrecht und Sorgerecht ist auch immer wieder vom Kindeswohl die Rede. Das Kindeswohl ist wie ein Leuchtturm an der Küste, an dem sich alles orientiert. Zum Wohl des Kindes können Rechte erteilt, aber auch eingeschränkt oder entzogen werden.
Um das Kindeswohl bestimmen zu können, werden verschiedene Kriterien verwendet. Eines dieser Kriterien ist der Wille des Kindes, der zum Beispiel in einem Gespräch vom Kind mehr oder weniger deutlich geäußert wird. Das bedeutet nicht, dass es nach dem Motto „Sein Wille geschehe“ läuft, denn der Wille des Kindes könnte beeinflusst worden sein und somit nicht dem Kindeswohl entsprechen. Es heißt aber, dass der Wille des Kindes, auch wenn es minderjährig ist, eine Rolle spielt. Je älter ein Kind ist, umso mehr Mitspracherecht hat es. Gefährdet wird das Kindeswohl in erster Linie durch Vernachlässigung, Misshandlung und Gewalt. Obwohl sich vermutlich jeder etwas darunter vorstellen kann, sind diese Begriffe trotzdem wenig konkret. Einfach scheint es mit dem Thema Gewalt zu sein: Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung, ein elterliches Züchtigungsrecht gibt es nicht mehr – somit sind selbst leichte Schläge verboten.
Aufgrund der Gesetzeslage im deutschen Familienrecht ist es für getrennte Väter also grundsätzlich möglich, Umzugspläne der Mutter mitsamt den Kindern anzufechten. Alleine auf Grundlage des Aufenthaltsbestimmungsrechts sollte ein deutliches Nein genügen, um den Umzug zumindest hinauszuzögern, wenn nicht gar ganz zu verhindern.
Mit diesem deutlichen Nein meine ich natürlich nicht, einfach nur Nein zu sagen und dann die Hände in den Schoß zu legen. Wenn es eine Wirkung haben soll, dann müssen selbstverständlich angemessene Taten folgen. Über deine Möglichkeiten lässt du dich am besten fachmännisch beraten.
Warum habe ich, als mir meine geschiedene Frau den Umzug ankündigte, nicht Nein gesagt? Warum habe ich mir keinen Anwalt genommen und nicht alle Instanzen der deutschen Gerichte ausgeschöpft?
Im Wesentlichen gab es dafür drei Gründe, wobei ich nicht mehr genau sagen kann, welcher am schwersten wog. Der erste Grund war der Wille meiner Kinder: Sowohl meine Tochter als auch mein Sohn machten zu keinem Zeitpunkt mir gegenüber deutlich, dass sie nicht umziehen wollten. Meine Tochter äußerte sogar mehrfach, dass sie sich auf Hamburg und die neue Schule – eine Gesamtschule mit G9-Abitur – freue. Mein Sohn äußerte sich überhaupt nicht dazu, was aufgrund seines Alters (im Sommer 2011 war er nicht ganz neun Jahre alt) auch kein Wunder war. Er nahm es einfach hin, wie es kam.
Der zweite Grund war, dass ich mir kein Modell vorstellen konnte, das nicht zulasten unserer Kinder gegangen wäre. Wofür hätte ich mit anwaltlicher Hilfe kämpfen sollen? Dass meine geschiedene Frau ohne unsere Kinder nach Hamburg zieht? Oder dass sie nur eines der beiden Kinder mitnehmen darf und das andere bei mir bleibt? Die Vorstellung, Kinder von der Mutter oder Geschwister voneinander zu trennen, war und ist noch heute für mich kein akzeptabler Kompromiss.
Der dritte Grund war die Befürchtung oder vielleicht auch die Erkenntnis, dass ich mit einem Anwalt an meiner Seite vermutlich nur für mein Ego gekämpft hätte. Es wäre mir wahrscheinlich nicht primär um das vorher erwähnte Kindeswohl gegangen, sondern darum, mein (juristisches) Recht zu bekommen und durchzusetzen. Zum Glück habe ich das erkannt, bevor ich schwere Geschütze auffuhr.
Meiner tiefen Überzeugung nach ist nicht alleine von Bedeutung, wie die Rechtslage im deutschen Familienrecht aussieht und welche Möglichkeiten die Gesetzgebung eröffnet. Es ist von viel größerer Bedeutung zu wissen oder vielmehr zu spüren, wie eigene Wünsche und Bedürfnisse sowie die des Kindes am vorteilhaftesten für alle berücksichtigt und realisiert werden können. Die Gesetze können zur Erreichung eines guten Ergebnisses für alle Betroffenen nur Werkzeuge und Hilfsmittel sein – nicht mehr und nicht weniger.
So kam es also, dass ich trotz aller juristischen Möglichkeiten, die das deutsche Familienrecht bietet, zum getrennten Vater wurde. Aus heutiger Sicht habe ich mich damals absolut richtig verhalten, und ich bedauere mein Verhalten bis heute nicht. Warum kann ich das so überzeugt sagen? Ganz einfach, weil es meinen beiden Kindern prima geht, weil sie sich sehr gut entwickelt haben und weil ich stolz bin, ihr Papa zu sein.