Читать книгу Comisario Carrascos Valencia - Christian Roth - Страница 6
Kapitel 1
Оглавление"Setzen Sie sich und hören Sie zu."
Ich saß bereits und war um einen durchaus aufmerksamen Eindruck bemüht. Die Züge im Gesicht von Ricarda Martínez ließen allerdings kaum Zweifel daran, wie ich ihre Gesprächseröffnung interpretieren sollte - Füße still und Klappe halten! Meiner bis jetzt guten Laune wegen tat ich wie geheißen.
"Pablo sagte mir, Sie seien wieder im Dienst und hätten noch keinen neuen Fall."
"Stimmt, bin seit gestern wieder im Dienst und der Chef hat mir auch noch nichts Neues gegeben. Und alles Alte dürfte sich nach einem halben Jahr vermutlich erledigt haben. Jedenfalls für mich."
"Sie kennen Yago Sánchez?"
"Chef von Televisión Valencia. Aber kennen ist zu viel gesagt. Wir sind uns vergangenes Jahr mal bei irgendeiner Veranstaltung über den Weg gelaufen. Seinen Namen kenne ich mehr aus der Zeitung. Vergeht ja kaum ein Tag ohne Schlagzeilen mit seinem Namen darin."
"Umso besser. Sie sollen ihn überprüfen, Carrasco."
Televisión Valencia war der regionale Rundfunksender. In den 90ern gegründet, sollte er die Comunidad Valenciana mit lokalen Informationen beglücken und nach dem Willen der Politik gleichzeitig die Valencianische Sprache fördern. Valenciano wurde damit zum politischen Programm. Der katalanische Dialekt sollte zu einer eigenständigen Sprache werden. Das war er im Leben der echten Valencianer eigentlich schon immer. Es fehlte aber offenbar noch ein Würdenträger, der sich damit schmücken konnte. Also durfte man nun die wortgewaltigen Auftritte von Lokalpolitikern und die seichten Berichte über das Stadtgeschehen oder über Touristen am Strand täglich vom Sessel aus in Valenciano verfolgen.
Ich fand die Idee zuerst gar nicht so schlecht und gut fünf Millionen Einwohner in der Comunidad hören sich auch nicht so wenig an. Das Programm war allerdings so spannend wie Taschenbillard. Und das ging offenbar nicht nur mir so. Der Marktanteil hatte es inzwischen auf unter 4 % geschafft und der Schuldenberg auf über eine Milliarde Euro. War klar, dass da etwas passieren musste. Schließlich hatten wir Crisis und auch die letzten Verfechter von Lokalkolorit und offizieller Sprachkultur wurden zunehmend stiller. Dazu musste man nicht zu den 28 % der Arbeitslosen in der Comunidad gehören. Die Krise breitete sich krakenartig auf alle Lebensbereiche aus. Alle waren direkt oder indirekt betroffen. Inzwischen auch die Politik. Spätestens, wenn sich der Zorn der Bevölkerung an korrupten oder unfähigen Amtsträgern in Wahlzeiten entlädt, kommt Handlungsvillen auf.
Rica beugte sich mit ihrer kräftigen Statur zu mir herüber, presste die Lippen zusammen und sah mich prüfend an. Ihr kantiges Gesicht und ihr fester Blick hatten mich ins Visier genommen. Widerstand ist zwecklos, war wohl die Botschaft. So langsam ging mir die Lust an nonverbaler Kommunikation verloren.
"Eigentlich bekomme ich meine Ermittlungsaufträge vom Jefe de División, nicht von der Bürgermeisterin."
"Der Polizeichef und ich arbeiten eng zusammen. Er ist einverstanden. Holen Sie sich Ihr Okay nachher selbst bei ihm ab."
Enge Zusammenarbeit? Was für ein Euphemismus. Pablo Villar ist ein opportunistischer Schleimer, außerdem war er offenbar empfänglicher für nonverbale Kommunikation als ich. Ich hatte wirklich keine Ahnung, womit sich Rica immer wieder die Zustimmung der Bevölkerung sichern konnte. Aber wenn man über zwanzig Jahre im Amt ist, kennt man wahrscheinlich alle Kniffe. Und die ihr Gleichgesinnten erkennt sie inzwischen wahrscheinlich ohnehin am Gang. Ich zuckte mit den Schultern. Für Krawall war ich eindeutig noch nicht wieder in Form.
"Mach' ich bestimmt. Worum geht's denn bei dieser Überprüfung? Wollte er nicht zuhören?"
Es wurde langsam besser.
"Hören Sie mit dem Blödsinn auf, Carrasco, die Sache ist ernst. Ob Sie so gut sind, wie Pablo mir versichert hat, weiß ich nicht. Wenn Sie die Sache allerdings vermasseln, gibt's Ärger - für Sie und für Pablo. Sie wissen, was das heißt."
Wusste ich nicht, konnte ich mir aber vorstellen. Wahrscheinlich die übliche Sie-werden-in-den-Streifendienst-versetzt-Kiste.
"Die Stadt Valencia subventioniert Televisión Valencia seit Jahren. Der Zuschuss, um den Sender am Leben zu halten, wird jedes Jahr höher. Der Sender ist zwar ein privates Unternehmen, die Stadt hat aber eine Subventionierungsgarantie abgegeben. Da kommen wir nur dann raus, wenn wir den Sender drastisch verkleinern oder besser gleich ganz schließen. Yago Sánchez wehrt sich dagegen mit Händen und Füßen. Mit seinem Nachfolger Valdez hätten wir einen Deal, der muss nur erst mal ins Amt gesetzt werden. Und vorher muss Sánchez weg. Ist das soweit klar?"
"Soll ich ihn etwa wegen Ungehorsams verhaften?"
"Natürlich nicht. Sie sollen ihn auch nicht unter Druck setzen oder ihm irgendetwas anhängen. Ich will aber wissen, mit wem ich es zu tun habe. Und wenn sich was gegen ihn finden lässt, umso besser. Ist mir jedenfalls lieber, die Polizei findet das heraus, als dass wir uns ohne Netz und doppelten Boden mit ihm anlegen."
"Soll das ein Witz sein? Die Polizei soll Ermittlungen gegen einen unbescholtenen Mann aufnehmen, weil er der Stadt nicht in den Kram passt? Und Sie glauben, das geht so auf Zuruf? Jeder andere muss dafür einen Verdacht zur Anzeige bringen und den auch begründen, so mir nichts, dir nichts geht das nicht."
"Es gibt einen begründeten Verdacht. Ich will aber keine Anzeige, bevor ich mir nicht sicher bin. Die Sache soll geräuschlos und diskret ablaufen."
Rica sah jetzt aus, als hätte sie ein Honigkuchenpferd verschluckt, die großen Augen mütterlich-weich auf mich gerichtet und der Mund zu einem Lächeln hochgezogen. Ihre Zähne leuchteten, wie Captain Hook es nicht besser zustande bringen konnte.
"Sie sind Polizist, Carrasco, und die Sache steht in öffentlichem Interesse. Pablo hat Sie als pflichtbewussten und umsichtigen Comisario empfohlen. Ich vertraue Pablo und ich setze auf Ihre Loyalität. Versauen Sie es nicht."
Das Honigkuchenpferd hatte Reißaus genommen, wie offenbar auch das Gespräch beendet war. Die deckenhohe, doppelflüglige Tür hinter mir öffnet sich und zum Vorschein kam Ricas Sekretärin, die mich mit ihrem ausgestreckten rechten Arm gen Ausgang wies.
Ich erhob mich etwas mühsam aus dem Renaissancesessel vor Ricas Schreibtisch und wandte mich zum Gehen.
"Vergessen Sie nicht, Ihrem Chef einen Besuch abzustatten, Carrasco!", hörte ich von hinten Ricas Stimme. "Und denken Sie dran - versauen Sie es nicht."
*
Ich trat aus dem Rathaus hinaus auf den Plaza del Ayuntamiento. Das konnte ja heiter werden. Entweder wurde ich zum Steigbügelhalter für irgendeine Schieberei im Rathaus oder ich konnte mich mit den vereinten Kräften von Stadtverwaltung und Polizeiführung herumschlagen. Was für ein öffentliches Interesse eigentlich? Die Stadt hatte sich einen Knebelvertrag für einen eigenen TV-Sender aufdrücken lassen. Erst haben sie sich dafür feiern lassen und jetzt muss ein Blöder her, der die Sache irgendwie aus der Welt schafft. Was machen wir dann als Nächstes? Den Vertragspartner für den Formel-1-Zirkus einlochen? Oder den Typen, der den nie in Betrieb gegangenen Flughafen Castellón betreibt, in die Wüste schicken? Oder ein halbes Stadtviertel mit ausgedienten Gebäuden vom America's Cup einreißen? Es ist doch überall dasselbe: Erst schmücken sich die Politiker mit irgendwelchen Megaprojekten, und wenn dann herauskommt, zu welchem Preis und auf wessen Kosten, dann muss das Ganze irgendwie geräuschlos unter den Teppich.
Mein Blick fiel auf das gegenüberliegende Post- und Telegrafenamt, über dem die Sonne vom makellosen Valencianischen Himmel herab schien. Ich verließ den dreieckigen Rathausplatz, vorbei am Springbrunnen in Richtung Mercado Central. Die alte Markthalle mit ihrer Jugendstilkuppel und den über dreihundert Händlern und ihren Ständen hatte es mir schon immer angetan. Ich wollte etwas gegen meinen Ärger und für meine gute Laune machen und beschloss, einen Stopp bei Manolo einzulegen. Seine Bar La Lonja gleich links neben dem Mercado war einer der Treffpunkte der Marktbeschicker und wie bei allen Bars hatte er Tische und Stühle draußen aufgestellt. Die Valencianer sitzen im Sommer oft drinnen und im Winter draußen. Der Winter in Valencia findet allerdings auch bei meistens zweistelligen Temperaturen statt - wohlgemerkt plus. In die von den allgegenwärtigen Klimaanlagen auf arktische Temperaturen herunter gekühlten Innenräume ging man nur im Sommer. Die Touristen erkannte man daran, dass sie bei mehr als 40 °C draußen saßen.
"Mach' mir einen Gin Tonic, Manolo."
Gin Tonic war so etwas wie das Nationalgetränk von Valencia. Abgesehen vom eher bei Touristen beliebten Agua de Valencia, bei dem der Gin mit Orangensaft, Wodka und Sekt verlängert wird. Ich mochte meinen Gin am liebsten klassisch, nur mit Tonic. Und eigentlich gibt es da auch nur zwei Varianten für mich: Hendrick's mit zwei Scheiben grüner Gurke oder Tanqueray No. Ten mit Limette und getrockneten Wacholderbeeren.
"Du siehst aus, als könntest du etwas Aufheiterung vertragen." Manolo hatte sich neben mir aufgebaut und grinste mich durch seinen Dreitagebart fröhlich an.
Ich grinste zurück. "Hendrick's, wie immer", und wollte dem armen Manolo nicht auch noch die Laune verderben.
Mein Handy bimmelte und auf dem Display tauchte der Name von Pablo Villar auf. Hatte ja auch lange genug gedauert, bis Rica ihrem Polizeichef noch mal Feuer unterm Hintern gemacht hatte.
Manolo brachte den Gin mit einem Tellerchen Nüssen. Ich nahm ab.
"Carrasco!" Ich tat beschäftigt und erst mal unwissend. Der Jefe macht nicht viele Umstände. Machte er selten. Und Höflichkeit Mitarbeitern gegenüber gehörten auch nicht zu seinen Gewohnheiten. Zuletzt hatte er mich im Krankenhaus gesehen und das war vor fünf Monaten. War wohl nicht zu vermeiden gewesen. Aber immerhin hatte er meine Handynummer noch. Und dass ich wieder im Dienst war, war ihm ja auch nicht verborgen geblieben.
"Victor, kommen Sie Morgen gleich früh in mein Büro, Sie haben einen neuen Fall. José Solá wird Ihnen wieder als Unterstützung zugeteilt, wie früher. Bringen Sie ihn am besten gleich mit. Um 10:00 Uhr in meinem Büro."
Das Gespräch war beendet, ohne, dass ich noch ein Wort gesagt hatte. Trotzdem war ich nicht unzufrieden damit. Die Diskussion über den Fall Yago Sánchez, was er jetzt offenbar war, hatte von mir aus Zeit. Außerdem würde mein Gin warm werden.