Читать книгу Comisario Carrascos Valencia - Christian Roth - Страница 9
Kapitel 4
ОглавлениеJosé und mir gegenüber saß der Leiter des Finanzamtes Valencias, Señor Albiol. Er guckte reserviert zu uns herüber. Vielleicht fragte er sich, ob wir unsere Steuern zahlten.
"Der Polizeichef hat Ihren Besuch angekündigt, Sie benötigen Informationen über Yago Sánchez?" Sein Blick wurde jetzt eher verdrießlich. "Vale, verstehen Sie mich nicht falsch. Wir haben keine Ermittlungen durchgeführt, wir haben lediglich Sánchez' letzte Steuererklärungen durchgesehen." Räuspern. "Eigentlich darf ich Ihnen ohne richterlichen Beschluss auch keine Auskünfte erteilen. Da aber ja offenbar ein öffentliches Interesse besteht und ich Ihnen, sagen wir, eher allgemeine Umstände schildern werde, sollte das so in Ordnung gehen. Ich hoffe, Sie verstehen." Wieder räuspern.
Ich verstand. Besser, als Señor Albion vermutlich glaubte. Das vermeintliche öffentliche Interesse war ihm nachdrücklich eingetrichtert worden und jetzt saß er in der Klemme. Genau wie ich. Entweder mitspielen oder Ärger bekommen.
"Machen Sie sich keine Sorgen, Señor Albiol. Ich möchte nichts Ungesetzliches von Ihnen. Sagen Sie mir, was Sie können und dürfen. Was mich allerdings interessiert, ist, warum Sie Sánchez' letzte Steuererklärungen durchgesehen haben. Ist das Standard?"
Gerade in Steuerdingen ging es in Spanien oft eher verhalten zur Sache. Viele Spanier versteuerten höchstens Teile Ihres Einkommens, vieles lief in bar und schwarz. Nicht einmal alle Unternehmen waren gewillt, Umsatzsteuer zu zahlen. Sogar Waren und Dienstleistungen gegen Rechnung wurden mitunter einfach ohne Steuer abgerechnet.
"Nein, das ist nicht Standard. Wir prüfen natürlich die Erklärungen unserer Steuerbürger, aber erteilte Bescheide werden nur in Einspruchsfällen noch einmal durchgesehen. In diesem Fall gab es die Bitte einer Behörde. Wir sind dann natürlich berechtigt, sogar gezwungen, dem nachzugehen."
"Von welcher Behörde", wollte José wissen, "und gab es einen bestimmten Grund?"
"Das weiß ich nicht, aber es war das Straßenverkehrsamt."
Na klar war es das Straßenverkehrsamt. Da konnte Rica gut hineinregieren und das war erst einmal unauffällig genug, um die Sache anzustoßen. "Erzählen Sie, Señor Albiol, was hat Ihre Durchsicht an allgemeinen Umständen ergeben?"
"Also, die Steuererklärungen sind alle einwandfrei, jedenfalls hatten wir bisher keinen Grund zu Beanstandungen. Señor Sánchez ist ledig und insofern allein veranlagt. Sein zu versteuerndes Einkommen umfasst das Gehalt als Senderchef und eine kleine Mieteinnahme aus einer Ferienwohnung auf Ibiza. Alles korrekt angegeben und versteuert. Erbschaften, Nebeneinkünfte oder Kapitalerträge gibt es sonst keine. Sieht auf den ersten Blick unverdächtig auf, ein ganz normaler Steuerbürger.“
Kurzes Räuspern.
„Vielleicht betrügt er das Finanzamt“, fuhr Señor Albiol fort, „bisher aber nicht erkennbar und vermutlich nicht mehr oder weniger als alle hier. Auf die Anfrage aus dem Straßenverkehrsamt hin haben meine Leute allerdings seinen Lebenswandel unter die Lupe genommen. Im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten, versteht sich. Und dieser ist mit der Einkommenshöhe ganz und gar nicht vereinbar. Sánchez' Einkommen ist zwar gut, sein Lebenswandel allerdings sehr aufwendig. Wir haben das Grundbuchamt gefragt, seine Villa hat einen Verkehrswert im siebenstelligen Bereich, alles bezahlt, keine Hypotheken. Bei der Zulassungsbehörde sind insgesamt vier Autos auf ihn angemeldet, eine Limousine, ein Cabrio und zwei Oldtimer. Alles teure Wagen. Die Meldestelle hatte seinen Pass gerade verlängert und den alten eingezogen. Sánchez war praktisch überall auf der Welt, wo es exklusiv und teuer ist. Das muss aber alles nichts bedeuten, jedenfalls aus Steuersicht nicht. Vielleicht hat er eine reiche Freundin oder irgendwo einen Gönner."
José war offenbar aufgewacht. "Soll das bedeuten, Sie würden nicht einmal auf der Grundlage dieser Erkenntnisse gegen ihn ermitteln? Was muss man denn anstellen, damit das Finanzamt tätig wird? So, wie Sie das hier beschreiben, kann man sich ja fast aussuchen, was man versteuert."
"Gemach, José!" Ich hatte nicht vor, den armen Señor Albiol zu quälen. Der sah inzwischen auch alles andere als glücklich aus. In einem Land wie Spanien beim Finanzamt zu arbeiten, stellte ich mir ohnehin nicht als besonders erfüllend vor. "Uns interessiert im Moment nur, ob es Auffälligkeiten gibt. So, wie Sie das hier schildern, gibt es keinen konkreten Verdacht und keine Anschuldigungen, aber Erklärungsbedarf. Darum werden wir uns kümmern. Es wäre gut, wenn das Finanzamt vorläufig von einer eigenen Untersuchung absehen würde. Solange wir ermitteln, sollte möglichst wenig Staub aufgewirbelt werden."
"Die Situation zwingt uns nicht, jetzt tätig zu werden. Unser Gespräch war auch rein informell und diente dem öffentlichen Interesse. Das Finanzamt hat gerne geholfen." Albiol entspannte sich sichtlich. Er hatte getan, was er tun sollte.
*
José war offenbar immer noch fassungslos. "Mag ja sein, dass man Einzelfälle nicht vermeiden kann, in denen Steuern hinterzogen werden und das Finanzamt es nicht merkt. Andererseits scheinen die Beamten aber auch nicht besonders daran interessiert zu sein, das zu verhindern. Was muss denn passieren, damit man als Steuerbetrüger überhaupt auffällt? Und guck dir doch an, wohin das führt. Wir haben Krise und der Staat ist pleite."
"Krise haben wir aus ganz anderen Gründen, José. Aber du hast trotzdem recht. Steuermoral hängt auch mit Bestechlichkeit, Spekulantentum und Vetternwirtschaft zusammen. Die selbstsüchtige Haltung von Amtsträgern ist doch zum Kotzen. Im Rathaus machen sie, was ihnen passt und zum eigenen Nutzen ist, Polizei und Behörden machen aus Opportunität und eigenem Vorteil dabei mit und wir sind die Handlanger dabei. Dürfen uns vielleicht über die herrschende Unmoral aufregen, sollen aber ansonsten funktionieren."
"Vic, so hatte ich das heute bei Villar gar nicht gesehen. Ob Sánchez eine Schuld trägt oder nicht, ist ja eine Sache. Etwas anderes ist es mit der Willkür und den Seilschaften in den Führungsetagen. Wir hätten den Fall ablehnen sollen."
"Na ja, das war kaum möglich und eine Ermittlung ist trotz aller Manipulationen vielleicht sogar berechtigt. Dabei bleiben wir zwar die Erfüllungsgehilfen von Strippenziehern, können aber wenigstens ordentlich und fair vorgehen. Wenn es am Ende zu einer berechtigten Anschuldigung kommt, muss uns die Vorgeschichte egal sein. Erweist sich dagegen alles als Luftblase, dann können wir wenigstens einem unschuldigen Bürger die Meute vom Hals halten."
Ich war jetzt froh, dass José mich heute Morgen bei Villar gebremst hatte und es nicht zum Eklat gekommen war. Den Zeitpunkt meines Ausscheidens würde ich mir überdies lieber selbst aussuchen und bis dahin machte ich erst einmal meine Arbeit.
José und ich verabredeten uns für den nächsten Morgen im Sender, zum Gespräch mit Valdez.
*
Der Tag hatte mich mehr mitgenommen, als ich morgens noch glaubte. Ich stiefelte die Treppe zu meiner Wohnung hinauf, riss die Balkontüren auf, setze mich mit einem Gin Tonic in meinen Sessel und blickte über die Plaza Redonda und die Altstadt in den Nachthimmel Valencias. Immerhin war ich mit José wieder im Reinen, was diesen Fall anbetraf. Mir reichten Rica Martínez und Pablo Villar als Gegenspieler völlig aus. Wenigstens mit ihm wollte ich mich gut verstehen und eine entspannte Zusammenarbeit haben. Trotzdem hingen mir die Ereignisse des Tages nach. Musste dringend abschalten. Bis vor meinem Unfall war ich regelmäßig zum Fußballtraining gegangen. Dafür war ich noch nicht wieder fit genug. Schwimmen ging aber gut. Ich nahm mir vor, am Wochenende zum Strand hinunter zu fahren. Für heute musste ich mir etwas anderes überlegen. Hunger hatte ich auch.
Meinen Kühlschrank füllte ich regelmäßig bei Einkäufen im Mercado Central um die Ecke. Kochen war nicht unbedingt mein Hobby, aber die frischen, appetitlichen Gemüse-, Käse-, Fisch- und Fleischangebote der Händler überwältigten mich jedes Mal aufs Neue. Ich kaufte oft, was mir im Mercado schon Appetit machte, ohne zu wissen, was ich daraus später machen würde. Meine Kochkünste waren eher schlicht, mit den frischen Lebensmitteln konnte man allerdings auch nicht viel verkehrt machen.
Ich öffnete den Kühlschrank und fand Manchego-Käse und Chorizo, außerdem Paprika, Tomaten und Zucchini. Zwiebeln, Oliven und Knoblauch hatte ich sowieso immer. Der Fall war klar, immerhin dieser. Das Gemüse wurde gewaschen, geviertelt und in Öl angedünstet. Nach kurzer Zeit kamen Tomaten, Knoblauch, Oliven und Chorizo dazu. Würzen, kurz ziehen lassen und zum Schluss mit reichlich Manchego-Streifen bedecken. Der Käse war kräftig und gab dem Ganzen ordentlich Körper. Nach zehn Minuten im Ofen war er schon geschmolzen. Ich schnitt das Brot. Wenn ich jetzt noch etwas von dem Paternina Banda Azul fand, war der Abend gerettet. Ich mochte die Mischung aus Tempranillo- und Garnacha-Trauben. Ein leichter Wein, mit seiner milden Würze aber trotzdem kräftig genug. Mit dem Essen und dem Wein wanderte ich zurück in Richtung Balkon und begann zu essen.
Ich genoss mein Mahl und inzwischen auch das Alleinsein. Seit sich Isabel vor inzwischen zwei Jahren aus unserer gemeinsamen Wohnung verabschiedet hatte, war meine Stimmung abends oft wechselhaft gewesen. Wir hatten uns im Streit getrennt, sie hatte einen Surfer aus Tarifa für spannender als mich gehalten. Damit konnte ich am Ende leben, sogar schneller, als ich anfangs dachte. Es fühlte sich danach für mich aber lange irgendwie nicht richtig an, allein zu leben und diesen Zustand auch noch zu genießen. Meine Ambitionen, jemanden Neues kennenlernen zu wollen, gingen jedenfalls gegen null. Ich entwickelte mich zwar nicht gerade zu einem Eremiten. Dafür waren meine Sozialkontakte zu vielfältig und die Tage zu ausgefüllt. Ich merkte aber, dass sich das Alleinwohnen fast schon zu einem Lebensprinzip entwickelt hatte. Wie sollte ich jemals wieder mit einem Partner zusammenleben können? Musste oder wollte ich das überhaupt? Eine Familie mit Kindern war nicht meine Sache. Aber wer wusste schon, ob es das Alleinleben bleiben würde.
Dieses Stadium der Grübelei hatte ich jetzt hinter mir, vielleicht war es auch nur eine Spätfolge von Isabels Auszug gewesen. Ich war mit meinem Leben, so wie es jetzt war, zufrieden, machte mir kein Kopfzerbrechen mehr über vielleicht verlorene Chancen oder Entwicklungen in der Zukunft und ließ den Dingen ihren Lauf.
Einzig das Berufliche ließ sich nicht länger so einfach hinnehmen, da musste etwas passieren. Salva hatte recht. Aus einer konfrontativen Situation heraus würde ich nie kündigen. Das musste vorher entschieden sein und vor reinem Tisch, am besten ohne laufenden Fall, durchgeführt werden. Eigentlich war genau jetzt der Moment für eine solche Entscheidung, die ich später nach Abschluss des Falles Sánchez umsetzen könnte. Was hatte mich in der Vergangenheit davon abgehalten? Einkommen und berufliche Absicherung bestimmt nicht. Vielleicht das Bewusstsein, dass es keinen Rückweg gab? Das machte die Sache irgendwie endgültig, konnte letztlich aber doch kein Grund sein. Wahrscheinlich musste der Druck einfach nur groß genug werden, die Sache endlich anzugehen. Musste das Unbehagen nachhaltig genug sein, um sich nicht von der Routine des Alltags und der bequemen Berechenbarkeit des nächsten Tages einlullen zu lassen. Insofern konnte ich die aktuelle Situation sogar produktiv nutzen. Sie könnte mein Sprungbrett in die Selbständigkeit werden.