Читать книгу Comisario Carrascos Valencia - Christian Roth - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеVor 9 Monaten
"... befördere ich Sie hiermit zum Comisario Principal und wünsche Ihnen und Ihrem Team weiterhin viel Erfolg." Polizeichef Pablo Villar schüttelte mir die Hand. Die Kollegen applaudierten.
Als nunmehr Hauptkommissar leitete ich zusammen mit Inspektor José Solá die Ermittlungsgruppe Carta Muerta. Der "tote Brief" war in diesem Fall eher ein toter Briefträger. Und er trug nicht nur kein Leben mehr in sich, sondern auch keine Briefe bei sich. Dafür Drogen. Genug, eine Kleinarmee für ein halbes Jahr zu versorgen. Alles in handlichen Päckchen gut verpackt und zum Abtransport bereit. Die Frage war nur, wer würde den Abtransport vornehmen, wohin ging die Reise und wer war der Abnehmer. Und schließlich: Wer hatte den Briefträger auf dem Gewissen?
Die Fragen sollte ich beantworten. Und mit mir mein Team. Mit von der Partie waren zwei Kollegen von der Unidad de Drogas y Crimen Organizado, also der UDYCO. Wer sich das ausgedacht hatte, war vermutlich mindestens bekifft. Die UDYCO hatte ihren Sitz in Madrid und war mit allem ausgestattet, was gut und teuer war. Reichlich Personal und noch mehr Spielzeug. Vom stattlichen Fuhrpark über eigene Hubschrauber bis hin zu zwei Schnellbooten. Letztere wurden in Madrid eher weniger eingesetzt. Bei uns angekommen waren sie aber auch nicht, obwohl wir das passende Meer dazu vor der Haustür hatten. Dafür kamen Souza und Albea an. Mit der Bahn. Immerhin waren wir jetzt zusammen mit den örtlichen Kollegen zu sechst.
Am Tatort hatte sich natürlich niemand mehr gezeigt, nachdem der Briefträger erst einmal das Zeitliche gesegnet hatte. Die Päckchen wanderten in die Asservatenkammer. Die Spur zu den Abnehmern der Lieferung war erst einmal kalt. Genauso wie der Briefträger.
Dafür war es in Valencia heiß. Über 40 °C im August sind eigentlich normal, die Windstille machte aber allen zu schaffen, die nicht das Glück hatten, am Strand liegen zu dürfen. Was sich offenbar auch im Gemütszustand einiger Mitmenschen niederschlug. Jedenfalls gab es nach zwei Wochen der Ermittlungsarbeit null Prozent Ergebnisse und einhundert Prozent Stress. Den hatte vor allem Pablo Villar auszuhalten und er kam auch aus dem Rathaus.
Das große Einfallstor für Drogen in Spanien ist die Straße von Gibraltar. Die Verteilerroute verläuft die gesamte Küste hinauf bis nach Barcelona. Auch in Valencia haben sich regelrechte Drogensupermärkte wie auch Weiterverteilungszentren gebildet. Politik und Polizei hatten dem Drogenhandel den Kampf mit verstärkten Bandagen angesagt, die UDYCO wurde gegründet und alle brauchten Erfolge.
Unser Fall war bisher alles andere als ein Erfolg. Deswegen wurde einer kreiert. Wenigstens ein kleiner. Der Polizeichef hatte der Politik die Gründung einer Ermittlungsgruppe versprochen. Das war die Geburtsstunde von Carta Muerta. Jetzt brauchte man nur noch einen vorzeigbaren Hauptkommissar als Leiter.
Vor 8 Monaten
Wir hatten inzwischen zwar nicht den Stein der Weisen gefunden, aber wenigstens die Drogenverteilung rekonstruiert. Die Päckchen waren für den Markt auf Ibiza bestimmt. Die Baleareninsel liegt dicht vor der Haustür von Valencia und ist in null Komma nichts mit dem Schnellboot zu erreichen. Gute Voraussetzungen für Drogenverteiler.
"Meine Damen und Herren, Hauptkommissar Victor Carrasco von der Polizeidirektion Valencia und Leiter der Einsatzgruppe Carta Muerta wird Ihnen die Ergebnisse der bisherigen Ermittlungsarbeit vorstellen."
Pablo Villar guckte erst über die Köpfe von ungefähr zwei Dutzend Journalisten hinweg und dann zu mir.
Unser Hauptquartier, die Jefatura, liegt in der Calle del Buen Orden im Viertel Arrancapins. Rechteckig wie ein Handtuch erstreckt sich das Barrio vom Turia-Becken im Norden bis zum neu erbauten Bahnhof Joaquín Sorolla im Süden. Joaquín Sorolla ist die Endstation der Hochgeschwindigkeitszüge in der Stadt, mit denen man unter anderem in neunzig Minuten in Madrid war. Die Jefatura selbst ist eines der vielen Jugendstilbauten der Jahrhundertwende in Valencia. Ein schönes, aber schlichtes Gebäude mit hohem Portal in der Mitte und breiten Flügeln nach rechts und links. Allerdings ist es alt, eng und, wie viele andere Bauwerke außerhalb des touristischen Zentrums, renovierungsbedürftig. Und so hatte der Jefe, um Eindruck zu schinden und dabei auch die Politik nicht ganz aus den Augen zu verlieren, die Pressekonferenz kurzer Hand ins Rathaus und damit in die Sphäre von Rica verlegt.
"Señoras y Señores, ich kann Ihnen die Verhaftung des fünfundvierzigjährigen Muaz Anlami bekannt geben. Der Mann wird dringend der Tat verdächtigt, vor einem Monat im Hafen von Valencia einen marokkanischen Drogenkurier erstochen zu haben. Muaz Anlami ist spanischer Staatsbürger marokkanischer Herkunft, seit zwei Jahren in Valencia ansässig und der lokalen Drogenszene zuzurechnen. Wir gehen davon aus, dass Anlami versucht hat, in der örtlichen Hierarchie aufzusteigen, dass er dabei in Streit mit seinen Komplizen geriet und es infolge eines Handgemenges mit Messerstecherei zum Tode eines der Komplizen kam. Die Ermittlungsarbeiten zum genauen Tathergang dauern an. Von größter Bedeutung sind die Erkenntnisse im Zusammenhang mit der marokkanischen Gruppe, die wir auf diesem Weg ermittelt haben. Wir vermuten, dass es sich dabei um ein neues Standbein eines in Nordafrika tätigen Drogenringes handelt, der in Valencia Fuß fassen will. Dies werden wir mit allen Mitteln zu verhindern suchen und konzentrieren deswegen unsere Kräfte auf diesen Bereich."
Marokko und Ibiza - das war nicht ganz dasselbe. Sollte es auch nicht sein. Das Ganze war meine Idee. Wenn schon unbedingt eine Pressekonferenz mit anschließender Bauchpinselei von Polizeiführung und Politik, dann wenigstens mit einem produktiven Nutzen. Natürlich hatten wir Anlami verhaftet und es gab auch einen Tatvorwurf gegen ihn. Allerdings in anderer Sache und mit anderem Hintergrund. Das wussten aber außer ihm und seinem Anwalt nur Staatsanwaltschaft und Polizei. Während Anlami im Deal mit der Staatsanwaltschaft auf Milde hoffte, konnten wir den Fokus der Öffentlichkeit wenigstens vorübergehend von unseren eigentlichen Ermittlungen fernhalten.
Tatsächlich hatten wir außer der Spur nach Ibiza nichts. Zugleich war diese Spur aber auch die einzige Chance weiterzukommen. Der Plan war natürlich, nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die Hintermänner zu täuschen. Je mehr Tamtam die Presse um Anlami und Marokko machte, umso besser konnten wir die Ibiza-Connection beobachten.
Vor 6 Monaten
Es war warm, aber es regnete in Strömen. Der Regen verhing die Dunkelheit der Nacht so weit, dass ich kaum das andere Ende des Containers ausmachen konnte, hinter dem ich hockte. Den Kollegen in den übrigen Himmelsrichtungen ging es sicher nicht besser. Unser Augenmerk galt einem Pick-up, der auf dem von Containern umgebenen Gelände am westlichen Rand des Valencianischen Hafens parkte. Das tat er seit Stunden, ohne dass sich etwas rührte. Wenn ich nicht wüsste, dass vierundzwanzig Holzkisten auf seiner Ladefläche darauf warteten, verladen zu werden, wüsste ich nichts.
Alles war ruhig, nur der Regen prasselte auf den Asphalt.
José meldete sich per Funk, gab seinen Status an Souza und Albea und die übrigen beiden Mitglieder unserer Einheit durch und ich schloss mich an.
Männer, die auf Kisten starrten.
Wir hatten in den vergangenen vier Wochen unsere Chance genutzt und die Ibiza-Connection observiert. Der Weg der Drogen verlief von Valencia über Alicante nach Ibiza. Alicante war der Verteilerknoten für Ibiza, in Valencia wurde der Hafen benutzt, um über Gibraltar eingehende Lieferungen auf verschiedene Verteilungszentren umzulagern. Heute sollte wieder umverteilt werden.
Der Regen ließ jetzt nach.
"Zwei Personen auf drei Uhr in Richtung Pick-up." Albea hatte eine leicht erhöhte Position genau gegenüber der hinteren Ladefläche des Pick-up, ungefähr einhundert Meter davon entfernt. Mit dem offenbar besten Blick in der Dunkelheit hatte er zuerst bemerkt, was nun auch die übrigen vier Kollegen leise per Funk bestätigten.
Von meinem Standort aus, etwa einhundertfünfzig Meter seitlich des Pick-up, war nichts zu sehen. "Abwarten und ruhig verhalten, wir greifen nicht zu, bevor wir wissen, wer noch zur Party kommt."
Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Die Observierung war zwar professionell verlaufen und wir hatten alles aufgefahren, was Beine hatte - und Räder und Flügel. Neben einem Dutzend Kollegen in ihren Einsatzfahrzeugen hatten wir sogar einen Polizeihubschrauber in Alarmbereitschaft auf dem Flughafen. Es gab auch keine Hinweise darauf, dass wir entdeckt wurden. Andererseits stand dieser Pick-up genau da, wo wir ihn am wenigsten hätten haben wollen, und die Sichtverhältnisse waren nach wie vor schlecht.
"Hola Amigo" kam es jetzt süß und leise aus meinem Headset. "Dein Kollege vor mir guckt aus sehr, sehr kurzer Entfernung direkt in den Lauf meiner 45er. Er war so schlau, mir die Frequenz seines Einsatzleiters zu geben."
"Ja, das war schlau. Aber nicht von dir. Die Veranstaltung hier ist gut besucht. Egal, was du willst, du kommst hier nicht raus. Nimm die Waffe runter, dann bleibst du am Leben."
Im Hintergrund hörte ich José Solás Stimme. Da war er also, fünfzig Meter links von mir hinter zwei aufeinandergestapelten Containern am östlichen Ende des Platzes. Ich konnte ihn eher erahnen als sehen.
"Ich bin die Lebensversicherung der beiden Typen auf dem Weg zum Pick-up. Und du bist meine. Komm rüber zu mir, dann kann dein Kumpel gehen. Dann sorgst du für freie Fahrt der Jungs im Pick-up. Wenn die vom Hof sind, kannst auch du gehen. Alles ganz einfach. Wir machen alle unseren Job und nachher sitzen wir wieder brav zu Hause beim Bier."
Wer's glaubt. Das würde nicht gut ausgehen. José war alles andere als ein Dirty Harry. Ein guter Polizist, aber keiner, der gegen eine Waffe am Kopf irgendeine Chance hätte - außer der auf den eigenen Tod. Und der Amigo aus dem Headset war sicher kein Drogenschieber - zu ausgebufft und zu cool. Der hatte sich was überlegt. Ich wusste nur noch nicht, was. Aber soviel war klar: Der Austausch war nicht nur die beste, sondern die einzige Option, die Kontrolle zu behalten - und Josés Leben.
Ich informierte also die anderen und befahl, solange nicht zu zucken, bis José wieder bei ihnen war. Dann kroch ich mit erhobenen Händen hinter meinem Container vor.
Von links, aus Josés Richtung, schob sich ein Körper langsam hinter einem Container hervor. Ich ging darauf zu, die Hände noch immer in der Luft auf Schulterhöhe. Die Kollegen rührten sich nicht, es war absolut still. Der Regen hatte jetzt ganz aufgehört. Ein halber José, dann ein ganzer stand vor mir, vielleicht zehn Meter entfernt. An seinen Kopf drückte eine Waffe, gehalten von einer hellen Hand an einem Stück nackten Unterarms, der in einer Art Overall hinter dem Container verschwand.
Ich ging noch näher. Der Overall war kein Overall, sondern ein Shorty, ein Tauchanzug mit kurzen Ärmeln. Zumindest konnte ich mir jetzt vorstellen, wie unser Amigo hier wieder rauskommen wollte. Das machte mir Hoffnung. Der Kerl war ein Profi. Durchdachter Angang, keine wilde Ballerei oder verzweifelte Flucht mit Geiselnahme. Der wollte seinen Plan durchziehen und wieder verschwinden. Es musste keine Toten geben.
Ich war jetzt auf fünf Meter an José herangekommen und blieb stehen. Die 45er an seinem Schädel war eine Smith & Wesson Governor, ein kurzläufiger Colt. Enorme Mündungsenergie. Amigo überließ offenbar nichts dem Zufall. Wieder fiel mir die helle Hand auf, die den gummierten Griff des Revolvers umschloss. Nein, das war keine helle Haut, das war ein Tattoo. Mit weißer Tinte war irgendwas Großflächiges auf den Handrücken von Amigo gestochen, vielleicht ein Kaninchen. Amigo aus dem Wunderland.
Das Kaninchen machte einen unvermittelten Satz nach oben und mit ihm die 45er, weg von Josés Schädel. Also doch Dirty Harry. Leider. Denn was die unüberlegte Tat Josés auslöste, waren Sekunden völligen Chaos. José warf sich auf den Boden. Die Kollegen ballerten in Richtung Amigo. Die Typen auf dem Weg zum Pick-up verschwanden mit deutlichem Desinteresse an ihrem Fahrzeug in der Dunkelheit. Amigo schoss seinen Colt leer. Danach kam seine Walther P99 zum Einsatz, während er im Taucheranzug Richtung Kaimauer lief und im Hafenbecken verschwand.
Woher ich das mit der Walther wusste? Eine ihrer 9 mm-Projektile steckte in meiner rechten Schulter, genauer in meiner seitlichen Brustkorbarterie. Wenigstens hatte Amigo zuerst seinen Colt leer geschossen, bevor er mit seiner deutlich kleineren Restmunition meinen Körper perforierte.