Читать книгу Geschichten aus Friedstatt Band 2: Flammendurst - Christian Voss - Страница 7
Ein goldener Fisch
ОглавлениеKreto saß auf einem Felsen. Sein Blick hing am Horizont zwischen Himmel und Meer fest. Einige verwaiste Blitze funkelten durch den granitgrauen Wolkenbalken, der sich an diesem verregneten Morgen, schwer auf das schwarzgetönte Meer gelegt hatte. Die Brandung war still und leise. Nur zaghaft leckten die salzigen Wasserzungen über den feinen Kies zu seinen Füßen. Es war kalt. Triate watschelte ungelenk zum Rand des stillen Wassers. Kreto ließ seinen missgestalteten Helfer nicht aus den Augen. Angeschwemmt aus dem Nichts – Fragen? Fragen hatte der alte Fischer nicht. Nur dankbar war er für den unerwarteten Zuwachs aus dem Meer – so stellte er auch keine unnützen Fragen über Herkunft oder Motivation. Der Kleine war eh ausgesprochen schweigsam, ähnlich wie das Meer, das er so liebte.
In der Zwischenzeit war er kein Neuling mehr, trotz allem gab es immer wieder Anlass zur Sorge. Besonders wenn das Meer aufgebracht wütete und schnaubte – da ging so ein kleiner Kerl schon mal gerne über die Reling seines kleinen Bootes. Es war Zeit aufzubrechen, das Unwetter schien in angemessener Zurückhaltung an ihnen vorbeizuziehen.
Das Boot schwamm in einem spiegelglatten Nebelmeer.
Triate saß am Bug und wartete gespannt. Kreto warf in gewohnter Manier seinen Beutel, angefüllt mit Fischresten, über Bord. Sofort versank der Köder an Ort und Stelle. Triate blickte durch sein Sichtgerät, das aus nichts anderem als einer alten Holzkiste mit eingesetzter Scheibe bestand.
Die Glasfläche tauchte er vorsichtig ins Wasser, nahe der Oberfläche harrte sein Blick aus. Das Wasser war klar und so konnte er den Beutel auf seiner Reise hinunter zu den Fischen gut beobachten. Kreto saß in der Mitte des Bootes mit dem Netz in der Hand und wartete gespannt auf ein Zeichen seines Helfers. Triate hob seinen kurzen Arm, der in einer fingerlosen Masse endete. Der Arm fiel und mit ihm das Netz. Triate griff hastig hinter sich und nahm einen weiteren Futterbeutel zur Hand. Das Netz senkte sich träge herab, es öffnete sich und sah jetzt aus wie ein schwebender, umgekehrter Luftballon, der schwerelos hinab glitt. Es ähnelte einer gigantischen Qualle, die majestätisch in die Tiefe sank.
Auf ein Zeichen von Kreto warf Triate den zweiten Beutel. Fische schwärmten, wie erhofft, heran und näherten sich der lautlos gleitenden Falle. Der gut gefüllte Beutel, schneller als das Netz – senkte sich genau in die Mitte und näherte sich langsam dem Netzboden. Der Schwarm umrundete das Maschengeflecht einen Moment, doch der entströmende Geruch veranlasste einen Fisch nach dem anderen, dem Futterbeutel, der eine lange gelbe Fahne nach sich zog, hypnotisiert zu folgen. So landeten sie allesamt, ein Fisch nach dem anderen, genau in der Mitte des Netzes.
Triate gab erneut ein Zeichen, er starrte immer noch durch seinen Sichtkasten in die Tiefe. Kreto zog die Seile ruckartig an. Der Netzhals schloss sich und der gesamte Schwarm fand sich gefangen im Bauch des feinen Geflechts. Triate sprang auf und warf den Kasten achtlos in die Ecke. Gemeinsam zogen sie an den Netzseilen. Heute war es ausgenommen schwer, nur mit Mühe und gemeinsamer Kraft zogen sie die Beute ins Boot, das unter dem Gewicht des prallgefüllten Netzes beinahe kenterte.
Triate sah gierig nach den zappelnden Fischen. Sie ergossen sich trommelnd ins Boot. Ihre Münder schnappten nach Luft und ihre Augen blickten starr in den schwarzen Himmel, ihre Schwanzflossen schlugen wild. Ihre nassen Körper glitschten umher.
Kreto nahm wahllos einen der Fische und warf ihn seinem Helfer zu. Gierig packte Triate den Fisch und biss ihm genüsslich den Kopf ab. So war es und so ging es Tag für Tag. Die Ausbeute war gut und so würden sie später einen Großteil auf dem hiesigen Fischmarkt verkaufen. Triate wurde derweil versteckt. Kreto wies den Wicht an, während seiner Abwesenheit, das Haus nicht zu verlassen – denn die Inquisition war auf Absonderlichkeiten, wie ihn nicht gut zu sprechen. Alle wussten zwar, dass die Magie schuld an dieser Misere war, aber niemand setzte sich für diese armen Opfer ein. Sie galten als unrein und man erachtete sie im Allgemeinen für eine Gefahr. Allerlei Unsinn schrieb man ihnen aus Unwissenheit und Missgunst zu. Kreto war da anders, aber nicht ganz uneigennützig, er genoss die Zweisamkeit. Die Jahre der einsamen Tage, waren mit dem Fund dieses Jungen für ihn ein für alle Mal vorbei – so war seine Hoffnung. Die Gesellschaft dieses Halbwesens, wollte er nicht mehr missen. Und zu guter Letzt, half er ja auch und sorgte emsig für ihr tägliches Auskommen.
Das vermeintliche Strandgut entpuppte sich als lebendig, als er ihn dann endlich, restlos von Schlick und Seetankgirlanden befreit hatte. Der Kleine erwies sich als ganz ansehnlich, jedenfalls für eine ausgehungerte und nicht verwöhnte Seele wie Kreto. Erst blieb dieses Ding stumm, doch mit der Zeit, fing dieser Zwerg an zu plappern. Wo er herkam, wollte er nicht verraten – augenscheinlich war er irgendwo angekettet gewesen, deutlich zu erkennen an den Spuren von Fesseln, an seinen Handgelenken die sich deutlich, von der sonst so weißen Haut, abhoben. Auch wie er sprach, war ungewöhnlich und deutete auf eine lange und abgeschiedene Lebensweise hin. Sicherlich fristete der arme Teufel sein Dasein, irgendwo in einem Kellerloch, als ein dunkles Geheimnis, dessen man sich schämen musste.
Schnell fasste diese großköpfige Missgeburt Vertrauen und begann wie von selbst zu helfen – dass ließ sich der alte Fischer gefallen und so kam es zu dieser, mehr als ungewöhnlichen Freundschaft. Kreto stellte ihm auch nicht mehr mit Fragen nach, er ließ ihn gewähren und so blieb seine Herkunft bis auf weiteres sein Geheimnis.
Das Boot kippte deutlich auf die Seite, eine ungewohnt heftige Böe tat das Ihrige dazu. Der kleine Kerl, von dem Kreto nicht wusste, ob er überhaupt schwimmen konnte, fiel wild mit den Armen schwenkend in die Tiefe.
Vergebens griff er nach ihm. Der Junge verschwand in der leicht welligen See. Die Fische sprangen verzweifelt auf und ab im Todeskampf, aber der Goldene, den sie staunend vor ein paar Minuten wahrgenommen hatten, war nicht unter ihnen. Ein goldener Fisch von ungeheurem Ausmaß – so etwas hatte Kreto noch nie erblickt. Kreto fluchte und nahm den Sichtkasten zur Hand. Gerade als er einen Blick riskierte, sah er den großen goldenen Fisch heranschwimmen, er war größer als angenommen, das gefaltete Meer schnitt den Blick ab – Kreto schätzte dieses Prachtexemplar auf ungefähr fünfzig Kilo, es war ein Riese, welcher da aus den Schatten der Tiefe tauchte und gierig nach dem armen Triate schnappte. Das Wasser schäumte, Blasen stiegen auf und nahmen Kreto die Sicht.
Als er endlich wieder etwas sah, war der Junge verschwunden. Der "Goldene" schwamm seelenruhig nach oben, an die Oberfläche. Er war gewaltig, nicht nur einfach üppig, Kreto meinte ihn größer als sein Boot. Die Rückenflosse stach durch die Wasseroberfläche und zeichnete einen hypnotischen weißen Schaumkreis um seinen Kahn. Gebannt folgte sein Blick den goldenen Schuppen, die da verheißungsvoll vor ihm im trüben Tageslicht funkelten.
Eilig schöpfte er etwas Wasser aus dem Boot, dabei ließ er die kreisende Flosse nicht aus den Augen. Möwen kreischten, die Biester hatten seinen Fang gewittert und kamen in einer dunklen Wolke herangeschwebt. Es war Zeit an den Strand zurückzukehren – wenn er nicht kentern wollte. Der Fang war einfach zu schwer und der Seegang allmählich zu lebhaft nach seinem Geschmack.
Kreto warf mit blutendem Herzen einige der Fische zurück ins Meer. Und plötzlich wusste Kreto, was zu tun war – er musste dem Fisch folgen, koste es was es wolle. Seinen Freund, der ganz offensichtlich von dem Monster verschluckt wurde, war sicher noch am Leben und hoffte auf seine Hilfe.
Kreto fluchte sich innerlich einen Idioten, während er einen toten Fisch nach dem anderen über Bord warf. Die Möwen fielen gierig herab und machten sich kreischend über die Beute her. Der Mast mit dem kleinen, tausendfach geflickten Segel war aufgerichtet. Die Flosse blieb gut sichtbar vor seinem Bug und schnitt eine schäumende Spur ins dunkle Wasser. Wie lang war er bereit zu folgen? Kreto band die Netzseile am Mast fest, richtete sich vorsichtig, aber entschlossen auf und warf das Bündel kühn nach vorn über den Bug des nickenden Bootes. Das Netz öffnete sich und fiel einer Spinne gleich über den voranrasenden Fisch. Ein Ruck ging durch das Boot, Kreto konnte sich gerade so eben vor einem Sturz ins Wasser bewahren. Das Tempo des Bootes nahm zu. Der Bug bäumte sich auf und so ging es in rasanter Fahrt weiter, direkt auf die Geisterküste zu. Hinter sich sah er Friedstatt auf den Hügeln thronen, es klärte auf und der Wind ließ nach. Diese Reise würde böse enden, denn schon sah er die scharfen Klippen, die ganz in der Nähe bedrohlich aus dem Wasser ragten. Plötzlich nahm ein anderes Ereignis seine Aufmerksamkeit in Beschlag. Die Gischt färbte sich ein – aus Weiß wurde urplötzlich ein Rot. Tränen stiegen dem Alten in die Augen. Wurde der arme Junge gerade verspeist? Plötzlich wendete der Fisch, änderte spontan seine Richtung. Er wich von den Klippen und orientierte sich an der Küstenlinie. Das Boot folgte weiterhin ungebremst. Kreto legte sich auf den glitschigen Boden. Ein Rumpeln ging durch die alten Bohlen, das Boot lief auf Grund. Der Fisch tauchte aus dem Wasser und mit einem unbeholfenen Sprung landete er an der Wasserlinie auf dem nassen Sand. Blut färbte augenblicklich alles ein. Das Boot stoppte knirschend und zitternd. Es war am Strand aufgelaufen.
Mühsam und stinkend erhob Kreto sich. Ein Blick über den Rand des Bootes verriet ihm, wo er gelandet war. Der gestrandete Fisch war von kolossaler Größe, seine goldenen Schuppen waren kaum mehr auszumachen, denn sein Körper triefte vor Blut, aus vielen geschlagenen Wunden.
Beim Näherkommen sah er einen Arm, dann folgte ein zweiter, die Wunde klaffte auf und der Zwerg schälte sich stöhnend, unter den Augen des Fischers, aus dem Körper des übergroßen Fisches. Triate keuchte angestrengt und jetzt ragte sein Kopf aus dem blutigen Kadaver. Eilig sprang Kreto heran und zog sein Helferlein aus dem Körper des goldenen Fisches.
„Oh bei den Göttern – ich dachte du seist tot!“
Triate lag auf dem Rücken, er war blutverschmiert, seine Augen blinzelten verwirrt. Er stöhnte: „Fisch wollte mich fressen – aber Triate Mittag von innen.“ Der Kleine hustete und keuchte, er würgte einen bläulich schimmernden Brocken von beachtlicher Größe hervor und spie ihn direkt vor die Füße des überraschten Fischers. Dieser schwieg und nickte nur. Kreto reichte dem Gnom die Hände – Triate ergriff sie und ließ sich auf die kurzen Stummelbeine stellen. Er sah nach dem Fisch, er staunte nicht schlecht – es war ein Prachtexemplar.
Kreto ging zurück zum gestrandeten und leckgeschlagenen Boot. Er fand in seiner Kiste sein Messer. Geschickt setzte er es an und schnitt dem großen Fisch fachmännisch den Kopf ab. Er war unversehrt und gab sicher eine gute Trophäe ab. Sie würde ihm so einiges an Gold einbringen – vielleicht auch ein neues und besseres Boot.
Triate hustete immer noch, er zitterte, denn seine Kleidung war komplett verschleimt und mit Blut verschmiert.
„Was?“, Triate deutete auf den Kadaver.
„Ich weiß nicht! – es muss die Magie sein. Er ist einfach viel zu groß und zu golden.“
Kreto schüttelte verwundert den Kopf – noch etwas anderes beanspruchte seine Aufmerksamkeit – ganz in der Nähe sah er bündelweise Rohre, sie führten zu den Klippen ganz in der Nähe.
Ein gelblicher Dunst stieg auf und ein Brodeln wie von kochendem Wasser, ging von diesem geheimnisvollen Ort aus.
Der Stoff seines Umhangs reichte nicht ganz den Kopf vollständig zu verpacken und so zog Kreto das Segel ein, um dieses Prachtstück mit der Stoffbahn einzurollen.
Der mächtige Kopf war ausgesprochen schwer, doch mit vereinten Kräften ging es. Einen zaghaften Blick riskierte er von einer Erhebung aus.
Eine gelbe Flüssigkeit floss in die See – das Gestein der Bucht war eingefärbt und es roch faulig, beißend – ziemlich ungesund. Wer leitete hier was hinein? Kreto schüttelte seinen Kopf. Es wurde immer verrückter. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er glatt behaupten: Magie. Doch er war nur ein einfacher Fischer, belesen zwar und von guter Herkunft, aber dennoch in solchen Dingen unerfahren. Kreto erinnerte sich an den Vorfall vor gut drei Monaten – die Stadt im Ausnahmezustand. Und auch hier war ungebändigte Magie am Werk gewesen. Viele behaupteten das Wasser sei schuld an dieser Misere.
Kretos Neugierde trieb ihn an den Rohrleitungen zu folgen, zumal sie nach Süden verliefen, also in Richtung Stadt. So schlenderte das ungleiche Paar schwer beladen nach Süden. Die Rohre flankierten sie weiterhin gut sichtbar, sie waren stellenweise angerostet, doch nirgends war ein nennenswertes Leck auszumachen, ganz offensichtlich wurden sie gewartet – sie befanden sich in einem außergewöhnlich guten Zustand.
Nach ungefähr einer Stunde beschrieben die Rohrleitungen einen Bogen und verschwanden vor ihnen im Boden. Der Fischmarkt war im vollen Gange und das Geschrei der Propagandisten flog lautstark heran.
Eine Mauer war aus der Ferne gut sichtbar. Sie war baufällig und stellenweise eingebrochen.
„Wenn ich mich nicht irre, hier beginnt eines der schwarzen Viertel.“ Triate nickte. „Gut zu erkennen an den kaputten Mauern – niemand bei Menschenverstand wagt sich dort hinein. Es heißt die Magie spielt in diesen Arealen verrückt und alle Ausgestoßenen finden dort eine Bleibe.“, führte der Fischer seinen Monolog zu einem Ende.
"Und anscheinend pumpt jemand Gift aus diesem Viertel in die Bucht.", fügte er verblüfft hinzu.
Kreto ließ seinen Blick nicht von den Mauern ab, während er sprach. Bedrohlich ragten sie auf und verdeckten die Spätnachmittagssonne mit ihren grob behauenen, schwarzen Steinen. Triate genoss diesen Ausflug – er war lange nicht mehr in der Stadt gewesen.
Doch Kreto nahm ihm augenblicklich seine Illusion und wies ihn, an dieser Stelle, entschlossen zurück. "Geh mein Junge – das letzte Stück mach ich allein – du weißt, wie die Menschen sind." Seine Stimme klang müde und abgespannt.
Der Kleine atmete tief und bewusst ein, sein grotesker Blick wanderte von der Mauer zu seinem Herrn und dann zum Meer. Seine Nase tropfte und seine Mundwinkel senkten sich. Einen Moment befürchtete der Fischer seinen Widerspruch, doch der Kleine drehte sich um und watschelte los gen Heimat, einem kleinen Schuppen, nicht mehr als ein Holzverschlag, gezimmert aus dem, was die Gezeiten am Strand anschwemmten.
Es war Zeit diesen Kopf loszuwerden. Er stank allmählich, genau wie Kreto selbst. Er entschloss sich beizeiten den Truchsess oder irgendeinem anderen Beamten, der es hören wollte, die Entdeckung der Rohre mitzuteilen. Sicher würde er eine königliche Belohnung für seine Mühe bekommen.