Читать книгу Body Basics - Christian Zippel - Страница 8
ОглавлениеKAPITEL 1
AUFRICHTEN
„In der Haltung des Körpers verrät sich der Zustand des Geistes. Durch die Körperbewegung spricht gleichsam des Geistes Stimme.“
AMBROSIUS
Aufrechte Haltung – ein Spiegel von Stärke, Effizienz und Charakter. Innen und außen bedingen sich. Es ist bekannt, dass sich unsere Stimmung auf unsere Haltung auswirkt. Das gilt auch umgekehrt. Wir können mit unserer Haltung unsere Stimmung beeinflussen: Wer sich körperlich hängen lässt, fühlt sich mies und lethargisch. Wer sich aufrichtet, das Haupt erhebt und den Blick nach vorne richtet, wird sich stark und optimistisch fühlen. Probieren Sie es aus.
Wir können nicht nur die Haltung bewahren, sie kann auch uns bewahren.
Wir sollten beides im Griff haben – innen wie außen. Auch wenn uns das Schicksal immer wieder ins Gesicht schlägt, so bleibt uns doch die Haltung, mit der man es erträgt. Bei schönem Wetter kann jeder Kapitän spielen. Den wahren Steuermann lernt man erst im Sturm kennen.
Was Ihnen auch zustoßen mag – in gewissem Sinne ist es Training. Ein Widerstand, an dem Sie wachsen können. Den Kopf hängen zu lassen, ändert nichts an der Situation, die das ausgelöst hat. Klaren Kopf zu behalten, beherrscht zu bleiben und eine Lösung zu suchen – das verbessert die Situation. Haltung zu bewahren ist nicht bloß Makulatur, es ist der geradlinige und stilvolle Weg, um das Problem zu lösen.
Die meisten Menschen wären verblüfft, wie groß sie sein könnten, wenn sie sich nur aufrichten würden. Doch sehen wir uns um, so sehen wir kaum jemanden mit korrekter Haltung – weder stehen noch sitzen noch gehen. Wo bleibt die Anmut? Die Eleganz? Die Erhabenheit und Leichtigkeit?
Ich möchte nicht richten, sondern aufrichten – was durch vernachlässigten Lebenswandel krumm und auf die schiefe Bahn geraten ist. Äußerer Adel ist mir einerlei. Innerer Adel, darauf kommt es an und der spiegelt sich in der Art wie wir uns aufrichten.
Es geht nicht nur um Ausstrahlung und den Einfluss auf die Stimmung. Auch um Gesundheit: Unser Körper ist so konstruiert, dass Kopf, Wirbelsäule und Becken sich genau dann in Balance befinden, wenn wir eine aufrechte Haltung haben. Geraten wir aus dem Lot, so bilden sich Verspannungen und Verhärtungen, die zu Schmerzen und Einschränkungen führen können. Viele Probleme unseres Bewegungsapparates entstehen durch mangelnde Stabilität, schlechte Haltung und unausgewogene Bewegungen.
Also, Haltung bewahren!
Wie eine aufrechte Haltung aussieht, wissen Sie: Kopf, Säule und Becken sollten sich in Balance, genau übereinander befinden. So als ob man Sie an einem Faden am Scheitelpunkt Ihres Kopfes nach oben zieht oder als ob Sie ein Buch auf dem Kopf balancieren würden. Bringen Sie den Körper ins Gleichgewicht.
Folgen Sie dem Faden. Machen Sie sich groß. Ziehen Sie die Wirbel auseinander, damit die Bandscheiben atmen können. Und probieren Sie es mit dem Buch!
Ich habe seit Beginn des Kapitels auch eines auf dem Kopf – Der Outsider von Colin Wilson. Das steht mir und ich überlege, es dauerhaft zu tragen. Sie können auch ein anderes Werk verwenden, das farblich besser zu Ihren Augen passt. So erschließt sich der Nutzen hoher Literatur.
Wilson wirbelte mit seiner stürmischen „Untersuchung über die Natur der Krankheit des Menschengeschlechtes um die Mitte des 20. Jahrhunderts“ (so der Untertitel) das englische Bildungsbürgertum durcheinander. Er war Autodidakt, Freigeist, belesen, wütend und frustriert über die frigide, unnötig komplizierte und oberflächliche zivilisierte Gesellschaft. Sein Idealtypus und gleichzeitig die tragische Figur in diesem weltlichen Theater ist „Der Outsider“, den er in allerlei großen Asketen, Schriftstellern und Freigeistern erkennt und der sich „dafür interessiert, wie wir leben sollen, anstatt das Leben einfach so zu nehmen, wie es kommt“. Der Outsider wird sich dieses Kontrastes bewusst, überwindet ihn durch einen „Triumph des Willens“ und findet so zu einem höheren Freiheitsbegriff, gar zu einem Übermenschentum (angelehnt an Nietzsche). Wilson zeigt sich als Vertreter oder gar Vorreiter des Existenzialismus. Dieser wiederum macht uns bewusst, dass wir existieren … und mehr nicht. Alles andere ist frei. Wir existieren frei und unabhängig aller Vorgaben, Verpflichtungen und Regeln. Wir selbst können entscheiden wie und ob wir leben wollen. Die totale Selbstverantwortlichkeit. Hineingeworfen ins Sein, zur Freiheit verdammt. Also mach was draus oder krepier, aber hör auf zu heulen bzw. einfach nur zu funktionieren. Dein Leben existiert, nimm es Dir!
Es wird ein inneres Blumenpflücken, wenn Sie bemerken, dass Ihr Körper, sobald er sich an das Buch auf dem Kopf gewöhnt und seine Mitte gefunden hat, erstaunlich beweglich wird – ohne dass das Buch zu fallen droht.
Willkommen in der Welt des Widerstands, wo zusätzliche Lasten das Leben erleichtern.
Am Widerstand wächst man– das ist eines der wichtigsten Prinzipien der Natur. Jedes Lebewesen verfügt über ein gewisses Potenzial, das sich umso mehr entfaltet, je mehr es herausgefordert wird. So vermag sich ein Lebewesen – im Rahmen seiner genetischen Möglichkeiten – an widrige Umstände anzupassen und darüber zu dominieren. Das ist ein wahres Wunder. Ein Motor, der überlastet wird, gibt den „Geist“ auf und geht kaputt. Ein Lebewesen vermag sich an diese Überlastung anzupassen. Es wächst über sich hinaus, wird stärker, stabiler, größer und mächtiger. Das ist der Nutzen des Widerstands und der Schlüssel zur individuellen Entwicklung.
Wer hätte gedacht, dass ein Buch so viel lehren kann – sogar körperlich. Zu Beginn sitzt man starr wie ein Spießer und traut sich nicht zu atmen, doch mit der Zeit findet der Körper die Balance, wird geschmeidig und man kann sogar tanzen.
Trainieren Sie das so oft wie möglich, mit einem Buch auf dem Kopf, bis es zur Gewohnheit wird – beim Stehen, Gehen, Trinken, Pinkeln und vor allem Sitzen. Sitzen Sie nicht zu tief eingesunken oder weich, neigen Sie das Becken leicht nach vorne und nehmen Sie die natürliche Haltung der Wirbelsäule ein – wie im Stand.
Der beste Tipp fürs Sitzen: Stehen Sie lieber – zumindest regelmäßig auf und gehen Sie ein paar Schritte, am besten mit Buch und in der Öffentlichkeit. Normale Menschen gibt es schon genug und Sie sparen sich den Hut.
Aufrichten im Alltag
Verankern Sie haltungsverbessernde Gewohnheiten: Suchen Sie sich etwas, was Sie oft tun und koppeln Sie diesen Reiz mit dem Einnehmen einer aufrechten Haltung. Richten Sie sich z.B. jedes Mal auf, wenn jemand das Büro betritt, das Telefon klingelt oder Sie auf die Uhr schauen.
Ich erinnere mich beim Schreiben nach jedem Absatz an meine Haltung, beim Lesen nach jedem Kapitel, beim Musikhören bei jedem neuen Lied. Das läuft bereits automatisch. Beim Essen ist es jeder Griff zum Getränk, der mich ermahnt. Während ich mich bewege, ist es bereits so fest in mir verankert, dass die Haltung dauerhaft aufrecht bleibt – etwa beim Gehen, Trainieren oder Schlafwandeln.
Zusätzlich helfen kleine Erinnerungen in Ihrem Umfeld: Basteln Sie sich einen Bildschirmschoner, der jemanden in übertrieben aufrechter Haltung oder mit Verstopfung zeigt – beispielsweise Drill-Instructor Gunnery Sergeant Hartman auf der Suche nach dem 6. Wachbefehl.
Kleben Sie an häufig frequentierte Orte Merkzettel mit der Aufschrift: „HALTUNG! , und nutzen Sie jede spiegelnde Scheibe, um Ihre Haltung zu prüfen. Das mögen andere als Eitelkeit werten. Scheren Sie sich nicht darum. Sie wissen, um was es geht.
Integrieren Sie Freunde und Familie
Gut ist es, wenn Sie Ihre Ziele kommunizieren und vertraute Personen einbinden. Bitten Sie Ihren Partner oder Arbeitskollegen, Sie unermüdlich auf Ihre Haltung anzusprechen, wenn diese zu wünschen übrig lässt. Ködern Sie ihn mit einem spendierten Essen oder Kaffee, wenn er es mehr als fünfmal pro Tag machen muss. So spornen Sie ihn zu besonderer Aufmerksamkeit an und Sie haben einen weiteren – diesmal finanziellen – Reiz, um die Haltung zu bewahren.
Oft lohnen sich gemeinschaftliche Wetten und Spielereien, um konstruktive, aber schwer zu etablierende Verhaltensweisen durchzusetzen. Mit einem Freund hatte ich abgemacht, er dürfe sich erst wieder rasieren, wenn er auf 80kg abgenommen hat. In schwierigen Momenten waren es nur das kratzende Gefühl in seinem Gesicht und die Hoffnung, es bald los zu sein, die ihn davon abhielten, seine Diät zu verletzen. Meist ist es nur eine Frage der Motivation. Erkennen Sie das und spielen Sie damit.
Das Schöne an einer aufrechten Haltung: Sie kostet kaum Energie. Wenn Sie im Stehen, Sitzen und Gehen zur Balance der beteiligten Körperteile gelangen, wird Ihre Haltung mühelos und stabil – wie eine Kathedrale, in der die Kräfte so gut verteilt werden, dass sie zu schweben scheint. Finden Sie diese Position! Sie ist die Voraussetzung zum freien Spiel der inneren Kräfte, schrieb bereits Prof. Oskar Fritz aus Wien in seiner Schrift zur Stimmbildung:
„Die Freiheit schenkt sich nur dem aufrechten Menschen, dem geraden Rücken. Bei ihm schwingen alle Bewegungen aus der in sich ruhenden Leibesmitte, spielerisch leicht, mit größter Nutzwirkung bei geringstem Kraftverbrauch.“
Aufrichten ist Kopfsache
Sitzen Sie gerade? Dann bringen Sie nun alle Körperteile in Balance, so dass Sie mit geringem Energieaufwand aufrecht sitzen können. Das mag ungewohnt erscheinen und bei einer Muskulatur, die aus dem Gleichgewicht geraten ist und deren Faszien verklebt sind, schwer werden. Sie wird lieber der Gewohnheit folgen und das Gerüst Ihrer Knochen verzerren. Kämpfen Sie dagegen an. Bevor es leichter wird, wird es immer erst schwerer. Üben Sie es immer wieder. Ihr Kopf wird Ihnen dabei helfen – denn der Körper folgt der Bewegung des Kopfes. Leider auch zu Ihrem Nachteil.
Wenn Sie aufrecht sitzen und den Kopf nach vorne bewegen, auf den Bildschirm, das Buch oder die Boulette zu, was geschieht dann? Der Nacken wird bucklig, die Schultern folgen, die Brustwirbelsäule rundet ein, die Lendenwirbelsäule wird ebenfalls schwach und das Becken kippt nach hinten – und schon haben wir eine schlechte, ungesunde Haltung, die eher begriffsstutzig als erhaben erscheint. In Fachkreisen spricht man von der sog. HÄ?-Haltung.
Achten Sie stets auf die Haltung Ihres Kopfes. Er bestimmt Ihre Haltung insgesamt. Erheben Sie diese Krone der Evolution und geben Sie ihr die majestätische Haltung, die sie verdient hat. Kopf hoch – und nach hinten bewegen, so dass er sich genau über dem Becken befindet. Das richtet Ihre Wirbelsäule auf und etabliert eine würdevolle Haltung.
Wenn Sie lesen, essen, schreiben oder streiten, dann lassen Sie sich nicht davon erniedrigen. Bleiben Sie aufrecht. Gehen Sie entweder mit dem ganzen Körper näher heran oder holen Sie sich das Gegenüber auf Augenhöhe und führen Sie gefälligst die Gabel zum Mund, nicht den Mund zur Gabel – sonst gibt’s keinen Nachtisch.
Lassen Sie beim Lesen das Buch oder die Zeitung nicht im Schoß liegen. Das führt wieder zu einer schlechten Haltung – besonders in Kombination mit einer nachlassenden Sehfähigkeit. Erwägen Sie im Bedarfsfall eine Lesebrille zu nutzen. Sie werden überrascht sein, wie klar die Welt sein kann. Vieraugen lesen mehr als zwei.
Stellen Sie Ihren Bildschirm auf eine Erhöhung oder den Schreibtisch insgesamt höher. Wenn Sie schon sitzen, dann lassen Sie sich nicht auch noch gehen. Zu weiche Sitzmöbel sind eine Krankheit. Die kuschelige Erniedrigung des Menschen – vom Schweinehund für den Schweinehund, auf Kosten der Würde und Gesundheit.
Rückenschmerzen sind Volkskrankheit Numero Uno. Was das alles kostet, nur weil wir nicht Herr im Haus sind und uns vom Schweinehund, dem getriebenen Tier verbiegen lassen, statt ihn zu dominieren – angeblich 20 Milliarden Euro sollen allein in Deutschland jährlich dem krummen Buckel geschuldet sein. Aber das ist nur eine Statistik. Zu abstrakt, um sie zu fühlen. Wissen allein schmerzt nicht. Wenn Sie selbst betroffen sind, werden Sie fühlen, was es bedeutet.
Exkurs zum Schweinehund und seinen Finanzen:
Tatsächlich entstehen die meisten Gesundheitskosten dadurch, dass unsere Triebe wollen, was früher einmal gut war, heute aber schlecht ist, weil unser Körper genetisch bedingt auf dem Stand der Steinzeit ist, aber in der Moderne lebt.
Vor 10.000 Jahren überlebte, wer die raren, vitamingeladenen Früchte, konzentrierte Energie in Form von Fetten und das kostbare, aber seltene Salz aufstöberte und sich einverleibte. Wer dabei besonders erfolgreich war, überlebte und pflanzte sich fort. Im Laufe der Generationen entwickelten wir immer stärkere Triebe nach Süßem, Fettigem und Salzigem – gepaart mit einem großen Hang zur Faulheit, um nicht unnötig Energie zu verschwenden.
Die Gene der Natur entwickeln sich aber nicht so schnell weiter wie „Meme“ – das sind die Ideen, Konzepte und Errungenschaften unserer Kultur. Gene sind Schnecken, Meme Karnickel. Während die Gene seit der Steinzeit kaum voran gekommen sind, revolutionierte sich unsere Kultur mit einer rasenden Geschwindigkeit – im Stillen angetrieben von unseren Genen. Die Schnecken sattelten auf den Karnickeln auf und lenkten sie in eine Welt scheinbarer Erfüllung, doch sie trieben es zu weit.
Triebe kennen keine Grenze, sie sind pures Wollen. Zu viel ist nicht genug. So landeten beide in einem Meer aus Zucker, Salz, Fett und Faulheit. Werter Leser, werfen Sie eine Schnecke in eine solche Suppe und Sie werden im Zeitraffer erleben, was heute schleichend mit unserem Körper geschieht.
Wir wurden zu einer Gesellschaft, in der wir Süßes, Fettiges, Salziges zur Massenware machten und sich das Recht auf Faulheit etablierte. Aus dem einstigen Superhund, der uns überleben ließ, wurde der fette, diabetische Schweinehund mit Bluthochdruck, Bandscheibendurchfall, Degeneration, Depression, Karies und Cholesterinverstopfung. Der Wegbereiter zur Trägheit und somit auch zur Trivialität. Legen Sie ihn besser an die Leine.
Steigern Sie Ihr Stehvermögen
Wenn Sie den ganzen Tag am Rechner arbeiten, dann nutzen Sie ihn an einem hohen Tisch und stehen Sie dabei. Ich selbst arbeite auch an einem Stehpult. Das verführt nicht zu endlosem Surfen im Internet, aktiviert den Stoffwechsel, ist der Haltung zuträglicher und somit gesünder für Körper und Geist. Sie werden überrascht sein, wie viel das ausmacht. Sitzen ist tatsächlich eine Art Zivilisationskrankheit. Sitzen kann tödlich sein.
In dem Ausmaß, wie wir es betreiben, ist Sitzen absolut unnatürlich. Viele von uns verbringen über 20 Stunden am Tag im Sitzen oder Liegen. Unser Körper ist nicht dafür geschaffen und deswegen macht ihn dieser Lebensstil krank. Wie ein ungenutzter Computer geht er in den Dämmerzustand über und verkümmert bzw. verfettet. Wir werden schwächlich, vermögen nicht einmal mehr unser eigenes Gerippe aufrecht zu halten und verlieren dadurch auch die innere, mentale Stabilität. Die Knochendichte schrumpft, die Faszien verfilzen und die Gelenke rosten. Gleichzeitig wächst unser Unterhautfettgewebe, ebenso wie das sog. Viszeralfett und die Aterien verstopfen.
Viszeralfett – nicht greifbar, aber gefährlich
Das lateinische „viscera“ bezieht sich auf die Eingeweide, also unsere Organe in der Bauchhöhle. Das Viszeralfett ist somit das Fett, dass sich hier ansammelt und die Organe umhüllt. Es äußert sich zunehmend in einer Vorwölbung des Bauches und wirkt stark entzündlich. Viele Zivilisationskrankheiten wie Arteriosklerose, Herzinfarkt und Schlaganfall, aber auch Krebs oder Alzheimer werden durch ein Zuviel an Viszeralfett provoziert.
Wie angedeutet leidet auch der Geist unter so viel Passivität. Die Gedanken sind nicht einfach frei – sie sind untrennbar an unsere körperliche Situation gekoppelt. Stellen Sie sich immer vor, wie ihr Verhalten sich auf einen Steinzeitmenschen ausgewirkt hätte bzw. welchen geistigen Zustand solch ein Verhalten bedingen würde. Ein Steinzeitmensch, der den Tag über hauptsächlich sitzend bzw. liegend verbringen würde, wäre eine Last für die Sippe, er wäre wohl krank, invalide oder einfach nur ein Schmarotzer. Die damit zusammenhängende innere Einstellung aktiviert sich in jedem von uns, wenn wir uns ebenso verhalten – selbst wenn wir geistig aktiv am Rechner arbeiten, doch das dringt nicht zu unserem Körper durch, denn unsere Gene kennen keine Computer. Sie kennen nur körperliche Aktivität und Passivität. Also erkennen Sie, wes Geistes Kind Sie sein wollen und dann imitieren Sie auch den zugehörigen Lebenswandel. Wollen Sie stark, griffig, geschmeidig, agil und aggressiv sein?
Dann leben Sie auch so!
Darf es ein bisschen mehr Aggressivität sein?
Aggressivität ist nichts Schlechtes. Aus dem Lateinischen übertragen bedeutet es soviel wie: angreifen, ergreifen, die Dinge in die Hand nehmen.
Dies ist eine charakterliche Fähigkeit, die unabdingbar für jeden ist, der sein Leben selbst leben will, nach eigenen Zielen und Prinzipien. Wer nicht aggressiv – in diesem Sinn – ist, der wird eher gelebt und ist eine Marionette der Erwartungen anderer. Stephen R. Covey beschreibt diesen Aspekt in seinem Bestseller Die 7 Wege zur Effektivität als erstes und somit grundlegendstes Prinzip für einen aufrichtigen und selbstbestimmten Charakter. Er bezeichnet es – netter formuliert – als „Pro-Aktivität“.
Auch hier wird Ihnen bewusst, dass das Thema „Aufrichten“ ebenso wie alle anderen dieses Buches kein rein körperliches ist – es ist auch und vor allem eines für den Charakter. Der Charakter ist das Eichmaß eines zivilisierten Menschen, der einzig wahre Reichtum, den er – den jeder – sich erarbeiten kann, unabhängig aller äußeren Umstände. Das, verehrter Leser, gilt auch im athletischen Bereich, in dem weit mehr als nur die reine Leistung zählt. Bitte merken Sie sich: Ein überragender Sportler ist immer nur der Charaktersportler!
Vom Moskito zur Erleuchtung – und warum es dieses Buch gibt
Wenn Sie den Anspruch erhöhen und doch nicht stehen wollen, danngehen Sie eine Etage tiefer und besetzen Sie den Boden. Üben Sie die Varianten von Lotus-, Schneider- und Fersensitz.
Der Boden hilft uns, denn er ist hart zu uns. Er zwingt uns zu einer aufrechten und erhabenen Haltung und erniedrigt jeden, der sie nicht schafft. Wunderbares Feedback, das anhaltend zum Aufrichten mahnt. Lesen, Essen, Meditieren, Fernsehen und Stricken sie so. Es lohnt sich – zumindest habe ich damit wunderbare Erfahrungen gemacht.
Ich meditierte nicht nur im buddhistischen Kloster, sondern summte auch Mantras im Ashram. Ja, selbst tief im Dschungel war ich auf dem Pfad zur Erleuchtung. Leider smste mich knapp davor ein Moskito an, ließ sich auf mir nieder und in mir den Zweifel keimen, ob innerer Friede auch vor Dengue-Fieber schützt. Mit einem freundschaftlichen Knuff beförderte ich den Moskito ins Nirwana (oder ein neues Leben, je nachdem, wie es um sein Karma-Konto bestellt war). Vermutlich habe ich damit einen guten Eindruck hinterlassen. Zwei der strahlenden Amazonen, die im formvollendeten Lotussitz vor mir schwebten, bedankten sich mit feurigem Blick, verschwanden aber gleich wieder im Jenseits – noch bevor ich fragen konnte, ob sie öfter hier sind (also in der Realität).
In diesem Moment in der Wildnis bei 34° und einer Luftfeuchtigkeit, die schwebendem Regen gleicht, wurde mir klar, wie erhaben eine solch makellose Haltung zu wirken vermag – besonders im Lotus – sitz. Wie schön und kraftvoll ein Wesen zu strahlen vermag, das sei nen Körper beherrscht und innerlich ruht.
Eine Symphonie von Körper und Geist, bei der sich das Haupt lichtwärts gen Himmel hebt und der Körper sich fest mit der Erde verwebt. Welch überirdisches Gewächs zwischen all den anderen Blumen. Eins mit sich und der Natur. Erhaben wie eine Königin, großherzig wie eine Großmutter, verlockend wie ein Engel. Unfassbar wie Wasser.
Ohne es zu merken, hatte ich meine eigene kleine Erleuchtung, mitten im Diesseits des Dschungels. Einen Moment vollkommener Ruhe, innerer Klarheit und frei von Zweifel. Die gesamte Situation, die innere Erkenntnis, das äußere Vorbild, der Dschungel um mich herum und das Meer am Horizont, all das konzentriert sich in diesem Moment, dringt wie Licht durch das Dickicht tief in mich ein, explodiert dort mit voller Kraft und vernichtet das innere Chaos. Das Ich war hin und weg – statt nur dabei.
Welch heiliger Moment, wenn der Hammer der Gewissheit das gläserne Selbstbild küsst und dem Streben die Freiheit gibt. Bis in die letzte Faser meines Körpers durchströmte mich die Erkenntnis, dass meine Reise zum Mittelpunkt des menschlichen Potenzials erst begonnen hat. Wahrlich, wir Menschen sind nur ein Schatten dessen, was wir sein könnten. Vollkommenheit ist selten, man kann das ganze Leben danach streben – es wäre nicht vergebens. Solche Momente, an denen man Teil von etwas Größerem wird, es einem die Sprache verschlägt, alles Nichtige von einem abfällt und man nur noch mit offenem Herzen da steht, sind unersetzlich zur Selbstfindung und -überwindung.
Man kann auch zu Hause sitzen, zwischen all den Nichtigkeiten und über so etwas nachdenken – das habe ich jahrelang getan –, aber das ist nur fade Fassade.
Erst als ich am anderen Ende der Welt und fern der Zivilisation darüber meditierte, wie andere meditieren, die es seit Monaten täglich stundenlang praktizieren, vollzog ich eine innere Wandlung. Abstand ist wertvoll. Denken ist schwach. Wesentliches muss man leibhaftig erleben oder es wird einen nie bewegen und manchmal muss man in den Dschungel, um besonders kultivierte Menschen zu treffen und um zu verstehen, dass daheim in der Stadt, die wahren Wilden, die getriebenen Unbeherrschten herumwuseln. Deshalb beschloss ich, nicht nur härter an mir selbst zu arbeiten, sondern auch ein Buch darüber zu schreiben – dieses Buch.
Wenn es nur einem Menschen dazu verhilft, ein beherrschteres Leben zu führen oder gar einen solch erhabenen Moment zu erleben, dann hat es seinen Sinn erfüllt.
Es heißt, ein Schmetterling könne einen Wirbelsturm verursachen. Eine schöne Theorie. Fakt ist, dass ein Moskito ein Buch verursachen kann. (Und dass Amazonen besonders offen sein können, wenn sie gerade ein einwöchiges Tantra-Seminar hinter sich haben.)
Aber zurück vom Schwitzen zum Sitzen: Ich bin mir sicher, dass simples Sitzen auf dem Boden ein guter Weg zu Erhabenheit, Gesundheit und Selbstüberwindung ist. Nirgendwo sonst sitzt und atmet man besser, geerdeter, aufrechter, ausgeglichener, stabiler und fließt die Energie besser. Probieren Sie es aus – z.B. ganz profan beim Fernsehen. Nicht umsonst thronen Millionen Yogis, Mönche, Schneider – und viele mehr, die sich der Diktatur der Möbel widersetzen und Stuhl für Stuhl halten – auf diese Weise.
Namaste !
Beim Training
Achten Sie auch bei den noch folgenden Übungen auf eine tadellose Haltung. Wie man trainiert, so wird man sich entwickeln. Soll heißen: Sie werden stets mindestens nur das herausholen, was Sie auch investieren. Je besser Sie das Aufrichten und auch die folgenden Schritte von Body Basics in Ihr Training integrieren, desto größer wird Ihr Erfolg sein. Dabei sind die einzelnen Schritte leicht verständlich. Sie erscheinen so leicht, dass sie meist als selbstverständlich genommen, übergangen und kaum bedacht werden. So beginnen viele Athleten ihre sportliche Karriere auf wackeligen Beinen. Demut ist nicht gerade eine unserer Tugenden. Doch die Wahrheit ist: Es ist schwer, das Leichte umzusetzen.
Haben Sie Geduld und widmen Sie sich den fünf Schritten der Körperbeherrschung. Stärken Sie, was Körper und Geist zusammenschweißt – umso stabiler werden Sie sowie Ihre Gesundheit und Leistungsfähigkeit. Die beiden wichtigsten Punkte für mehr Stabilität beim Aufrichten:
1 Rücken und Hals gerade halten
2 Becken und Schultergürtel parallel zueinander halten
Das ist alles. Die Grundschule der Haltungsstabilität. Erst sollten Sie diese beiden Prinzipien wahren lernen, dann können Sie sich bewegen und den Körper bewusst biegen, beugen und verdrehen.
Klingt leicht, ist es aber nicht. Mit dem steigenden Schwierigkeitsgrad der noch folgenden Übungen werden diese simplen Ansprüche Sie schnell an Ihre Grenzen führen – die Sie mit regelmäßigem Training überwinden können.
Je intensiver Sie trainieren, desto stärker wird Ihre Stabilität, desto leichter werden Sie Haltung bewahren und desto eleganter werden Ihre Bewegungen.
Nur beständige Mühe führt zur Mühelosigkeit.
Tipps zum Aufrichten
• Das kleine Aufrichten: Kopf hoch! Der Körper folgt.
• Feedback: Achten Sie auf den unteren Rücken! Rundet er ein, bricht die Knochenkathedrale zusammen. Zeit zum Aufrichten und Ausbalancieren.
• Verankern Sie gut sichtbare Hinweise, die Sie an Ihre Haltung erinnern.
• Halsgeschmeidigkeit: mit dem Kopf in vollem Umfang, langsam und kontrolliert verneinen, bejahen und abwägen/neigen; evtl. auch Kreisen, aber achtgeben, vielleicht sind sie eher der knackige Typ.
• Beckenwippen: Wippen Sie bei längerem Sitzen immer mal wieder mit dem Becken, um die Lendenwirbelsäule atmen zu lassen. Vor, zurück, vor, zurück usw. – mit zunehmendem Bewegungsumfang.
• Beckenkreisen: Ebenso lohnt sich dies mit Kreisbewegungen. Tanzen Sie von der einen auf die andere Backe. Finden Sie zu Balance und Geschmeidigkeit zurück. (Und überlegen Sie sich eine gute Erklärung falls Ihre Kollegen schauen, als würden Sie Bauchtanz üben).
• Auf dem Boden sitzen und Haltung bewahren.
• Spätestens wenn der Körper im Bürostuhl unruhig wird und Sie die Bindung verlieren, sollten Sie aufstehen und sich bewegen, um in ihn zurück zu finden.
• Sitzen ist eine Zivilisationskrankheit. Stehen, Gehen und Tänzeln Sie durch Ihr Leben. Körper und Geist werden es Ihnen danken.
• Lernen Sie von Hund, Kobra und Katz: Kompensieren Sie zusammengesunkene, gebeugte Haltung mit einer Überstreckung. Hängen Sie sich an eine Klimmzugstange, nehmen Sie die Kobra oder den nach oben schauenden Hund ein oder legen Sie die Hände ans Becken und strecken Sie den gesamten Körper mitsamt Kopf nach hinten oben durch.
• Gehen Sie es spielerisch an. Eine gute Haltung ist geschmeidig und entsteht durch Balance – nicht durch Zwang und Krampf.
• Wenn es Ihnen weiterhin schwer fällt, die Haltung zu bewahren, dann halten Sie stets mein Buch parat … und legen Sie es sich auf den Kopf. Das hilft auf jeden Fall und ich habe meinen Anspruch erfüllt, dass es sich um ein praktisches Werk handelt.
„Der heutige Mensch ist überspannt, da er sich durch Druck und Zwang und Krampf selbst behindert.
Er besitzt nicht das richtige Sitzen und versteht nicht das richtige Stehen.
Daher ist seine Stimme behindert, seine Stimmung ist schlecht, seine Bestimmung gestört.
Wie soll er da seinen Beruf erfüllen können?“
OSKAR FRITZ