Читать книгу St. Petersburg. Eine Stadt in Biographien - Christiane Bauermeister - Страница 10
ОглавлениеKATHARINA DIE GROSSE
1729–1796
Die Prinzessin aus Deutschland war eine kluge und leidenschaftliche Frau, gebildete Kunstsammlerin und große Zarin. Eine würdige Nachfolgerin Peter des Großen. Sie starb nach einem Lachanfall …
Ihr Kindheitstraum, einmal Königin zu werden, wurde belächelt, denn ihre Herkunft war viel zu unbedeutend. Als knapp 15-Jährige betrat sie im Februar 1744 die Petersburger Bühne, und die gehörte ihr bis zum Ende des Jahrhunderts: Katharina die Große, Tochter eines deutschen Kleinfürsten. Wie konnte es dazu kommen?
20 Jahre hatte die Tochter Peter des Großen, Zarin Elisabeth, Russland beherrscht. Weil sie kinderlos blieb, adoptierte sie den Sohn ihrer Schwester Anna, Peter Herzog von Holstein-Gottorp. Diese war nach der Geburt Peters an Schwindsucht gestorben. Doch er erwies sich als Enttäuschung: Infantil, ungebildet und gewalttätig soll er gewesen sein. Eine Heirat sollte die Rettung bringen. Auf Rat von Friedrich II. ließ Elisabeth eine unbedeutende deutsche Prinzessin nach Petersburg kommen. Sophie von Anhalt-Zerbst, Tochter eines preußischen Gouverneurs aus Stettin, wurde Peter, dem Neffen der Zarin Elisabeth, zur Frau gegeben und russisch-orthodox auf den Namen Katharina getauft.
Es war eine seltsame Ehe. Dem Gemahl, der sich im Bett lieber mit seinen Spielzeugsoldaten vergnügte und in den Nächten mit seinen Lakaien dem Wodka frönte, waren die körperlichen Reize seiner hübschen Frau aus Deutschland ziemlich egal. Und die strebte Höheres an: 17 Jahre lang, bis zu Elisabeths Tod, lernte sie nicht nur fleißig Russisch, sondern schaffte es auch, ihre Position am Hofe zu festigen. An der Zuneigung ihres infantilen Gatten lag ihr nichts, umso mehr an der russischen Krone. Als sie 1754 Großfürst Paul geboren hatte, stieg ihr Einfluss bei Hofe, obgleich Peters Vaterschaft stets angezweifelt wurde, wohl auch zu Recht: Wahrscheinlich war der Kammerherr Sergej Saltikow der Erzeuger. Und bei ihrer Tochter Anna, die 1757 zur Welt kam, wird die Vaterschaft dem polnischen Adligen und späteren König von Polen, Stanislaw II. August Poniatowski, zugeordnet. Beide Kinder wurden Katharina entzogen, sie wuchsen unter der Obhut von Zarin Elisabeth auf. Als diese 1761 nach einem Herzanfall starb, wurde ihr Neffe Peter, der Ehemann Katharinas, neuer Zar. Er schaffte es in kürzester Zeit, Volk und Adel gegen sich aufzubringen: mit seiner strikten Missachtung der Trauerzeit für die beliebte Zarin, seiner Verehrung für König Friedrich II. und einem Sonderfrieden mit Preußen, der den Siebenjährigen Krieg beendete.
So war es für die entschlossene Katharina relativ leicht, die Absetzung ihres Mannes Peter III. zu betreiben und sich am 9. Juli 1762 mit Unterstützung der Garde und hoher Würdenträger als Zarin Katharina II. ausrufen zu lassen. Maßgeblich an der Palastrevolution beteiligt waren der Geliebte Katharinas, Grigori Orlow, und seine Brüder. Friedrich der Große kommentierte die Absetzung des Zaren in seinen Memoiren so: »Er ließ sich entthronen wie ein Kind, das man zu Bett schickt.«
In der Kasaner Kathedrale 13 ( ▶ E 5) wurde Katharina in einem feierlichen Gottesdienst zur Kaiserin gekrönt und ihr Sohn als Nachfolger ernannt. Peter, der nur sechs Monate lang regierte, unterzeichnete die Abdankungsurkunde und fiel nur wenige Tage später einer »akuten Kolik« zum Opfer. In Wahrheit gestand Orlow der Zarin, dass man ihren Mann umgebracht habe.
»Ihre Eitelkeit ist ihr Götze; um Russlands Wohl kümmert sie sich ebensowenig wie ich«, bemerkte Kaiser Joseph II. Die Zarin lechzte nach Ruhm und wollte als ebenbürtige Nachfolgerin Peters des Großen gelten. In Petersburg sagt man, Katharina habe Petersburg hölzern empfangen und steinern zurückgelassen. In einem Brief an Friedrich Melchior von Grimm schrieb sie: »Sie wissen, dass die Bauwut hier schlimmer tobt denn je, und kein Erdbeben hätte mehr Häuser zerstören können, als wir errichten. Das Bauen ist eine Krankheit wie die Trunksucht.« Die Fragmente, die Peter der Große hinterlassen hatte, fügte Katharina zusammen. Heute wird sie als zweite Erbauerin der Stadt gesehen. Sie war beeindruckt von der Antike und beauftragte den italienischen Architekten Giacomo Quarenghi, St. Petersburg ein antik-römisches Gepräge zu verleihen. Zum Ende des 18. Jahrhunderts fanden sich überall in der Stadt Säulen, Pilaster und Kapitelle.
KATHARINA UND DIE KUNST
Die Bauwut wurde ergänzt durch ihren Sammelwahn. Katharina ließ in 30 Jahren über 3000 Gemälde nach Petersburg schaffen. Darunter Werke von van Dyck, Rubens, Raffael, Tizian, Watteau, Tintoretto und Veronese. So legte sie den Grundstock für das wohl größte Museum der Welt: die Eremitage 8 ( ▶ D 3). Ihre Berater waren die in Europa bekannten Kunstkenner Denis Diderot, Étienne Falconet und Friedrich Melchior von Grimm. Schon im zweiten Jahr der Regentschaft gelang ihr ein großer Coup: Sie konnte 225 Gemälde aus der Sammlung des Berliner Kaufmanns Johann Ernst Gotzkowsky erwerben. Darunter waren 13 Werke von Rembrandt, elf von Rubens, fünf von van Dyck, drei von Hals, zwei von Raffael, zwei von Holbein und eines von Tizian. Für diese Prachtstücke ließ sie 1764 an der zur Newa ( ▶ A 1, 4/5–K 1) gewandten Seite des Winterpalastes die Kleine Eremitage und die Alte Eremitage anbauen. Wenn sie ihre Kunstwerke betrachtete, soll sie jedoch geklagt haben: »Nur ich und die Mäuse können diese Herrlichkeiten bewundern.« Heute hätte sie ihre Freude, denn ein ununterbrochener Besucherstrom zieht durch die Säle der weltberühmten Eremitage.
Katharina trug entscheidend zum russischen Selbstwertgefühl bei. So schrieb der Historiker Wassili Kljutschewski, dass sich dank Katharina die gebildeten Russen »überhaupt erst als Menschen, sehr bald aber auch als die ersten Menschen von Europa gefühlt haben«. Die Monarchin integrierte Russland in die politische und kulturelle Landschaft Europas, festigte den Zentralstaat und verstärkte die Fundamente einer Großmacht. Katharina herrschte – als sie auf den Thron kam – über 20 Millionen Untertanen. Kurz vor ihrem Tod waren es 36 Millionen. Militärische Triumphe kostete sie mit besonderer Wonne aus: »Wenn ich noch 200 Jahre regierte, würde schließlich ganz Europa dem russischen Zepter unterworfen sein«, kommentierte sie.
Während russische Soldaten den Osten eroberten und den asiatischen Steppenvölkern russische Kultur aufzwangen, erbauten Katharinas Architekten in Zarskoje Selo, dem Zarendorf südlich von Petersburg, chinesische Pagoden und orientalische Grotten. Katharina mochte von allen Sommerresidenzen Zarskoje Selo am meisten. Für ihren Lieblingsenkel Alexander I. ließ Katharina den klassizistischen Alexanderpalast von Quarenghi – sein Meisterwerk – errichten. Während im 18. Jahrhundert das Katharinenschloss die Hauptresidenz des Zaren war, verlagerte sich der Schwerpunkt im 19. Jahrhundert auf den Alexanderpalast. Alexander I. nahm wie sein Vater Paul und die nachfolgenden Zaren eine deutsche Prinzessin zur Frau. Seiner Großmutter setzte er am Newski Prospekt vor dem nach ihm benannten Theater im Katharinen-Park ein Denkmal 14 ( ▶ G 5): eine ältere Dame im Reifrock, unter deren Rocksaum sich berühmte Zeitgenossen drängen. Auch wenn dieses Denkmal in keiner Weise dem Format der Herrscherin gerecht wird, ist es dennoch bei den Petersburgern sehr beliebt. Sie nennen das Monument zärtlich »Katjkin«.
Katharina unternahm auch den Versuch, »meine eigenen Vorstellungen hinsichtlich des russischen Volkes zu verfolgen, damit es mich gegebenen Falles als den Retter der Nation betrachte«. Sie wollte Verwaltung und Gesetzgebung reformieren. Doch als es um die Privilegien des Adels und der Geistlichkeit ging und um die Abschaffung der Leibeigenschaft, stockten die Reformen. Ihre Ideale scheiterten an der russischen Wirklichkeit. Hatte sie zuvor noch gesagt: »Es gereicht Russland vor der ganzen Welt nicht zum Ruhme, wenn man die Bauern als rechtloses Vieh betrachte«, so reichte nun ihr Mut nicht zur Umsetzung.
95 Prozent ihrer Untertanen waren Leibeigene. Aus den Abgaben der Dorfbevölkerung bestritt die Aristokratie ihre luxuriöse Existenz. Während sie den Ideen der Aufklärung zugetan war, mit Diderot und Voltaire im Briefwechsel stand, Hof- und Leibeigenentheater bauen ließ und sich mit staatsphilosophischen Salongesprächen die Zeit vertrieb, bereiteten die untersten Schichten einen Aufstand vor. Heer und Polizei griffen gnadenlos durch, so beim Pugatschow-Aufstand 1774. Die alte Ordnung wurde gefestigt, die Privilegien des Adels erweitert.
KATHARINA UND IHRE LIEBHABER
Katharina II. liebte Männer. Mindestens 17 Liebhaber belohnte sie reichlich: mit Schlössern, Titeln und Macht. Die große Liebe traf sie 1773 mit Grigori Potjomkin, der ihr angeblich mit leeren Kulissen den Bau der »Potjomkinschen Dörfer« vorgegaukelt hat. Potjomkin war Generalleutnant im Heer, hatte es im Krieg gegen die Türken zu Ruhm gebracht, war gebildet und zehn Jahre jünger als die damals 45-Jährige. In einem Brief an ihn schrieb sie: »Hätte ich einen Gatten gehabt, den ich hätte lieben können, wäre ich ihm mein Leben lang treu geblieben, denn ich habe keine Neigung zur Ausschweifung.«
Nach Potjomkin folgten weitere Affären mit Männern, die immer jünger wurden. Die Schriftstellerin Gina Kaus (1893–1985) beschreibt in ihrem biographischen Roman »Katharina die Große« diese Erscheinung am russischen Hofe: »Die russischen Zarinnen haben ihre Wremientschiks, wie die französischen Könige ihre Mätressen haben, beides sind Auswirkungen der schrankenlosen Macht und der aufgelockerten Moral des achtzehnten Jahrhunderts.«
In den letzten Jahren ihres Lebens wurde der 40 Jahre jüngere Platon Subow ihr Geliebter. In seinen Armen starb Katharina 1796 an einem Gehirnschlag, vermutlich ausgelöst durch einen Lachanfall. Ihr Sarkophag aus weißem Marmor in der Peter-und-Paul-Kathedrale auf dem Gelände der Peter-und-Paul-Festung 23 ( ▶ D 1) wird von frischen Blumen geschmückt.
Dworzowaja Nab. 32–36, Zentrum
▶ Metro: Newski Pr.
Kasankaja Pl. 2, Zentrum
▶ Metro: Newski Pr.
Katharinen-Park
Newski Pr./Pl. Ostrowskowo, Zentrum
▶ Metro: Newski Pr.
KATHARINENPALAST
Sadowaja Ul. 7, Puschkin (Zarskoje Selo)
▶ Elektritschka: Detskoje Selo
25 km südlich von St. Petersburg
PETER-UND-PAUL-FESTUNG 23 ▶ D 1
Grab von Katharina der Großen
Troizkaja Pl., Petrograder Seite
▶ Metro: Gorkowskaja