Читать книгу St. Petersburg. Eine Stadt in Biographien - Christiane Bauermeister - Страница 8

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BARTOLOMEO RASTRELLI

1700–1771

Auf den Lieblingsarchitekten der Zarin Elisabeth I. geht der »Petersburger Barock« zurück – Prachtbauten wie das Smolny-Kloster, der Katharinenpalast und das Winterpalais sind einzigartig auf der Welt.

Es ist Zeit,/mit Kugeln/Museumswände zu böllern./Und Raffael ist vergessen?/Auch Rastrelli nicht erschossen?/Den Weißgardisten/findet ihr hier./Schnell an das Wändchen!« »Rastrel« heißt auf Deutsch: Erschießung. Und mit dem Erschießen hatte es das futuristische Großmaul, der Dichter Wladimir Majakowski. Bis er sich 1930 dann selbst erschoss. Nach der Oktoberrevolution waren ihm und seinen Freunden die prachtvollen und verschwenderisch ausgestatteten Prachtbauten Rastrellis ein Dorn im Auge, denn sie symbolisierten die Herrschaft des verhassten Zaren, der verhassten Aristokratie, des verhassten Klerus. Nach Meinung der proletarischen Revolutionäre gehörten sie alle an die Wand gestellt.

Es war der kaiserliche Hof- und Lieblingsarchitekt der Zarin Elisabeth I., Francesco Bartolomeo Rastrelli, der der Stadt das »türkisblau-weiße« Antlitz verliehen hat, das fortan als »Petersburger Barock« bezeichnet werden sollte. Andrei Bely schwärmt in seinem Roman »Petersburg« von »azurnen Mauern in einem Schwarm weißer Säulen«. Unter Rastrellis Leitung entstanden in der jungen Metropole Bauwerke, die höchste Aufmerksamkeit erregten. Mit dem Katharinenpalast in Zarskoje Selo, dem Smolny-Kloster und dem Winterpalast, heute Teil der Eremitage 8 (D 3), steht St. Petersburg in einer kulturellen Reihe mit den Baudenkmälern westeuropäischer Städte wie Paris oder London. Die Besonderheiten an Rastrellis Werken ergeben sich aus der Mischung von altrussischen Formen und Traditionen mit den Stilelementen des europäischen Barock. Das von ihm benutzte Gold kontrastierte er gern mit kühlen Farben, setzte Licht- und Schatteneffekte ein und spielte mit den Spiegelbildern seiner Bauten in den Flüssen und Kanälen der Stadt. Der Traum Peters des Großen von einer »Kapitale in einem Guss« scheint durch Rastrellis Bauten verwirklicht.

Bartolomeo Rastrelli wurde 1700 in Paris geboren. Sein Vater, der Bildhauer Carlo Rastrelli aus Florenz, war ein bekannter Künstler und entwarf Skulpturen für den Hof des Sonnenkönigs Ludwig XIV. Carlo Rastrellis Ruf drang bis zu Zar Peter I., der ihn und seinen Sohn 1715 nach St. Petersburg einlud.

ZUNÄCHST BAUT ER FÜR DEN GELIEBTEN DER ZARIN

Peter schickt Francesco erst einmal auf Reisen. In Italien soll er lernen, was es mit der Antike und der Renaissance auf sich hat. Zwei Jahre später kehrt er nach St. Petersburg zurück und wird unter der Zarin Anna Iwanowna zum Hofarchitekten ernannt, für ein Jahresgehalt von 1200 Goldrubeln zuzüglich einer Wohnung mit Personal. Für diese Zarin baut Rastrelli aber nicht in St. Petersburg, sondern plant im Kurland für den Favoriten Annas, den baltischen Herzog Ernst Johann von Biron, unter anderem ein Schloss.

Durch eine Palastrevolution mithilfe ihrer ergebenen Leibgarde kommt Elisabeth I. am 25. November 1741 auf den russischen Thron. Als Tochter von Zar Peter dem Großen fühlt sie sich als die legitime Erbin. Sie ist lebenslustig und allen Vergnügungen zugetan. In Zarskoje Selo bewohnt sie zwar noch den bescheidenen Palast, den ihre Mutter Katharina I. hatte bauen lassen. Doch schon bald wird dieser einem barocken Prunkbau von Rastrelli weichen, den sie in Erinnerung an ihre Mutter Katharinenpalast nennt. Berüchtigt sind ihre ausschweifenden Abendgesellschaften, die oft bis in die Morgenstunden dauern und mit einem üppigen Frühstück enden. Wer die Festivität vorzeitig verlässt, wird von der Zarin eigenhändig gezüchtigt.

Elisabeths Hang zum Luxus ist legendär. Die spätere Zarin Katharina II., die Große, wird in ihren Memoiren bemerken, dass bei einem Brand im Moskauer Annenhof an die 4000 Kleider der Kaiserin in Flammen aufgingen. Nur in die Baugeschehen greift Elisabeth wegen ihrer mangelnden Bildung nie ein, sie vertraut ihrem Hofarchitekten Rastrelli. Dem wird 1742 erst das Gehalt verdoppelt, dann wird er mit der Umgestaltung des Winterpalais, des Katharinenpalasts in Zarskoje Selo, dem Ausbau der Residenz in Peterhof und mit dem Bau des Smolny-Klosters beauftragt.

Dass das Bauen im sumpfigen Delta der Newa (A 1, 4/5–K 1) Schwierigkeiten mit sich bringt, dass man dem rauen Klima und dem Hochwasser trotzen muss, damit hatte Bartolomeo Rastrelli durchaus gerechnet. Dass aber die entsprechende Behörde, die Baukanzlei, die noch von Peter I. gegründet worden war, ihm Steine in den Weg legen würde, das hat er nicht für möglich gehalten. Die Baukanzlei begegnet dem »inostrannye«, dem Fremden, mit tiefem Misstrauen. Sie kürzt ihm die Zahl der benötigten Handwerker und weist ihm minderqualifiziertes Personal zu. Wegen der ständigen Reibereien beschwert sich Rastrelli schließlich bei Hofe. Elisabeth interveniert und ebnet ihrem Hofarchitekten den Weg zur aufwendigen Gestaltung des Winterpalais, koste es, was es wolle.

Als »Repräsentant der zaristischen Herrschaft« solle ein neues Winterpalais an der Newa erbaut werden, »zum alleinigen Ruhm des allrussischen Imperiums«, rechtfertigt Elisabeth ihre Pläne. Aber sie benötigt weitere Gelder für den Luxusbau, und die Kassen sind leer. Doch was kümmern Elisabeth die Staatsfinanzen? Es geht immerhin um ihr Ansehen und ihre Macht. So erhöht sie kurzerhand die Salzsteuer, und am Ufer der Newa entsteht in den Jahren 1754 bis 1762 ein prächtiger Neubau aus Stein. Die Vorgängerbauten lässt sie einfach abreißen, Rastrelli hat nun freie Hand. Das Winterpalais wird die Krönung seines Schaffens.

In den Weißen Nächten, wenn die Sonne nur für kurze Zeit untergeht, scheinen die goldgrünen Fassaden im Wasser der Newa zu schweben. Trotz seiner ungeheuren Größe sind die Proportionen des Palasts ausgewogen, er birgt in seinem Inneren an die 1000 Zimmer, rund 2000 Türen, 2000 Fenster und mehr als 120 Treppenhäuser. Sogar Astolphe Louis Léonor Marquis de Custine, der berühmte französische Reiseschriftsteller und Diplomat, der sonst kein gutes Haar an der Stadt Peters ließ, zeigte sich von diesem Prachtbau beeindruckt.

Eine Gefahr droht beim Bau des Palasts: Die Uferbefestigungen können der gewaltigen Last des halbfertigen Bauwerks kaum widerstehen und drohen mit ihm in die Newa zu stürzen. Rastrelli hat eine geniale Idee: Er will alle Uferkais der Newa und der Kanäle mit Granit befestigen. Elisabeth bewilligt 1755 diese Pläne, der benötigte Granit wird aus Finnland in die Stadt geschleppt. Alexander Puschkin kann zu Recht behaupten: »Die Newa hüllte sich in Stein,/Die Wasser überspannen Brücken,/Und dunkel-grüne Gärten schmücken/Der Inseln malerische Reihn. […] Ich liebe dich, du Schöpfung Peters,/Ich lieb die strenge, gerade Pracht,/Der Newa majestätisch Fließen,/Ihr Ufer in Granit gebracht.«

Rastrelli weiß vor lauter Arbeit nicht mehr, wo ihm der Kopf steht. In seiner Not bildet er selbst Architekten aus. Nur so kann er die kaiserlichen Ansprüche und Aufträge bewältigen. Sein Familienleben allerdings leidet stark darunter. Mit seiner Frau, einer gebürtigen Gräfin aus Wales, hat er mehrere Töchter, die alle bis auf eine im Kindesalter sterben.

Zarin Elisabeth ist in den 50er-Jahren des 18. Jahrhunderts erst Ende 40, aber deutlich ermattet und ihres Amtes müde. Auch ihr zweiter Favorit, Graf Schuwalow, hat sich den jüngeren Damen des Hofes zugewandt. Elisabeth denkt an die Endlichkeit und will sich in ein Kloster zurückziehen. Aber noch ist sie die prunksüchtige Kaiserin und beauftragt ihren Lieblingsarchitekten mit dessen Bau. Die Zarin hat sich für das Kloster die Gegend um eine ehemalige Teerfabrik – »Smolny« heißt auf Russisch Teer – ausgesucht, im Newa-Knie am östlichen Stadtrand.

NACH ELISABETHS TOD SINKT RASTRELLIS STERN

Hier kann Rastrelli seinen barocken Neigungen freien Lauf lassen. Bei der Hauptkirche allerdings beharrt Elisabeth auf die russisch-orthodoxe Tradition: fünf Kuppeln, ein griechisches Kreuz als Grundriss wie bei der Maria-Himmelfahrts-Kirche im Moskauer Kreml, der Krönungskirche der russischen Zaren. Und so leuchten heute schon von Weitem die fünf goldenen Kuppeln der blauweißen Auferstehungskirche.

Elisabeth erlebt weder die Einweihung des Winterpalais noch ihren Einzug ins Kloster. Nach mehreren Schlaganfällen und Herzattacken stirbt sie 1761. Rastrellis Stern beginnt zu sinken. Nach der kurzen Regentschaft Peters III. orientiert sich der Geschmack der neuen Zarin Katharina II., die Große genannt, an den tempelartigen Palästen des in Europa jetzt modernen Klassizismus. Rastrellis barocke Fantasien sind ihr fremd.

Während eines Kuraufenthaltes in Italien muss er erfahren, dass sein Konkurrent, der neue Hofarchitekt Giacomo Quarenghi, seine Projekte weiterführen wird. Immerhin ist aber Quarenghi so sehr von Rastrellis Meisterschaft beeindruckt, dass er immer, wenn er am Smolny-Kloster vorbeigeht, den Hut zieht. Rastrellis Lieblingsprojekt, der Bau des ersten steinernen Kaufhauses am Newski Prospekt (D 4–K 6), wird von der damaligen Kaufmannschaft abgelehnt. Er ist »in Anbetracht seines Alters und seiner angegriffenen Gesundheit« all seiner Ämter enthoben. Das ist bitter für den sensiblen Architekten, der sich seinen »Ruhestand« sicher anders vorgestellt hat – die für ihn ausgesetzte Rente in Höhe von 1000 Rubel ist angesichts luxusbetonten Lebensstils einfach lächerlich.

St. Petersburg unter Katharina II. ist nicht mehr seine Stadt. Rastrelli wandert mit seiner Frau ins baltische Mitau, heute Jelgava, in Lettland aus und baut das einst von Herzog Ernst Johann von Biron in Auftrag gegebene Schloss im heutigen Rundale fertig. Dort stirbt auch Rastrellis Frau, ein Schicksalsschlag, von dem sich der Architekt nicht mehr erholen sollte. 1771 wird Rastrelli an die Akademie der Künste in St. Petersburg berufen, aber noch im selben Jahr stirbt er. Wo sich seine Grabstätte befindet, ist heute nicht mehr bekannt. Doch mit seinen Werken hat er sich für alle Zeiten in St. Petersburg verewigt.

EREMITAGE, WINTERPALAST 8D 3

Dworzowaja Nab., Zentrum

www.hermitage.ru

▶ Metro: Newski Pr.

KATHARINENPALAST

Sadowaja Ul. 7, Puschkin (Zarskoje Selo)

www.tzar.ru

▶ Elektritschka: Detskoje Selo

25 km südlich von St. Petersburg

SMOLNY-KLOSTER

Pl. Rastrelli, Zentrum

www.cathedral.ru/smolny

▶ Metro: Tschernyschewskaja

St. Petersburg. Eine Stadt in Biographien

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