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Als er bei Hella und Bernd klingelte, hielt er ein Foto in der Hand.

Eine halbe Stunde hatte Henry auf das Bild gestarrt, bevor er den Entschluss gefasst hatte, es Hella zu zeigen.

Es ist wichtig, dass jemand es sieht, dachte er. Dieses Bild braucht einen Zeugen und zwar sofort. Sie lächelte, als sie ihn vor der Tür stehen sah.

»Komm doch rein«, sie ging ihm voraus durch den kühlen, weiß gefliesten Flur, die Zipfel ihrer Bluse flatterten um ihre Beine.

Ihr Wohnzimmer war so hell möbliert, dass es blendete, wenn man durch die Glastür trat. Mutters Wohnzimmer schien einen ganz anderen Zuschnitt zu haben, obwohl es an der gleichen Stelle in der identischen Hälfte des Doppelhauses lag. Das liegt an den dunklen Ecken bei uns, dachte Henry. Unser Zimmer ist so unübersichtlich, dass sich nie eine Gesamtsicht des Raumes bietet. Was natürlich auch seine Vorteile hat. Aber aufgeräumt ist es immer, dachte er, dafür sorge ich schon.

Er drückte Hella das Foto in die Hand, ging um den Hund herum und setzte sich vorsichtig in das leuchtend blaue Samtsofa.

»Was hast du denn gemacht?«, sie drehte sich um und musterte ihn. »Hast du etwa eine neue Frisur?«, sie trat hinter das Sofa und strich ihm leicht über das Haar. Er lächelte.

Hella achtete immer genau darauf, wie Bernd sich anzog, und dass er regelmäßig zum Friseur ging. Jedenfalls hatte Mutter das immer behauptet.

»Hella achtet auf Äußerlichkeiten«, hatte Mutter immer gesagt.

»Ein bisschen Gel«, meinte er jetzt, »weiter nichts.« Sich Gel in das Haar zu schmieren, war etwas, das ihm früher nicht in den Sinn gekommen wäre. Das Mädchen im Starbucks hatte es ihm vorgeschlagen. Es war aufregend.

»Gestylt, hm?«, Hella grinste ihn an und streichelte sein Haar gegen den Strich. »Färbst du es auch?«, fragte sie dann. Henry schüttelte den Kopf und schaute sie mit gespieltem Entsetzen an. Er lehnte sich ins Sofa zurück.

Sein Blick fiel auf einen Stapel Illustrierte, als er sich die oberste vom Stapel nahm, fing Daisy an zu bellen.

»Ruhig, du blöder Hund«, zischte Henry.

Aber Hella beachtete den Hund genauso wenig wie Henry. Sie schaute auf das Foto in ihrer Hand, hielt es ein Stück von sich weg und lachte. Das Bild zeigte Henry mit einer roten Nase, einer Clownsnase.

»Es ist komisch«, sagte Hella, »es ist so komisch.«

Sie warf sich auf einen Sessel, hielt sich das Foto an den Bauch und lachte.

Auch ein schönes Bild, dachte Henry, sein Blick wanderte nur widerstrebend von dem Foto auf Hellas Bauch zu ihrem Gesicht. Eine schöne Frau, dachte er plötzlich. Das Lächeln verändert ihr ganzes Gesicht. Es macht es so … so niedlich vielleicht.

Er stand auf und trat vor den Spiegel im Flur. Mit Daumen und Zeigefinger zupfte er an seinen Tränensäcken herum, zog die Mundwinkel hoch und zwinkerte sich zu. Er zog sich an den Ohren und starrte in seine Augen im Spiegel. Ein Clown lacht nicht über sich selbst, aber er zeigt seine Lächerlichkeit.

»Wir haben einen Sketch aufgeführt«, er ging zu Hellas Sessel zurück und blieb dahinter stehen, »mein Bruder Wilhelm und ich«, aus seiner Hosentasche zog er ein weiteres Bild, auf dem Wilhelm mit bunten Hosenträgern über dem Bauch zu sehen war. »Seine Tochter hatte Geburtstag«, Hella warf einen flüchtigen Blick auf das zerknitterte Foto von Wilhelm und betrachtete dann wieder das Bild in ihrer Hand. Sie sah sich zu Henry um und schaute ihn an, als habe sie ihn noch nie gesehen.

Wenn Henry später darüber nachdachte, wann es angefangen hatte, die Sache zwischen Hella und ihm, dann fiel ihm als Erstes dieser prüfende Blick ein. »Gehst du jetzt mal mit Daisy spazieren?«, fragte sie und er nickte. Mit dieser Frage hatte er rechnen müssen. Zum Shopping in der Stadt konnte sie Daisy nicht so gut mitnehmen. Und Hella ging oft in die Stadt, am liebsten jeden Tag.

Manchmal muss man eben etwas Verrücktes tun, dachte Henry. Aber wenn, dann muss es sofort sein. So was muss man machen, wenn einem das Neue noch so viel Energie gibt, dass man es auch tun kann. Er würde jetzt sofort mit dem Hund spazieren gehen.

Immerhin gab es ihm die Möglichkeit, Daisy zu Hella zurückzubringen.

Das Zusammensein mit seiner Nachbarin war gut. Es war selbstverständlich, ja, es hatte eine Selbstverständlichkeit, die er sich nicht erklären konnte. Das war wohl die Abwesenheit des Gefühls, irgendetwas, was er tat oder nicht tat, erklären zu müssen. Ja, so konnte man das ausdrücken, dachte Henry.

Hella war die richtige Zeugin für sein Bild.

Daisy warf einen skeptischen Blick auf Henry und zog ihn zum Park. Er sprach lange auf sie ein, bevor sie begriff, dass er jetzt zum Friedhof musste und nicht in den Park. Schließlich gelang es ihm, die Hündin in sein Auto zu bugsieren.

Das Gräberfeld hatte zum Glück auch auf sie eine beruhigende Wirkung. An dem schwarzen Marmorviereck schaute sie sich eine Weile um und legte sich dann neben die Bank, auf der Henry saß und seine Zwiesprache hielt.

»Auch einer Hündin ist mit Vernunft beizukommen«, sagte Henry halblaut. Daisy hob ein Augenlid.

»Jetzt gehen wir zum Supermarkt«, der Hund richtete sich auf.

»Vor dem Markt werde ich dich anbinden. Dann gehe ich hinein und kaufe ein. Es dauert nicht lange, bis ich wieder herauskomme, nur wenige Minuten. Dann laufen wir zusammen zum Friedhof, also zu meinem Auto, und fahren nach Hause zurück, okay?«

Die Hündin sah ihn an, als wollte sie sagen, dass ihr das Thema Einkaufen mit einem Menschen hinlänglich bekannt sei.

Zeit wie Wasser

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