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5 Wilde Rose – Nesrine

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Ich will meinen Geist ausgießen über alles Fleisch,

und eure Söhne und Töchter sollen weissagen,

eure Alten sollen Träume haben,

und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen.

Joel 3,1 (EÜS)

„Wir bekommen Besuch. Nesrine, leg ein Kopftuch an!“

Der säuerliche Blick ihrer Schwiegermutter ließ Nesrine sofort kehrtmachen. Heftig schloss sie die Tür hinter sich und lehnte sich von innen dagegen. Ihr wollten die Tränen kommen, doch das durfte sie nicht zulassen, sonst würde jeder sehen, dass sie geheult hatte. Schon wieder eine strenge Ermahnung der Schwiegermutter. Es war entsetzlich. In diesem Haus gab es für alles Vorschriften. Die Familie ihres Mannes verlangte sogar von ihr, beten zu gehen und sich an zahlreiche religiöse Vorschriften zu halten.

Seit sie Pertev geheiratet hatte, war nichts mehr wie zuvor. Doch sie liebte ihn! Hätte sie sich bei ihren Eltern beklagt und ihnen erzählt, wie streng Pertevs Familie lebte, hätten sie ihr geraten, sich zu trennen. Aber sie wollte sich nicht scheiden lassen.

„Pertev, habt ihr den Koran in unserer Sprache im Haus? Ich verstehe so vieles, was deine Mutter von mir will, nicht. Sie will, dass ich beten gehe, doch ich mache mir nichts daraus. Wenn ich besser verstehen würde, woran wir eigentlich glauben, fiele es mir vielleicht leichter, die religiösen Regeln zu befolgen. Glaube mir, ich möchte Gott wirklich gefallen und auch mit deiner Mutter zurechtkommen.“

Zärtlich strich Pertev Nesrine über das Haar. „Du bist eine gute Frau. Ich liebe dich. Ich werde dir in Vaters Bibliothek einen Koran heraussuchen.“

„Pertev, es eilt, denn schon bald müssen wir auch unsere eigenen Kinder erziehen. Und der Glaube gehört doch dazu, nicht wahr?“

„Nesrine, soll das etwa heißen, wir werden Eltern?“

Nesrine lächelte und nickte.

Nesrine ging langsam an den üppig bepflanzten Rosenbeeten entlang. Hohe Zypressen warfen ihren Schatten auf den Weg. Dann überquerte sie einen schmalen Wasserkanal, das Licht tanzte darauf. Ein warmer Duft nach Orangenblüten, Mandarinen und süßen Zitronen wehte zu ihr herüber. Nesrine schloss die Augen und sog den schweren Geruch ein. Als sie gleich darauf aufsah, rieselten weiße Blütenblätter im Sonnenschein zur Erde.

Wie schön hatte Gott das alles gemacht! Dass er es gewesen war, stand für Nesrine außer Zweifel. Bagh-e Eram war für sie einer der schönsten Plätze, die sie kannte. So stellte sie sich das Paradies vor!

Sie beobachtete lachende Kinder am Wasser und setzte sich auf eine Bank. Ach, könnte sie noch einmal Kind sein! Ihre Hand lag auf ihrem Bauch, und sie spürte, wie sich ihr Kind bewegte. „Ich werde Antworten finden, für dich, mein Schatz.“

Sie wandte sich dem Koran zu, den sie seit einigen Tagen zu lesen versuchte. Er war schwierig zu verstehen, doch so schnell wollte die 17-Jährige nicht aufgeben.

„Wie geht es dir, Nesrine? Wann kommt dein Kind zur Welt?“

Sooft es ging, telefonierte Nesrine mit ihrem Bruder in Kanada. Petrevs Eltern waren nicht besonders begeistert davon. Deshalb tat sie es heimlich, wenn sonst niemand zu Hause war.

„Ich versuche den Koran zu lesen. Meine Schwiegereltern richten sich peinlich genau nach der Scharia. Sie sind nett zu mir, aber das Gesetz und die Regeln haben immer oberste Priorität. Nicht die Güte, so wie bei uns zu Hause.“

„Das ist bestimmt nicht einfach für dich, Schwester.“

„Aber ich liebe Petrev, er ist anders. Ich habe ihm versprochen, zu versuchen seine Eltern zu verstehen. Deshalb habe ich angefangen, den Koran zu lesen.“

„Das ist eine gute Idee.“

„Ich bin mir nicht so sicher. Gestern war ich im Park, dort blühen gerade wunderbar die Orangen und Mandarinen. Ich habe Gott darin gespürt. Aber als ich dann auf einer Bank den Koran las, merkte ich: Hier spricht nicht der Gott, den ich in diesem Garten spüre.“

„Ich kenne ein anderes Buch, das du lesen solltest. Versuche mal, eine Bibel zu bekommen. Vielleicht wird dir das den Weg zu Gott zeigen.“

Durch die schweren Vorhänge ihres Hauses beobachtete Nesrine einen Händler, der langsam seinen Karren die Straße hinabschob. „Mutter, ich gehe rüber und kaufe Salat zum Mittagessen.“

Sprachs und verschwand zur Tür hinaus, bevor ihre Schwiegermutter Einwände vorbringen konnte. Nesrine durfte nirgends alleine hingehen, das gehörte sich nicht. Der Gemüsehändler gegenüber war eine Ausnahme.

Der alte Mann mit dem Karren war eben dabei, in eine Seitenstraße einzubiegen. Schnell lief Nesrine ihm nach. „Haben Sie Bücher?“

„Madame, was für ein Buch suchen Sie denn?“

„Nun, ein heiliges Buch, das mir die Wahrheit über Gott erzählt.“

„Normalerweise habe ich den Koran immer dabei, doch heute …“

Nesrine wusste genau, das war nur eine Ausrede. Sie sah dem Mann ruhig in die Augen und nahm allen Mut zusammen. „Ich spreche nicht vom Koran. Haben Sie vielleicht eine Bibel?“

„Madame, das ist gefährlich. Aber …“ Er machte eine Pause und schaute prüfend die Straße hinab. „Wenn ich wiederkomme, werde ich Ihnen das Gewünschte mitbringen.“

„Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“

Matthäus 28,8 (NGÜ)

Nesrine schreckte hoch, Petrev stand in der Tür. „Was liest du da?“ Kurz stockte ihr der Atem, doch dann nahm sie allen Mut zusammen. Petrev musste es selbst lesen. Sie konnte einfach nicht genug davon bekommen. Zugegeben, manches verstand sie nicht, doch sie glaubte beim Lesen einen Geist der Wahrheit und des Friedens zu spüren. Dieselbe Gegenwart, die sie auch draußen im Bagh-e Eram wahrnahm. Gleich zu Anfang, als sie die Bibel gerade gekauft hatte, entdeckte sie darin, dass Gott mit dem Menschen im Gartenparadies spazieren gegangen war. War es ein Ort wie Bagh-e Eram gewesen?

Petrev und Nesrine begannen zusammen in dem Buch zu lesen. Anfangs wusste er nicht, dass es eine Bibel war. Doch je länger sie darin lasen, je mehr wurden sie davon angezogen. Konnte es sein, dass Gott mit den Menschen sprach? Dass er eine Beziehung zu ihnen wollte und nicht fern und unerreichbar war?

Oft telefonierten sie mit Nesrines Bruder in Kanada. Er gab ihnen Bibelverse, die ihre Fragen beantworteten. Bibelverse wie:

Jesus Christus,

der Gott in allem gleich war und auf einer Stufe mit ihm stand, nutzte seine Macht nicht zu seinem eigenen Vorteil aus.

Im Gegenteil: Er verzichtete auf alle seine Vorrechte

und stellte sich auf dieselbe Stufe wie ein Diener.

Er wurde einer von uns – ein Mensch wie andere Menschen.

Aber er erniedrigte sich „noch mehr“:

Im Gehorsam gegenüber Gott nahm er sogar den Tod auf sich;

er starb am Kreuz „wie ein Verbrecher“.

Deshalb hat Gott ihn auch so unvergleichlich hoch erhöht

und hat ihm „als Ehrentitel“ den Namen gegeben,

der bedeutender ist als jeder andere Name.

Und weil Jesus diesen Namen trägt,

werden sich einmal alle vor ihm auf die Knie werfen,

alle, die im Himmel, auf der Erde und unter der Erde sind.

Alle werden anerkennen, dass Jesus Christus der Herr ist,

und werden damit Gott, dem Vater, die Ehre geben.

Philipper 2,6-11 (NGÜ)

Nach zwei Jahren waren sich Petrev und Nesrine sicher: Jesus Christus war mehr als ein Prophet gewesen, Gott hatte ihn geschickt, um den Menschen den Weg zu Gott zu zeigen. Man brauchte keine Vermittler, keine Heiligen, zu denen besonders Nesrines Schwiegermutter oft betete.

Das Gespräch mit Jesus half Nesrine, wenn sie sich über die Mutter ärgern wollte. Er machte sie ruhiger, und Jesus zeigte ihr, wie sie die Mutter lieben konnte, statt sie zu verachten. Das Leben unter einem Dach mit ihren Schwiegereltern war zwar immer noch nicht leicht, doch sie hatten jetzt weniger Streit.

Das Ampelmännchen war rot. Gedankenversunken sah Nesrine zum Himmel auf und wartete. Sie hatte ihnen verziehen, doch es schmerzte immer noch. Eines Tages hatte Petrevs Bruder mit seiner Frau sie unverhofft besucht. Sie hatten nicht damit gerechnet, und so hatte die Bibel noch offen auf ihrem Tisch gelegen.

Sie waren fest überzeugt, Nesrine, deren Glaubensleben ihnen schon immer ein Dorn im Auge gewesen war, hätte Petrev vom wahren Glauben weggeführt. Sie waren wütend gegangen und hatten ihr ein Ultimatum gestellt: „Wenn du dich nicht von meinem Bruder trennst und ihn und die Jungen frei gibst, wird das Konsequenzen für dich haben.“

Doch Nesrine und Petrev folgten inzwischen gemeinsam Jesus nach und glaubten an ihn, von ganzem Herzen. Es kam für sie nicht infrage, sich voneinander zu trennen. Petrevs Familie terrorisierte Nesrine tagaus, tagein, und ihnen wurde klar, wenn sie nicht gingen, würde man sie gewaltsam trennen. Dafür sorgen, dass Nesrine ins Gefängnis kam. Petrevs Bruder stand in engem Kontakt mit der Geheimpolizei.

Und nun waren sie hier in Deutschland.

Nesrine fühlte sich einsam und fremd, das Lernen der Sprache heute Morgen in der Sprachschule war wieder frustrierend gewesen. Aber mit Gottes Hilfe würde sie nicht aufgeben. Vor lauter Beten und Denken hatte sie die Grünphase der Ampel verpasst. „Danke, Jesus, dass ich hier bin. Dass ich dich in Freiheit anbeten darf, dass ich ungestört mit dir reden kann. Dass ich hier so viel über dich dazugelernt habe, was wir alleine nicht herausgefunden hätten. Danke für die Zeichen, die du mir jeden Tag gibst, sodass ich weiß, du bist bei mir.“ Nesrine konnte gar nicht mehr aufhören, Jesus laut für all das Gute zu danken, das er an ihr getan hatte. Dass man in Deutschland laut aussprechen konnte, was man dachte, genoss Nesrine auf ihren Gebetsspaziergängen.

„Gott, könntest du mir nicht auch heute ein Zeichen geben, dass ich weiß, du bist da? Danke dafür.“

So sprach Nesrine mit Gott an der Ampel, als das Ampelmännchen rot war.

Nesrine sieht hoch, zum Himmel. Und dort ist er, Jesus. In einem weißen Gewand, er hält einen Stab in seinen Händen. Und er lächelt auf Nesrine herab. Wunderschön. Tröstlich. Als wolle er sagen: „Ich freue mich an dir, Nesrine.“

Dann nimmt das Ampelmännchen seine Arme hoch, und es wird grün. Automatisch setzt Nesrine ihre Beine in Gang.

„Warum bin ich rübergegangen? Warum bin ich nicht stehen geblieben und habe mich hingekniet vor ihm, meinem Herrn? Ich weiß es nicht. Doch ich werde nie wieder vergessen, wie wunderschön er war!“

Die Worte sprudeln ungebremst aus Nesrine hervor, als sie zu Hause Petrev von ihrem Erlebnis berichtet. „Ich war so überrascht und perplex, ich habe ja nicht damit gerechnet, Jesus dort zu sehen!“ Nesrine schüttelte immer wieder den Kopf, könnte sie den Moment doch noch einmal zurückholen! „Weißt du Petrev, ich habe einem Gott mein Herz geschenkt, den ich nie gesehen hatte, aber nun durfte ich ihn sehen! Ich bin so dankbar dafür!“

Dann wandte sich Jesus wieder zu den Jüngern,

sie beiseite und sagte:

„Glücklich zu preisen sind die, die das sehen, was ihr seht!

Denn ich sage euch:

Viele Propheten und Könige hätten gern gesehen,

was ihr seht, und haben es nicht gesehen;

sie hätten gern gehört, was ihr hört,

und haben es nicht gehört.

Lukas 10,23-24 (NGÜ)

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