Читать книгу Noras großer Traum / Wind der Traumzeit - Christin Busch - Страница 14
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ОглавлениеTom beugte sich über den kleinen Jungen, aus dessen verheilter Kopfwunde er gerade die Fäden gezogen hatte.
»So, Stevie, beim nächsten Mal kletterst du aber nur noch so hoch in den Baum, wie du bequem wieder runterkommst, versprochen?«
Der Kleine nickte, und Lisa, die als Schwester assistiert hatte, lächelte ihn an und reichte ihm ein kleines Spielzeug.
»Hier, das ist für dich, weil du so tapfer warst.«
Stevie bedankte sich und lief zu seiner großen Schwester, die mit ihm hier auf die Nachbarfarm der Spencers gekommen war, wo die heutige Kliniktour-Sprechstunde abgehalten wurde.
Nora hatte bei der Behandlung zugesehen und beim Ziehen der Fäden schmerzhaft das Gesicht verzogen, während der Junge durch den Faxen machenden Martin abgelenkt war, der ihm ein tolles Erinnerungsfoto davon versprach. Tom seufzte und sah Lisa an. »War’s das für heute?«
Sie schaute in ihre Unterlagen und nickte. »Ja, mehr hatten sich nicht angemeldet.«
Beide räumten die Behandlungskoffer wieder ein und stellten alles bereit. Vor dem Abflug wollten sie jedoch noch eine Tasse Tee trinken und sich für die Gastfreundschaft bedanken. Phil kam auf sie zu. Sein weißes Pilotenhemd war wie meistens bereits völlig zerknittert.
»Na, haben wir es geschafft?«
»Wir ist gut«, antwortete Tom und kaute einen Keks zu seinem Tee. Er sah müde aus. Auch Lisa strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und nahm einen Schluck Tee. Phil griff sich einen Arztkoffer und die Kühlbox und machte sich daran, alles im Geländewagen der Spencers zu verstauen. Mr. Spencer würde sie gleich zur Landepiste und zur RFDS-Maschine bringen, mit der sie wieder heim nach Cameron Downs fliegen würden.
Während Martin die Terrasse betrat und sofort anfing mit Lisa zu scherzen, blickte Tom sich suchend nach Nora um. Schließlich sah er sie in einiger Entfernung an einem Gatter stehen und einige Pferde streicheln. Langsam schlenderte er zu ihr.
»Hallo! Ihr Bedarf an Krankheitsfällen ist für heute wohl gedeckt, oder warum ziehen Sie sich zu den Tieren zurück?«
Sie lächelte und strich einem besonders neugierigen Pferd über die Nüstern.
»Nein, gar nicht. Es war sehr spannend, Sie bei der Arbeit zu beobachten. Aber die Pferde hier wollte ich mir auch anschauen.« Sie machte eine kleine Pause und sah in die Ferne. »Ich möchte einfach so viel wie möglich von Ihrem Land sehen. Es fasziniert mich schon seit Jahren. Besonders interessiert mich auch die Kultur der Aborigines und ihre heutige Lebensweise. Haben Sie viele Patienten unter den Aborigines, oder stößt der Flying Doctor Service dort eher auf Ablehnung?«
Nachdenklich zupfte Tom an einer Pferdemähne.
»Ablehnung eigentlich weniger. Obwohl sich nicht alle von uns behandeln lassen. Nein, es sind schon eine ganze Menge, die Vertrauen zu uns haben.« Er sah Nora wieder an. »Ich habe mich vor einiger Zeit für eine Initiative eingesetzt, die sich darum bemüht, die Lebensbedingungen der Aborigines zu verbessern. Wir möchten besonders den Jugendlichen Perspektiven und Ausbildungsmöglichkeiten vermitteln, ohne dass sie ihre Kultur aufgeben müssen, wie das früher in den Missionsstationen häufig geschehen ist. Es ist mir dabei eigentlich eher zufällig gelungen, einige Aborigines-Künstler ganz unterschiedlicher Altersgruppen zur Gründung einer gemeinsamen Werkstatt zu bewegen, die Kunst für die Öffentlichkeit und Touristen anfertigt. Sie können so erfolgreich und auch würdevoll ihre Gemeinschaft fördern und unterstützen, ohne jedoch die tief verwurzelten Stammesgeheimnisse preiszugeben.« Tom machte eine kleine Pause und lächelte vor sich hin. »Mittlerweile habe ich sämtliche Ärzte und Schwestern dafür gewinnen können, ihre Beziehungen überallhin zu nutzen, um diese Künstlerwerkstatt bekannt zu machen und zu fördern. Auf diese Weise bekommen die Aborigines für ihre Werke nicht mehr nur den früher üblichen Hungerlohn, sondern eine angemessene Bezahlung. Die Käufer andererseits erhalten garantiert echte Outback-Kunst. So müssen sich die Künstler nicht mehr als Almosenempfänger fühlen, sondern können Kreativität mit Eigeninitiative und Geschäftssinn verbinden, ohne ihre eigene Identität aufzugeben.«
»Das klingt einfach fantastisch. Gibt es schon viele solcher Projekte?«
»Nun, wie viele Projekte es gibt, weiß ich nicht. Sicherlich noch nicht genug, aber jedes einzelne bedeutet einen Anfang, den ersten Schritt in die richtige Richtung. Wenn es Sie wirklich interessiert, kann ich Sie gerne zu einem Besuch in die Siedlung mitnehmen. Sie könnten sich die Künstlerwerkstatt ja einmal ansehen.«
Nora klopfte einem Pferd den Hals und wandte sich Tom zu.
»Ganz ehrlich, Tom, das wäre einfach wunderbar.« Sie zögerte kurz. »Ich möchte dort aber nicht als aufdringliche Touristin erscheinen. Es wäre mir lieb, wenn Sie vorher fragen würden, ob ich sie besuchen darf, okay?«
Toms Blick ruhte auf ihr. Mit einem warmen Lächeln antwortete er: »Okay, abgemacht.«
Gemeinsam kehrten sie zur Veranda zurück. Gerade kam Phil zu den anderen und schlug Martin freundschaftlich auf die Schulter. Dieser zuckte zusammen, beugte sich nach vorn und verzog schmerzhaft das Gesicht. Tom, der das mitbekommen hatte, ging schnell zu ihm.
»He, was haben Sie denn?«
Nora sah Martin besorgt an. »Sag bloß, du hast die Wunde hier noch nicht nachsehen lassen? Hast du vergessen, dass du zu einem Arzt gehen solltest, auch damit die Fäden gezogen werden?«
Martin schnitt eine Grimasse.
»Nein, Mama! Ich hab’s nicht vergessen. Außerdem geht es mir schon wieder gut.« Er warf dem Piloten einen ironischen Blick zu. »Wenn man mir nicht gerade auf die Wunde haut.«
Phil entschuldigte sich schnell, doch Martin versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei. Lisa hatte inzwischen den Arztkoffer aus dem Wagen zurückgeholt und stellte ihn neben Martin ab. Tom nickte ihr zu und wandte sich wieder an Noras Kollegen. »Los, lassen Sie mal sehen, wenn wir hier gerade dabei sind.«
Widerwillig knöpfte Martin sein Hemd auf, während Lisa Tom in Handschuhe half. Nachdem er den Verband entfernt hatte, begutachtete er kritisch die noch heilende gezackte Wunde.
»Das war aber keine Kleinigkeit. Warum haben Sie nichts davon gesagt?«
»Ich habe damit praktisch keine Schwierigkeiten mehr, wenn ich darauf achte, mich vorsichtig zu bewegen. Außerdem habe ich vorschriftsmäßig die Medikamente genommen, die mir der Arzt in Jabiru gegeben hat. Es ist also alles in Ordnung, oder etwa nicht?« Er warf nun einen Blick über die Schulter zu Tom, der jetzt nickte.
»Ja, es scheint alles gut zu heilen. Wir können auch schon die Fäden ziehen.«
Martin seufzte ergeben.
»Wenn ich dann endlich wieder ganz unter die Dusche darf, tun Sie’s bitte.«
Nora und Phil entfernten sich von den anderen, um nicht bei der Behandlung zu stören, und schlenderten zu der Pferdekoppel. Nora schaute auf ihre Armbanduhr.
»Einen langen Arbeitstag haben Sie, Phil.«
Er sah zum Horizont. Die beginnende Abendstimmung ließ die rote Erde und die Felsen in der Ferne bereits in warmen Goldtönen schimmern. Er nahm sein Baseball-Cap ab und lächelte ihr zu.
»Ja, das stimmt. Aber den haben wir hier alle, nicht?« Sein Blick glitt über die grasenden Pferde und blieb in der Ferne an einem Windrad hängen. »Ich möchte trotzdem mit niemandem tauschen. Wissen Sie, ich bin früher Pilot im Linienflugverkehr gewesen und musste dort auch die großen und supermodernen Flugzeuge fliegen. Aber irgendwann wurde es langweilig. Hier habe ich das Gefühl, wichtiger zu sein. Die Arbeit ist zudem sehr abwechslungsreich. Selbst bei der täglichen Routine können Notfälle oder Wetterveränderungen auftreten, die es sofort erforderlich machen, flexibel zu reagieren. Die Zusammenarbeit in unserem Team ist klar geregelt und klappt gut. In der Luft entscheide ich, am Boden der Arzt.« Er sah sie aus stahlblauen Augen an, um die sich viele kleine Falten in sein Gesicht gegraben hatten, die sich nun weiter zu vertiefen schienen. »Aber wie gut wir uns hier beim Service verstehen, haben Sie ja sicher schon feststellen können, oder?«
Nora lächelte zustimmend. »O ja. Es ist schon bemerkenswert, wie alle Hand in Hand zusammenarbeiten.«
Ihr Blick folgte interessiert ein paar weißen Wolken, die ein leichter Wind über den Himmel trieb. »Ich frage mich nur, was das Geheimnis des Flying Doctor Service ausmacht. Ist es die Arbeit in diesem weiten, immer noch wilden Land? Oder sind es die Menschen, die hier mitarbeiten? Sind es allesamt heldenhafte Idealisten, die nur danach streben, ihr Leben für andere einzusetzen?«
Phil fuhr sich jetzt lachend durch das silbergraue Haar, das sich leuchtend von seinem braungebrannten Gesicht abhob.
»Nun, da fragen Sie gerade den Richtigen. Ich bin natürlich nicht unvoreingenommen, aber ich denke schon, dass die meisten von uns hier so etwas wie Idealismus oder auch Patriotismus hergeführt hat. Stolz darauf, daran mitzuarbeiten, die Idee von John Flynn lebendig zu erhalten.« Er kratzte sich jetzt nachdenklich am Ohr. »Das bedeutet natürlich nicht, dass wir uns blindlings in Abenteuer stürzen. Es wird immer genau abgewogen zwischen Nutzen und Risiko.«
»Haben Sie einfach so zum Service gewechselt, als es Ihnen im Linienflugverkehr zu langweilig wurde?«
Phils Züge erstarrten einen Moment. Er war sehr ernst geworden, und Nora fragte sich unwillkürlich, ob sie etwas Falsches gesagt hatte.
»Nun, es spielten auch persönliche Umstände eine Rolle. Meine Ehe war am Ende, und meine Frau wollte die Scheidung.« Er lächelte bitter. »Sie hatte nie viel Verständnis für die Arbeitszeiten eines Piloten.«
Nora sah ihn bedauernd an. »Tut mir Leid, Phil, ich wollte nicht ...«
Er unterbrach sie. »Nein, nein, ist schon okay. Das ist ja nun auch lange genug her; und ich bin sehr zufrieden hier.«
Er wandte sich um, als Lisa ihn von der Veranda her rief, und zwinkerte Nora zu. »Wir gehen besser zurück, sonst fliegen sie noch ohne uns.«