Читать книгу Noras großer Traum / Wind der Traumzeit - Christin Busch - Страница 16
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ОглавлениеNora und Martin hatten im Hotel noch eine ganze Weile zusammengesessen und geschwiegen, bevor sie in der Lage waren, über den traurigen Einsatz zu sprechen, den sie heute erlebt hatten. Schließlich waren sie übereingekommen, ihren Aufenthalt in Cameron Downs für einige Tage zu unterbrechen, um den vorgesehenen Besuch im berühmten Roten Herzen des Kontinents einzuschieben. Sie hatten diese Unterbrechung ohnehin geplant, und jetzt schien ihnen der Zeitpunkt günstig, auch, um das Geschehene besser verarbeiten zu können und sich abzulenken. Martin wollte sie selbst von Cameron Downs nach Alice Springs fliegen, und von dort sollte es mit dem Wagen zum Ayers Rock und den Olgas in den Uluru-Kata Tjuta National Park gehen. Martin freute sich schon sehr auf den Ausflug, denn als begeisterter Sportflieger nahm er gern jede Gelegenheit wahr, selbst zu fliegen.
»Wollen wir schon morgen früh starten? Ich weiß allerdings nicht, ob es sofort mit einer Maschine klappt, Nora.«
»Du kannst dich ja gleich morgens darum kümmern, aber ich muss noch in die Klinik. Ich hab’s der Kleinen versprochen. Außerdem sollten wir uns bei Bill und dem Ärztedienst abmelden, damit sie uns die nächsten Tage aus ihrer Planung nehmen.«
Martin unterdrückte ein Gähnen und stand auf.
»Okay, dann ist es jetzt sicher das Beste, für den Ausflug zu packen und schlafen zu gehen.«
Sie nickte. »Ja. Schlaf schön, Martin.«
»Du auch, gute Nacht.«
Als er fort war, fiel es Nora mehr als schwer, zur Ruhe zu kommen. Um sich abzulenken, machte sie sich schließlich energisch daran, ihre Reisetasche zu packen und an den Uluru zu denken, der für sie ein Wahrzeichen der Aborigines war.
Als sie am nächsten Tag die Klinik betrat, lag ihr der Besuch bei Joanna wie ein Stein auf der Seele. Sie litt selber unter dem Kummer, den diese Familie jetzt zu ertragen hatte, und fragte sich, ob es überhaupt in irgendeiner Weise möglich war, Trost zu spenden, oder ob sie vielleicht nur wieder die Fassung verlieren würde. Bei dem Gedanken daran fühlte sie sich beklommen und beschloss, sich und Martin zunächst bei Bill abzumelden. Auf dem Weg zu seinem Büro kam ihr Tom entgegen und blieb stehen.
»Hallo. Wie geht es Ihnen, Nora? Konnten Sie einigermaßen schlafen?«
Sie wurde verlegen. Dass sie gestern an Martins Schulter so außer Fassung geraten war, empfand sie im Nachhinein als peinlich. Er musste doch nun annehmen, dass sie für die Gegend hier einfach zu zart besaitet war.
»Ja, es hat eine Weile gedauert, aber ich konnte schlafen.«
Das war glatt gelogen, doch er sollte sie nicht für eine Mimose halten. Sie zögerte. »Es tut mir Leid, Tom, dass ich gestern so die Fassung verloren habe, aber ich habe mich plötzlich so an meine eigenen Kinder erinnert gefühlt ... «
Er unterbrach sie sofort. »Dafür brauchen Sie sich doch nicht zu entschuldigen. Glauben Sie mir, so etwas wie gestern, das haut die stärksten Männer um, auch solche, die schon viele Male an derartigen Suchaktionen teilgenommen haben, mich übrigens eingeschlossen.«
Er lächelte ihr zu, und sie erwiderte dieses Lächeln. Wie meistens wich sie aber auch jetzt seinem forschenden Blick aus, der sie stets verunsicherte.
»Nun, danke für Ihr Verständnis.« Sie sah sich suchend um. »Eigentlich wollte ich zu Bill, um Martin und mich für die nächsten Tage hier abzumelden.«
»Bill macht gerade seine Patientenrunde. Sie wollen uns vorzeitig verlassen?«
Sie schüttelte schnell den Kopf. »Nein, nein. Wir wollen jetzt nur unseren geplanten Ausflug zum Uluru-Kata Tjuta National Park einschieben. Uns wird die Abwechslung nach dem Schreck von gestern sicher gut tun, und Sie und das Team hier sind vielleicht auch froh, mal Ruhe vor uns zu haben.«
Sie schmunzelte und blickte ihn offen an. Er sah müde aus und schien ebenfalls kaum geschlafen zu haben. Nun stahl sich ein Lächeln auf sein Gesicht.
»Das können Sie so aber nicht sagen. Sie beide sind sehr angenehme Gäste. Doch sicherlich tut Ihnen der Ausflug gut. Der Uluru und die Olgas sind wirklich sehr beeindruckend. Ich bin schon gespannt, was Sie nachher darüber erzählen werden.« Er machte eine Pause und fügte dann hinzu: »Ach, Nora, sind Sie noch an dem Ausflug zu den Aborigines-Künstlern interessiert?«
Sie nickte. »Sehr, Tom. Ich hoffe, Sie können es einrichten.«
»Bestimmt. Wie lange werden Sie denn jetzt weg sein?«
Sie überlegte. »Wahrscheinlich so drei bis vier Tage.«
»Gut, dann werde ich uns in der Siedlung entsprechend anmelden.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Ich muss weiter. Viel Spaß beim Ausflug.«
»Danke, Tom. Bis dann.«
Langsam schlenderte sie zurück zum Empfang, wo Kim ihr entgegensah.
»Hallo, Nora. Suchen Sie jemanden?«
»Hallo, Kim. Ja, ich suche Bill, und dann wollte ich zu der kleinen Joanna Davis. Ich habe sie gestern hierher begleitet und ihr versprochen, heute vorbeizukommen.«
Kim war ernst geworden. »Ich zeige Ihnen, wo sie ist. Vielleicht finden wir unterwegs auch Bill. Kommen Sie bitte mit.«
Nora war erleichtert, das Mädchen in einem Spielzimmer zu treffen und nicht im Beisein der Eltern. Sie hätte nicht gewusst, wie sie mit dem Leid des Ehepaars hätte umgehen sollen. Die Kleine saß an einem Tisch und malte in einem Malbuch. Als Nora sich zu ihr setzte, sah sie auf.
»Hallo.«
Nora strich ihr über den Kopf. »Hallo, Joanna. Wie hast du denn im Krankenhaus geschlafen?«
Das Mädchen beugte sich wieder über das Malbuch.
»Hm. Ganz gut. Aber ohne Dennis macht es hier einfach keinen Spaß.«
Nora schluckte. Es war nicht leicht, darauf etwas zu sagen.
»Das glaube ich, Joanna. Es ist bestimmt schwer für dich und deine Eltern.« Sie machte eine kleine Pause, bevor sie hinzufügte: »Und es tut sehr weh, jemanden zu verlieren, den man lieb gehabt hat.«
»Hast du auch schon jemanden verloren, den du lieb hattest?«
Nora nickte. »Ja, meine beste Freundin. Sie hatte einen Autounfall und ist sofort gestorben.« Sie strich dem Mädchen wieder über den Kopf. »Es ist gut, eine Weile richtig traurig zu sein, Joanna, denn wenn man um jemanden weint, bedeutet das, dass man ihn lieb hatte und dass er einem wichtig war. In dieser Zeit der Traurigkeit nimmt man Abschied von demjenigen, den man verloren hat. Danach muss man ihn aber loslassen, verstehst du? Man darf sich immer an all die Dinge erinnern, die schön waren, die Spaß mit ihm gemacht haben, aber man muss auch wieder anfangen, fröhlicher zu werden. Denn dein Bruder zum Beispiel würde es doch nicht mögen, wenn du nur noch traurig herumlaufen würdest, oder?«
Joanna hatte ihr aufmerksam zugehört. Nun schüttelte sie langsam den Kopf und lächelte.
»Nein. Dennis wollte immer, dass ich ihn kitzle. Er hat sich dann immer kaputtgelacht.«
Nora zog an Joannas Zopf. »Siehst du, genau daran sollst du dich erinnern.« Um sie abzulenken, griff sie nach dem Malbuch.
»Zeig mal. Das sieht ja toll aus! Du malst ja gar nicht mehr über die Linien. Magst du Pferde gerne?«
Gemeinsam malten sie noch einige Seiten in dem Buch aus und unterhielten sich. Als Nora sich schließlich verabschiedete, hatte sie das Gefühl, dass es richtig gewesen war, sich vor diesem Besuch nicht zu drücken.
Sie trat auf den Gang, wo Bill offenbar auf sie gewartet hatte.
»Kim sagte mir, dass Sie mich gesucht haben. Als ich Sie hier fand, wollte ich nicht stören. Ich konnte aber nicht verhindern, Ihrer Unterhaltung zuzuhören. Sie können fantastisch mit Kindern umgehen, Nora, wissen Sie das?«
Wie immer bei Komplimenten wurde Nora verlegen. Sie erwiderte sein Lächeln und strich sich eine kleine Locke aus der Stirn.
»Danke, Bill. Ich glaube aber, das kann jeder, der eigene Kinder hat.«
Er schüttelte den Kopf. »O nein. Es wäre schön, wenn es so wäre. Aber leider haben Sie in diesem Punkt nicht Recht. Die meisten Menschen sind hilflos, wenn sie Kinder in einer solchen Situation erleben. Sie denken, es sei besser, nicht mehr darüber zu sprechen, es zu verdrängen, aber das stimmt nicht. Die Kinder leiden darunter, wenn so ein traumatisches Erlebnis in der Familie unter den Teppich gekehrt wird. Und sie können meistens nicht verstehen, wieso versucht wird, so zu tun, als wäre das Unglück nicht geschehen. Häufig gehen ihre Gedanken dann in eine falsche Richtung, und nicht selten suchen sie die Schuld bei sich selbst.« Nora hatte ihm interessiert zugehört. Jetzt legte er eine Hand auf ihren Arm und fragte: »Aber Sie wollten mich sprechen? Worum geht es denn?«
Sie musste kurz überlegen, denn in Gedanken war sie noch bei seinen Erklärungen gewesen. Sie tippte sich an die Stirn.
»Ach ja! Jetzt hätte ich es fast vergessen. Ich wollte Ihnen nur Bescheid geben, dass Martin und ich für einige Tage unseren geplanten Ausflug zum Ayers Rock machen. Sie sollten sich nicht wundern, wenn wir plötzlich verschwunden sind.«
»Ah, ich beneide Sie. Dort würde ich jetzt auch lieber hinfahren, als hier zu arbeiten. Wie lange werden Sie weg sein?«
»Etwa drei bis vier Tage. Martin ist Sportflieger, er wird uns nach Alice Springs fliegen.« Sie sah bittend an die Decke. »Ich hoffe, er weiß, was er tut.«
Bill lachte. »Na, das hoffe ich doch auch. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dort.«
Noch am selben Vormittag erhielt Martin Sanders die Starterlaubnis, und die gemietete Cessna rollte auf die Startbahn des Flugplatzes von Cameron Downs. Nora fühlte sich wirklich nicht sehr wohl. In so einer kleinen Maschine zu fliegen, war etwas völlig anderes, als sie es bisher gewohnt war. Außerdem hatte Martin sie derart mit seinen Flugkünsten aufgezogen, dass sie tatsächlich verunsichert neben ihm Platz genommen hatte. Nach einer Weile registrierte sie aber, wie sicher und routiniert er mit der Cessna umging, und sie entspannte sich. Schließlich mochte sie den Blick von der Landschaft unter sich gar nicht mehr abwenden.
Nachdem sie den Ort hinter sich gelassen hatten, konnte Nora neben Büschen und Bäumen deutlich die Biegungen der Flüsse, die sie überflogen, betrachten, genauso wie Felsen und Gesteinsformationen, ab und zu ein großes Farmhaus, auf dessen Dach meist der Name der Farm deutlich abzulesen war, zumindest solange Martin nicht höher flog. Aber anscheinend genoss er selbst den Ausblick. Einige Zeit später überflogen sie den großen Lake Eyre, der im Lake Eyre National Park lag. Australiens größter See befand sich zwar im trockensten Teil des Kontinents, wäre einem Verdurstenden jedoch keine Hilfe gewesen, denn wenn er sich vielleicht zweimal im Jahr mit Wasser füllte, war sein Salzgehalt höher als der des Ozeans. Nora konnte auch nur einige Pfützen inmitten riesiger Salzpfannen ausmachen, bevor sie sich der Simpson Wüste näherten und nach einer Weile der berühmten Eisenbahnlinie Ghan folgten, deren Gleise von Adelaide im Süden bis nach Alice Springs und zu den MacDonnell Ranges in die Mitte des Kontinents führten.
Nach der Landung in Alice Springs nahmen sie bei einer der örtlichen Autovermietungen einen geländegängigen Mietwagen, mit dem es nun endgültig zum Uluru-Kata Tjuta National Park gehen sollte, der wohl die bekanntesten Wahrzeichen Inneraustraliens beherbergte, den Ayers Rock und die etwa dreißig Kilometer entfernt liegenden Olgas. Es störte sie nicht, dass sie Alice Springs kaum einen Blick gönnten und gleich weiterfuhren. Sie würden vor dem Rückflug noch einen Tag hier verbringen und sich umsehen können. Nora freute sich besonders darauf, dieses für die Ureinwohner so wichtige Land kennen zu lernen. Sie hoffte dort in Ruhe etwas von der Kultur der Aborigines wahrnehmen zu können. Insgeheim jedoch befürchtete sie, womöglich am Ziel feststellen zu müssen, dass man daraus doch so etwas wie ein heimliches Disney World gemacht hatte. Nachdenklich schaute sie aus dem Fenster.
»Na. was geht in deinem Kopf vor?«, fragte Martin.
Sie seufzte und streckte die Beine aus.
»Ach Martin, ich glaube kaum, dass du das nachvollziehen kannst. Du bist schon so viel in der Welt herumgekommen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass dich noch etwas wirklich vom Hocker reißt.«
»Nein, das stimmt so nicht.« Er überlegte kurz. »Es hat auf meinen Reisen immer Orte gegeben, die ich total faszinierend gefunden habe, doch auch andere, die mich abgestoßen haben. Ich sehe die Welt durch die Kamera aber meist mit anderen Augen als du zum Beispiel.«
Sie schaute ihn verständnislos an. »Wie meinst du denn das? Bin ich deiner welterfahrenen Sichtweise nicht gewachsen?«
Er lachte leise in sich hinein. Ohne dass er es beabsichtigte, gelang es ihm immer, sie zu provozieren. Mit ihr wurde es wenigstens nie langweilig.
»Quatsch! Ich wollte damit sagen, dass mich häufig ausschließlich die Wirkungsweise des Fotografierten auf andere interessiert. Es gibt so wahnsinnig viele Möglichkeiten, etwas auf Bildern festzuhalten, und jedes Mal hat dieses Festgehaltene eine andere, eine neue Wirkung auf den Betrachter. Auch wenn es vielleicht aufgesetzt klingt, ich empfinde bei meiner Arbeit durchaus eine tiefe Verantwortung, denn ich wecke mit meinen Bildern Sympathien oder womöglich auch Aversionen gegen bestimmte Orte bei den Leuten, die sie betrachten. Verstehst du?«
Er blickte sie an, und sie nickte langsam.
»So habe ich es noch nie gesehen. Aber du hast Recht.«
Er schaute wieder auf die Fahrbahn vor sich und fuhr fort: »Weißt du, ich wollte aber etwas ganz anderes damit sagen, nämlich, dass ich bisher anders an Aufgaben herangegangen bin als du. Es gefällt mir jedoch, dich hier zu beobachten. Du bist so offen für alles Neue, du möchtest gern hinter die Dinge sehen. Du willst nicht nur eine tolle Story, du stellst immer die menschlichen Aspekte in den Vordergrund. Mir ist aufgefallen, wie sehr du dich darum bemühst, sie zu ergründen und zu verstehen und sie vor dem geschichtlichen Hintergrund dieses Landes zu betrachten. Glaub mir, Nora, gerade die zwiespältigen Gefühle, die du hier offensichtlich immer wieder durchlebst und die du zulässt, machen es so spannend, dich bei der Arbeit zu beobachten.«
Sie schnitt nun eine Grimasse. »Dann bin ich wohl so etwas wie ein Insekt unter dem Mikroskop für dich, oder was? Was denn für zwiespältige Gefühle?«
»Na, wenn du zum Beispiel auf nette, freundliche Farmer triffst, die dir sympathisch sind und die dann aber – auch heute noch – abfällige Bemerkungen über die Aborigines machen, die dich doch so faszinieren, dann stürzt dich das offensichtlich immer wieder in Konflikte. Trotzdem gibst du nicht auf. Ständig versuchst du aufs Neue hinter eine Sache zu steigen oder zeigst Bereitschaft, andere Sichtweisen und Blickwinkel zuzulassen oder sie wenigstens anzuhören. Du willst sozusagen alle Aspekte, die auf dich einstürzen, aufnehmen und in deine Arbeit einfließen lassen. Das macht dich glaubhaft. Und ich muss dir sagen, du reißt mich einfach mit.«
Er lachte herzhaft, als er bemerkte, dass sie wieder einmal mit Verlegenheit zu kämpfen hatte. Aber ehrlich, wie sie war, meinte sie schließlich: »Martin, das war nun wirklich das Netteste, das mir auf australischem Boden bisher gesagt worden ist. Danke.«
Er klopfte ihr kameradschaftlich aufs Knie.
»So, wir haben noch eine ganz schöne Strecke vor uns. Hoffentlich schaffen wir es vor Sonnenuntergang. Wie wär’s, wenn du mich ein wenig an deinem Wissensdrang teilhaben lässt? Erklär mir doch mal, warum die einen Uluru und die anderen Ayers Rock sagen. Und was ist mit den Olgas?«
Nora lehnte sich zurück und begann zu erzählen.
»Seit Jahrtausenden ist der Ayers Rock für die Ureinwohner Australiens ein zentrales Heiligtum, eine heilige Kultstätte, die man ihnen nach der Besiedlung durch die Weißen einfach weggenommen hatte. Dieser Berg war für die Aborigines ein lebenserhaltender Ort inmitten der Wüste. Hier gab es Schatten und Wasser. Auf seinem Land und in der Umgebung laufen auch viele der Songlines zusammen.«
Martin sah sie stirnrunzelnd an. »Songlines? Was ist das?«
»Die Aborigines gehören schon seit Urzeiten zu den Jägern und Sammlern und leben in Stammesgemeinschaften. Diesen Stämmen standen bestimmte Territorien zur Verfügung. Nun konnten sie innerhalb dieser Gemeinschaften ja nicht lesen oder schreiben, also nutzten sie ihre Kunst als Mitteilungsform: Felsmalereien gaben zum Beispiel wichtiges Wissen über die Umgebung oder die sozialen Beziehungen zu anderen Stämmen weiter. Um aber Territorien abzugrenzen, benutzten sie ihre Gesänge.«
Nora machte eine kleine Pause, in der Martin sie überrascht ansah.
»Gesänge? Wie funktionierte denn das?«
»In den ›Songs‹ beschrieben sie ihr eigenes Stammesgebiet ganz genau – Merkmale wie Gesteinsformationen oder Flussläufe oder Ähnliches. Daraus waren dann für alle anderen die ›Lines‹, die Grenzen, erkennbar. So eine mündliche Art von Kartographie, die auch geändert wurde, wenn sich die Stammesbeziehungen verschoben.
Aber zurück zum Uluru. Der Stamm der Anangu, wie sich die dort ansässigen Aborigines selbst nennen, hatte schreckliche Zeiten durchstehen müssen, als die weißen Siedler kamen. Das Land der Ureinwohner wurde von den Schafen und Rindern der Siedler, die es einfach in Besitz genommen hatten, förmlich überschwemmt. Die Tiere richteten fürchterliche Schäden durch Überweidung an, und das Land konnte sich nicht mehr erholen. Hinzu kamen schwere Dürrekatastrophen, die außerdem noch dazu beitrugen, dass die Nahrungsgrundlagen der Anangu zerstört wurden. Sie wurden also praktisch dazu gezwungen, Missionsstationen oder von der Regierung errichtete Siedlungen aufzusuchen. Trotzdem gelang es ihnen, ihre Kultur lebendig zu halten. Traditionen und Fertigkeiten wurden weitergegeben und so die starke Bindung an das Land aufrechterhalten. Als es zur Landrechtsbewegung kam, wurde das Land 1985 zwar offiziell an die Anangu zurückgegeben, aber gleichzeitig zum Nationalpark erklärt, der wegen seiner großen kulturellen und ökologischen Bedeutung auch in der UNESCO-Liste als ›Erbe der Menschheit‹ geführt wird.«
Sie machte eine Pause, um etwas zu trinken. Martin warf ihr einen belustigten Seitenblick zu. »Ich wusste doch, dass ich es mir schenken kann, ein Buch über Australien zu lesen, wo ich dich dabeihabe.«
Sie zog wieder eine Grimasse. »Soll ich lieber meinen Mund halten?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, das war nur ein Scherz. Mach weiter, es hört sich interessant an.«
»Jedenfalls hat der so genannte Ayers Rock bei den Aborigines schon immer Uluru geheißen. Manche sagen, das bedeutet ›schattiger Platz‹, und tatsächlich stellt dieser Berg in der weiten Ebene ja auch den einzigen Platz dar, der auf natürliche Weise Schatten spendet. Andere behaupten, der Name beschreibe den ›Fels der vielen Farben‹, und wieder andere meinen, Uluru sei einfach der Name der Wasserstelle am Berg. Wenn du mich fragst, ich finde alle drei Erklärungen interessant. Die ›Olgas‹ waren seit je Kata Tjuta, was › viele Köpfe‹ bedeutet, und irgendwie sehen sie ja auch so aus wie riesige Köpfe.« Nora schaute aus dem Fenster. »Ich kann gar nicht fassen, das Ganze jetzt bald in Wirklichkeit zu erleben, aber das verstehst du wahrscheinlich nicht, oder?«
»Doch, auch wenn du mir das nicht abnimmst. Ich meinte das vorhin ernst, dass du mich mitreißt mit deiner Faszination. Und sonst? Gibt es noch etwas Wichtiges, das ich wissen sollte?«
Nora zögerte einen Moment, dann sagte sie bestimmt: »Ja, es gibt noch etwas sehr Wichtiges.«
Martin sah sie gespannt an. »Ja?«
»Wir werden den Uluru auf gar keinen Fall besteigen. Und komm mir nicht mit den Fotoperspektiven. Für kaum etwas schäme ich mich mehr als für all die Touristen, denen die Empfindungen der Aborigines für ihren heiligen Berg egal sind, und die meinen, da unbedingt raufklettern zu müssen. Die Anangu selbst würden wohl kaum einen Fuß darauf setzen.« Nora lächelte grimmig und fügte hinzu: »Ich stelle mir gerade vor, wie dieselben Leute im Kölner Dom oder in den Pariser Kirchen Notre-Dame und Sacré Cœur schauen würden, wenn dort ein Tourist auf den Altar klettern würde, um die Mosaikfenster besser fotografieren zu können.«
Martin musste nun lachen. »Okay, sehen wir uns den Uluru also von unten an. Ich finde deine Erklärung absolut einleuchtend.«
Sie nickte. »Es soll da ein sehr schöner Pfad sein, der um den Berg herumführt. Von da aus gibt es bestimmt auch gute Perspektiven für uns. Außerdem wollen wir ja den Berg betrachten und nicht die Ebene drum herum, durch die sind wir schließlich hergefahren.«
Eine Weile schwiegen sie und hingen beide ihren Gedanken nach. Martin dachte über Noras Bemerkung nach. Sicherlich war er nicht das, was man im allgemeinen als Kulturbanausen bezeichnete, und doch musste er sich eingestehen, dass für ihn immer das Foto zählte, das fertige Produkt, nicht der Weg dahin. Bei Nora schien es eher umgekehrt zu sein. Für sie war es wichtig, zu erkennen, warum etwas so war und nicht anders. Wie man etwas begründete. Unvermittelt unterbrach er die Stille.
»Sag mal, warum warst du eben eigentlich so persönlich betroffen?«
Sie warf ihm schnell einen prüfenden Blick zu. »Ach Martin, ich hoffe, du weißt, dass mein Unmut nicht auf dich gerichtet war. Du hast wahrscheinlich keine Ahnung, wie Recht du vorhin hattest, als du meintest, du könntest meine zwiespältigen Gefühle hier so gut erkennen, wenn du mich bei der Arbeit beobachtest. Noch nie hat mich ein Land so fasziniert wie dieses hier, aber je mehr ich gelesen und erfahren habe, umso weniger scheine ich zu verstehen. Ich habe mich zuerst mit den Aborigines befasst, dann mit der Geschichte um die Besiedlung Australiens und dann mit der Wechselwirkung, die beides aufeinander hatte und offensichtlich heute noch hat.« Sie legte den Kopf in den Nacken und seufzte. »Weißt du, als ich schon einiges über Australien gelesen hatte und dann die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2000 in Sydney verfolgte – Kathy Freeman, eine junge Aborigine, entzündete das olympische Feuer –, da war ich einfach hingerissen und tief beeindruckt. Mittlerweile habe ich aber noch mehr gelesen, gesehen und erfahren, und ich frage mich, ob es nicht noch ein weiter Weg bis zur endgültigen Versöhnung zwischen Schwarz und Weiß in diesem Land ist. Womöglich sollte die Olympiade auch nur als Riesen-Medien-Event aller Welt die multikulturelle und weltoffene Gesellschaft Australiens vorführen ...
Warum nur fällt es diesen wunderbaren, aufgeschlossenen und gastfreundlichen Australiern so schwer, diesen dunklen Punkt in der Vergangenheit ihres Landes zu akzeptieren, einzusehen, was alles falsch gelaufen ist, und mehr für eine Annäherung zwischen den Kulturen zu tun?«
Nora sah Martin fragend an, der jedoch bedauernd mit den Schultern zuckte. In seinem ganzen bisherigen Leben hatte er noch nie über diesen Punkt nachgedacht. Etwas ratlos hörte er Nora jetzt zu, die den scheinbar endlosen Stuart Highway vor sich betrachtete.
»Mich ärgert obendrein dieser pseudokulturelle Boom, weißt du? Aber die gleiche Art der Oberflächlichkeit gibt es ja auch in den meisten anderen Ländern, ich nehme uns da gar nicht aus. Die angebotenen Pauschaltrips, die dann auch stets ein bisschen ›Aborigines-Kultur‹ beinhalten. Häufig ist es bloß der Blick auf für Touristen tanzende Ureinwohner. Die Arroganz der Besucher, die dahintersteckt, stößt mich ab. Oft finden sich hier doch nur gelangweilte Japaner, Europäer oder Amerikaner ein, die glauben, mit einer Reise zu den Aborigines ihren ganz persönlichen spirituellen Kick ausleben zu können. Leider reicht ihr offen bekundetes Interesse für diese uralte Kultur aber meist nicht im Entferntesten für den Respekt aus, auf die Besteigung des heiligen Bergs zu verzichten.«
Martin war verblüfft. So verbittert hatte er Nora bisher noch nicht erlebt.
»He, Nora, was ist denn los? Meinst du nicht, dass du jetzt auch ein wenig arrogant bist, indem du dich über diese Leute stellst?«
Sie fuhr sich über die Stirn. »Vielleicht. Aber ich finde, man sollte sich in einem fremden Land anpassen. Es sollte jedem wichtig sein, einen guten Eindruck in dem Land zu hinterlassen, in dem man nur Gast ist.«
Nora legte Martin eine Hand auf den Arm und schüttelte nun leicht den Kopf. »Tut mir Leid, Martin. Ich weiß auch nicht, was gerade mit mir los ist. Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich die Eindrücke hier überrollen. Aber mal ehrlich, sind dir auf unserer Reise hier viele Aborigines aufgefallen, die einen ganz normalen Platz in der australischen Gesellschaft einnehmen? Beim Bäcker, in der Bank, als Handwerker, in der Kirche oder so? Nein! Als Außenstehende empfinde ich es so, als gehörten sie einfach nicht dazu. Auch wenn die Weißen behaupten, dass die Ureinwohner nur nehmen und nicht geben, dass sie jammern, aber nichts dazu beitragen, dass es besser werden kann – es bleibt doch eine Tatsache, dass den Aborigines zuerst das Land und durch die moderne Zivilisation auch weitgehend ihre Kultur, ihr seelischer Friede genommen wurde, sei es durch Krankheiten, gegen die ihr Immunsystem keine Chance hatte, oder durch Unterdrückung und Verfolgung oder Alkohol und Drogen. Und nun gibt es endlich kleinere Gruppen der Aborigines, die sich wieder auf ihre kulturellen Wurzeln und ihre Kunst besinnen, und sofort müssen sie sich vor windigen Managern in Acht nehmen, die diese Entwicklung gleich versuchen für ihre Zwecke auszuschlachten.« Nora schüttelte erneut den Kopf. »Entschuldige, Martin. Ich bin heute wohl ziemlich anstrengend, was? Wie wär’s mit einer Pause? Vielleicht sollten wir uns mal ein bisschen die Beine vertreten, was meinst du?«
Er zog die Augenbrauen hoch und betrachtete die trockene Ebene. »Hier?«
Nora nickte. »Warum denn nicht? Zu den Bus-Parkplätzen kommen wir noch früh genug.«
Martin lenkte den Wagen von der geteerten Fahrbahn des Highways und hielt an. Ohne zu zögern stieg Nora aus und legte die Arme auf das Autodach, um wieder einmal ungläubig das Ausmaß dieser flachen Weite in sich aufzunehmen. Die rote Erde wurde hier zum Teil durch unzählige Spinifexgrasbüschel und niedrige Büsche verdeckt, in einiger Entfernung von der Straße standen auch wieder die vertrauten Mulga-Akazien, und vereinzelt konnte Nora kleinere Eukalyptusbäume erkennen, so genannte Geistereukalypten, deren schneeweiße Rinde die Bäume vor der sengenden Sonne schützte. Martin hatte sich routinemäßig eine Kamera gegriffen und machte einige Schritte vom Wagen weg, der auf dem staubigen roten Seitenstreifen stand. Nora ging in die Hocke und ließ sich den roten Sand durch die Finger rieseln. Als sie sich wieder aufrichtete, sah sie, dass Martin zwischen den Büschen umherging und dann und wann prüfend durch seine Kamera schaute, offenbar auf der Suche nach einem lohnenden Motiv. Während Nora sich langsam einmal um die eigene Achse drehte, um diesen Rundblick bewusst wahrzunehmen, hörte sie von Martin plötzlich einen unterdrückten Schrei. Schnell bewegte sie sich in seine Richtung.
»Was ist denn los?«
Er kratzte sich verlegen am Kopf. »Ach, ich hab nur den da gesehen.«
Er deutete auf eine merkwürdig stachlig ausschauende Eidechse, die sich seltsam ruckend davonmachte, während er noch ein paar Fotos schoss.
Nora lachte erleichtert und betrachtete das farblich perfekt an seine Umwelt angepasste Tier, von dessen Körper gebogene Stacheln, die in der Form Rosendornen ähnelten, in Rotbraun, Goldgelb und Hellbeige abstanden.
»Na, der ist jedenfalls harmlos. Ich glaube, diese Eidechsenart heißt Dornteufel.«
Martin schnaubte verächtlich. »Wie ein Ausbund an Freundlichkeit sieht das Vieh aber nicht aus. Komm, lass uns zum Wagen gehen, sonst holt er noch seine Mutter.«
Lachend kehrten sie zum Auto zurück. Als Nora jedoch das Heck umrundet hatte, um auf ihrer Seite einzusteigen, blieb sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Martin, der seine Tür bereits geöffnet hatte, sah zu ihr hin. »He, was ist los?«
Nora rührte sich nicht. Sie war aber leichenblass geworden. Ihre Augen waren starr auf etwas am Boden gerichtet.
Martin beobachtete sie abwartend.
»Hahaha. Du willst mich doch jetzt auf den Arm nehmen, oder?« Auf Noras Stirn hatten sich Schweißperlen gebildet, und sie zeigte immer noch keine Regung. Martin wurde nun doch unruhig und ging ebenfalls vorsichtig um den Wagen herum. Gleich darauf stockte ihm der Atem. Vor Nora bewegte sich wellenförmig eine Schlange auf dem Boden und hatte sich drohend aufgerichtet. Martin war sofort stehen geblieben.
»Nicht bewegen, Nora!«
Offenbar einer plötzlichen Eingebung folgend, schlängelte sich das Tier endlich über den Highway und den roten Sand des Seitenstreifens hinweg auf das Spinifexgras und die freie Ebene zu. Nora wischte sich mit einer Hand die Stirn und musste einen Moment die Augen schließen. Martin war hinter sie getreten und nahm ihren Arm.
»Komm, steig jetzt bloß ein. Ich finde, das reicht für heute.«
Schnell ging er um den Wagen herum und warf sich ebenfalls auf seinen Sitz. Er griff nach der Wasserflasche und reichte sie ihr. Nachdem sie einen Schluck getrunken hatte, kehrte etwas Farbe in ihr Gesicht zurück. Auch er nahm einen Schluck und sagte dann grinsend: »Danke für deine Idee, hier eine Pause einzulegen. Ich habe mich schon lange nicht mehr so lebendig gefühlt.«
Beide lachten erleichtert, und Martin lenkte den Wagen wieder auf den Highway.
Als sie schließlich nach geraumer Zeit vom Highway abbogen, und sich dem extra außerhalb des Nationalparks angelegten Touristenresort Yulara näherten, spürte Nora schon wieder gespannte Erwartung.
Sie hatten vor, sich in Yulara Zimmer für zwei Nächte zu suchen und dann noch die etwa zwanzig Kilometer zum Uluru zu fahren, um vielleicht schon einen der spektakulären Sonnenuntergänge zu erleben. Nora wurde zunehmend nervöser, als es erst im dritten Anlauf klappte, eine Unterkunft zu finden. Selbst außerhalb der Saison schienen der Ayers Rock und die Olgas Publikumsmagneten zu sein, was ihre Hoffnungen auf eine ruhige Annäherung an dieses Stück Zeitgeschichte schwinden ließ.
Eilig legten sie in den Hotelzimmern ihr Gepäck ab, machten sich frisch und trafen sich wieder vor dem Hotel, um zu ihrer ersten Begegnung mit dem mehrere hundert Millionen Jahre alten Monolithen aufzubrechen. Auf der Fahrt schwiegen sie beide, jeder von ihnen schien in Gedanken versunken. Noras Stimmung war verhalten bis skeptisch. Sie hatte den Uluru – der für sie der Inbegriff der australischen Ureinwohnerkultur war – schon so oft und eingehend auf Fotos betrachtet, dass sie nun die Sorge befiel, dass er in Wirklichkeit ihren Ansprüchen nicht mehr gerecht werden konnte.
Doch dann, als sie sich in der Abendstimmung diesem Berg näherten, der sich einfach majestätisch aus der ihn umgebenden, scheinbar unendlichen Ebene erhob, zog er sie sofort in seinen Bann. Nora vermochte den Blick nicht mehr abzuwenden. Auch wenn die Dämmerung noch nicht eingesetzt hatte, konnte man doch bereits das Abendlicht wahrnehmen, das die Umgebung schon in einen goldenen Schimmer tauchte.
Nachdem sie den Parkeingang passiert und den Eintrittspreis bezahlt hatten, lenkte Martin den Wagen auf einen der Parkplätze am Fuße des Uluru. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg, der um den Berg herumführte. Sie schwiegen beide, und Nora sah sich um und staunte. Sie konnte es irgendwie nicht fassen, dass sie wirklich hier war. Ihnen war klar, dass sie die gesamte Strecke des Pfades heute nicht schaffen würden. Ohne darüber gesprochen zu haben, verspürten jedoch beide den Wunsch, sich durch das Herumgehen und Schauen davon zu überzeugen, dass sie sich tatsächlich hier befanden, an einer Stelle, praktisch in der Mitte des australischen Kontinents, vor diesem Monolithen, den es schon vor etwa fünfhundert Millionen Jahren gegeben hatte. Nora flößte diese Tatsache so etwas wie Ehrfurcht ein. Ähnlich empfand sie auch immer, wenn sie den Sternenhimmel betrachtete. Man war als Mensch so klein und unbedeutend vor den zeitlichen Urgewalten solcher Naturdenkmäler. Und doch glaubten so viele, sie hätten diesen Berg »bezwungen«, wenn sie an der Kette einmal hinauf- und wieder hinuntergeklettert waren und unten johlend von ihren Reisebus-Gefährten in Empfang genommen wurden.
Nora schob den Unmut, der schon wieder in ihr aufstieg, beiseite. Sie wollte sich diesen Augenblick ihres Lebens hier nicht verderben lassen, sie wollte nur die Atmosphäre, die diesen Ort umgab, in sich aufnehmen, um sich später immer daran erinnern zu können. Sie registrierte jede Einzelheit, war erstaunt, dass der Uluru, wenn man ihn aus der Nähe betrachtete, viel mehr Narben und Ausbuchtungen hatte, als man es von Bildern her kannte. Sie dachte plötzlich an das Kalenderbild, das zu Hause an der Wand hing, und wieder versuchte sie sich klar zu machen, dass sie nun in Wirklichkeit am selben Ort war. Verblüfft stellte sie fest, dass sich auch auf seinen felsigen Ausläufern Grasflächen befanden, ja sogar kleine Büsche oder Bäume wuchsen. Immer wieder blieben sie stehen, um den Monolithen erneut aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Schließlich zupfte Martin sie am Ärmel.
»Nora? Lass uns zum Wagen zurückgehen und zu einem der markierten Aussichtspunkte fahren. Ich hoffe auf ein paar gute Fotos.«
Sie nickte und gemeinsam gingen sie zum Parkplatz zurück, um sich einen guten Standort für den Sonnenuntergang zu suchen, wie hunderte der anderen Besucher auch.
Nachdem sie sich entschieden hatten, wo sie auf dieses Ereignis warten wollten, half Nora Martin dabei, die Ausrüstung zu tragen. Sie war froh, sich ein wenig damit ablenken zu können, denn sie verspürte eine solche Aufregung, dass sie sich fast dafür schämte. Die vielen Leute um sie herum ließen das Ganze jedoch weniger ruhig und ehrfürchtig werden, als sie es nach den ersten Schritten am Fuße des Berges erwartet hatte. Dennoch konnten sie nun bei klarem Himmel dieses einzigartige Naturschauspiel in all seinen ungewöhnlichen Farbschattierungen beobachten. Die Sonne ließ den zuvor noch in Goldtönen liegenden Uluru mittlerweile in den von Fotokalendern so bekannten brandroten Farben leuchten, was ihm vor dem in bleigrauen bis blauen Tönen liegenden Himmel eine nahezu unwirkliche Ausstrahlung verlieh.
Neben Nora betrachtete Martin den scheinbar glühenden, imposanten Berg durch seine Objektive ernst und konzentriert. Das Surren seiner Fotokamera verriet ihr, dass er bei der Arbeit war. Als der Berg sich schließlich immer weiter verdunkelte und in einem tiefen Violett mit dem Abendhimmel verschmolz, wurde es Zeit, an die Heimfahrt zu denken. Ruhig machten sie sich daran, zusammenzupacken und die Ausrüstung im Wagen zu verstauen. Martin setzte sich hinter das Steuer; er spürte, dass Nora lieber jeden noch möglichen Blick dem Uluru schenken würde, als auf die Straße zu achten. Außerdem gefiel es ihm, sie in ihren Empfindungen zu beobachten. Manchmal hatte er bereits das Gefühl, in ihr lesen zu können wie in dem sprichwörtlich offenen Buch. Er mochte ihre Art, diesen Kontinent zu entdecken, und ließ sich nur zu gerne von ihrer Begeisterung anstecken, die diese Reise auch für ihn um vieles interessanter machte als vorangegangene Fotoreportagen. Nach einer Weile des Schweigens sah er sie von der Seite an. In der fast vollständigen Dunkelheit konnte er ihr Gesicht nicht mehr klar erkennen.
»Na, hat er gehalten, was er dir versprochen hat, Nora?«
Sie lehnte den Kopf gegen die Nackenstütze und schien zu überlegen.
»Ja, ich meine doch. Und ich bin so dankbar, dass wir gleich bei unserem ersten Besuch das Glück hatten, diesen Sonnenuntergang sehen zu dürfen.« Sie seufzte zufrieden, bevor sie Martin musterte.
»Und du? Was hast du gedacht, als wir dort ankamen? War es für dich auch noch etwas Besonderes?«
Martin konnte sich ein belustigtes Lächeln nicht verkneifen.
»Kann es sein, Nora, dass du mich in den Tiefen deiner Seele für einen abgebrühten Kulturbanausen hältst?«
Sie lachte ein wenig in sich hinein.
»Entschuldige, Martin. Aber vielleicht vermag ich mir einfach nicht vorzustellen, dass man noch das Besondere, das Einzigartige an solchen Orten wahrnehmen kann, wenn man heute den Uluru, in drei Wochen die Chinesische Mauer und vielleicht in sechs Wochen Tibet fotografiert.«
»Doch, Nora. Ich gebe zu, dass ich mich manchmal bemühen muss, nicht abzustumpfen, all diese ständig wechselnden Eindrücke als selbstverständlich hinzunehmen. Aber heute, das war schon etwas Besonderes.« Er kratzte sich nachdenklich am Ohr und grinste sie plötzlich wieder unvermittelt an.
»Und wenn ich in der nächsten Stunde vielleicht auch noch etwas zu essen bekomme, wird mir dieser Tag in unvergleichlich guter Erinnerung bleiben.«
»Also doch ein Kulturbanause!«
Als sie später gemeinsam im Hotel ein vorzügliches Abendessen und einen guten australischen Rotwein genossen, verspürte Nora eine tiefe Zufriedenheit. Sie beschlossen, den morgigen Tag noch einmal am Uluru zu verbringen, die etwa vierstündige Wanderung um den Berg herum zu machen und anschließend eine Pause im Besucherzentrum einzulegen, um dort hoffentlich Interessantes von den Aborigines über ihren heiligen Berg oder die Traumzeit zu erfahren. Einem weiteren Abend in diesem Hotel sahen sie nach dem heutigen Essen bereits mit Vorfreude entgegen. Für den darauf folgenden Tag planten sie die Olgas ein, bevor sie dann wieder nach Alice Springs zurückkehren wollten.
Die vielen neuen Eindrücke hielten Nora später zunächst davon ab, gleich einzuschlafen. Auch musste sie in der Stille ihres Zimmers wieder an die kleine Joanna denken und durchlebte in der Erinnerung noch einmal die schrecklichen Momente, in denen Tom dem kleinen Jungen nicht mehr hatte helfen können. Einen Augenblick lang tauchte in diesem Zusammenhang auch die Schlange vom Stuart Highway in ihren Gedanken auf und ließ Nora schaudern; sie verdrängte allerdings die Frage, ob sie zu den giftigen gehört hatte oder nicht. Sehnsüchtig dachte sie an ihre Familie, denn obwohl sie regelmäßig mit ihrem Mann und den Kindern telefonierte, fehlten sie ihr. Noch nie zuvor war sie für mehrere Wochen von ihnen getrennt gewesen, und auch wenn sie die für diese Reise neu gewonnene Unabhängigkeit genoss, wünschte sie sich manchmal, die weichen Kinderarme wieder um ihren Hals zu spüren oder den endlosen Erzählungen ihrer lebhaften Kinder zuzuhören.
Seufzend drehte Nora sich in ihrem Bett von der einen auf die andere Seite. Da sie in der letzten Nacht kaum Schlaf gefunden hatte, überkam sie nach einer Weile endlich die ersehnte Müdigkeit, die sie allerdings in unruhige Träume fallen ließ. Als sie morgens erwachte, war sie zunächst verwirrt, da ihr alles so echt erschienen war. Sie erinnerte sich daran, im Traum vor etwas weggelaufen zu sein. Ständig hatte sie sich angsterfüllt umgesehen, und einige Male war Toms ernstes Gesicht vor ihr aufgetaucht, das den gleichen fassungslosen Ausdruck hatte wie bei dem Tod des kleinen Dennis.
Nora schüttelte schließlich den Kopf, erlaubte sich noch ein ausgiebiges Recken und rieb sich langsam die Augen, bevor ihr Blick zum Fenster wanderte, um sich mit dem Wetter für den bevorstehenden Tag zu beschäftigen. Als sie den blauen Himmel mit ein paar weißen Wölkchen entdeckte, schwang sie die Beine aus dem Bett. Nach einer Dusche und in frischer Kleidung wollte sie Martin zum Frühstück abholen, der ihr jedoch schon auf dem Gang entgegenkam, als sie ihr Zimmer gerade verlassen hatte. »Na, gut geschlafen?«
Sie strahlte ihn gut gelaunt an.
»Ja, du auch? Jetzt habe ich aber Hunger.«
Nora und Martin entschlossen sich dazu, doch erst zu dem neuen Kulturzentrum im Park zu gehen, das sich seit 1995 darum bemüht, den Besuchern ein umfassendes Bild des Uluru und seiner Menschen zu vermitteln. Als sie erfuhren, dass hier die Ureinwohner mit einem Unternehmen namens Anangu Tours eigene Führungen anboten, entschieden sie sich sofort dafür. Wer, wenn nicht die Anangu selbst, könnte ihnen alles Wissenswerte zum Felsen, den Wasserstellen und zugänglichen Höhlen erzählen? Der wenig später ihrer kleinen Gruppe zugeteilte Guide machteden Besuchern auch noch einmal deutlich, dass die Aborigines nicht das Land besäßen, sondern umgekehrt das Land sie. Den Teilnehmern der Gruppe wurde während der Wanderung klar, dass die Kultur der Aborigines ohne dieses Land nicht hätte überleben können. All ihre Tänze, Traditionen, Riten und Erzählungen aus der Traumzeit waren seit ewigen Zeiten unauslöschlich an bestimmte Plätze oder heilige Kultstätten in dieser Landschaft gebunden. Auf dem Weg vom Besucherzentrum zum Uluru zeigte ihnen der Guide viele Dinge, die ihnen sonst sicher verborgen geblieben wären – Pflanzen und Tiere, auch das so genannte Bushfood, das den Aborigines zum Teil selbst heute noch als Nahrung dient und von dem sie immer noch genau wissen, wo es zu finden ist. Er berichtete ihnen, dass sie weiterhin die Honigameise jagten, dass sie inzwischen zwar das Känguru mit dem Gewehr erlegten, es aber immer noch so zubereitet werde, wie es die Tradition überlieferte, nämlich dass es mit seiner Haut im Erdofen gebacken werde. Einige Stätten um den Uluru gälten auch heute als unberührbar und dürften nicht betreten oder besichtigt werden. Nora und Martin gefiel es, dass das Unternehmen Anangu Tours es sich zum Ziel gesetzt hatte, den Tourismus mit dem Erhalt der Kultur der Aborigines zu verbinden. Beide hofften sehr auf einen bleibenden Erfolg dieses Projekts.
Auch der nächste Tag an den Kata Tjuta schien viel versprechend zu werden. »Viele Köpfe« nannten die Ureinwohner die steil aufragenden Felsbuckel der Olgas, die sich etwa dreißig Kilometer westlich vom Uluru zusammendrängten. Schmunzelnd erzählte Nora Martin, dass ihr Entdecker, Ernest Giles, sich weniger fantasievoll gezeigt hatte, als er mit seiner Namensgebung Königin Olga, die Frau von Karl I. von Württemberg, ehrte.
Martin lachte. »Ja, da hast du Recht. Ich glaube, mir gefallen die Kata Tjuta auch besser.« Er legte nun den Kopf in den Nacken und beschirmte seine Augen mit einer Hand, um ungehindert nach oben sehen zu können. Schließlich deutete er auf den größten Felsen. »O Mann, der sieht ja ganz schön hoch aus. Das fällt von weitem gar nicht so auf. Wahrscheinlich, weil hier so viele davon herumstehen.«
Nora folgte seinem Blick und nickte.
»Stimmt. Ich habe gestern Abend noch einmal in meinem Reiseführer gelesen. Der da müsste demnach der höchste sein. Er heißt Mt. Olga und soll fünfhundertsechsundvierzig Meter hoch sein.«
Martin und Nora folgten von den Parkplätzen am Rande der Olgas den Wanderwegen, die sie durch das Labyrinth dieser Felsbuckel führten. Nora freute sich gleich zu Beginn ihrer Tour über den blühenden wilden Hopfen. Sie ließen nichts aus, waren am Felsspalt der Mount Olga Gorge, im Valley of the Winds und im Inneren des Massivs am Aussichtspunkt Kata Tjuta Lookout. Wie schon im Kakadu National Park und am Uluru nahm Nora auch hier die Atmosphäre der Aborigines-Kultur gefangen. An bestimmten Orten meinte sie förmlich, den Hauch der Zeit zu spüren. Als sie völlig in Gedanken versunken den Wind auf ihrem Gesicht genoss, kam Martin zu ihr.
»Na, kannst du schon sagen, was dir besser gefällt, der Uluru oder die Kata Tjuta?«
Nora sah sich um. Der Nachmittag war angebrochen und legte wieder den typischen Goldschimmer, den sie so liebte, über die Felsen. Nur noch ein bis zwei Stunden, und alles würde in ein Rotgold und später in ein Brandrot übergehen. Nora seufzte zufrieden. Auch wenn sie es tausendmal beobachten dürfte, war sie sich sicher, dass ihr dieses Farbenspiel niemals langweilig werden würde.
»Ich kann einfach nicht sagen, was ich schöner finde. Beide Orte haben ihren völlig eigenen Zauber.« Sie setzte sich zu Martin, der sich auf einem kleinen Felsen niedergelassen hatte, froh darüber, dass er noch nicht zum Aufbruch drängte. »Weißt du, auch wenn es vielleicht mal wieder übertrieben klingt, aber ich habe hier das Gefühl, ein wenig in die Zeit und in die Geschichte einzutauchen. Beide Orte sind für die Aborigines verwoben mit Ereignissen und Legenden aus ihrer Schöpfungsgeschichte.«
Nora strich sich eine Locke aus der Stirn und bemerkte, dass Martin noch Interesse zeigte. Also fuhr sie fort: »Auch die Felskuppen der Olgas haben solche Geschichten zu erzählen. Zwei der Berge sind beispielsweise ›pungalungas‹, menschenfressende Riesen, die von den Ureinwohnern nach langen Kämpfen besiegt werden konnten und dann versteinerten.«
Nora stellte ihren Rucksack ab und streckte die Beine von sich. »Der höchste Berg ist zugleich das Zuhause einer mythischen Schlange mit langen Zähnen, Mähne und Bart. Ihr Atem bildet den Wind zwischen den Bergen. Ich habe so viel gelesen und anhand von Bildern kennen gelernt, dass es für mich ein einzigartiges Gefühl ist, jetzt tatsächlich hier zu sein und alles in Wirklichkeit anschauen zu dürfen.«
Martin stupste sie mit einer Schulter an. »Das hast du dir aber auch verdient, Nora.« Ein freches Grinsen zeigte sich plötzlich auf seinem Gesicht. »Und ganz ehrlich, du wärst ein echter Gewinn für den australischen Fremdenverkehrsverein.«
Sie zog eine Grimasse.
»Hahaha! Kulturbanause. Mach dich nur lustig.«
Martin lachte und reichte ihr versöhnlich eine Wasserflasche.
»Hier, trink noch etwas.« Er sah auf seine Armbanduhr. »Wir müssen jetzt aufbrechen. Schließlich haben wir noch eine ganz schöne Strecke vor uns. Und dieses Mal vertreten wir uns nicht wieder die Beine – mitten im Nichts.«
Sie lachte in der Erinnerung an die stachlige Eidechse und die Schlange. »Einverstanden.«
Als sie mit der Fotoausrüstung und ihren Reisetaschen das Hotel verlassen wollten, wurden sie von einer Mitarbeiterin an der Rezeption vor einem aufkommenden Sandsturm gewarnt. Martin bedankte sich freundlich, und sie gingen zum Wagen. Nora warf ihre Reisetasche auf den Rücksitz und sah zu, wie Martin vorsichtig seine Kameras verstaute.
»Was hältst du von dieser Warnung?«
Martin betrachtete den Horizont in alle Richtungen.
»Also ich finde das ja sehr aufmerksam, aber sieh dich doch mal um, es ist kaum eine Wolke am Himmel, und sehr windig ist es auch nicht. Ich denke, wenn wir zügig fahren, schaffen wir es glatt.«
Nora zögerte kurz, dann nickte sie. »Gut, wenn du meinst. Ich übernehme die erste Strecke.«
Als nach etwa zweihundert Kilometern keine Schwierigkeiten aufgetreten waren, hatte Nora ihre anfänglichen Bedenken schon fast vergessen. Martin saß inzwischen am Steuer, und sie beschäftigte sich mit ihrem Notizbuch. In Gedanken versunken, blätterte sie ihre Aufzeichnungen durch, erfreut darüber, wie viele unterschiedliche Facetten ihre Reportage würde abdecken können. Nach einer Weile fiel ihr auf, dass Martin schon seit längerer Zeit ruhig war. Als sie aufsah, erschrak sie. Der Himmel hatte sich völlig zugezogen, und ein heftiger Wind trieb roten Sand in Schwaden über den Highway. Martin fuhr konzentriert und ziemlich schnell. Nora runzelte die Stirn.
»Sag mir jetzt nicht, dass wir doch in diesen Sturm geraten. Bloß nicht!«
»Tja, ich versuche ja schon alles, damit er uns nicht einholt, Nora, aber, es sieht nicht wirklich toll aus.«
Nora schwieg. Im Grunde hatte sie keine Ahnung, was ein Sandsturm war oder ob eine echte Gefahr von ihm ausging. Doch das Gefühl, nicht zu wissen, was auf sie zukam, verunsicherte sie noch mehr. Der Wind schien sich alles greifen zu wollen, was ihm zu wenig Widerstand entgegensetzte. Er zerrte niedrige Büsche und Sträucher aus der roten Erde und wirbelte sie mit dem losen Sand durch die Luft, die bereits einen rötlichen Schimmer angenommen hatte. Ängstlich, aber dennoch fasziniert beobachtete Nora das Geschehen und registrierte, dass Martin den Wagen mit beiden Händen am Steuer in der Spur zu halten versuchte, denn die Windböen erfassten mittlerweile auch das Auto mit spürbarer Kraft. Als er schleudernd einem kleinen Baum auswich, der kurz zuvor auf dem Highway gelandet war, klammerte sich Nora unwillkürlich an ihrem Sitz fest.
»Martin, das hat doch so keinen Sinn mehr. Lass uns anhalten und das Ganze abwarten.«
Martin zögerte, fuhr aber schon deutlich langsamer. Noras Blick blieb draußen an einer großen Eidechse hängen, die eilig nach einem Unterschlupf suchte. Martin hatte immer noch nicht angehalten.
»Wenn ich nur wüsste, was klüger ist. Womöglich hängen wir hinterher hier fest, mitten im Nirgendwo, und was dann? Ja, was dann?«
Nora zuckte mit den Schultern. »Diese Frage stellen wir uns erst, wenn es so weit ist.« Sie deutete nach vorn. »Sieh dir das doch mal an. Du kannst gleich sowieso nur noch nach Gehör fahren. Meine Güte! So etwas hab ich noch nie erlebt. Ein Sturm ohne Regen oder Schnee, nur aus Wind und Sand – und man sieht kaum noch die Hand vor Augen.«
Sie hustete. Obwohl Martin die Klimaanlage auf Umluftbetrieb gestellt hatte, begann der Sand und Staub bereits durch feinste Ritzen in das Wageninnere zu dringen. Martin war an den linken Fahrbahnrand gefahren und hatte angehalten. Er schien ärgerlich auf sich selbst zu sein.
»So, nun sitzen wir fest und müssen abwarten.« Als er Noras erschrockenen Gesichtsausdruck wahrnahm, legte er eine Hand auf ihren Arm. »Bleib ruhig. Wir haben gar keine andere Wahl.«
Er sah sich um. »Hast du Baumwolltücher oder T-Shirts in deiner Reisetasche?«
Sie überlegte kurz, bevor sie nickte. Martin hatte sich schon nach hinten gebeugt und die Tasche zu sich herangezogen. Er stellte sie Nora auf den Schoß.
»Los, her damit!«
Er kramte bereits nach einer Wasserflasche, die irgendwo zwischen dem Gepäck auf der Rückbank sein musste. Als er sie gefunden hatte, ließ er sich hustend auf seinem Sitz nieder. Nora kämpfte ebenfalls gegen einen lästigen Hustenreiz. Ihr Hals war trocken, und wenn sie ihren Mund schloss, knirschte es zwischen den Zähnen. Sie reichte ihm ein T-Shirt, das er mit Wasser befeuchtete und ihr zurückgab.
»Hier. Du musst es dir vor die Nase und den Mund halten, dann atmest du nicht so viel Staub ein.«
Sie nahm es und reichte ihm noch ein Shirt aus ihrer Tasche. Während sie sich den kühlen, feuchten Baumwollstoff vor das Gesicht drückte, warf sie einen Blick nach draußen und zuckte erschrocken zusammen, als der Wind ein großes Grasbüschel auf die Windschutzscheibe schleuderte. Außer dem stürmischen Sandgewirbel war nichts mehr zu erkennen. Nora hoffte inständig, dass die Scheiben des Wagens hielten. Der Sturm heulte und rüttelte so an dem Fahrzeug, dass Angst und Beklommenheit in ihr aufstiegen. Martin blickte fassungslos nach draußen und schüttelte den Kopf.
»Es tut mir Leid, Nora. Ich hab uns in diese Situation gebracht. Es tut mir wirklich Leid.«
Er sah völlig zerknirscht aus. Als Nora diese Feststellung machte, musste sie unwillkürlich lächeln. Das Wort »zerknirscht« hatte wahrscheinlich noch niemals eine treffendere Bedeutung gehabt als in diesem Augenblick. Sie zwinkerte ihm über ihrem Baumwolltuch zu.
»Ach, lass es gut sein, Martin. Ich wäre auch gefahren. Das Wetter hat so prächtig ausgesehen. Außerdem können wir mit dieser Geschichte bestimmt einmal Eindruck bei unseren Enkelkindern schinden, meinst du nicht?«
Erleichtert erkannte sie, dass sich die Lachfâltchen um seine Augen vertieften. Er schien nicht mehr so niedergeschlagen zu sein. Beide versuchten ruhig durch die feuchten Tücher zu atmen. Beinahe zwei Stunden vergingen, ohne dass sich der Sturm legte. Die Scheibenwischer und ein guter Teil der Windschutzscheibe waren in einer Schicht roten Sandes verschwunden. Trotz der feuchten Tücher kämpfte Nora gegen das Kratzen im Hals und einen ständig vorhandenen Hustenreiz an. Feiner Sandstaub rieselte bei jeder Bewegung aus ihren Haaren, brannte in ihren Augen und lag auf dem Armaturenbrett und in den Ablagefächern. Gerade als sie meinte, in der geschlossenen Enge des Wagens keine Luft mehr zu bekommen, ließ der Sturm nach. Das Heulen und Rütteln am Auto wurde leiser, und die Sicht klarte auf. Der schwächer gewordene Wind trieb die Wolken davon, und als die letzten Strahlen der Abendsonne durchbrachen, hätte man denken können, es habe sich um einen Spuk gehandelt.
Martin seufzte tief. »Na endlich! Jetzt bin ich aber gespannt, ob wir hier wegkommen.«
Er wollte die Tür öffnen, was ihm offensichtlich Schwierigkeiten bereitete. Erst als er sich mit der Schulter dagegen warf, ließ sie sich einen Spaltbreit aufschieben. Nora beugte sich vor und sah, dass der Wagen etwa bis zur halben Türhöhe in einer Sandverwehung steckte. Martin hatte beide Füße gegen seine Tür gestemmt und drückte sie kräftig fluchend auf.
»Genauso hab ich mir das vorgestellt!«
Beide kämpften sich durch die Öffnung und standen auf dem Highway, der in weiten Teilen mit dem roten Sand aus der ihn umgebenden Ebene bedeckt und kaum noch als Straße zu erkennen war. Nora war froh, sich nach den langen Stunden im Auto endlich einmal strecken und bewegen zu können. Einigermaßen erschüttert standen sie vor dem Wagen, der aussah, als hätte man ihn in einem überdimensionalen Sandkasten eingegraben. Es würde Stunden dauern, bis sie ihn freibekämen. Martin war einmal um das Fahrzeug herumgegangen und lehnte sich jetzt fassungslos an den Kotflügel.
»Tja, gewöhn dich schon mal an den Gedanken, dass wir heute Nacht hier bleiben müssen, denn bis wir den freigeschaufelt haben, ist es wieder Morgen.«
Nora, der bei diesem Gedanken unbehaglich zumute war, hatte einige Sekunden lang geschwiegen, dann aber doch schnell eingesehen, dass an den Tatsachen im Moment wenig zu ändern war. Also verfiel sie in Geschäftigkeit.
»Na wenn schon, Martin. Immerhin sind wir heil geblieben. Stell dir mal vor, wie es uns gehen würde, wenn die Scheiben nachgegeben hätten.« Sie sah ihn nachdenklich an. »Wasserflaschen sind auch noch im Kofferraum. Wenn ich nur wüsste, womit wir am besten graben könnten.« Plötzlich blickte sie erschrocken auf. »Meinst du, der Motor springt überhaupt an, wenn wir alles freigeschaufelt haben?«
Martin stand zögernd auf. »Ich werfe mal einen Blick unter die Motorhaube. Es sollte mich aber wundern, wenn darunter nicht auch alles sandverkrustet ist.« Mit einigen fahrigen Handbewegungen fegte er den Sand von der Haube, die sich knirschend öffnen ließ. Eine feine Staubschicht bedeckte den gesamten Motorraum. Martin pustete hier und dort und zuckte schließlich mit den Schultern. »Ausprobieren können wir es erst, wenn der Auspuff wieder frei ist. Vielleicht sollten wir da zuerst mit dem Graben beginnen, okay?«
Nora nickte.
Als weitere zwei Stunden später die Dämmerung einsetzte, waren sie wider Erwarten gut vorangekommen. Das Heck des Wagens und die Hinterräder waren fast von Sand befreit. Völlig verschwitzt richtete sich Martin auf und schüttelte die schmerzenden Hände. Auch Nora bog das Kreuz durch und streckte sich.
»Meine Hände spüre ich schon kaum noch.«
Er war um den Wagen herumgegangen und ließ sich auf den Fahrersitz fallen. Abwartend blickte er sich nach Nora um. »Was meinst du? Soll ich es mal versuchen?«
Sie sah flehend zum Himmel hinauf, ehe sie ihm zunickte. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich schmutziger gefühlt. Ihre Augen schienen sich zu entzünden, sie tränten ständig. Ihre Hände waren trocken und rissig vom Graben, und der Sand hatte durch die Bewegungen beim Arbeiten überall die Haut wund gescheuert. Nie hatte sie sich mehr nach einer Dusche oder einem warmen Bad gesehnt. Sie war sich sicher, dass es Martin ähnlich ging. Auch er sah erschöpft aus. In seinen dunklen Locken hingen Sand und Staub, seine Augen waren gerötet, und von seinen Schläfen lief der Schweiß hinunter und tropfte auf das verschwitzte T-Shirt. Gespannt beobachtete Nora, wie er den Zündschlüssel herumdrehte. Der Motor knackte und winselte, ja, er schien sich regelrecht Mühe zu geben, sprang aber nicht an. Martin schlug mit der Hand auf das Lenkrad und ließ sich dann gegen die Rückenlehne seines Sitzes sinken. Wütend blickte er auf.
»So eine grenzenlose Scheiße! Ich hab’s doch gewusst!«
Wortlos griff Nora nach einer Wasserflasche und trank daraus. Nachdem sie die Flasche abgesetzt und wieder zugeschraubt hatte, schaute sie sich um. Die Dämmerung senkte sich herab und führte einen kühleren Luftzug mit sich. Zwischen einigen Wolkenfeldern am Himmel blinkten schon ein paar Sterne. Ihr Blick folgte dem Highway erst in der einen, dann in der anderen Richtung. Sie wehrte sich gegen das Gefühl, dass sie die einzigen Menschen auf der Welt waren. Die Situation, in der sie steckten, hatte etwas so ungewohnt Groteskes an sich, dass sie schließlich anfing zu lachen. Martin sah sie ungläubig an. Und als Nora seinen Blick registrierte, der sie zu fragen schien, ob sie den Verstand verloren habe, musste sie noch mehr lachen. Als sie japsend zu Atem kam, hielt sie sich an der Tür fest.
»Ach Martin, das Ganze hier entbehrt doch auch nicht einer gewissen Komik, oder? Wir zwei graben stundenlang fleißig wie die Erdferkel, und dann springt die Karre nicht an. Jetzt sitzen wir hier mitten auf einer Straße vom Nichts ins Nirgendwo fest, dreckig, verschwitzt und allein, aber über uns gehen die Sterne auf wie an jedem anderen normalen Tag.«
Er lächelte ihr mühsam zu.
»Und ich dachte schon, ich müsste mir auch noch um dich Sorgen machen. Aber du freust dich über die Sterne. Na, prima!«
Nora lachte immer noch leise, während sie ihm einen Schubs gab.
»He, komm schon. Dein Gemecker bringt uns auch nicht weiter. Was können wir denn im Moment noch tun? Gar nichts. Es ist nämlich gleich dunkel.« Sie drückte ihm die Wasserflasche in die Hand. »Trink etwas, ich sehe mal nach, was wir zu essen dabeihaben.«
Er hörte, wie sie die Heckklappe öffnete und in den Rucksäcken kramte. Als sie sich neben ihm auf den Sitz fallen gelassen hatte, warf sie ihm einen Apfel und einen Müsli-Riegel zu.
»Hier. Dieses Menü kann zwar nicht mit dem von gestern Abend mithalten, aber es ist immerhin besser als nichts.«
Hungrig biss sie in ihren viel zu süßen Riegel und sah kauend nach draußen.
»Weißt du, Martin, vielleicht sind nur die Zündkerzen voller Staub. Wenn es morgen hell ist, kannst du ja mal nachsehen, was meinst du?«
Martin nickte zögernd und biss ebenfalls ab. Er spürte Unzufriedenheit mit sich. Nicht nur, dass er sie in diese Lage manövriert hatte, er war nun auch noch derjenige gewesen, den Nora hatte
aufmuntern müssen. Als er das erkannte, lenkte er ein.
»Du hast Recht, Nora. Morgen früh schaut es bestimmt schon wieder besser aus.« Er sah an sich hinunter. »O Mann, was gäbe ich jetzt für eine Dusche!«
Sie war ernst geworden. »Und ich wünschte, ich hätte den Gang ins Gebüsch schon hinter mir. Keine schöne Vorstellung bei den Schlangen, Skorpionen oder Spinnen, die es hier so gibt.«
Irgendwie war aber auch diese Nacht vorübergegangen. Nora wachte mit schmerzendem Nacken auf und betrachtete die Farben, die die aufgehende Sonne wieder in die Landschaft zauberte. Wenn sie nicht im Wagen aufgewacht wäre, hätte sie sich womöglich fragen müssen, ob sie den Sandsturm nur geträumt hatte. Sie sehnte sich danach, auszusteigen und sich die Beine zu vertreten, wollte jedoch Martin nicht aufwecken. Müde rieb sie sich die tränenden Augen. Martin bewegte sich nun ebenfalls und fuhr sich gähnend durch die Locken. Nora klopfte ihm aufmunternd aufs Knie.
»Na, komm erst mal zu dir! Wenn ich jetzt nicht aufstehen kann, breche ich in der Mitte durch.«
Sie hatte die Wagentür geöffnet und schwang die Beine nach draußen. Langsam schlenderte sie umher und ließ den Blick in alle Richtungen schweifen. Plötzlich stutzte sie und sah noch einmal genauer hin.
»Martin! Dahinten kommt ein Auto!«
Dieser war sofort hellwach und sprang aus dem Wagen. Suchend sah er in die Richtung, in die sie zeigte.
»Tatsächlich! Ein Lkw. Hoffentlich kann er uns mitnehmen oder helfen.«
Winkend standen sie am Fahrbahnrand, als der Laster zum Stehen kam. Der Fahrer erwies sich als freundlich und hilfsbereit. Außerdem hatte er einen Werkzeugkasten dabei, mit dessen Inhalt er gut umzugehen wusste. Innerhalb kürzester Zeit war der Fehler gefunden, und der Wagen sprang wieder an. Mit einem Abschleppseil und seinem starken Gefährt zog er sie anschließend aus der Sandverwehung, und sie standen erneut auf der Straße. Sie bedankten sich herzlich und winkten ihm nach. Nora machte ein zufriedenes Gesicht.
»Hab ich dir eigentlich schon mal gesagt, dass ich die Australier liebe?«
Alice Springs, das erkannte Nora sofort, war eigentlich mehr ein Ausgangspunkt zu den Naturschönheiten im Roten Herzen Australiens als selbst ein Traumziel. Trotzdem hatte die 25 000-Einwohner-Stadt eine eigenartige Anziehungskraft auf Nora. Die Gebirgszüge der MacDonnell Ranges mit ihren nahezu senkrecht stehenden Felskämmen schienen die Stadt vor dem endlosen Outback beschützen zu wollen. Auch hier weckte wieder besonders die geschichtliche Entwicklung des Ortes ihr Interesse. Sie wusste, dass sich Alice Springs erst mit der Eisenbahnlinie, dem berühmten Ghan, so vergrößert und den Status eines »Wüstennestes« verloren hatte. Zuvor war dieser Ort in seiner Versorgung von Kamelkarawanen abhängig gewesen, die von Afghanen durch die Wüste geleitet wurden. Nach diesen tüchtigen Wüstenführern erhielt die Eisenbahn dann auch den Namen Ghan. Noras Munterkeit schien sich dieses Mal aber nicht auf Martin zu übertragen, der wenig begeistert mit ihr aufgebrochen war, um die Sehenswürdigkeiten dieses größten Ortes im Umkreis von eintausendfünfhundert Kilometern zu fotografieren. Nora wollte zuerst den relativ neuen Alice Springs Desert Park besuchen, über den sie schon in Deutschland gelesen hatte. Die Parks and Wildlife Commission of the Northern Territory stellte hier auf gelungene Weise anhand von künstlich geschaffenen Biotopen das Leben von Tieren und Pflanzen in der Wüste dar. Alles wurde anschaulich erklärt. Nora war besonders begeistert, in einem Nachthaus alle möglichen Arten der nachtaktiven Wüstentiere sehen zu können.
Auch Martins Unternehmungsgeist schien erwacht zu sein, denn als sie den Desert Park schließlich verließen, fragte er schon munterer: »Und wohin als Nächstes?«
Nora überlegte kurz. »Wir sollten natürlich auch einen Blick auf die alte Telegrafenstation und die Quelle werfen.« Während sie sich im Wagen anschnallte, fügte sie hinzu: »Und wenn deine Geduld noch ausreicht, könnten wir uns noch die School of the Air ansehen, du weißt schon, die älteste der Sprechfunkschulen für Grundschüler im Outback.«
Martin nickte zustimmend.
»Kannst du dir vorstellen, dass diese Funkschulen etwa zweitausend Kinder betreuen? Allein die Station in Alice Springs spricht mit Schulkindern, die über 1,3 Millionen Quadratkilometer verstreut sind.«
Martin schüttelte den Kopf. »Ich kann mir nicht denken, dass das sehr viel Erfolg hat. Wie soll das denn funktionieren? So etwas kann doch kein Ersatz für den echten Schulbesuch sein.«
Nora freute sich, dass es ihr endlich gelungen war, sein Interesse zu wecken.
»Diese Art von Unterricht zählt natürlich auf die starke Unterstützung durch die Mütter oder Bezugspersonen auf den Farmen, die den Kindern bei ihren schriftlichen Aufgaben, die übrigens die Postflieger bringen und abholen, zur Seite stehen. Außerdem gibt es diesen Funkunterricht nur in der Grundschulzeit. Danach müssen die Kinder, ich glaube, so ab etwa elf Jahren, auf Internate. Oder sie wohnen bei Verwandten in den Städten und besuchen dort die Schule.«
Gemeinsam erkundeten sie ihre Ausflugsziele, betrachteten das ansehnliche Gebäude der alten Telegrafenstation, dessen unregelmäßiges altes Mauerwerk Nora besonders in Verbindung mit dem hellen Dach gefiel. Hier hatte die Geschichte des Ortes eigentlich begonnen. Nachdem man in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts damit angefangen hatte das Land telegrafisch zu erschließen, waren Leitungen von Adelaide im Süden bis hinauf nach Darwin im Norden gezogen worden. Bei den Vermessungsarbeiten entdeckte der Telegrafenüberlandvermesser Mills 1871 schließlich die Süßwasserquelle, die er zu Ehren seines Vorgesetzten in Adelaide nach dessen Ehefrau Alice benannte. Nora hatte die Geschichte der Namensgebung belustigt. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass diese Alice jemals in ihrem Leben an diesem Ort oder überhaupt irgendwo im Outback gewesen war. Heute diente die Telegrafenstation als Museum, was Nora wiederum passend fand. Nach einem Abstecher in eine der Kunstgalerien, die sich mit der Kultur und Kunst der Ureinwohner beschäftigten, kamen sie gerade noch rechtzeitig zur School of the Air, die mitten in der Stadt gelegen war, um sich im größten Klassenzimmer der Welt ein wenig umsehen zu können, bevor die tägliche Besichtigungszeit am Spätnachmittag endete. Gut gelaunt betrachtete Nora mit Martin die vielen ausgestellten Kinderzeichnungen und Aufsätze, die den Alltag im Outback beschrieben. So ging dieser Tag in Alice Springs schließlich auch sehr schnell vorüber. Wieder einmal erkannte Nora, dass ein höheres Maß an Zeit ein unschätzbarer Faktor wäre, dieses Land wirklich kennen zu lernen. Nachdem sie sich unterwegs etwas zu essen gekauft hatten, machten sie sich auf, um den Mietwagen abzugeben. Die Cessna erwartete sie bereits voll getankt am Flugplatz, und beinahe unwirklich schnell waren sie wieder in der Luft und ließen das Rote Herz des Kontinents hinter sich. Fast schon wehmütig sah Nora aus dem Fenster und machte sich bewusst, dass sich ihre Zeit in Australien immer mehr dem Ende näherte. Zugleich war sie glücklich darüber, schon so viel von diesem Land gesehen und erlebt zu haben. Zufrieden lehnte sie den Kopf gegen die Nackenstütze und beschloss, die restlichen Tage in Cameron Downs zu genießen. Besonders freute sie sich auf den von Tom vorgeschlagenen Ausflug zu den Künstlern in der Aborigines-Siedlung.
Bei einsetzender Dunkelheit trafen sie nach einer perfekten Landung auf dem Flugplatz wieder in Cameron Downs ein.