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Kapitel 3

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„...Ich werde jetzt den Edelstein in die Schatzkammer bringen, warte solange hier“, entschloss er sich, nachdem ich keine Fragen mehr hatte.

Er war schon eine Weile weg, da öffnete sich plötzlich die Eingangstür und drei Männer, die sich heiter miteinander unterhielten, kamen, ebenfalls mit einer Kerze in der Hand, herein. Als sie mich erblickten, sprinteten zwei davon auf mich zu. Der eine machte einen Satz, sprang in die Luft und machte dabei sogar einen Salto. Nun stand er hinter mir, packte mich an den Armen und hielt mich fest. Der andere zog sein Schwert und hielt es mir mit der Spitze an die Kehle. Der dritte, der die Kerze übernommen hatte, hatte diese inzwischen ausgeblasen, einen Pfeil in seinen Bogen gespannt und zielte damit auf mein Haupt.

„Eindringling!“, schrien sie im Chor.

Ich kam gar nicht dazu, etwas zu erklären, da kam auch schon der Herr der Diebe angestürmt. „Haltet ein!“, befahl er ganz außer Atem. „Ich habe ihn hierher gebracht! Er ist jetzt einer von uns.“

Aufs Wort steckte der eine sein Schwert wieder in die Scheide, während der andere mich los ließ und der dritte seinen Bogen sinken ließ.

„Darf ich vorstellen? – Das sind Sixtus, unser geschicktester Schwertkämpfer, Tassilo, unser wagemutigster Akrobat und Leon, unser zielsicherster Bogenschütze. Sixtus, Tassilo und Leon, das ist Leander“, stellte uns der Herr der Diebe einander vor. Sixtus und Tassilo verneigten sich während Leon eine kameradschaftliche Geste in meine Richtung machte. Ich nickte ihnen freundlich zu.

„Was ist denn hier los? Ist etwa wieder ein Neuer da?“, fragte eine helle Stimme.

Sie kam aus der Dunkelheit des Vorraumes mit den vielen Wandteppichen, wo die Tür nach diesem Ereignis noch immer offen stand. Langsam konnte ich die Umrisse eines schlanken Mädchens erkennen, welches ins Licht des Konferenzsaals trat. Am Türrahmen angelehnt blieb sie vorerst stehen und begutachtete mich von dort aus interessiert, den Kopf leicht zur Seite geneigt. Sie war vielleicht etwas jünger als ich und wirkte noch ein bisschen schüchtern. Auch meine Augen weilten für diesen Moment auf ihr. Kurz darauf überfiel ihr Gesicht ein ernster Blick. Schließlich kam sie auf mich zu. Sie hatte eine auffällig gerade Haltung und ihr Gang war beinahe schon elegant, was jedoch überhaupt nicht zu einer Diebin passte. Dabei strich sie sich schnell etwas verlegen und unsicher ihre sehr langen, spiegelglatten, rabenschwarzen Haare hinters Ohr, worauf mir ein besonderes Merkmal an ihr auffiel: Beide ihrer Ohrläppchen waren jeweils dreimal durchstochen, so trug sie insgesamt sechs goldene Ohrringe.

„Mein Name ist Raven“, sprach sie mit klarer Stimme.

„Leander“, stellte ich mich ihr vor.

Sie hob eine Augenbraue, als sie meinen Namen vernahm, reichte mir dann aber die Hand. „Freut mich.“

„Die Freude ist ganz meinerseits“, ergänzte ich schnell. „Brauchst du denn keine Kerze um hier runter zu finden?“, interessierte es mich.

„Nein, wieso auch? Ich kenne das Versteck in- und auswendig. Hier finde ich mich auch leicht im Dunkeln zurecht“, gab sie mir zur Antwort, worauf sich die Tür erneut öffnete.

Ein witzig aussehender, rothaariger Junge, mit vielen Sommersprossen, abstehenden Ohren und großen Vorderzähnen stand im Türrahmen und bestaunte mich mit weit aufgerissenen Augen und einem breiten Lächeln. Er war vielleicht ein Jahr älter als ich.

„Hey, Dietrich! Warte auf mich!“, rief eine Stimme hinter ihm. „Oh, sei gegrüßt!“, empfing mich der zweite Junge, der die Kerze hielt, überrascht, als er mich bemerkte. Dieser war recht klein und etwa zwei bis drei Jahre jünger als ich.

„Ich bin Knut und das ist Dietrich ...und wie heißt du?“, fragte er. Dietrich sagte kein Wort, er lächelte mich immer noch an.

„Leander. Sein Name ist Leander...“, murmelte Raven nachdenklich noch bevor ich ihnen selbst antworten konnte.

Knut sah Raven deswegen etwas irritiert an und auch Dietrich schien dieses Verhalten an ihr nicht bekannt zu sein. Dann kam Knut jedoch auf mich zurück. „Freut uns, dich kennen zu lernen, Leander“, begrüßte er mich. Dietrich nickte heftig.

„So, genug fürs Erste“, meldete sich der Herr der Diebe wieder. „Hier hast du einen Schlüsselbund mit allen notwendigen Schlüsseln daran, um in die Gildenhalle zu gelangen – Verlier ihn nicht! - und einen Geldbeutel mit ein paar Münzen darin - genug um dir anständige Kleidung zu kaufen. Geh zum Marktplatz und kaufe, was du für notwendig hältst. Du solltest aber unbedingt auch schwarze Kleidung, eine schwarze Kopfbedeckung und dunkle Schuhe und am besten auch schwarze Handschuhe besitzen.“

Ich sah ihn fraglich an. „Soll ich hier nicht stehlen?“

Er begann zu lachen. „Nein, wir stehlen doch nicht alles. Nur größere Anschaffungen, wie beim Bau unseres Verstecks und was wir für die Kunden brauchen, um Geld zu verdienen. Alles in allem, nur Dinge die zu teuer oder gar unbezahlbar wären. Aber Anschaffungen fürs tägliche Leben kaufen wir ganz normal ein. Ich meine, warum stehlen wir, wenn wir das Geld dann nicht auch ausgeben?“

Gleich darauf kam noch ein Junge mit kurzen braunen Haaren, auch in meinem Alter, herein. Sein Blick fiel sofort auf mich. Er lächelte, kam auf mich zu, nahm meine Hand, schüttelte sie kräftig und sagte: „Willkommen! Ich heiße Peter und du?“

„Ich bin Leander“, antwortete ich ihm, ebenfalls lächelnd.

„Ach, Peter, begleite Leander doch“, schlug der Herr der Diebe vor. Er hielt wohl recht viel von dem Jungen, weil er mich ihm anvertraute.

Peter schien dies eine wahre Freude zu sein. Auf den Weg zum Marktplatz erzählte er mir viele Geschichten über seine spannendsten Missionen. Ich konnte es kaum glauben, er war ein Dieb seit er sieben Jahre alt war! Aber auch über den Herrn der Diebe und Odo schwärmte er, wie gut sie ihre Arbeit beherrschen würden.

Am Markt kaufte ich mir dann neue Kleidung - natürlich war auch schwarze dabei - Handschuhe und Schuhe, beides ebenfalls in Schwarz. Dann noch eine Zahnbürste und einen Kamm ...und Süßigkeiten. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann ich das letzte Mal welche gegessen hatte. Seit dieser einen Woche gierte ich förmlich danach, da ich geglaubt hatte, ich würde nie genug verdienen, um mir je wieder welche leisten zu können. Natürlich gab ich Peter welche ab, worüber er sich riesig freute. Ich war es nicht gewohnt, so viel Geld zu besitzen, obwohl diese Menge für manch anderen doch gewöhnlich sein musste.

Als wir wieder zurück waren, begrüßten mich die Diebe, die während meiner Abwesenheit angekommen waren. Der Herr der Diebe hatte ihnen bereits von mir erzählt.

Odo war nicht besonders groß, aber dick und hatte bereits eine Glatze. Gleich nachdem ich die Tür betreten hatte, stellte er sich mir vor. „Zum Gruße, mein Freund! Du musst Leander sein. Ich bin Odo, der, der hier für das fließende Wasser verantwortlich ist. Das war natürlich pure Absicht - alles genau berechnet. Aber so wie ich Alessandro kenne, hat der wieder einmal das Gegenteil behauptet...“

Der Herr der Diebe stand hinter Odo, verdrehte die Augen und machte eine ulkige Handbewegung. Ich musste mir das Lachen verkneifen, worauf sich Odo zu ihm umdrehte. „Alessandro, machst du dich etwa hinter meinem Rücken lustig über mich?!“

„Nein, wie kommst du denn darauf? Das würde ich bei einem so ehrlichen Menschen wie dir doch nie wagen!“, meinte der Herr der Diebe ironisch.

„Denk dir nichts, das machen die immer so. Ich heiße übrigens Rainer“, stellte sich mir der Junge neben Odo vor. Auch Rainer war so alt wie ich. Er sollte Odos Nachfolger werden, hatte mir Peter erzählt.

Dann waren da noch drei Mädchen im Zimmer, alle etwa ein Jahr jünger als ich. Sie schienen mir gegenüber noch etwas schüchtern zu sein. Janina hatte ihre äußerst langen, dunkelblonden Haare zu einem hohen Zopf zusammengebunden. Ihre Augen wirkten dunkel und geheimnisvoll. Johannas Haar war schwarz und ziemlich kurz geschnitten. Außerdem hatte sie ein wirklich schönes Gesicht und war sehr dünn. Peter hatte mir erzählt, dass sie außerdem sehr gelenkig war und sich verbiegen konnte, als hätte sie keine Knochen, sodass sie durch jeden noch so schmalen Spalt passte. Melissa trug ihre langen, gewellten, mittelbraunen Haare offen. Ihre langen Wimpern sorgten zusätzlich für einen atemberaubenden Augenaufschlag. Eine war hübscher als die andere.

Eine junge Frau namens Xenia und ein kleines Mädchen mit Namen Zora standen ebenfalls im Raum. Xenia war durch ihre langen, schlanken Beine recht groß und ihre braunen Haare waren zu einem Zopf geflochten, Zoras waren dunkelbraun und schulterlang. Ich bekam mit, dass Zora das gemeinsame Kind von Xenia und Leon war, die erst vor kurzem geheiratet hatten.

Während wir uns alle im Konferenzsaal unterhielten, da jeder neugierig auf mich war, betrat ein kräftiger, junger Mann mit sehr kurzen, dunklen Haaren den Raum, musterte mich mit einem kritischen Blick von oben bis unten, ging an mir vorbei, schnurstracks auf den Herrn der Diebe zu und nahm neben ihm Platz.

„Volker, ist was?“, fragte ihn der Herr der Diebe.

„Nein, alles bestens“, behauptete dieser mit tiefer Stimme.

„Wir haben wieder einen Neuzugang. Das ist Leander“, stellte mich der Herr der Diebe vor. Als Volker meinen Namen aufschnappte, konnte ich seinen erneuten Blick förmlich auf der Haut spüren.

„Ach, den habe ich ja noch gar nicht bemerkt. Zum Gruße, Leander“, betonte Volker ironisch worauf ich ihn missverständlich ansah. Dieser seltsame Moment wurde unterbrochen, als jemand die Eingangstür aufriss und ein gleichaltriger Junge, mit blonden, etwas längeren Haaren, ganz außer Atem in den Raum torkelte. Schnell griff er sich einen Stuhl und setzte sich stumm.

„Heiko, was hast du denn diesmal wieder angestellt?“, fragte ihn Odo lachend.

„Naja...“, fing Heiko an zu erzählen. „Ich hab da dieses äußerst hübsche Mädchen gesehen und konnte nicht anders, als mich unauffällig anzuschleichen und sie zu küssen. Darauf verpasste sie mir eine Ohrfeige und die Wachen wurden auf mich aufmerksam. Also musste ich mich schnellstens aus dem Staub machen. Aber es hat sich auf jeden Fall gelohnt!“ Verträumt rieb sich Heiko die Wange. Alle weiblichen Mitglieder verdrehten, wie auf Kommando, die Augen, währenddessen begannen die Männer zu grinsen, beziehungsweise zu lachen.

„Heiko, du alter Weiberheld!“, spottete Odo weiter.

„Ach, ein neues Gesicht“, lenkte Heiko schnell das Gesprächsthema um. „Ich bin Heiko, der unwiderstehlich gut aussehende Frauenschwarm und wer bist du?“

„Leander, der Prahlen nicht nötig hat“, antwortete ich ihm schlagfertig. Erneutes Gelächter ertönte, worauf Heiko errötete.

„Leander, du gefällst mir...“, meinte der Herr der Diebe grinsend, worauf Volkers Augen aufblitzten.

Wir unterhielten uns noch sehr lange, mit Ausnahme von Volker. Er saß nur da, sagte nichts, beobachtete dabei das ganze Geschehen sehr genau und schien nachzudenken. Von Dietrich hatte ich auch den ganzen Tag noch kein Wort gehört. Aber im Gegensatz zu Volker bemerkte ich deutlich, dass dieser positiv auf mich gestimmt war.

Mit der Zeit ging dann jeder von ihnen wieder seinen Tätigkeiten nach, auch Volker. So bewegte ich mich ebenfalls in den Schlafsaal, wo ich die Einkäufe in meine Truhe räumen wollte. Doch meine erste Wahl war ein Fehlgriff. Zwischen zwei Truhen hatte ich mich zu entscheiden und öffnete unwissentlich die gefüllte, die meinem Bettnachbarn gehörte. - Nein, meiner Bettnachbarin, denn mit dem Öffnen der Truhe stieg mir ein wunderbarer Duft entgegen, wie der von einer Wiese voll Wildblumen an einem warmen Sommerabend und ich blickte auf Mädchensachen. Peinlich berührt, dass ich für einen Moment in diesem wundersamen Duft geschwelgt und zu träumen begonnen hatte, schloss ich die Truhe schnell wieder und blickte mich vorsichtig um, in der Hoffnung, dass mich niemand dabei erwischt hatte – und schon gar nicht jenes Mädchen! Da stand auf einmal Dietrich neben mir! Ich sah zu ihm hoch, während ich bereits etwas zu stammeln begann, weil ich mich erklären wollte, bis plötzlich auch Knut dazu kam.

„Du solltest wissen, Dietrich kann nicht sprechen“, stellte dieser klar, womit diese unangenehme Situation endlich durch Knuts Ernst beendet wurde, wofür ich ihm insgeheim sehr dankbar war. „Aber ich glaube, er würde dir gerne was sagen. Natürlich kann ich keine Gedanken lesen, aber gewöhnlicher Weise spreche ich für ihn.“

„Warum kann er nicht sprechen?“, wollte ich verwundert wissen.

„Weil ihm die Zunge abgeschnitten wurde“, hauchte Knut und sah dabei zu Boden. Ich erschrak und Dietrichs Augen wurden trüb und traurig.

„Oh, das tut mir leid...“, bedauerte ich ihn. „Aber was kann er denn so Schlimmes gemacht haben, dass einem so etwas Grauenvolles angetan wird?!“

„Darf ich es ihm sagen?“, fragte Knut Dietrich um Erlaubnis.

Dietrich nickte zögernd, also begann Knut zu erzählen: „Diese Strafe war symbolisch gemeint: Wenn du jetzt nicht sprichst, sollst du nie wieder sprechen. Er wollte den Wachen nämlich nicht verraten, wo sich sein Vater versteckt hielt, nachdem dieser versucht hatte, ein schweineteueres Medikament zu stehlen, weil Dietrichs Mutter schwer krank war. Sie fanden seinen Vater aber auch ohne Dietrichs Hilfe und als dieser sich weigerte, ins Gefängnis zu gehen, brachten sie ihn um. Dietrichs Mutter starb kurz darauf ebenfalls, da sie das Medikament nicht bekommen hatte.

Als der Herr der Diebe zufällig nach einer seiner Missionen an Dietrichs Haus vorbeikam, wo die Eingangstür offen stand, konnte er ein Wimmern vernehmen, und stellte fest, dass es aus dem Haus kam. Er sah nach und fand Dietrich mit Tränen in den Augen, kniend vor dem Bett, in dem seine tote Mutter lag. Er nahm Dietrich auf und bezahlte sogar die Beerdigung seiner Eltern. Das ist jetzt fast vier Jahre her.“

„Aber wenn ihr ihn in diesem Zustand gefunden habt, woher wisst ihr dann seinen Namen und seine Geschichte?“, fragte ich interessiert nach.

„Dietrich malt und zeichnet sehr gut und gerne. So konnte er es uns, zusammen mit ein wenig Raten, klarmachen. Schreiben hat er aber, so wie die meisten von uns, nie gelernt. Darum wissen wir seinen echten Namen bis heute nicht und werden ihn wohl auch nie erfahren. Dietrich nannten wir ihn, weil sein Vater Schlosser war und er darum ausgezeichnet mit dem Dietrich umgehen kann“, erklärte mir Knut stolz. „Willst du mal sehen, was Dietrich so drauf hat? Er kann echt super malen!“

„Klar!“, rief ich.

Dietrich holte Papier und Bleistift aus seiner Truhe und fing an zu zeichnen. Es dauerte nicht lange, da konnte ich auch schon erkennen, was es werden sollte. Das Bild war ihm echt gut gelungen. Wirklich jeder hätte mich darauf wiedererkennen können. Dann hielt er es mir hin.

„Für mich?“, fragte ich vorsichtig.

Dietrich nickte. Ich freute mich wirklich sehr über das tolle Bild von mir und legte es in meine Truhe. Dann wurde der Herr der Diebe auf uns aufmerksam. Er kam zu uns herüber und ich hielt ihm den Geldbeutel mit dem Rest des Geldes darin hin.

Er winkte ab. „Behalte den Rest. Du solltest jetzt besser schlafen. Morgen fangen wir nämlich mit deinem Training an.“ Ich befolgte, was er mir riet. Die meisten anderen gingen jetzt ebenfalls zu Bett, sowie auch Raven, der, wie ich nun feststellte, das Bett unter mir gehörte.

Der Herzensdieb

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