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Kapitel 5

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Wir frühstückten alle zusammen im Konferenzsaal und unterhielten uns, wobei Raven in jedem zweiten Satz, den sie aussprach, fluchte, wie eine ganze Bande Räuber zusammen, die sich des Nachts in einer Taverne betrank. Doch das schien jeder von ihnen gewohnt zu sein. Komischerweise war ich, obwohl ich so wenig geschlafen hatte, hellwach. Danach beobachtete ich Odo dabei, wie er das Labyrinth betrat. Rainer wartete solange vor der Tür auf ihn.

Als er mich bemerkte, begann er sich mit mir zu unterhalten: „Odo und ich gehen jetzt gleich zu einem Kunden, um ihm seine Bestellung zu liefern. Dann bekommen wir unser Geld und treffen uns danach mit noch einem Kunden, der möchte, dass wir etwas für ihn stehlen.“

„Und in dieser Zeit werde ich dich lehren, wie du dich leise und unbemerkt fortbewegen kannst“, stellte der Herr der Diebe klar, der hinter mir stand. Ich hatte ihn gar nicht bemerkt und war darum ein wenig erschrocken.

Als alle Diebe außer Haus waren, gingen wir in den Konferenzsaal. Dort erklärte er mir: „Deine schwarze Kleidung solltest du während deiner Aufträge tragen, so bist du nachts im Schatten fast unsichtbar. Meist führen wir nämlich die großen Diebstähle nachts aus, um leichter unbemerkt zu bleiben. So trügt man das Auge, den wichtigsten Sinn der Wache. Aber das Ohr kommt gleich an zweiter Stelle - und das zu trügen ist gleich nicht mehr so einfach, da Schritte auf Steinboden leicht zu hören sind. Die Kunst des Schleichens zu erlernen ist darum unerlässlich. Üben wir es mal.“

Er sah sich um und überlegte dabei kurz. Schließlich fiel sein Blick auf seine rechte Hand, an der sein Ring steckte. Er nahm ihn ab und legte ihn auf einen Tisch, der etwas weiter entfernt stand. Dann drehte er sich von mir weg.

„So, und nun versuch doch mal, dir den Ring zu nehmen, ohne dass ich dich dabei höre“, lautete die Übung.

Ich versuchte zu schleichen, doch es missglückte mir kläglich auf dem Stein. Ich war einfach zu laut. Der Herr der Diebe schüttelte den Kopf. „So wird das nichts. Einige Diebe haben eine eigene Methode, die sich bewährt hat, sich dadurch erfolgreich leise bewegen zu können. Vor allem Mädchen scheint diese Aufgabe leichter zu fallen, wie ich bemerkt habe. Raven, zum Beispiel, ist ein Naturtalent im Schleichen und Dietrich hat mich ebenfalls schwer beeindruckt. Wer es jedoch nicht von allein herausfindet, dem bringe ich meine Methode bei: Mach große Schritte, um schneller ans Ziel zu gelangen – denn wenn du zu langsam bist, ist es wahrscheinlicher, dass die Wachen dich entdecken. Schnell und leise – und geschickt, das sind die Merkmale eines Diebes. Versuche beim Schleichen mit wenig Fußfläche aufzutreten, um möglichst keine Geräusche zu erzeugen. - Aber so, dass du das Gleichgewicht nicht verlierst. Ich sage das, weil Heiko bei dieser Übung umgekippt ist, als er auf Zehenspitzen ging und dabei noch einen Stuhl mit umriss. Das war eindeutig das lauteste Schleichmanöver, welches mir je untergekommen ist.“

Er grinste und ich musste lachen, da ich es mir mit meiner lebhaften Phantasie bildlich vorgestellt hatte. Nun musste auch er lachen. „Glaub mir, Leander, damals fand ich es wirklich nicht mehr lustig...“

Nach diesem kurzen Zwischenfall machten wir weiter und es gelang mir dank seiner guten Ratschläge immer besser. Einmal hatte ich dann die Idee, den Boden mit zwei dicken Stoffteilen auszulegen, von denen ich immer eines vorschieben würde, um weiter zu kommen, ohne Lärm auf dem Steinboden zu erzeugen. Der Herr der Diebe fand die Idee an sich nicht schlecht, doch er erklärte auch, dass ich bei einem Diebstahl nichts zurücklassen durfte, was ich mitgebracht habe und außerdem würde mich dies manchmal bestimmt daran hindern, schnell zu sein und ich bräuchte mir nicht die Zeit zu nehmen, deren Boden aufzuwischen. An einem anderen Übungstag schaffte ich es sogar, bis zum Tisch mit dem Ring zu gelangen, ihn ohne ein Geräusch vom Tisch zu nehmen und mit ihm zurück zu schleichen, wo ich vorher gestanden hatte. Und als sich der Herr der Diebe wieder zu mir umdrehte, glaubte er, ich hätte mich nicht von der Stelle bewegt, während er weggesehen hatte. Doch als ich ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, dass sein Ring vom Tisch fehlte, war er ziemlich erstaunt.

„Du lernst wirklich schnell. Doch es geht nicht nur um Talent, sondern auch um Verstand. Außer der Praxis musst du, sogar als guter Dieb, noch etwas Theorie lernen.“ Er nahm mir seinen Ring aus der Hand, holte ein dickes Buch und ließ es auf den Tisch vor mir fallen, sodass es einen dumpfen Ton des Aufpralls gab und der Tisch etwas wackelte, was mich aus meinen Gedanken holte. Ich schlug das Buch auf und begann zu lesen.

„Du kannst ja lesen!“, staunte der Herr der Diebe. „Nicht viele von uns können lesen und schreiben, um genau zu sein: Odo, Rainer, Raven, du und ich.“

Der Herr der Diebe unterrichtete mich also in Diebeslehren, bis ich sie in- und auswendig konnte. Johanna brachte mir das Schleichen auch in geduckter Haltung bei und sogar, wie man sich im Kriechen leise fortbewegt. Zusammen mit Dietrich zeigte mir Alessandro, wie man Schlösser knackt und mit Sixus lehrte mir mein Herr, wie man mit dem Schwert kämpft. Tassilo brachte mir akrobatische Tricks bei, Xenia unterrichtete mich im Nahkampf und Leon brachte mir bei, wie man mit Pfeil und Bogen schießt... und auch trifft, was man treffen will.

Bei meiner ersten Unterrichtsstunde im Bogenschießen platzierte der Herr der Diebe einen Apfel auf seinem Kopf und befahl Leon zu schießen. Ich konnte beinahe nicht hinsehen. Doch der Herr der Diebe machte sich keine Sorgen um sein Haupt. Er blieb ganz ruhig, so viel Vertrauen hatte er in Leon. Und tatsächlich spießte der Pfeil den Apfel auf!

Aber auch ich brachte den anderen etwas bei: Peter, Dietrich und Knut lernten von mir das Alphabet. So konnte jeder von ihnen ziemlich lesen und schreiben, was vor allem dem lernwilligen Dietrich zu Nutze kam, um sich leichter mit uns zu verständigen. Nur von Rechtschreibung hatte anscheinend noch keiner von ihnen etwas gehört. Sie schrieben nämlich alles in Großbuchstaben und so, wie man es ausspricht und konnten deswegen auch nicht immer jedes fremde Wort entziffern.

Ich fühlte mich sehr wohl in der Diebesgilde, die inzwischen wie eine Familie für mich war. Und wenn ich gerade keinen Unterricht hatte oder gar welchen gab, unternahm ich etwas mit den anderen. Peter, mit dem ich meistens Schwertkampf übte, wurde mein bester Freund, aber auch mit Rainer, Dietrich und Knut verstand ich mich bestens.

Raven war ein richtiger Einzelgänger, wie ich bemerkt hatte. Sie wirkte irgendwie unnahbar und sogar abweisend und kalt, war aber auch sehr klug und schien immer einen kühlen Kopf zu bewahren. Außerdem sprach sie kaum mit mir, wenn jemand dabei war. Wenn sie jedoch allein mit mir war, erzählte sie recht viel und so lernte ich eine ganz neue Seite an ihr kennen. Es musste also einen Grund geben, warum sie sich so benahm - und von dem sollte niemand etwas erfahren...

Janina, Melissa und Johanna grüßten mich jedesmal, wenn sie mich sahen, äußerst nett. Peter beneidete mich dafür ein bisschen, denn er war in Melissa verknallt und Raven verdrehte bei den dreien immer die Augen.

Der Herzensdieb

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