Читать книгу Der Herzensdieb - Christina Schwarzfischer - Страница 6
Kapitel 4
ОглавлениеLange lag ich wach und drehte mich von einer Seite auf die andere. Es war schon komisch. Ich hatte nächtelang in keinem anständigen Bett mehr geschlafen und jetzt, wo ich in einem lag, konnte ich einfach nicht einschlafen. Das machte wohl die Aufregung auf den morgigen Tag.
„Kannst du nicht schlafen?“, flüsterte Raven.
„Oh, tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe“, entschuldigte ich mich bei ihr.
„Schon gut, ich habe noch nicht geschlafen“, konnte sie mich beruhigen. „Ich kann auch öfters nicht einschlafen. Meine Gedanken lassen mich nicht zur Ruhe kommen. Ach und wundere dich nicht, wenn ich morgens recht viel fluche. Das ist normal bei mir.“ Ich lächelte, was sie jedoch nicht sehen konnte.
„Was beschäftigt dich denn, wenn ich fragen darf?“, interessierte es mich. „Vielleicht hilft es ja, wenn du mit jemandem darüber sprichst.“
„Nun ja, mag sein.“ Sie zögerte kurz, bevor sie weiter sprach. „...Um ehrlich zu sein, seit du dich mir vorgestellt hast, brennt mir eine Frage förmlich auf der Zunge, die ich dir vor den anderen aber nicht stellen konnte.“
„Ich denke, die anderen schlafen alle. Wir sind also so gut wie allein. Nur zu, frag ruhig“, gab ich ihr die Erlaubnis.
„Aber antworte mir bitte nur dann, wenn du auch die Wahrheit sprichst“, bat sie mich und begann anschließend zu flüstern: „Wie heißt du wirklich?“ Noch bevor ich mit „Leander“ antworten konnte, wandte sie auch schon ein: „Und sag jetzt bloß nicht Leander. Ich weiß, du heißt nicht so, denn das wäre ein zu großer Zufall. Aber warum hast du dich dann Leander genannt? Ich meine, du kannst ja nicht wissen, was dieser Name bedeutet...“
„Ja, es stimmt,“, gab ich zu, „ich heiße erst seit heute so. Der Herr der Diebe gab mir diesen Namen. Meinen echten Namen weiß ich nicht mehr. Vor etwa einer Woche wachte ich verletzt an einem Flussufer auf, ohne irgendeine Erinnerung an mein vorheriges Leben, schleppte mich in die nächste Stadt und...“
„Und das soll ich dir glauben?“, unterbrach sie mich mit einem seltsamen Ton in ihrer Stimme.
Obwohl ich wegen ihrer anmaßenden Reaktion auf meine ehrliche Antwort entsetzt war, bestätigte ich diese nur mit einen kurzen Satz: „Der Herr der Diebe glaubt mir.“
Ich konnte hören, wie sie einatmete. „Du hast Recht. Tut mir leid, dass ich so misstrauisch bin. Ich weiß, der Herr der Diebe besitzt eine ausgezeichnete Menschenkenntnis - und wenn ich dir schon nicht traue, dann wenigstens ihm. ...Eigentlich, wenn ich es mir so recht überlege, erklärt das sogar alles - auch warum er gerade dich so genannt hat. Seit deiner Ankunft benimmt er sich nämlich wieder normal, ist mir aufgefallen. Ach was, Alessandro ist sogar richtig gut drauf, so wie wenn er einen besonders komplexen Auftrag mit seiner Raffinesse gemeistert hat! Deswegen verhält sich Volker dir gegenüber auch so merkwürdig“, überlegte sie laut.
„Warum? Wie benahm sich der Herr der Diebe denn vor meiner Ankunft?“, interessierte es mich.
„Es begann vor etwa einem Monat. Seit Alessandro von seinem Auftrag damals zurückkam, wirkte er so nachdenklich und geistesabwesend. Sixtus erzählte mir, das wäre vor etwa 14 Jahren schon einmal vorgekommen. Damals, so glaubt man, hätte ihn seine Freundin verlassen. Aber man ist sich nicht richtig sicher, ob er wirklich eine Freundin hatte, da sie keiner von uns je zu Gesicht bekommen hat und weil Alessandro auch nie ein Wort darüber verlor, wohin er damals immer stundenlang verschwunden war, was die Sache noch geheimnisvoller macht... Egal. Sixtus glaubt jedenfalls, er hätte seine Freundin vor diesem Monat wieder getroffen und benähme sich deswegen so seltsam. Darüber lässt sich streiten. Jedenfalls ist das mit Alessandro seit etwa letzter Woche noch schlimmer geworden. Er hat sich manchmal ganz allein in die Schatzkammer zurückgezogen, sperrte sogar seinen besten Freund Odo aus und verharrte dort stundenlang. – Bis du aufgetaucht bist. Und Plötzlich ist er wieder wie früher, so als hätte dieser Monat gar nicht existiert...“, stellte Raven fest.
„Trotzdem glaube ich nicht, dass das etwas mit mir zu tun hat. Immerhin hatte er, bevor er mich traf, noch diesen Smaragd gestohlen und du sagtest doch gerade eben, er wäre so gut drauf, wie wenn er einen großen Auftrag gemeistert hat“, fand ich.
„Er hat ihn dir gezeigt?“, fragte Raven erstaunt, wartete dann aber keine Antwort von mir ab. „Eigentlich war jeder hier dagegen, dass er in seinem Zustand einen so gefährlichen Auftrag ausführt. Tassilo hatte ihm sogar angeboten, er würde es für ihn erledigen. Aber Alessandro war strikt dagegen, sich den Auftrag abnehmen zu lassen. Er meinte, das lenke ihn ab.“
„Vielleicht wollte er den Auftrag aber auch nur nicht hergeben, weil er wusste, er würde dadurch seine Freundin wieder treffen? Vielleicht hat er sich ja wieder mit ihr versöhnt, kurz bevor er mich getroffen hat und ist deswegen so gut drauf? ...Wenn es diese Freundin überhaupt gibt... Was auch immer, vieles ist möglich... Eigentlich geht mich das Ganze ja auch gar nichts an!“, fiel mir zu meinem Entsetzen auf.
„Richtig, es ist möglich... Aber fest steht, er hat dich Leander genannt“, wägte Raven ab.
„Was ist denn an dem Namen Leander eigentlich so besonders?“, wollte ich wissen.
„Und genau das konnte ich vor den anderen nicht sagen: Ich habe nämlich mal versehentlich ein Gespräch zwischen Volker und dem Herrn der Diebe mit angehört. Darin bedauerte Alessandro, dass er keine eigenen Kinder hat. Dabei hätte er so gerne einen Sohn gehabt, den er zum besten Dieb weit und breit ausbilden, und später sogar zu seinem Nachfolger ernennen könnte. Er hätte ihn Leander genannt. Da er aber keinen Sohn hat, soll Volker wahrscheinlich nun sein Nachfolger werden. Aber Volkers Träume lösten sich in Luft auf, als du aufgetaucht bist, weil jeder bemerkt hat, dass du etwas Positives in unserem Herrn auslöst.
Volker ist eifersüchtig auf dich. - Und ich will dich ja nicht beunruhigen, aber ich rate dir trotzdem: Pass auf dich auf, denn wenn Volker eifersüchtig ist, weiß keiner, was er dann macht“, warnte mich Raven. „So, jetzt fühle ich mich besser. Jetzt müsste ich doch eigentlich schlafen können...“
„Jetzt kann aber ich nach deiner bedrohlichen Geschichte wahrscheinlich gar nicht mehr schlafen!“, beschwerte ich mich leise bei ihr. „Raven?“, fragte ich nach, weil sie mir keine Antwort gab. Sie musste wohl eingeschlafen sein...
Eine ganze Weile lag ich noch wach im Bett. Jetzt begann Odo auch noch zu schnarchen! Ich war schon am Verzweifeln, doch dann schlief ich doch noch ein.
In dieser Nacht träumte ich, dass ich nochmal in dem Vorraum mit den vielen Wandteppichen stand, nur diesmal ganz alleine. Ich betrachtete dieses traumhaft schöne blonde Mädchen und auf einmal zwinkerte sie mir zu. Verwirrt zwinkerte auch ich einige Male und rieb mir die Augen, da ich doch vor einem Wandteppich stand und mir ihre Bewegung nur eingebildet haben musste, da begann sie mich anzulächeln! Ich war wie verzaubert von ihr. Dann stieg sie aus dem Wandteppich heraus, und kam langsam auf mich zu. Auf einmal befanden wir uns inmitten einer wunderbar duftenden Blumenwiese. Ihr goldblondes Haar und ihr rosé farbenes Kleid wehten im Wind. Als sie schließlich vor mir stand, lachte sie mich an und es klang, als wenn Tausende von Engel singen würden. Unsere Gesichter näherten sich, wir schlossen die Augen, unsere Nasenspitzen berührten sich bereits... Knall! - Meine Traumblase war geplatzt. Ich wurde von einem dumpfen Geräusch eines Aufpralls und einer leichten Erschütterung geweckt und zuckte erschrocken hoch.
„Was ist denn passiert?!“, fragte ich hektisch.
„Nichts weiter, Odo ist nur, so wie jeden Morgen, aus dem Bett gefallen. Gewöhn dich besser daran, so geweckt zu werden“, beruhigte mich Raven und fluchte.
„Jeden Morgen um die gleiche Zeit fällt Odo aus dem Bett. Der Ärmste konnte in einem Stockbett nie oben schlafen“, bedauerte ihn Peter.
Erst guckte ich etwas irritiert in der Gegend herum, dann kletterte ich aus meinem Bett und machte mich fertig.