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Der alte Wallner

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Auf Drängen von Gertrud und Stefanie wurde zwei Tage später doch die Polizei eingeschaltet. Sie erschien in Gestalt eines jungen Inspektors namens Paul Junghans und einer Polizistin in Uniform namens Maja Fröschl.

Und tatsächlich, hinter einer verdorrten Hibiskushecke auf dem leeren Grundstück neben ihrem Haus, wurden die Reste von Blackys Körper gefunden – zwei schlanke schwarze Hinterbeinchen. Ob durch eine Falle oder ein Werkzeug vorsätzlich abgetrennt, stand noch nicht fest.

Vor Stefanie hielt man den grausigen Fund fern, aber für Stefanie war der Fall ohnehin klar: Der Mörder war der bösartige Wallner! Gertrud hatte ihn ja eindeutig identifiziert. Noch ehe die Polizei sich dazu bequemte, Herrn Wallner ins Verhör zu nehmen, nahm sie die Sache selbst in die Hand. Gleich nach der Schule stellte sie ihr Fahrrad vor dem Haus Nummer 32 ab. Argwöhnisch beobachtete sie das nahe Umfeld und hoffte, durch die offenen Vorhänge die Visage des Katzenmörders zu erblicken. Durch die schmutzigen Fenster blickte sie aber nur in eine altmodische Küche und ein leeres Wohnzimmer. Vielleicht aber schlief er ja, der alte Bösewicht, hielt ein Nickerchen und träumte schon vom nächsten Mord an einem unschuldigen Tier.

Resolut betätigte sie die Glocke am Gartentor. Sie läutete Sturm, aber nichts rührte sich. Kurz entschlossen drückte sie die Klinke herunter und fand sich in einem vernachlässigten Vorgarten. Sie hämmerte an die Haustür, aber niemand öffnete. Schließlich kämpfte sie sich durch das Unkraut zur Hinterseite des Hauses, stellte sich auf die Zehenspitzen und blickte durch eines der Fenster. Gleich darauf prallte sie zurück und wäre beinahe über einen verdorrten Brennnesselstrauch gestolpert.

Um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht bloß etwas eingebildet hatte, stellte sie sich erneut auf die Zehenspitzen und drückte sich die Nase an der halbblinden Fensterscheibe platt. Und dort, auf dem verdreckten Linoleumfußboden, lag der alte Wallner in seinem Blut! Rund um seinen Kopf hatte sich ein kleiner roter See gebildet, der schon ein wenig eingetrocknet zu sein schien.

Im ersten Moment wurde Stefanie beinahe schlecht, aber es dauerte nicht lange, bis der kurzfristige Schock von hämischer Schadenfreude abgelöst wurde. Irgendjemand hatte dem Mörder den Garaus gemacht. Im Stillen sprach sie, wem auch immer, ihren Dank dafür aus.

Es war fünfzehn Uhr und sie schob ihr Fahrrad über die Straße zu ihrem Haus. Dort gab ihre Mutter der neuen Putze gerade Anweisungen.

»Stell dir vor, Mami!«, rief Stefanie aufgeregt. »Der alte Wallner ist tot!«

»Steffi!«, rief ihre Mutter entsetzt. »Was redest du denn da?«

Nur Gertrud schien sich ehrlich mit ihr zu freuen.

Carla Burkhardt hielt diese Nachricht für bloßes Wunschdenken ihrer Tochter. Entsetzt war sie nicht so sehr über den wahrscheinlich ohnehin nur eingebildeten Tod des Nachbarn, sondern über die offene Freude darüber. Sie umklammerte den Griff eines Staubsaugers, denn sie war gerade dabei gewesen, Gertrud zu erklären, wie das Gerät funktionierte. Nach Gertruds apathischem Gesicht zu schließen, schien dieser die Handhabung eines gewöhnlichen Staubsaugers jedoch sonnenklar zu sein.

»Dann geh doch selbst rüber«, forderte Stefanie ihre Mutter auf. »In seinem Schlafzimmer liegt er – mausetot.«

»Entschuldigen Sie mich, Gertrud«, wollte Carla dem Spuk ein Ende setzen und fasste ihre Tochter am Arm. »Du gehst jetzt mit mir zu Herrn Wallner und klärst die Sache auf.«

Stefanie schnitt eine Grimasse in Vorfreude auf das, was ihre Mutter erwartete, und fragte: »Wollen Sie mitkommen, Gertrud?«

Gertrud wischte sich erst einmal gründlich an ihrer Kleiderschürze die Hände ab und grinste gut gelaunt: »Da komm ich doch glatt mit! So was lass ich mir doch nicht entgehen! Wenn der alte Wallner wirklich tot ist, weine ich ihm keine einzige Träne nach.«

Es war zwar ziemlich dunkel, da der Himmel wolkenverhangen war, aber Gertrud und ihre Mutter würden noch genug sehen, wie es um den alten Wallner stand. Stefanie freute sich bereits über das Gesicht ihrer Mutter.

Carla läutete einige Male vergeblich am Gartentor und Stefanie stand mit verschränkten Armen und rollenden Augen daneben. Ihre Mutter konnte hier bis zum Nimmerleinstag warten, davon wurde der Katzenmörder auch nicht wieder lebendig.

Mit ihrer Geduld am Ende drückte Stefanie die Klinke herunter und schritt durch das Tor.

»Du kannst doch nicht …«, fiel Carla ihrer Tochter in den Arm.

»Willst du nun die Wahrheit sehen oder nicht?«

Als von ihrer Mutter nur ein Seufzen kam, schritt sie energisch voran, durch den vorderen Garten bis zur Hinterseite des Hauses. Dort zeigte sie stumm mit dem Finger auf das Fenster.

Da Carla Burkhardt um einen Kopf größer als ihre Tochter war, musste sie sich nicht erst auf die Zehenspitzen stellen. Ein Blick genügte und sie erkannte, dass Stefanie die Wahrheit gesagt hatte. Herr Wallner lag mit verrenkten Gliedmaßen auf dem Fußboden neben seinem Bett und um seinen Kopf herum hatte sich eine Blutlache gebildet. Entsetzt wandte sie sich ab und musste sich kurz an Gertrud festhalten.

Gertrud wollte ungeduldig wissen: »Was ist? Ist er tot?«

Stefanie grinste. »Tot wie ein Sargnagel!«

»Wir müssen sofort die Polizei verständigen!«, stieß Carla hervor.

»Na, glaubst du mir jetzt? Hab ich zu viel versprochen?«

Bei Gertrud nützte selbst ein Sich-auf-die-Zehenspitzen-stellen nichts. »Ich will ihn auch sehen!«, murrte sie und reckte den Hals.

»Kommen Sie!«, bot Stefanie ihr an. »Ich mach Ihnen die Räuberleiter.«

»Stefanie …!«, stammelte Carla bestürzt. »Da drinnen liegt ein Toter, das ist doch keine Show!«

»Ich finde es nur gerecht, wenn er tot ist. Wer weiß, wie viele arme Tiere dieser Bösewicht noch auf dem Gewissen hat, von denen wir gar nichts wissen.«

Gertrud raffte ihren Kittel hoch und stellte sich vorsichtig auf Stefanies verschränkte Arme. »Denken Sie, Sie können mein Gewicht tragen?«, erkundigte sie sich vorsichtshalber. »Ich bin schließlich nicht gerade eine Gazelle.«

»Klammern Sie sich einfach am Fenstersims fest, dann wird’s schon gehen. Ich pushe, Sie ziehen. Go

Mit einem kräftigen Schubs stieß sie Gertruds Hinterteil hoch und Gertrud fing an zu kichern. An dieser Stelle hatte sie schon sehr lange niemand mehr angefasst. Sie warf einen flackernden Blick ins Zimmer und verzog gleich darauf das Gesicht. »Ei, ei, wer liegt denn da? Schöne Grüße an die Hölle, Herr Wallner …«

Carla Burkhardt traute ihren Augen und Ohren nicht. Ihre neue Hilfskraft mitsamt der eigenen missratenen Tochter schienen am Tod eines Menschen geradezu Gefallen zu finden!

»Wir verständigen sofort die Polizei!«, rief sie energisch.

Stefanie ließ Gertrud ziemlich unsanft zu Boden gleiten. Als Gertruds Füße die Erde berührten, hatte ihr Gesicht richtig Farbe bekommen. Sie richtete sich schnell die Kleiderschürze zurecht, die durch diese Gymnastik anstößig weit hinaufgerutscht war und den Blick auf ihren baumwollenen Liebestöter preisgegeben hatte. Unter anderen Umständen wäre ihr das jetzt furchtbar peinlich gewesen, aber im Augenblick war ihr selbst das egal. So viel Schadenfreude hatte sie nämlich schon seit langem nicht mehr empfunden.

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