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Eine Leiche für Inspektor Paul Junghans

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Inspektor Paul Junghans nahm den Anruf auf seinem Diensthandy entgegen. In seiner eigenen Gemeinde, in Keltenberg, in der Kirchgasse Nummer 32, soll eine männliche Leiche gefunden worden sein! Er selbst war gerade im idyllischen Gießhübl im Wienerwald unterwegs, wo vor kurzem auf der A21 ein Unfall mit Personenschaden und anschließendem Raufhandel stattgefunden hatte. Trotz Magenverstimmung und Restalkohol von letzter Nacht gab er sich Mühe, vor den Kollegen nicht unangenehm aufzufallen. Nach den unumgänglichen Amtshandlungen und der Festnahme der beiden Übeltäter, wollte er sich sofort auf den Weg machen. Er telefonierte sicherheitshalber schon nach einem Sanitätswagen und der Spurensicherung, bevor der Tatort verunreinigt wurde. Denn die Anruferin, eine gewisse Gertrud Klampfl, war ziemlich sicher, dass es sich um Mord handelte. Unfall war ausgeschlossen! Es musste unbedingt Mord sein. Manche Leute schienen sich das direkt herbeizuwünschen.

Eine Leiche aber, ob Mord oder Selbstmord, mitten in seinem Zuständigkeitsbereich, wäre dennoch sensationell! Die erste Leiche in seinen achtundzwanzig Lebensjahren und den sechs Jahren bei der Polizei – mit Ausnahme der zahlreichen Schnapsleichen! Zwar war er erst vorgestern zu einer echten Leiche gerufen worden, dann hatte sich aber herausgestellt, dass es sich um eine tote Katze gehandelt hatte! Manche Leute machten da echt keinen Unterschied.

Bis jetzt hatte er es bloß mit quakenden Fröschen in Bioteichen zu tun gehabt, die die Nachbarn nervten, einem Einbruch oder den üblichen Wirtshausschlägereien. Raub war bereits die Ausnahme. Er sah das alles ziemlich entspannt, bis auf ein einziges Mal. Da hatte es im Ort eine Vergewaltigung gegeben. Ein junges Mädchen war unter Drogen gesetzt und von einer Gang missbraucht worden. Vergewaltigung war das einzige Delikt, das Paul Junghans richtig ausrasten ließ. Sexualstraftätern gegenüber konnte er knallhart sein. Die Bande hatte folglich auch nicht viel zu lachen gehabt und würde sich an den jungen Inspektor noch sehr lange erinnern.

Aber Mord war eine ganz neue Kategorie!

Paul Junghans stieg in seinen noch fast neuen Passat Touran, schlug den hochgestellten Kragen seiner schwarzen Lederjacke zurück und kontrollierte im Rückspiegel noch schnell seine Erscheinung. Dunkelblonder Kurzhaarschnitt, lachende bernsteinfarbene Augen – heute ein wenig rot unterlaufen von der Party letzte Nacht – ein schlankes markantes Gesicht mit einer natürlichen Bräune, einen Viertagebart und schön geschwungene volle Lippen. Seine Wirkung auf Frauen war verheerend – meist für die Frauen, die sich schon nach wenigen Minuten Hals über Kopf in ihn verknallten. Aber Paul Junghans war wählerisch.

Er fuhr sich einmal kurz und selbstverliebt über die modische Frisur. Bislang war es noch keiner Frau gelungen, ihn dauerhaft an sich zu binden, denn seine Ambitionen bezüglich Frauen und Beruf blieben nicht auf seinen Bezirk Mödling beschränkt – sein erklärtes Ziel war, in Wien Karriere zu machen!

Halbwegs zufrieden mit seinem Erscheinungsbild stieg er auf das Gaspedal. Bis zur Karriere in Wien würde er sich allerdings noch ein wenig mehr anstrengen müssen, daher käme eine echte Leiche gerade sehr gelegen.

Mit dem Gas geben wurde es vorerst nichts, denn er geriet mitten in einen Stau. Aus dem Handschuhfach nahm er das Blaulicht mit der Magnethalterung und knallte es auf das Wagendach. Dann raste er, sofern man bei den Wagenkolonnen von Rasen sprechen konnte, nach Keltenberg zurück. Punkt sechzehn Uhr dreißig stellte er den Wagen vor dem Haus in der Kirchgasse Nummer 32 ab.

Ein paar Anwohner standen bereits in einigem Respektabstand um die Polizeiwagen herum und die Männer der Spurensicherung durchsuchten drinnen schon das Haus. Im Haus selbst roch es nach Altmännerschweiß und Tristesse. Über all dem schwebte der Geruch von ungewaschener Bettwäsche, Speiseresten und etwas Faulig-Süßlichem, das besonders hervorstach, das er aber nicht richtig zuzuordnen vermochte. Das Haus war das reinste Biotop.

Der Gerichtsmediziner, Rudolf Wehrschütz, war bereits vor ihm eingetroffen. Er stand gebückt im Vorzimmer und kramte gerade in seinem Koffer herum.

Da Paul wusste, dass Wehrschütz aus dem gut vierzig Kilometer entfernten Wien anreisen musste, und das mitten im Berufsverkehr, fragte er grinsend: »Sind Sie geflogen?«

Rudolf Wehrschütz hob kurz den Kopf und antwortete mit einem knappen: »Ja.«

»Haben Sie vorher ein Red Bull getrunken und es sind Ihnen auf einmal Flügel gewachsen? Hehe.«

Wehrschütz richtete sich auf und hielt sich dabei den Rücken. »Nein, aber ein Heli stand bereit. Die A21 war voll wegen des Staus.«

»Weiß ich, stand schließlich mittendrin. Das muss aber etwas sehr Wichtiges gewesen sein, von wegen Heli.«

»Ein Mord in Perchtoldsdorf.«

»Echt?«

»Der dritte in acht Wochen.«

Paul wurde richtiggehend neidisch. Überall war was los, nur in seinem Revier herrschte die reinste Harmonie. Bis auf heute. Immerhin.

»Wollen Sie die Leiche nun sehen?«, kam Rudolf Wehrschütz zur Sache.

»Klar! Deswegen bin ich doch hier!«

Als Paul dann vor dem Toten in seinem Blut stand und den zertrümmerten Schädel sah, spürte er plötzlich, wie die Magensäure seine Speiseröhre hochstieg, und schaffte es gerade noch bis vor die Tür. Peinlicherweise stand ausgerechnet dort die versammelte Burkhardt-Familie mitsamt der Frau Klampfl und wartete auf ein Ergebnis der Untersuchung.

»Ihre erste Leiche?«, fragte Frau Klampfl mitleidig.

Paul wischte sich mit einem Papiertaschentuch über den Mund. »Nein, der Punsch von gestern!«

»Ach so! Na, das kann schon mal vorkommen! Wissen Sie denn, wer es getan hat?«

Sie schaute in keiner Weise so betroffen drein, wie man es in Gegenwart eines Toten erwarten durfte. Auch die Burkhardts hatten vorgestern, als sie ihn zu ihrer toten Katze riefen, weit niedergeschmetterter gewirkt, als in Gegenwart des toten Herrn Wallner. Er würde sie unbedingt näher befragen müssen.

»Ich bin Polizeiinspektor und kein Hellseher«, antwortete er patzig auf Frau Klampfls Frage, und prompt zog die Alte ein Gesicht. Er war noch keine zehn Minuten da und – Hokuspokus Simsalabim – sollte er den Mörder auch schon aus dem Hut zaubern! Und das, wo noch gar nicht erwiesen war, dass es sich um Mord handelte oder nicht doch um einen Unfall. Was dachten sich die Leute eigentlich bei solch dümmlichen Fragen?

Zurück im Schlafzimmer stellte ihm Rudolf Wehrschütz die gleiche dämliche Frage wie vorhin Frau Klampfl: »Ihre erste Leiche?«, und schaute genauso mitleidig drein.

»Magenverstimmung«, entgegnete Paul kurz angebunden und näherte sich dem Toten mit gerunzelten Augenbrauen und professioneller Amtsmiene. Er bückte sich und wollte gerade eine Hand nach dem Körper ausstrecken, als ihn die scharfe Stimme von Rudolf Wehrschütz mitten in der Bewegung stoppte.

»Hände weg von meiner Leiche!«

Im ersten Moment direkt erschrocken, riss Paul die Hand zurück. Okay, er hatte keine Handschuhe übergezogen, aber in der Eile hatte er es schlicht und einfach vergessen. Musste ihn dieser Wehrschütz deswegen vor den anderen Kollegen so vorführen? Hatten Gerichtsmediziner einen Besitzanspruch auf Leichen? Gehörten die ihnen persönlich?

Der Wehrschütz und die Klampfl hatten ihm jetzt echt die ganze Freude verdorben. Da freute man sich, dass man endlich zu einer richtigen Leiche gerufen wurde und schon wollten sie sie ihm madig machen!

Er hörte Rudolf Wehrschütz sagen: »Der Tod dürfte heute Morgen zwischen vier und halb sechs Uhr eingetreten sein. Ein Unfall kann ausgeschlossen werden.«

Na, wenigstens etwas!

»Also doch Mord!«, brachte Paul es theatralisch auf den Punkt. »Und das in unserem friedlichen Keltenberg!« Er senkte den Blick, damit der andere in seinen Augen nicht die klammheimliche Freude sehen konnte. »Können Sie schon etwas über die Tatwaffe sagen?«

»Es waren mehrere Schläge mit einem stumpfen Gegenstand.«

»Stumpfer Gegenstand, nicht gerade aufschlussreich. Das kann alles Mögliche sein.«

»Was wollen Sie? Name und Adresse des Mörders?«

Unerfahren darin, dass man Gerichtsmediziner generell nicht infrage stellte, schluckte Paul einen weiteren Kommentar hinunter.

»Gibt es irgendwelche Einbruchsspuren?«, fragte er.

»Die Kollegen sagen nein.«

»Dann muss er seinen Mörder gekannt haben. Wer öffnet schon einem Fremden mitten in der Nacht die Tür?«

»Ich nicht«, sagte Wehrschütz.

»Ich auch nicht, und ich bin die Polizei!« Paul grinste versöhnlich. »Was meinen Sie, war das Opfer gleich tot?«

»Nein, es dauerte ein Weilchen. Erster Schlag – das Opfer wankt. Zweiter Schlag – das Opfer geht zu Boden. Dritter, vierter, fünfter Schlag – das Opfer ist tot. Es wurde zu Tode geprügelt.«

Paul riss mit gespielter Bewunderung die Augen auf. »Klingt, als wären Sie dabei gewesen.«

»Nichts kann langjährige Berufserfahrung ersetzen, Kollege«, entgegnete Wehrschütz.

Das waren sehr viele Schläge, sinnierte Paul. Entweder war die Waffe so stumpf oder der Täter verfügte über wenig Muskelkraft.

»Möglicherweise eine Frau?«

Wehrschütz zuckte gleichgültig mit den Schultern. »Das herauszufinden, ist Ihre Aufgabe.«

Danke vielmals, das weiß ich selber. »Sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«

»Der erste Schlag wurde von oben herab ausgeführt. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Person, die deutlich größer war als das Opfer.«

»Dann vielleicht doch keine Frau?«

»Bei der geringen Körpergröße des Opfers kann man das nicht mit Sicherheit sagen, aber wie bereits erwähnt, das herauszufinden …«

Paul Junghans wandte sich ab und begab sich auf die Suche nach irgendwas Verdächtigem, nach etwas, das die Spurensicherung nicht suchte. Er hatte nämlich etwas ganz Bestimmtes im Visier. Familie Burkhardt war fest davon überzeugt, dass ihre tote Katze durch eine illegale Falle zu Tode gekommen war. Also begann er jedes Zimmer gezielt danach abzusuchen. Und tatsächlich! Wo die Spurensicherer noch nicht vorgedrungen waren, nämlich bis ins Badezimmer, fand er in der Badewanne ein Fangeisen. Der alte Wallner dürfte es vor seinem eigenen Tod noch sehr gründlich gereinigt haben. Er entdeckte keinerlei Blutspuren und sicherlich würde es auch keine Fingerabdrücke mehr darauf geben. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr.

Paul rief nach einem der Kollegen und hielt ihm das Indiz mit spitzen Fingern und einem Papiertaschentuch vor die Nase.

»Möglicherweise kann dieses Ding Aufschluss über das Motiv des Mörders geben.«

Familie Burkhardt hatte schon vorgestern versucht, Herrn Wallner bei der Polizei als Mörder ihrer Katze anzuschwärzen, daher war die Familie nicht ganz unverdächtig. Zuerst die Anschuldigung, und jetzt – zwei Tage später – war der mutmaßliche Katzenmörder selber tot. Sehr merkwürdig! Er musste die Burkhardts auf alle Fälle genauer unter die Lupe nehmen. Eine an und für sich unverdächtige, sehr anständige Familie, aber dieser Zufall war ihm doch ein Zufall zu viel.

»Haben Sie etwas gefunden, das als Tatwaffe infrage kommt?«, wollte Paul von einem Kollegen der Spurensicherung wissen.

»Wir haben einige Gegenstände gesichert«, antwortete Herbert Stumpf und ließ die Falle in einen Klarsichtbeutel gleiten, den er zu den anderen Gegenständen in einen Koffer legte.

»Welche zum Beispiel?«

»Einen alten Baseballschläger, der allerdings voll mit Spinnweben ist und nicht so aussieht, als wäre er kürzlich benützt worden. Eine Tischlampe mit einem gusseisernen Sockel, die auf dem Boden lag, und ein uraltes Nudelholz in der Nähe des Bettes, wo es eigentlich nicht hingehört.« Herbert Stumpf grinste. »Dass es so was heutzutage noch gibt! Noch dazu in einem Männerhaushalt! Aber wir konnten nirgendwo sichtbare Blutspuren darauf finden.«

»Vielleicht bringt die Forensik etwas ans Tageslicht.«

»Oder der Täter hat die Waffe mitgenommen.«

»Das ist sogar wahrscheinlich, falls er nicht ganz dumm war.« Paul wies mit dem Daumen in Richtung Küche. »Ich habe eine volle Tasse Kaffee und Schwarzbrot mit Wurst dort drinnen gesehen. Das Opfer dürfte während des Frühstücks getötet worden sein und sich vorher ins Schlafzimmer geflüchtet haben. Ziemlich früh für ein Frühstück und einen Rentner, der nicht zur Arbeit muss, finde ich.«

»Senile Bettflucht.« Herbert Stumpf wusste auf alles eine Erklärung.

»Der Kühlschrank stand auch offen«, wunderte sich Paul.

»Das Opfer wollte sich gerade ein Gurkerl zum Wurstbrot holen, als es passierte.«

Paul Junghans ging grinsend nach draußen und konfrontierte Familie Burkhardt, die in ihre Jacken gehüllt fröstelnd herumstand, mit den Fakten.

»Nach Einschätzung des Gerichtsmediziners war es kein Unfall. Herr Wallner wurde getötet …«

Weiter kam er nicht, denn das Mädchen begann spontan einen Hexentanz aufzuführen, der absolut nicht zum Ernst der Lage passte. »Endlich hat er gekriegt, was er verdient hat. Juhu!«

Die ungenierte Freude über den Mord an dem alten Mann irritierte Paul Junghans und er musste das Mädchen auf der Liste seiner Verdächtigen an die oberste Stelle setzen. Das passte auch zu seiner Theorie, dass es eine Frau gewesen sein könnte. Er betrachtete die Burkhardt-Tochter kritisch. Würde er ihr allein im Finstern begegnen, hätte er sich wahrscheinlich vor ihr gefürchtet. Diese Vampiraugen, die schwarz geschminkten Lippen, ihre ganze Aufmachung. Er blähte die Nasenflügel und schnüffelte die Luft in ihrem Dunstkreis. Irgendwie umgab das Mädchen ein faulig-süßlicher Geruch, wie er ihn schon im Haus festgestellt hatte. Lag das an der Leiche drinnen oder verwendete sie ein ganz abgefahrenes Parfüm? Er fragte sich, wie sie wohl unter der Schminke und dem ganzen Drumherum aussah, und vermutete, dass sie sogar recht hübsch war. Einmal kurz unter die Dusche gestellt, und sie könnte sogar sehr gut riechen …

Er räusperte sich und sagte streng: »Mord ist nicht Juhu! Mord ist ein Verbrechen!«

»Ist eine Katze in Ihren Augen kein Lebewesen und der Wallner deshalb kein Mörder?«, schrie Stefanie und ließ jeden Respekt vor der Amtsperson vermissen.

»Doch, ich mag Katzen, aber vor dem Gesetz wiegt ein Menschenleben mehr.«

»Vor eurem Gesetz ist ein Tier nur eine Sache, irgendeine Ware! Ich finde das zum Kotzen!«

Carla Burkhardt sah sich gezwungen, einzuschreiten. »Steffi! Jetzt reicht’s.«

Martin Burkhardt sah deutlich angespannt aus und wollte die Angelegenheit so schnell wie möglich hinter sich bringen. Sohn Tobias trat von einem Bein aufs andere und schielte andauernd auf sein Smartphone. Nur Frau Klampfl war ganz aufseiten des Mädchens und schien sich direkt wohlzufühlen.

Paul verkündete: »Ich muss Sie bitten, mit mir auf die Polizeiwache zu kommen …«

»Und was sollen wir dort?«, rief Stefanie.

»Ich brauche Ihre Aussage.«

»Wir wissen nicht, wer Herrn Wallner ermordet hat«, mischte sich nun Martin Burkhardt ein, der bislang kein Wort gesagt hatte und zurück in sein Arbeitszimmer wollte.

»Aber es war Ihre Katze und im Haus von Herrn Wallner konnten wir tatsächlich eine Falle sichern …«

Stefanie triumphierte. »Wusste ich‘s doch! Das ist der Beweis, dass der Wallner meinen Blacky ermordet hat!«

»Und genau deswegen haben Sie ein Mordmotiv!«

Augenblicklich senkte sich Stille über die Burkhardts.

»Bitte w...was haben wir?«, stotterte Tobias. Er hatte ganz sicher kein Motiv!

»Es tut mir leid, aber vor zwei Tagen hat sich ein Mitglied Ihrer Familie …« Paul richtete einen bohrenden Blick auf Stefanie, »Herrn Wallner tot gewünscht, und jetzt ist er tatsächlich tot. Das ist für die Polizei ein Grund, Fragen zu stellen.«

Frau Klampfls Rosinenaugen erhielten neuen Glanz. »Mich können Sie auch mitnehmen!«, verkündete sie. »Ich erzähl Ihnen gern alles, was ich weiß. Es war immerhin meine Wenigkeit, die Blacky gefunden hat.«

Paul Junghans verdrehte unauffällig die Augen. Leute, die sich der Polizei richtiggehend aufdrängten, kosteten oft mehr Zeit und Kraft, als jene, die mit ihr nichts zu tun haben wollten. Das war wenigstens normal.

»Würden Sie mir bitte mit Ihrem Wagen zur Dienststelle folgen? Ich brauche Ihre Aussage.«

»Ich weiß nichts und ich war’s auch nicht, das können Sie schon mal notieren!«, murrte Tobias. »Außerdem habe ich noch einen Termin …«

»Termin!«, höhnte seine Schwester. »Ist es die Blonde oder die Brünette?«

»Na, du hast es nötig! Wo ist er übrigens?«

»Wer?«

»Dein Charly Manson.«

»Er heißt Charles! Und Charles ist in Wien, du Hornochse!«

»Hat er wieder ein Auditing bei Scientology?«

An diesem Punkt sah sich Carla Burkhardt erneut gezwungen, einzuschreiten. Sie fand, dass sich ihre Kinder vor der Polizei mehr als ungehörig benahmen. Sich so vor diesem jungen Inspektor aufzuführen, wo im Haus doch ein Toter lag, und der Inspektor nicht einmal einen Hehl daraus machte, dass er die Familie für nicht ganz unschuldig hielt!

»Ich glaube, im Moment interessiert den Herrn Inspektor eure Auseinandersetzung nicht«, sagte sie scharf.

Paul aber war dem Disput der Geschwister mit Interesse gefolgt. Charles Manson, um Himmels willen! So hatte doch dieser satanische Sektenführer geheißen, der vor einem halben Jahrhundert die schöne und hochschwangere Hollywood-Schauspielerin Sharon Tate von seinen weiblichen Jüngern ermorden ließ! Wie konnte man sich bloß so nennen! War das der Freund von Stefanie? Und was hatte er mit Scientology zu tun? Das Mädchen war ihm jetzt nimmer wurscht. Welchen Umgang pflegte sie eigentlich mit ihren höchstens sechzehn Jahren? Und warum ließen ihre Eltern so etwas überhaupt zu?

Er räusperte sich noch einmal, diesmal mit Nachdruck. »Wenn Sie mir nun bitte folgen«, wiederholte er und nickte Gertrud zu. »Frau Klampfl, Sie können mit mir fahren.«

Während sich Gertrud ungeheuer wichtig vorkam, als sie zu dem jungen Inspektor in den Wagen stieg, trotteten die Burkhardts auf Martins schwarze Sportlimousine der Marke Audi zu, die auf der Straße vor ihrem Haus parkte. Martin Burkhardt hatte den Wagen noch nicht in die Garage gefahren, weil er eigentlich noch einmal fort wollte. Aber wie es aussah, konnte er sich seinen Termin mit Dr. Hummelberger abschminken. Mit fahriger Hand steckte er den Schlüssel ins Zündschloss.

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