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Besuch von Herrn Fingerlos
ОглавлениеNach nur wenigen Tagen bei den Burkhardts hatte sich Gertrud schon wunderbar eingelebt und zählte sich nach eigener Einschätzung bereits zur Familie. Niemand widersprach, denn keiner wagte es, sie zu kränken, geschweige denn zu kritisieren. Aber seit sie hier arbeitete, schwebte ständig eine auffällige Duftkomposition aus Meister Proper und WC-Ente über dem Haus.
Ihre Rosinenaugen leuchteten auf wie zwei Glühwürmchen, sobald sie ein dreistes Staubkorn erspähten. Dann wurde ihr Blick geradezu wild, um nicht zu sagen, rasend vor Leidenschaft. So ein kleines Staubkorn konnte bewirken, dass ihre Finger wie ein Torpedo in ihren geblümten Kittel glitten, wo stets ein Putzlappen auf Einsatz wartete, und damit zustießen, wie ein Nest voller Klapperschlangen.
Die Familie Burkhardt empfand diesen Putzfimmel als eher belastend, aber niemand sagte etwas, denn abgesehen von diesem kleinen Dachschaden, den sie offenbar hatte, war sie eine Perle. Sie nahm Carla so viel Arbeit wie möglich ab, und bald schon konnte sich Carla ein Leben ohne Gertrud gar nicht mehr vorstellen.
Nur einmal hatte Gertrud sie richtig verärgert. Da ihre Perle stets lauernd durch ihr bisheriges Leben spaziert war, nämlich lauernd auf alles, was nicht bei drei auf dem Baum war und sich Dreck schimpfte, machte sie leider auch vor Zimmerpflanzen nicht halt. Als Carla eines schönen Tages in der Küche stand, hatte Gertrud sie um eine Schere gebeten. Erst als Carla ihren Sohn aufschreien hörte und aus der Küche stürzte, erblickte sie, was Gertrud angerichtet hatte. Eine, ihr namentlich noch immer nicht bekannte exotische Pflanze, auf deren Blütenpracht sie seit Jahren gehofft hatte und diesen Herbst das erste Mal in all ihrem Flor den Wintergarten zierte, stand zerrupft und nackt vor ihr.
Stumm vor Schreck wandte sie sich an Gertrud, die gerade dabei war, diverse Stuhlbeine derart energisch zu wischen, als hätte sie mit ihnen eine persönliche Rechnung offen. Carla streckte einen zitternden Finger in Richtung verstümmelter Pflanze aus und stammelte: »Warum haben Sie das gemacht, Gertrud?«
Gertrud blickte kurz hoch und widmete sich wieder ihrer Arbeit. »Was?«
»Na das hier! Wo sind die schönen Blüten? Jahrelang hab ich mich darauf gefreut und jetzt …« Fast hätte Carla angefangen zu weinen.
»Dieser Mist verwelkt, und dann? Dann liegt der ganze Dreck auf dem Boden. Und wer muss ihn wegmachen? Ich!«
»Aber … haben Sie denn gar keinen Sinn für das Schöne?«, wagte Carla zu protestieren.
»Pflanzen gehören in den Garten, und der liegt nicht in meinem Zuständigkeitsbereich«, ließ Gertrud sie wissen.
Als es schließlich dem letzten Stuhlbein an den Kragen gegangen war, richtete sie sich schnaufend auf und betrachtete zufrieden ihr Werk. Sie stemmte die Hände in die Hüften und bemerkte: »Ich glaube, diese Stellen hat schon seit Jahren keiner mehr geputzt.«
Carla errötete. Das stimmte zwar, aber die Stuhlbeine hatten noch niemanden wirklich interessiert. Sie blickte ihrem Sohn nach, der sich augenverdrehend in sein Zimmer verzog, und reagierte sich durch mehrmaliges Seufzen ab. Während sie noch seufzte, läutete es draußen an der Tür.
Gertrud war als Erste dort. »Na endlich!« Sie drehte sich zu Carla um, die nachgekommen war und sie fragend anblickte.
»Das ist Herr Fingerlos!«, stellte Gertrud vor. »Der Herr Pro-ku-ra-tor.«
»Einen wunderschönen guten Tag, gnädige Frau!« Herr Fingerlos streckte Carla seine Hand entgegen, die sie automatisch schüttelte.
»Herr Fingerlos repräsentiert die Firma Clean Star und wird uns heute sein neuestes Produkt vorführen. Stimmt‘s?« Gertrud blickte ihn direkt verliebt an.
Herr Fingerlos schenkte Carla ein professionelles Lächeln. »Es ist mir eine Ehre, gnädige Frau, Ihnen unseren Bestseller ganz unverbindlich vorzuführen. Wenn es Ihnen recht ist, hole ich unser bestes Stück aus dem Wagen.«
Carla stand nur stumm und verwirrt da und nickte ganz gegen ihren Willen. Während der Mann zum Wagen ging, fragte sie Gertrud: »Was für ein Produkt meint er? Und wer hat ihn überhaupt herbestellt?«
»Das war meine Wenigkeit!«, flötete Gertrud. »Ich schwöre Ihnen, Frau Carla, Sie werden Augen machen.«
»Aber wie …?«
Dann war Herr Fingerlos auch schon wieder zurück und schleppte sich mit einem Gerät ab, das Carla verdächtig an einen Staubsauger erinnerte. »Ist das ein Staubsauger?«, fragte sie.
Bei dem Wort Staubsauger blickte Herr Fingerlos geradezu gekränkt. »Nein, gnädige Frau, das ist ein multifunktionales Wunder. Das Edelste, was es zurzeit auf dem Markt gibt!«
»Falls dieses Wunder auch einen Staubsauger beinhaltet, ich habe schon einen …«
»Sofort entsorgen, gnädige Frau! Wenn Sie erst unser Multitalent der Marke Power Star in Action gesehen haben, wollen und brauchen Sie nichts anderes mehr.«
»Aber …«
»Es handelt sich hierbei nicht nur um einen Staubsauger, Sie erhalten quasi einen Luftbefeuchter, einen Lufterfrischer, einen Teppichschäumer und einen Fensterputzer in einem Gerät. Wenn Sie mir noch einen Augenblick geben, hole ich das Zubehör.«
Ohne die Antwort abzuwarten, war Herr Fingerlos zu seinem Lieferwagen geeilt und kehrte vollgepackt wie ein Maulesel zurück.
»Kommen Sie rein!«, drängte Gertrud, die Angst hatte, Herr Fingerlos könnte von einem der Nachbarn entführt werden.
Carla trat zur Seite und Herr Fingerlos hievte das Ungetüm mitsamt mehreren Verlängerungsrohren, Bürsten, Kämmen und Düsen ins Vorzimmer.
»Hier geht’s ins Wohnzimmer«, wies Gertrud aufgeregt den Weg. »Da haben wir mehr Platz.«
Herr Fingerlos breitete sich auf dem schönen Parkettboden aus und bald erinnerte das Wohnzimmer an eine Vorführung wie auf der Wiener Haushaltsmesse.
»Ich muss Sie bitten, mir das Badezimmer zu zeigen. Power Star arbeitet nämlich mit einem Wasserfiltersystem. Kein Staubbeutel, daher auch kein Staub. Stauballergiker können aufatmen. Wasser wegleeren, fertig, Ende Gelände.«
Als er aus dem Badezimmer zurückkehrte, zeigte ihm Gertrud die Steckdose und er schloss das Gerät an den Strom an. Dann nahm er geradezu majestätisch einen Gegenstand in die Hand und setzte ihn mit einem kurzen Klick auf das Rohr.
»Hier ist unsere neueste wissenschaftliche Errungenschaft«, sagte er mit einer Stimme, die vor Ehrfurcht geradezu bebte. »Eine Turbobürste gegen Tierhaare!«
»Unsere Katze ist kürzlich verstorben …«
»Katzenhaare halten sich noch viele Jahre im Haus«, widersprach Herr Fingerlos, legte aber die Turbobürste unauffällig beiseite und bückte sich nach der nächsten Erfindung der Firma Clean Star. »Und das ist unsere Milbendüse …«
»Wir haben keine Milben«, wehrte Carla ab.
»Oh, Sie würden sich wundern! Aber nichts für ungut, gnädige Frau, Milben haben mit mangelnder Hygiene auch überhaupt nichts zu tun. Diese Viecher sind einfach überall. Auch in den besten Hotels der Welt – gerade dort! Wenn die Menschheit erst einmal ausgestorben ist, wird es die Milben immer noch geben. Aber das werde ich Ihnen später noch demonstrieren. Hier habe ich die Parkettbürste, unsere Hartbodendüse mit LED-Aufsatz, unsere flexible Fugendüse und die Polsterdüse. Das ist unser Dampfreiniger, unser Luftreiniger, das Fenstersauger-Zubehör …«
Gertrud bekam Schnappatmung und musste sich setzen. Nie und nimmer konnte sie selbst sich ein derartiges Luxusgerät leisten! Inständig hoffte sie daher, bei den Burkhardts wenigstens zwei bis drei Stunden in der Woche dieses Wunderwerk der Firma Clean Star bedienen zu dürfen. Bisher hatte sie den Staubsauger der Marke Siemens hinter sich hergezogen wie einen alten störrischen Esel. Frau Burkhardt musste ihr unbedingt dieses neue Gerät kaufen.
»Stellen Sie sich das nur vor, Frau Carla!«, rief sie. »Mit diesem Gerät kann ich nicht nur saugen, sondern auch die Teppiche schäumen und waschen, die Luft beduften und sogar die Fenster putzen!«
Da Carlas Miene trotz Herrn Fingerlos‘ perfekter Show noch immer keine Spur von Einknicken zeigte, packte Herr Fingerlos seinen vorletzten Triumph aus. Mit theatralischer Stimme, so als stünde er auf einer Theaterbühne, forderte er: »Bitte zeigen Sie mir den hartnäckigsten Fleck, den Sie finden können!«
Augenblicklich fiel Gertrud ein Dutzend hartnäckiger Flecken ein. Sie führte Herrn Fingerlos zu dem allerhartnäckigsten unter dem Couchtisch, und zeigte atemlos auf einen Punkt im Durchmesser von etwa einem halben Zentimeter.
»Da!«, rief sie angeekelt, überzeugt, dass Herr Fingerlos diesen Schandfleck nie und nimmer zum Verschwinden bringen konnte, egal, wie sehr er auch zauberte.
Unter geringschätzigem Lächeln nahm Herr Fingerlos die Bodendüse ab und tauschte sie geschickt gegen die Turbo-Teppichbürstendüse aus. Damit fuhr er ein paar Mal über den Fleck und – Schwuppdiwupp! – der Fleck war weg.
Gertrud schaute drein, als hätte sie einen Geist gesehen. »Das … das gibt’s doch gar nicht!«, keuchte sie. Sie kniete sogar nieder und suchte nach Restspuren, aber es half nichts – der Fleck war weg!
»Ich wusste nicht einmal, dass da ein Fleck war«, murmelte Carla verwirrt.
Herr Fingerlos drehte siegesgewiss am Staubsaugerrohr und lächelte gütig. »Habe ich zu viel versprochen?«
»Ich bin ehrlich überrascht«, brachte Carla hervor. »Eine großartige Leistung!« Und nach einer Weile, in der sie von Gertrud regelrecht hypnotisiert wurde, fragte sie, von den erwartungsvollen Rosinenaugen geradezu zermürbt: »Und was kostet dieses Gerät?«
Augenblicklich zückte Herr Fingerlos sein Tablet. »Darf ich mich setzen?«, fragte er und saß auch schon.
Erschöpft nickte Carlas Kopf ihm hinterher.
Herr Fingerlos hackte eine ganze Weile auf dem Tablet herum, rechnete und nickte, dann schüttelte er wiederum den Kopf, dazwischen summte er eine Melodie, um schließlich hochzublicken und zu verkünden: »Ein Schnäppchen! Wenn Sie unseren Power Star noch heute bestellen, kann ich Ihnen ganze zehn Prozent vom Preis nachlassen. Was sagen Sie dazu?« Von sich selbst begeistert, blickte er Carla erwartungsvoll an.
»Zehn Prozent von wie viel?«, fragte Carla ermattet.
Herr Fingerlos senkte wieder den Kopf, hackte neuerlich auf seinem Tablet herum und verkündete: »Nur heute und nur für Sie: 1.920 Euro! Eine einmalige Okkasion!« Herr Fingerlos blickte so stolz, als hätte er den Nobelpreis für Staubsauger erhalten.
Carla schluckte. »1.920 Euro?«, brachte sie hervor. »Das ist ein Vermögen für einen Staubsauger.«
»Nicht für Power Star! Hier bekommen Sie ein Multigerät der Marke Weltmeister!«
Gertruds Blick deutete an, dass sie jeden Moment in Ohnmacht fallen würde, sollte ihr der Staubsauger verwehrt bleiben.
Carla musste sich abwenden.
»Und mit diesem extra Aufsatz der Turbo-Teppichbürstendüse kostet er die Kleinigkeit von 2.219!«
»Die Turbodüse ist im Preis noch gar nicht inbegriffen?« Carla war schockiert.
»Dafür bekommen Sie etwas anderes gratis dazu, quasi das i-Tüpfelchen von Power Star! Ich führe Ihnen etwas vor, wenn Sie erlauben.«
Carla erhob sich schwankend von der Couch. »Es tut mir leid, Herr Fingerlos, ich habe keine 2.219 Euro für einen Staubsauger, noch dazu, wo ich doch einen im Keller habe!«
Ein Blick hin zu Gertrud, die sich an der Wand festhielt, verriet ihr, dass sie in Kürze den Notarzt würde rufen müssen, sollte sie in der Sache hart bleiben.
Auch Herr Fingerlos setzte diesen ganz bestimmten Blick auf, so als wäre sie verantwortlich dafür, wenn bald ein Mensch durch ihre Schuld auf dem OP-Tisch landen würde – kalt, herzlos und selbstsüchtig wie sie war!
Sie schauderte. »Was muss ich tun?«, flüsterte sie mit schwacher Stimme.
»Führen Sie mich in Ihr Schlafzimmer«, befahl Herr Fingerlos.
»Bitte was?« Plötzlich war Gertrud hellwach. »Was erlauben Sie sich …?«
Nun schlug die Stunde eines guten Verkäufers. Herr Fingerlos lächelte souverän. »Ich führe Ihnen etwas vor, was für immer den letzten Zweifel an unserem Gerät ausräumen wird.«
»Wir sind zu zweit«, raunte Gertrud Carla ins Ohr. »Uns passiert schon nix.«
»Es dauert auch nur drei Minuten«, versprach Herr Fingerlos. »Und dann ist Ihr Weltbild ein anderes.«
Carla erhob sich ächzend. »Dafür müssen wir in den ersten Stock.«
»Vorher muss ich noch frisches Wasser einfüllen, wenn Sie gestatten.«
Herr Fingerlos enteilte in das ihm bereits bekannte Badezimmer. Als er mit frischem Wasser im Behälter zurückkam, ging Carla ihm in den ersten Stock voran. Herr Fingerlos trug den Monster-Staubsauger über die Wendeltreppe hinauf, als wäre er so leicht wie eine Feder. Gertrud hechelte hinter den beiden her. Carla überlegte, in welches Schlafzimmer sie ihn führen sollte, und entschied sich für ihr eigenes. Nicht dass die Kinder am Ende dachten, sie schnüffelte heimlich in ihren Zimmern herum.
Carla öffnete die Tür zu einem geräumigen Zimmer mit Gardinen in Altrosa vor zwei Fenstern mit Ausblick auf den Garten, einem großen weißen Doppelbett und einem schneeweißen begehbaren Schrank mit wandhohen Spiegeln.
»Sehr schön«, lobte Herr Fingerlos anerkennend und schlug die altrosafarbene Seidenbettdecke zurück. »Entschuldigen Sie, aber ich muss Sie bitten, das Spannleintuch ein Stück weit zu entfernen, damit ich an Ihre Matratze komme.«
Gertrud machte sich augenblicklich ans Werk. Als die Matratze frei war, blickte sie ihn aufgeregt an.
Herr Fingerlos montierte eine neue Turbodüse und schaltete den Strom ein. Er ließ die Düse über die Matratze gleiten und binnen kürzester Zeit füllte sich das glasklare Wasser im Staubsauger mit Kleinstlebewesen.
»Sehen Sie das?«, fragte Herr Fingerlos grimmig.
Carla starrte ungläubig ins Wasser.
»Sie brauchen sich nicht zu genieren, gnädige Frau!«, tröstete sie Herr Fingerlos verständnisvoll. »Das erlebe ich in fast jedem Haushalt.«
Carla war puterrot geworden, aber Gertrud war einer Ohnmacht nahe. Ihr wurde schwarz vor Augen. Wie konnte das sein! Wie konnte ausgerechnet ihr so etwas passieren? Hatte sie nicht jedes Mal, wenn sie die Betten gemacht hatte, stets auch die Matratze gesaugt? Vor lauter Bestürzung und Scham fing sie richtig an zu schwitzen.
Herr Fingerlos kannte diese Reaktion bereits, es war überall dieselbe. Die Leute schämten sich in Grund und Boden und dachten, sie seien die einzigen, die Wanzen im Bett hätten, oder Läuse oder sonst ein Ungeziefer. Das Schlafzimmer war stets der lukrative Höhepunkt seiner Vorführung.
Herr Fingerlos schaute die beiden Damen mit kummervollen Augen an. »Was Sie da sehen, ist Milbenscheiße!«, sagte er.
Carla war am Boden zerstört. »Und darauf haben wir all die Jahre geschlafen?«, stammelte sie. Sie wagte einen Blick zu Gertrud, aber diese lehnte nur stumm und kalkweiß an der Wand.
»Sie schlafen in Gesellschaft von über zwei Millionen Milben, wussten Sie das? Aber Sie wissen hoffentlich auch, wie gefährlich dieses Ungeziefer sein kann! Davon kann man sogar die Krätze bekommen!« Herr Fingerlos vergrub schaudernd den Kopf zwischen den Schultern wie eine Schildkröte. »Es handelt sich um mikroskopisch kleine Tierchen, aber wenn Sie sie erst einmal unter dem Mikroskop gesehen haben, so wie ich, monsterähnliche Gesichter auf acht Beinen …«
»Bitte hören Sie auf!« Carla streckte abwehrend die Hände von sich.
Da Herr Fingerlos die Familie nur vor schwerwiegenden Gesundheitsschäden bewahren wollte, setzte er noch eins drauf: »Ich meine es nur gut, weil Sie ja auch Kinder haben …«
Das Stichwort Kinder überzeugte schließlich selbst die störrischsten Kunden. »Sehr schädlich für die Kleinen! Da tut eine Mutter alles für sie, denkt man …«
Carla schloss für einen Moment die Augen. Dann stieß sie hervor: »Ich nehme ihn!«
Herr Fingerlos lächelte selbstlos. »Das ist sehr verantwortungsvoll von Ihnen, gnädige Frau. Ihre Familie wird es Ihnen mit ihrer Gesundheit danken.«
Schließlich wollte er noch wissen: »Wo bitte ist die Toilette hier oben? Ich muss diesen grausigen Inhalt wegleeren.«
Gertrud machte ein Geräusch, als wollte sie sich übergeben, und erwachte endlich aus ihrem Koma. »Dass Sie mir das ja nicht ins Klo schütten!«, schrie sie. »Ich leere diese ekligen Viecher auf die Straße. Am Ende verschütten Sie noch was und wir haben die Viecher dann überall im Haus!« Sie schüttelte sich vor Grauen bei dieser Vorstellung.
Carla Burkhardt unterschrieb den Vertrag eine halbe Stunde später und Herr Fingerlos sammelte seine Requisiten ein. Er hinterließ ihr ein Handbuch in der Stärke der gesammelten Werke von Johann Wolfgang von Goethe, wo sie bitte die Handhabung von Power Star nochmals nachlesen möge, für den unwahrscheinlichen Fall, dass sie nicht alle Einzelheiten in Erinnerung behalten hatte: Welche Düse, welche Bürste, wie man schäumte, wusch, putzte und so weiter. Ihr Prachtexemplar würde schon Mitte nächster Woche geliefert werden. Dann gratulierte er Carla zu ihrem Kauf und verabschiedete sich mit einem zuversichtlichen Händedruck und den besten Wünschen, und stieg, fast zwei Stunden nach seiner Ankunft, in seinen Wagen.
Carla schloss hinter ihm die Tür und lehnte sich erschöpft dagegen. Sie beäugte das Druckwerk der Firma Clean Star, das schwer in ihrer Hand lag. Um diesen Wälzer durchzuackern, müsste sie glatt einen Tag Urlaub nehmen! Beim Stichwort Urlaub wurde ihr heiß und kalt. Wie sollte sie die Ausgabe von 2.219 Euro für einen Staubsauger ihrem Mann beibringen? Denn eigentlich war dieses Geld für ihren Urlaub in Barcelona vorgesehen. Jetzt hatte sie ein schlechtes Gewissen obendrein!
Ein Blick zu Gertrud aber sagte ihr, dass sie, außer Herrn Fingerlos, heute noch einen zweiten Menschen sehr glücklich gemacht hatte.