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5 G. muss zu Chriss

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Giovanni Bologna saß in seinem kleinen alten Fiat 500, den er niemals gegen ein anderes Auto eingetauscht hätte, allein schon aus dem Grund, weil man quer in Parklücken hineinfahren konnte, aber auch wegen des Nostalgiefaktors. Wenn er sich in sein Auto setzte, war er in Italia. Er war auf dem Weg zur Agentur Bender und stand im Stau. Er hatte tatsächlich – rein zufällig - Milena noch am selben Vormittag bei Paolo getroffen. Sie waren ins Gespräch gekommen. Auf die unverfänglichen Frage -Na, alles beim Alten? - hatte Milena angebissen und so konnte Giovanni bald ganz unauffällig den Namen Milan Sabota fallenlassen und erfahren, dass er für die Agentur Chriss Bender als Fahrer arbeitete. Bei dem Namen war Giovanni fast übel geworden. Wäre Avvocato Schneiders Honorar nicht so gut gewesen, dann hätte er den Auftrag an dieser Stelle sausen lassen und wäre erst einmal schwimmen gegangen. Chriss Bender, die selbstgerechte Ziege. Sie war die Chefin der Modelagentur, bei der Giovanni auch gewesen war, bis zu dem Tag, an dem er Milena kennen gelernt hatte als sie beide zusammen bei einem Casting für einen Katalog von Erotikartikeln gelandet waren, Milena mit vollem Bewusstsein, er nicht. Das war mit Abstand das peinlichste Erlebnis seines ganzen Lebens gewesen, über das er mit niemandem bisher gesprochen hatte und an das er auch nicht wieder erinnert werden wollte. An dem Tag hatte er bei Bender seinen Hut genommen. Die Agentur war ursprünglich als Internet-Partnerbörse gegründet worden. Sie hatte eine seriöse Fassade, hinter der sich die widerlichsten Geschichten abspielten. Durch die Ansammlung der vielen Daten und Bilder war Frau Bender auf die Idee gekommen, ihr Unternehmen in Richtung Modelagentur-Plus auszuweiten. Durch sehr geschickte Fragebögen kannte sie die Sehnsüchte ihrer Kunden und Kundinnen und wusste, wie weit sie gehen würden, um reich und berühmt und von allen geliebt zu werden. Giovanni vermutete, dass die Sache mit dem Katalog für Erwachsenen-Spielzeug noch das Harmloseste war. Er war froh, im Stau zu stehen, so konnte er in aller Ruhe seine Gedanken spazieren führen. Es gab ein totes Mädchen, erstochen auf einer Rastplatztoilette, und einen Fahrer der Agentur Bender, der rein zufällig in der Nähe gewesen sein will, und keine Ahnung von irgendetwas hat. Dieser Chriss Bender traute er einfach alles zu, aber er nahm sich vor, seine beleidigte Männlichkeit, die ihr alles Schlechte wünschte, zu zügeln und erst einmal nur ein bisschen auf den Busch zu klopfen. Schließlich war er da. Das Büro befand sich in einer feinen Wohnstraße mit denkmalgeschützten Gründerzeit-Häusern und Formschnitt-Bäumen zwischen den Parkstreifen. Man sah, dass die Vorgärten von Profis gewartet wurden. Giovanni erinnerte sich noch gut an seine Zeit bei Frau Bender. Ihre Agentur und ihre Wohnung lagen nebeneinander in der zweiten Etage des Hauses Nummer Siebenundzwanzig. Er parkte nicht direkt vor dem Haus, obwohl er noch locker zwischen den Baum und das nächste Auto gepasst hätte. Heute siegte seine Schüchternheit über seinen Ehrgeiz als bester Miniparklücken-Parker der Stadt. Manchmal machte er mit dem Handy sogar Fotos von seinen kleinsten Parklücken. Aber jetzt brauchte er noch Zeit zum überlegen. Ihm war immer noch nicht klar, wie er an Auskünfte über Milan Sabota kommen konnte, ohne dass Chriss Lunte roch. Einerseits konnte er sich lebhaft vorstellen, dass sie, wie auch immer, in die Sache mit dem toten Mädchen verwickelt war, denn er kannte einen Teil ihrer zwielichtigen Geschäfte, aber andererseits war ihm klar, dass in diesem Fall möglicherweise einfach seine Fantasie mit ihm durchging. Er fuhr also am Haus vorbei, ließ zwei, drei Parkgelegenheiten vorbei ziehen und stellte den Fiat dann hinter der nächsten Ecke ab. Er stieg aus, atmete tief durch und ging zurück zum Haus Nummer Siebenundzwanzig. Er wusste immer noch nicht, was er sagen wollte: - Hallo, ich bin zufällig vorbeigekommen... Blödsinn, hier kam man nicht zufällig vorbei. – Du, ich bin pleite und brauche dringend einen Job... Niemals. – Ey, was treibt eigentlich dein Sabota nachts auf ostdeutschen Rastplätzen? Mit was dealst du denn sonst noch? – Keine gute Idee. Jetzt hätte er einen Espresso von Paolo gebraucht. Manchmal hatte er dass Gefühl, dass da noch etwas anderes als Koffein drin war. Er stieg die zwei Stufen zum Eingang hoch und brauchte gar nicht zu klingeln, denn die Tür stand offen. Eine schwere Fußmatte war dagegen gelehnt. Im Flur war es dunkel, nur ein Sonnenstrahl, der durch die offene Tür schien, teilte den altbekannten Terrazzoboden in ein helles und ein dunkles Dreieck. Weiter hinten, am Treppenaufgang, genau zwischen dem hellen und dem dunklen Teil kauerte eine gebückte Gestalt und warf einen bizarren Schatten. Gianni fuhr zusammen. - Meine Nerven - dachte er, - ich bin zu hysterisch für solche Aufträge. Etwas plätscherte. Dann hatten Giovannis Augen sich an die Lichtverhältnisse gewöhnt. - Oh, Gott, jetzt erschrecke ich mich schon vor Omas, die die Treppe wischen. „Guten Tag. Entschuldigung, ich möchte zu Frau Bender. Ich muss Ihnen leider durch Ihr frisch Gewischtes laufen.“ „Laufen Sie, laufen Sie, bin ich gewöhnt“, sagte die traurigste Stimme, die Giovanni jemals gehört hatte. Die Frau richtete sich mühsam auf und stützte sich auf den Schrubberstiel. Sie sah ihn an. Sie hatte auch das traurigste Gesicht, das Giovanni jemals gesehen hatte, allerdings war sie gar nicht so alt, wie es von weitem ausgesehen hatte. Vielleicht war sie sogar jünger, als er selbst. „Es tut mit wirklich leid, ich versuche, so wenige Schritte wie möglich zu machen“, sagte Giovanni bestürzt. „Ach, ist egal.“ Sie lächelte Gianni müde an. „Frau Bender nicht da. Kommt aber gleich wieder.“ Die Frau hatte einen osteuropäischen Akzent, den Giovanni nicht identifizieren konnte. Ok, Galgenfrist. Er schwebte die Treppen hoch und setzte sich einfach auf die Treppe vor der Tür der Agentur Bender. Entweder, ihm fiel in den nächsten Minuten ein Aufhänger ein, oder er würde noch einmal wegfahren um sich die Situation in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Er saß hier auf der Treppe, wartete auf die blödeste Ziege aller Zeiten, mit der er nichts zu tun haben wollte und wusste nicht, was er sagen sollte, wenn sie tatsächlich auftauchen würde. Die Frau mit dem Putzeimer kam die Treppe hoch. „Ach, Sie sitzen hier auf Treppe, kommen mit herein.“ Sie schloss die Tür zur Agentur auf. „Arbeiten Sie für Frau Bender?“, fragte Giovanni. Sie schien zu überlegen, was sie sagen sollte. „Ach, arbeiten, ich putze und koche...“ Ihr Blick verdunkelte sich, wenn das überhaupt möglich war, um noch eine Nuance. „Ich bin von keiner Behörde“, sagte Giovanni so freundlich, wie er konnte. Er hatte irgendwie das Gefühl, dass er die Frau trösten musste. Sie sah so gebeugt aus. Putzen und Kochen schien kein Traumberuf zu sein in diesem Ambiente von Schönheit, Verlockung und Hoffnung auf ein besseres Leben. „Ich wollte nur zu Frau Bender.“ „Ja, ja, ja. Sie gleich wiederkommen.“ Nach Vorfreude klang das nicht. „Ich warte einfach hier.“ Giovanni setzte sich auf einen Stuhl in der Diele. Die Frau verschwand mit dem Eimer in Richtung Toilette. Langsam wurde Giovanni nervös. Er überlegte, seine Jacke auszuziehen, weil ihm viel zu warm war, aber er wollte den Schwarze-Lederjacken-Look nicht aufgeben. Als Model war er es gewohnt, sich in schicken Sachen unbehaglich zu fühlen und es sich nicht anmerken zu lassen. Er hörte die Haustür. Gab es noch eine Chance zu verschwinden? Nein. - Qui si parrà la tua nobiltate! – hörte er sich sagen und wunderte sich einmal mehr, dass er in brenzligen Situationen in Dante-Zitaten dachte. - Hier wird sich zeigen, ob dein Adel gilt - damit ermuntert Dante sich selbst beim Eintritt in die Hölle, oh Gott, sein Unterbewusstsein war aber heute dramatisch drauf. Das konnte ja heiter werden. Er hörte von draußen hektische Schritte, die näher kamen und dann den Schlüssel in der Tür. Er straffte sich und atmete tief durch. Die Tür ging auf und, so als hätte jemand, wie früher beim essen, „stopp“ gerufen, fror jede Bewegung ein. Giovanni hielt die Luft an und Chriss Bender stützte sich auf den noch in der Tür steckenden Schlüsselbund. Sie starrte ihn an und verzog keine Miene. Wie lange war es her gewesen, dass Giovanni sie zum letzten Mal gesehen hatte? Er hatte keine Gelegenheit, es sich genau zu überlegen, denn jetzt war Geistesgegenwart gefragt. Sollte sie doch als erste reagieren. Sie stand da, groß, blond, dürr, Typ einstige Schönheit. Fast hätte sie Giovanni leid getan, weil er mit seinem Profiblick genau sah, mit wie viel Aufwand sie versuchte, ihre Attraktivität zu bewahren. „Ach, ne. Du hier, und nicht in Hollywood?“ Normalerweise hatte Chriss Bender sich besser unter Kontrolle und sie schien sich schon im gleichen Moment zu ärgern, dass ihr der blöde Spruch rausgerutscht war. Sie war mit der Situation wohl genauso überfordert, wie er selbst. Während sie wahrscheinlich, genau wie er auch, gespannt war, was sie als nächstes sagen würde, stand ihm ihre gemeinsame Zeit wieder vor Augen. Sie hatte ihn geliebt, sie hatte ihn ausgenutzt, sie hatte eine Menge Kapital aus ihm geschlagen, sie hatte ihn verloren, war beleidigt und wütend gewesen, dann hatte sie ihn, wie wahrscheinlich schon etliche andere vor ihm, unter „Verflossene“ abgeheftet. Jetzt konnte er fast ihre Gehirnwindungen rattern hören. Sie konnte sich sicher nicht vorstellen, dass er Sehnsucht nach ihr hatte, nach so langer Zeit. Aber für Vergeltung oder Honorarnachforderungen war es auch ein bisschen zu spät. „Ciao Gianni. Wie geht`s? Was führt dich zu mir?“ Sie sah ihm forschend ins Gesicht. „Warum siehst du bloß so unverschämt gut aus?“ „Chriss, ich brauche nur eine Auskunft.“ Giovanni hatte keine Lust, sich irgendeinen Schmus auszudenken. „Es geht um deinen Fahrer Milan Sabota.“ Chriss Bender wurde noch hektischer. „Was hast du denn mit dem zu tun?“ Endlich zog sie den Schlüssel aus der Tür, stopfte ihn unwirsch in ihren riesigen Handtaschenbeutel. Gianni fragte sich, warum Frauen solche Ungetüme mit sich herumschleppten. Sie waren weder schön, noch nützlich. Am schlimmsten fand er, wenn sie mit einem breiten Riemen quer über die Schulter getragen wurden. Jetzt zog sie sehr umständlich ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Sie stellte ihre Tasche auf einem Schränkchen ab, und kramte darin herum. Wahrscheinlich versuchte sie krampfhaft, sich daran zu erinnern, was Giovanni alles von ihren Geschäften wissen konnte. Er staunte über sich selbst, wie naiv und unvorbereitet er in diese heikle Situationen geschlittert war. Im Auto, auf dem Weg hierher, hatte er zwar rekapituliert, was er damals alles mitbekommen hatte von der Partnervermittlung, dem Ursprung des Geschäftes, und dem Modelbusiness, von dem er sicher nur den recht harmlosen Teil kannte - Plastikspielzeug für Erwachsene inklusive - aber ihm war keine Strategie eingefallen, Ein Gespräch zu beginnen. Jetzt fiel ihm wieder ein, dass unter den Models öfters von einer Klinik in Tschechien die Rede gewesen war, in Brno. Die Agentur hatte irgendeinen Draht dorthin. Wer weiß, was da abging. „Was ist denn mit Sabota?“ Chriss tat uninteressiert, aber das gelang ihr nicht besonders gut. Giovanni stutzte. Sie sah ihn nicht an und kramte immer noch in ihrer Tasche. Ganz offensichtlich hatte er da in irgendein Wespennest gestoßen. Warum machte er das bloß? Er stocherte für Geld in den Angelegenheiten anderer Leute herum. Dabei fühlte er sich überhaupt nicht zum Detektiv berufen. Ihm war eigentlich gar nicht klar, warum Avvocato Schneider ausgerechnet ihn immer mal wieder engagierte. Er schien wohl keinen Dümmeren zu finden. Einmal mehr ärgerte er sich über sein Phlegma, mit dem er immer wieder in die gleichen blöden Situationen hineinrasselte, nur weil er dachte, dass es schon nicht so schlimm werden würde. Franzi, die Frau vom Avvocato nannte das italienisch. Möglicherweise hatte sie Recht. Im Grunde war er nicht besonders neugierig auf das, was andere Leute so trieben, und er hatte auch nicht das Ethos von Paolo, der felsenfest davon überzeugt war, dass man die Welt verbessern könne, und wenn auch nur mit perfekt zubereitetem Kaffee. Jetzt hatte er aber plötzlich Lust dazu, Chriss Bender in die Scheiße zu reiten. Allein schon der Gedanke an Paolos Espresso hatte seine Lebensgeister geweckt und ihm einen Geistesblitz beschert. Wenn man zu dieser Schönheitsklinik in Tschechien wollte, dann kam man doch durch die Oberpfälzer Alb. Dieser Rastplatz mit dem toten Mädchen lag genau auf der Strecke nach Brno. So weit, so gut. Das konnte Zufall sein, oder nicht. Wen oder was fuhr Sabota warum hin und her? Er musste herausbekommen, ob das Mädchen etwas mit Sabota oder mit Bender zu tun hatte. Nur, einfach fragen wäre wohl die falscheste aller Methoden gewesen. Ihm wurde ganz mulmig bei den Möglichkeiten, die sich plötzlich vor ihm auftaten. War er gerade dabei, sich in eine Mordsache zu verstricken? Obwohl..., vorhin hatte er sich auch vor einer Putzfrau erschreckt. Seine Phantasie ging wohl mal wieder mit ihm durch. Er fühlte sich mit der Situation überfordert und wollte weg. „Ach“, sagte er deshalb nur abwiegelnd, „du weißt doch, dass ich manchmal für einen Anwalt arbeite. Sabota hat nur ein Verkehrsdelikt am Hals und der Anwalt will wissen, ob er wirklich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort gewesen sein kann. Sabota streitet das nämlich ab.“ Giovanni schwitzte. Jetzt hatte er auch noch gelogen, hoffentlich konnte er sich das merken. Wie blöd, wer rennt denn mit einem Verkehrsdelikt zum Anwalt? Wie sollte das Gespräch jetzt weiter gehen? Wenn sie irgendetwas nachfragen würde, dann war die Sache doch klar. Dann war die Verbindung hergestellt. Dass Sabota nichts mit dem Mord zu tun hatte, damit rechnete er schon gar nicht mehr. Ihm standen innerlich die Haare zu Berge. Chriss Bender reagierte, wie er es befürchtet hatte, sie wurde ausfallend: „Dieser verfickte Wichser! Diese Arschgeige! Dieser saublöde Trottel! Das gibt es doch nicht! Jetzt auch noch das! Langsam reicht es.“ Sie schmiss mit aller Wucht den dicken Schlüsselbund auf die Erde und stampfte mit dem be-high-healten Fuß auf. Dabei knickte sie um, verdrehte sich das Knie und sackte zusammen. Sie saß mit schmerzverzerrtem Gesicht auf dem Parkettboden. „Scheiße, Scheiße, Scheiße. Aua. Mein Knie.“ Dann flossen die Tränen. „Gianni, ich komm nicht mehr hoch.“ Jetzt sah sie ihn doch an, Hilfe suchend, mit schwarzen Rinnsalen im Gesicht. „Soll ich einen Arzt rufen?“ Eigentlich hatte Giovanni gar keine Lust, ihr zu helfen. Er hatte das nur gefragt, um nicht selber in Aktion treten zu müssen. „Ja. Ich kann mein Knie gar nicht bewegen und es tut schrecklich weh. Es wird auch schon dick, guck mal.“ Jetzt versuchte sie auch noch, ihr Hosenbein hoch zu krempeln. Giovanni wollte das nicht sehen. „Welchen Arzt?“, fragte er nur. „In der Küche neben der Tür hängt eine Liste mit Telefonnummern. Doktor Meier.“ Giovanni ging in die Küche und fand den Zettel. Er rief den Arzt an, der versprach, so schnell wie möglich vorbei zu kommen. Dann sagte er der Putzfrau, die jetzt in der Küche war, sie möge sich um Chriss kümmern, schrieb noch eine andere Telefonnummer von dem Zettel ab und ging. Fürs Erste hatte er genug.

Warum Olga ?

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