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6 Die Glücksklee-Experience

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Milan Sabota wohnte in einer kleinen Souterrainwohnung. Sie lag nicht weit von Benders Agentur entfernt, aber die Gegend war lange nicht mehr so fein. Diesmal parkte Giovanni direkt vor Sabotas Tür, weil er das Auto möglichst wenig aus den Augen lassen wollte. Am liebsten hätte er die Luft herausgelassen, sein Wägelchen wie eine Zeitung zusammengerollt und es in der Innentasche seines Blousons verstaut. Mit Hilfe der Telefonnummer aus Chriss` Küche und mit dem guten alten Telefonbuch auf Paolos Theke hatte er leicht herausgefunden, dass die Adresse, die er von Avvocato Schneider bekommen hatte, tatsächlich richtig war. Heute war sein spontaner Tag und er war direkt hingefahren. Er stieg die paar Stufen zu der Wohnung hinunter und drückte auf den Klingelknopf neben einem sehr speckigen Schildchen auf dem M. Sabo... stand. Nichts geschah. Er klingelte noch einmal und wartete wieder eine Weile. Dann hörte er eine verschlafene Männerstimme, die so etwas wie Momenat sagte. Er wartete weiter. Die Tür ging auf und ein kleiner, rundlicher Typ stand vor ihm. Er sah aus, wie frisch aus dem Bett. Leicht verquollen und ungekämmt, aber freundlich. „Ja bittä?“ fragte er mit einer sehr sympathischen, osteuropäisch klingenden butterweich singenden Stimme. Giovanni mochte diesen Akzent. Das Deutsche klang ihm viel zu hart, fast schon gehustet, besonders bei Männern. Aber Deutsch mit östlichem Akzent, sozusagen mit abgerundeten Ecken und mit einer weicheren Intonation, das fand er schön. Er beschloss, dass dieser Mann kein Mörder war. Aber wenn er es nicht war, warum war Chriss dann so ausgerastet? Er hatte noch gar keine Gelegenheit gehabt, sich über ihre unglaublich heftige Reaktion Gedanken zu machen. Dass sie heftig werden konnte, das wusste er noch sehr gut. Aber was hatte sie gesagt? Bereinigt von den Schimpftiraden, eigentlich nur, dass Sabota sich schon einmal etwas hat zu Schulden kommen lassen. Wenn sie von dem Mord nichts wusste, und es handelte sich wirklich nur um eine Verkehrssache, dann war ihre Reaktion total übertrieben. Unwahrscheinlich. Aber wenn sie oder er etwas damit zu tun hatten, dann war es auch merkwürdig. Hätte sie dann nicht eher abgewiegelt und verschleiert? „Was kann ich für Sie tun?“, fragte Sabota, immer noch genauso freundlich. Giovanni gab sich einen Ruck. Wahrscheinlich hatte er gerade einige Sekunden Löcher in die Luft gestarrt. „Ich komme von Frau Bender“, sagte er in seinem neutralsten Ton. „Aha, kommen Sie doch herein.“ Sabota, trat zur Seite und machte eine einladende Geste. „Oh, ja, äh, danke.“ Giovanni trat an Sabota vorbei, in den kleinen dunklen Flur. Die Wohnung schien klein, etwas ärmlich, aber blitzsauber zu sein. Es roch sogar nach Möbelpolitur. Die erste Tür rechts war angelehnt und die zweite stand offen. Giovanni drehte sich fragend zu Sabota um. Der schloss die Wohnungstür hinter sich und sagte: „Ja, immer herein. Kommen Sie doch mit in die Küche. Ich mache mir gerade einen Koffee. Möchten Sie auch?“ Jetzt quetschte sich Sabota wieder an Giovanni vorbei und ging vor in die Küche. Er roch nach ganz schlichter Seife und trug einen alten blauen Adidas Trainingsanzug, den Giovanni fast schon wieder kultig fand, weil er bestimmt aus den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts war. Noch ein Punkt zu seinen Gunsten. „Bittä, setzen Sie sich doch.“ Sabota wies auf einen Stuhl an dem kleinen Küchentisch mit der geblümten Plastiktischdecke. Er strich mit der flachen Hand über die Decke, wie um etwaige Krümel zu beseitigen. Dann stellte er Giovanni eine Tasse hin. Die hatte tatsächlich auch ein Blümchenmuster. Auf dem Herd dampfte ein Wasserkessel und auf der hellen Resopal-Arbeitsplatte neben dem Herd stand eine Kaffeekanne mit einem Filter drauf. In diesen setzte Sabota sorgfältig eine Papierfiltertüte ein. Er nahm eine unangebrochene Packung Kaffee vom Regal über der Arbeitsplatte und schnitt sie mit einer Haushaltsschere an einer Ecke auf. Durch die Vakuumverpackung zischte es leicht und gleichzeitig verbreitete sich ein wunderbarer warmer Kaffeeduft im Raum. Giovanni schaute Sabota neugierig zu. Von dieser alten Methode, Kaffee zuzubereiten hatte er zwar gehört, aber er hätte niemals gedacht, dass sie noch jemand praktiziert. Sabota schüppte ein paar Löffel Kaffee in den Filter, dann nahm er einen Steinguttopf vom Regal und griff hinein. Mit den Fingerspitzen streute er ein paar Körnchen Salz auf das Kaffeepulver. Er setzte den Steinguttopf zurück auf das Regal, nahm dann den Kessel zur Hand und goss vorsichtig etwas kochend heißes Wasser auf das Kaffeepulver. Wenn es vorher gut gerochen hatte, dann duftete es jetzt. „Jo, die Frau Bender“, sagte Sabota in Gedanken, während er aus der schlapp-hellgrün gestrichenen Weichholz-Anrichte eine Zuckerdose holte und sie auf den Tisch stellte. Dann ging er zum Kühlschrank und holte etwas heraus, was Giovanni noch nie bewusst gesehen hatte, eine kleine runde Blechdose. Sie hatte eine Rot-weiße Banderole mit einem grünen vierblättrigen Kleeblatt, irgendwie italienisch, aber das Wort, dass darüber stand, hätte Giovanni nie im Leben aussprechen können: Glücksklee. Fünf Konsonanten hintereinander, die sponnen ja, die Deutschen. Vielleicht war das auch die geheimnisvolle osteuropäische Sprache, die sich hinter Sabotas Akzent verbarg. „Was ist das?“ fragte er wie ein Kind. „No, Bichsenmilch.“ Giovanni war in Bezug auf die Dose, die vor ihm auf dem Tisch stand kein bisschen schlauer geworden, allerdings konnte er sich gar nicht genug über seine schlagartige Erkenntnis wundern, dass das, was in seiner Sprache eine Verneinung war, aus Sabotas Mund unglaublich positiv und bestätigend klang. „Jungchen, du siehst aus, als hättest du noch nie eine Dose Büchsenmilch gesehen. Übrigens, ich heiße Milan.“ Er ging wieder zum Herd, und goss sehr bedächtig neues heißes Wasser in den Filter mit dem vorgequollenen Kaffeepulver. Das Geräusch, das dabei entstand, war ganz wunderbar weich und in Verbindung mit der neuerlichen Welle von Kaffeeduft mindestens so schön, wie das Zischen und Brodeln von Paolos High-Tech-Maschine, die er so liebte. Er atmete tief ein. „Ich heiße Giovanni“, sagte Giovanni verwirrt. Er war mit dem festen Vorsatz hergekommen, auf einen Schurken zu treffen, und jetzt saß er in der Küche eines unglaublich netten und freundlichen Mannes, der so aussah, als könne er keiner Fliege etwas zu Leide tun. Was sollte er ihm bloß erzählen? Also, Avvocato Schneider wollte wissen, ob Sabotas Behauptung stimmte, dass er nur rein zufällig zu der Zeit des Mordes auf dem Rastplatz gewesen sei. Bei Chriss hatte er erfahren, dass noch irgendetwas anderes im Zusammenhang mit seinen Touren nicht gestimmt hatte, was auch immer das gewesen sein mochte, und jetzt sah er, dass Sabota beim Nennen von Chriss` Namen nicht im Mindesten nervös wurde. Milan Sabota kam ihm entgegen. „No, die Frau Bender, wie geht es ihr?“ „Ach, ich glaube, im Moment nicht so gut. Sie ist gefallen und hat sich das Knie verdreht.“ „Joi Mama, die ist aber auch immer so nervös.“ „Bekommen Sie das auch zu spüren?“ „Jo...“ Sabota stellte den Kaffeefilter in den Spülstein, setzte den Deckel auf die Kaffeekanne und goss Giovanni und sich eine Tasse ein. Dann öffnete er eine Schublade an der Anrichte und entnahm ihr ein Ding, das Giovanni auch noch nie gesehen hatte: einen kleinen Holzgriff, aus dessen einem Ende ungefähr einen Zentimeter lang die Spitze eines dicken Nagels ragte. Er stellte die Dose mir der Kondensmilch vor sich auf den Tisch und packte sie mit seiner kräftigen linken Hand. Dann nahm er das merkwürdige kleine Werkzeug in die andere Hand und stieß damit zwei Löcher in den Rand der Oberseite der Dose. „Bittä, möchtest du?“, reichte er Giovanni die Dose. Giovanni wusste nicht, was Sabota von ihm wollte. „No, Milch, möchtest du keine Milch im Koffee?“ Er nahm die Dose vorsichtig in seine Pranke und hielt sie leicht schräg über seine Tasse. In einem eleganten Bogen kam ein Strahl dickflüssige Milch aus dem einen Loch des Dosendeckels, landete in Sabotas Kaffeetasse und färbte deren Inhalt von fast schwarz zu einem wundervollen Karamellton. Giovanni kam aus dem Staunen nicht heraus. „Nimm auch ein bisschen, das ist gesünder“, sagte Sabota. Giovanni nahm auch etwas obwohl ihm Milch im Kaffee ein Graus war. Er wollte aber so gerne den Milchstrahl und die Farbveränderung noch einmal sehen. Es klingelte. Sabota, der sich gerade hingesetzt hatte, strahlte, stand auf, und ging zur Tür. „Das wird die Mileniza sein.“ Seine Stimme klang noch ein bisschen weicher als vorher. Giovanni war so vertieft in seine neue Kaffee-Erfahrung, dass er gar nicht sofort reagierte. Er hörte, wie Sabota im Flur eine Frau begrüßte. Dann kamen beide in die Küche. „Schau mal Milo, das ist Giovanni, er kommt von Frau Bender. Wir haben gerade Kaffee gemacht, du trinkst doch auch einen, nicht?“ Milan Sabota war die Arglosigkeit in Person. Nicht so Milena. Sie runzelte die Stirn. „Soso, von Frau Bender, was für eine Überraschung.“

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