Читать книгу Weltgefühl - Christine Enzinger - Страница 8

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4. Familie, Verwandte, Bekannte und Freunde

Sie sind da. Die Menschen um uns herum. Freunde, die wir fast jeden Tag sehen, die Familie, die mit uns blutsverwandt ist oder auch nicht, die Nachbarn, der Postbote, der Hausarzt, die Lehrer/innen, die Menschen aus der Kirche, die Verkäuferin in der Bäckerei und viele andere Menschen, mit denen wir jeden Tag zu tun haben. Niemand von uns ist in ein Vakuum hineingeboren und das ist gut so. Diese Menschen sind unser „Netz“. Ein Netz aus vernetzten Menschen, die einander stützen, stärken, begleiten, die gemeinsam leben. Die ihre Sorgen, Nöte und Probleme teilen, aber auch ihre Freuden, ihren Alltag und die mit uns ihre Vorlieben zusammen genießen. Ich bin dankbar, dass wir dieses Netz haben, und freue mich darüber, dass unsere Kinder in so einem guten Umfeld aufwachsen dürfen. Im Folgenden erzähle ich, wie unsere Umgebung auf unser Weltreisevorhaben reagiert hat.

Unsere Freunde:

„Zeige mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist!“, besagt ein altes Sprichwort. So ist es für mich auch nicht verwunderlich, dass alle unsere Freunde grundsätzlich begeistert sind von unserem Traum einmal um die Welt zu reisen. „Wir freuen uns für euch, wie cool ist das denn. Wahnsinn, wir sind gespannt, was ihr erzählen werdet ...“ sagen sie immer wieder. „Wann gehts los? Wo schlaft ihr? Was seht ihr euch an? Ich habe da noch einen Reiseführer, den bringe ich dir morgen vorbei. Braucht ihr noch Thermounterwäsche für die Kinder? Wir haben die beste wiederaufladbare Taschenlampe, die es gibt, die muss ich dir zeigen, warte, ich hole sie, die musst du unbedingt bestellen ...“ So laufen die Gespräche, wenn wir mit ihnen zusammen sind und wir genießen es, unser Vorhaben teilen zu können.

Meine Eltern:

Meine Familie sah mich ungläubig an. „Das Haus vermieten, das Auto verkaufen, die Kinder von der Schule abmelden. Ja, mach das mal“, schmunzelt meine Oma. Ich werde zornig, weil ich dieses Schmunzeln genau kenne. „Du glaubst mir nicht?“ fahre ich sie an. „Ach, da ist noch so viel Zeit bis dorthin. Das sehen wir dann schon“, gibt sie beschwichtigend und freundlich sanft zur Antwort. „Ihr könnt jederzeit bei uns wohnen, falls ihr früher zurück kommt“, schlägt meine Mutter nun vor. Sie findet unsere Idee gut. Natürlich wird sie sich sorgen, aber grundsätzlich vertraut sie uns und weiß, dass wir das, was wir machen, nicht leichtsinnig tun, sondern immer unser Bestes geben. Meine Geschwister (und ich habe sechs davon) wollten sich sofort alle anschließen. Das muss an den Genen liegen?!

Steves Eltern:

„Deine Eltern sind schrecklich“, sage ich, als wir alle wieder im Auto sitzen und auf der Heimfahrt sind. „Willst du wirklich das Spielchen mitspielen und der Urli nichts von unserm Plan erzählen. Unsere Urli ist eine 90-jährige, rüstige Frau und ich glaube nicht, dass wir sie ins Grab bringen, wenn wir ihr von der Weltreise erzählen?!“, rede ich weiter verärgert auf meinen Mann ein. Die Einladung zum Kaffee bei meinen Schwiegereltern war ein mühsamer Nachmittag. „Das könnt ihr uns nicht antun. Wir werden so traurig sein, wenn wir euch ein Jahr lang nicht sehen. Keinen ruhigen Tag wird es geben, bis ihr wieder zurück seid. Sagt bloß nichts der Urli!!! Sie würde sich solche Sorgen machen. Das wäre einfach zu viel für sie.“ Diese Sätze drehten sich im Kreis, wie bei einem CD Player, bei dem die Repeattaste steckt. Alle Erklärungsversuche waren vergebens. „So sind sie halt. Du kennst sie ja,“ gibt mein Mann mürrisch zur Antwort und biegt in unsere Einfahrt ein.

Eine ältere Dame, die wir ab und zu in der Kirche sehen:

„Wenn Sie das wirklich mit Ihren Kindern machen, gehören Sie beim Jugendamt angezeigt!“, plafft sie, eine ältere Dame, mich an, während ich gerade einen Sack Kartoffeln in meinen Einkaufswagen hieve. Die Dame, eine normalerweise sehr gutmütige, ältere Frau, kenne ich flüchtig aus der Kirche. Ein begeistertes Mitglied der Rosenkranzmafia, wie wir die Gruppe aus älteren Damen, die sich jeden Tag zum Rosenkranz beten treffen, oft liebevoll bezeichnen. „Wie bitte?“, frage ich und schaue sie ungläubig an. „Ihr werdet bestimmt alle sterben in der Welt da draußen! Das ist nichts für Kinder, eine Schnapsidee, eine ganz blöde noch dazu.“ Ok, dachte ich bei mir, diese Dame hält rein gar nichts von unserem Reiseprojekt. „Wird schon nichts passieren“, antworte ich gespielt freundlich und ergreife mit meinem Einkaufswagen die Flucht in die Kühlabteilung. Gemüse wird sowieso überbewertet, versuche ich mir einzureden, während der Ärger über diesen unerwarteten plötzlichen Angriff der Dame in mir aufsteigt. Leise vor mich hinfluchend setze ich meinen Weg durch das Geschäft fort und werfe wahllos irgendwelche Produkte in meinen Wagen. Wie kann es diese Frau wagen, mir so was an den Kopf zu sagen???, frage ich mich immer wieder empört.

Sarah:

„Ich darf bei Omi und Opa bleiben“, erklärt uns Sarah glücklich. „Bei ihnen wohnen und sie schicken mich in die Schule und so. Dann sind sie auch weniger traurig, wenn ich bei ihnen bleibe“, fügt sie erklärend hinzu. Ich verbeiße mir alle blöden Kommentare, die mir gerade in den Kopf kommen. Meine Tochter liebt ihre Großeltern und umgekehrt ist es genauso. Das vergönne ich beiden Seiten, aber den Pakt, den sie gegen unsere Reise zu schließen scheinen, gefällt mir nicht.

Ein Jahr vor unserer Reise sehe ich zu, wie Sarah den Australienführer durchblättert. Drei Jahre hat sie verkündet, dass sie nicht mitfahren wird. Eines muss ich ihr anerkennend lassen. Durchhaltevermögen besitzt sie. Am Anfang versuchen wir sie zu überreden und ihr die Reise schmackhaft zu machen. Wir zeigen ihr viele schöne Bilder mit Tieren, dem Meer und köstlichem Essen . Wir binden sie in Entscheidungen ein. Sogar mit dem Disneyland versuchen wir, sie für unsere Sache zu begeistern. Nach etlichen Fehlschlägen befehlen wir ihr mitzufahren. „Keine Widerrede, du bist 10 Jahre alt und wir bestimmen, was für dich gut ist! Du musst mitfahren. Aus. Schluss. Basta“, beenden wir eineinhalb Jahre vor Reisebeginn die sehr ermüdende Diskussion. Sarah schweigt, bleibt aber bei ihrer Entscheidung, dass sie nicht mitfährt. Ein Jahr vor unserer Abreise kapitulieren wir und erlauben Sarah zu Hause zu bleiben, mit der unausgesprochenen Option in unserem Kopf, dass wir sie jederzeit überall hin nachholen, sollte sie doch irgendwann zu uns wollen. Sarah nimmt zufrieden unsere Entscheidung zur Kenntnis. Nun, fast ein Jahr vor unserer Reise, fangen wir an, die Flüge zu buchen. Ich sage Sarah, dass jetzt die letzte Chance ist sich umzuentscheiden, denn dann würde es sehr schwierig bis unmöglich sein, dieselben oder ähnliche für uns leistbare Flüge um die Welt zu bekommen. Ich sage ihr auch, dass ich mich sehr freuen würde, wenn sie mitkommen würde. „Ich wäre sehr traurig, wenn du nicht mitkommst und ich werde jeden Tag an dich denken und dich sehr vermissen“, erkläre ich ihr und meine jedes Wort ernst.

„Aber Omi und Opa sind doch auch so sehr traurig?“, setzt sie jetzt mit Tränen in den Augen an. Verzweifelt sitzt mir meine Tochter gegenüber. Ringend nach einer Entscheidung, die ich ihr nicht abnehmen kann und auch nicht abnehmen will. Wütend auf diejenigen, die ihr das antun, aber selbst nicht besser wissend, stelle ich nun klar: „Dann wirst du dich entscheiden müssen. Irgendjemand wird am Ende auf jeden Fall traurig bleiben! Und da auf jeden Fall jemand traurig sein wird, wäre es wohl das Beste, dass du das tust, was du möchtest.“ Mit diesen Worten lasse ich sie stehen und gehe vor die Türe hinaus frische Luft schnappen und mich beruhigen.

Bei den Vorbereitungen für unsere Reise treten viele Menschen an uns heran. Sie bieten uns gebeten und ungebeten ihre Ansicht zu unserem Vorhaben an. Am Anfang weiß ich nicht recht, wie ich damit umgehen soll, aber bald schon merkte ich, dass diese Ansichten alle einen konstruktiven Kern besitzen, den es zu anzunehmen und zu beachten gilt. Ich beginne deshalb, die an mich herangetragenen Aussagen zu filtern. Wenn man die Sätze der alten Dame aus dem Supermarkt dann genauer ansieht, könnten sie auch Folgendes heißen:

„Sie gehören beim Jugendamt angezeigt“

Das Jugendamt in Österreich schaut darauf, dass Kinder gut aufwachsen können. Also in einem Umfeld, das frei von Gewalt, Hunger und anderen traumatisierenden Nöten ist. Positiv und konstruktiv könnte uns dieser Satz also genau dazu auffordern. „Schaut gut darauf, dass ihr für eure Kinder auf der Reise ein gutes Umfeld schafft, ein Umfeld frei von Gewalt, Hunger und anderen Nöten.“

„Ihr werdet alle sterben“

Du kennst weder den Tag noch die Stunde (vgl. Mt 25,13), steht sehr treffend in der Bibel. Also abgesehen davon, dass wir nicht wissen, wann wir sterben, also dass wir sowieso zu jeder Zeit sterben könnten, weil der Tod nun mal zum Leben dazu gehört, könnte dieser Satz heißen: „Trefft Vorkehrungen, die euch helfen, dass ihr am Leben bleibt.“ Und dieser Satz ist wirklich wichtig. Ich habe diesem Satz ein eigenes Kapitel geschenkt. Es heißt „Impfungen und Vorsorge, Krankenversicherung“ (Kapitel 7).

„Ich werde traurig sein, wenn du nicht da bist! Du wirst mir fehlen. Ich werde mir Sorgen machen …“

Diese Sätze übersetze ich für mich in den Satz: „Ich mag dich, ich liebe dich“. Und ja, hoffentlich gibt es Menschen in unserem Umfeld, die uns mögen und denen es nicht egal ist, ob wir da sind oder nicht!

Aus dieser Übersetzung heraus überlegen wir, wie wir mit den Menschen, die uns wichtig sind, Kontakt halten können, ohne dass wir uns in unserer Freiheit und in unseren Freiräumen eingeschränkt fühlen. Die Omas bekommen schlussendlich viele Postkarten und die smartphone-fähigen Menschen regelmäßig alle zwei Wochen Berichte und Bilder auf ihr Handy. Ganz enge Freunde/Freundinnen können natürlich, soweit es ein Netz gibt, immer mit uns Kontakt aufnehmen und wir umgekehrt genauso. Unsere Familie, unsere Bekannten und Freunde sind genau wie zu Hause auch eine Bereicherung, „ein Stück Netzschnur“, die unsere Reise mittragen, begleiten und auf die wir auf keinen Fall verzichten möchten.

Fragen und Gedanken zu diesem Kapitel, die mir für die Reise mit Kindern helfen können:

Wie reagieren die Menschen in meinem Umfeld auf meine Reisepläne?

Nicht nur die positiven Rückmeldungen, sondern gerade auch die Sorgen, Ängste und Nöte können aus dem richtigen Blickwinkel produktive Helfer bei der Reisevorbereitung sein.

Was könnten mir diese Menschen mit ihren Ansichten und Gedanken eigentlich sagen wollen?

Welche Ängste und Sorgen möchte ich als konstruktive Frage in meine Reiseplanungen mit einbeziehen? Was nicht? Das für mich nicht Hilfreiche darf ich auch einfach fallen lassen.

Wie viel Kontakt möchte ich mit wem während meiner Reise?

Wie könnte dieser Kontakt ganz konkret aussehen?

Welche Kontakte sind für meine Kinder wichtig? Welchen Raum schaffe ich für meine Kinder, dass sie diese Kontakte auch auf der Reise aufrechterhalten und pflegen können?

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