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EINLEITUNG

Die Geschichte des »Mister Bayern«

Jeder kennt Uli Hoeneß, den heutigen Präsidenten und früheren Manager des FC Bayern. Jeder weiß, dass seine Bedeutung größer ist, als es irgendwelche Amts- oder Funktionsbeschreibungen ausdrücken können. Denn jeder weiß auch, dass Uli Hoeneß der erfolgreichste und markanteste Fußballmacher in Deutschland ist. Der Mann, der mit über 60 Jahren noch voll unter Strom steht, hat den FC Bayern geprägt wie kein anderer. Er hat ihn wirtschaftlich, sportlich und sogar als gesellschaftliches Ereignis zur Nummer eins in Deutschland und inzwischen auch zum absoluten Spitzenklub in Europa gepusht. Ohne ihn stünde der Klub mit Sicherheit nicht dort, wo er jetzt steht.

Hoeneß machte sich aber nicht nur als Wirtschaftsfachmann einen Namen, als Geldeintreiber, Vermarkter oder Bauherr der Allianz Arena, sondern er wirkte auch als Souffleur des Trainers, als Vertrauensperson für die Profis, als großzügiger Beschützer der Mühseligen und Beladenen sowie zuerst und vor allem als gute Seele des Vereins. »Hoeneß prägt Bayern München«, »Hoeneß lebt Bayern München«, »Hoeneß ist Bayern München« – so und ähnlich brachten die Kommentatoren das Wirken des Mannes auf den Punkt, der nicht nur Bayern München zu einer werthaltigen »Marke« gemacht hat, sondern auch selbst eine geworden ist. Mit der Bezeichnung »Patron Bavariae« schmückte ihn der »Kicker«, und sein Ehrentitel »Mister Bayern« ist heute so bekannt, dass jeder ohne Nennung des Namens weiß, wer damit gemeint ist.

Uli Hoeneß, der schon als pfeilschneller Offensivspieler sämtliche Titel gewann, die es zu gewinnen gibt, ließ die Serie seiner Erfolge nicht abreißen, als er 1979 nach dem vorzeitigen Ende seiner sportlichen Karriere als 27-jähriger Manager beim FC Bayern einstieg. Unter seiner Regie errangen die Münchner bis 2013 nicht weniger als 18 deutsche Meistertitel sowie zwölf Siege im DFB-Pokal, dazu kamen internationale Titel wie vor allem der zweifache Triumph in der Champions League. Als Spieler, Manager und Präsident holte Uli Hoeneß insgesamt mehr als 50 Titel.

Nicht weniger eindrucksvoll sind die in den über drei Jahrzehnten seiner Tätigkeit für den FC Bayern erzielten wirtschaftlichen Erfolge. Unter Hoeneß verwandelte sich der traditionell geführte Fußballklub in ein modernes Fußballunternehmen, das seinen Umsatz von 12 Mio. DM auf über 400 Mio. Euro steigerte. Mit seiner Fähigkeit, neue Entwicklungen immer frühzeitig zu erkennen und lange vor der Konkurrenz für seinen Klub zu nutzen, machte Hoeneß seinen FC Bayern zu einem Vorbild für innovative Vermarktungsstrategien, Kundenorientierung, solides Wirtschaften und Führungsstärke. Selbst für viele seiner Gegner steht außer Zweifel, dass Uli Hoeneß der beste Manager der Bundesliga war. Unumstritten sind auch seine Leistungen für den deutschen Fußball insgesamt. Hoeneß’ Vorreiterrolle bei der Aufrüstung des Fußballs zur Geldmaschine und sein Wirken als Medienmanager des deutschen Fußballs in den Verhandlungen um neue Fernsehverträge haben ihm den Ruf eines »Mister Bundesliga« eingebracht. Und innerhalb Europas sind die Bayern inzwischen ein Vorzeigeverein, der die Kriterien des »Financial Fairplay« so gut erfüllt wie kein zweiter.

Uli Hoeneß’ Leistungen stehen also völlig außer Frage, umstritten blieb er aber stets als Person und Charakter. Als eiskalter Seelenverkäufer, gnadenloser Kapitalist, gerissenes Schlitzohr, selbstherrlicher Machtmensch und arroganter Besserwisser wurde er in den Augen vieler Kritiker zum Sinnbild für unersättliche Gier und millionenschwere Bayern-Erfolgsbesessenheit. Indem er sich in zahllosen Fernsehinterviews als aggressiver Provokateur und dauerwütender Choleriker präsentierte, machte er sich für eine große Zahl von Bayern-Feinden zum Buhmann des deutschen Fußballs. Andere hingegen wollen in diesen Hassgesang nicht einstimmen und bewundern ihn als cleveren Taktiker, ideenreichen Pfiffikus, visionären Strategen und vorbildlichen Unternehmer. Diejenigen, die ihn näher kennenlernen konnten, beschreiben ihn als selbstkritischen und nachdenklichen, weltoffenen und toleranten, treuen und zuverlässigen, gefühligen und großherzigen Menschen, den eine stete Hilfsbereitschaft und ein enormes Engagement für wohltätige Zwecke auszeichne.

Nicht erst, seit er sich 2009 zumindest nominell aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hatte und nun als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern amtierte, begann das Bild des »guten« Uli Hoeneß das des »bösen« zu überstrahlen. »Uli ist der Vater Teresa vom Tegernsee, der Nelson Mandela von der Säbener Straße und die Mutter aller Manager«, dichtete Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge blumig in seiner Laudatio zum 60. Hoeneß-Geburtstag im Januar 2012 vor 500 erlesenen und teils hochprominenten Gästen im Münchner »Postpalast«. Er musste nicht befürchten, dafür belächelt zu werden, denn er drückte damit eine Wertschätzung aus, die inzwischen auch in der öffentlichen Wahrnehmung überwog. Vor allem nach der sensationellen Verpflichtung des Star-Trainers Pep Guardiola im Januar 2013 prasselten in selten gesehener Presse-Einmütigkeit von überall her bewundernde Glückwünsche auf Uli Hoeneß hernieder. Mehrfach wurde, kaum gebrochen von Ironie, die Frage gestellt, ob der Mister Bayern, längst begehrter Vortragsredner bei den besten Unternehmen, gesuchter Ratgeber der führenden Politiker und anerkannt als Mann mit ausgeprägtem sozialem Gewissen, nicht als Vorbild für die ganze Gesellschaft tauge, ja, ob er nicht eigentlich sogar der wahre Bundeskanzler sei.

Uli Hoeneß genoss den Hype um seine Person in der freudigen Erwartung, dass das Jahr 2013 nicht nur erneute wirtschaftliche Rekorde, sondern auch, nach der enttäuschenden Niederlage im »Finale dahoam« im Jahr zuvor, auch einen Erfolg von historischen Ausmaßen mit sich bringen würde, nämlich das erstmalige Titel-Triple aus Deutscher Meisterschaft, Gewinn des DFB-Pokals und Triumph in der Champions League. Tatsächlich sollten seine Bayern den absoluten Gipfel erstürmen – doch zuvor kam der plötzlich Sturz des Uli Hoeneß.

Am 20. April 2013 schlug eine Meldung der Zeitschrift »Focus« aus heiterstem Himmel wie ein Bombe ein: Die Staatsanwaltschaft ermittle gegen Uli Hoeneß wegen eines Kontos in der Schweiz, er habe Steuern in Millionenhöhe hinterzogen. Ein ungeheurer Mediensturm zog nun über das Land, und plötzlich war Uli Hoeneß diskreditiert als Übeltäter ohnegleichen, als Steuerbetrüger, Börsen-Junkie, Schein-Heiliger und Doppelmoral-Apostel. Im Zuge dieser beispiellosen Hexenjagd war auch der Autor dieser Zeilen als »Hoeneß-Experte« unversehens gefragt wie nie und musste teils im Minutentakt auf aufgeregte Fragen reagieren: Hätten Sie ihm das zugetraut? War das abzusehen? Wie fühlt sich Uli Hoeneß jetzt, kann er noch schlafen? Was hat das für Konsequenzen? Die spontanen Antworten fielen etwa so aus: Wer Hoeneß’ vielschichtigen Charakter über all der Lobhudelei der letzten Monate nicht vergessen hat, weiß, dass ihm alles Mögliche zuzutrauen ist; abzusehen war der Skandal nicht, weil man von dem gewieften Macher zumindest einen weitaus weniger dilettantischen Umgang mit der Sache erwartet hätte; wahrscheinlich und gut vorstellbar ist, wie sich der schlaflose Hoeneß nachts schwitzend umherwälzt; falls sich die Vorwürfe bestätigen sollten, wäre gemäß den allgemein anerkannten Regeln von Anstand und Moral ein Rücktritt als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender des FC Bayern eigentlich unumgänglich. Fest stand nach diesem Tag jedenfalls: Die Geschichte des Uli Hoeneß, wie sie im Herbst 2009 in der Erstauflage dieses Buches vorgelegt wurde, musste zwar nicht völlig umgeschrieben, aber um ein entscheidendes Kapitel ergänzt werden.

In der Steueraffäre zeigte sich einmal mehr die irritierende Vielgestaltigkeit des Uli Hoeneß, sie fügte all seinen Widersprüchlichkeiten noch eine weitere Facette hinzu. Kühle Berechnung und heißblütige Emotion, gnadenlose Aggression und warmherzige Güte, gefräßige Erfolgsgier und mitleidsvolle Großzügigkeit, nun auch noch echte Empörung und lügnerische Moral – bei Uli Hoeneß scheint es nichts zu geben, was das Gegenteil ausschließt. Nur in einer Hinsicht zeigte er sich stets konstant: als Mann, der seinen Posten und seinen Status im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit liebt. Schon 2009, bei seinem Rücktritt als Manager, war ihm das Loslassen nicht eben leichtgefallen. Es folgte denn auch kein Rückzug in die Kulisse, Hoeneß blieb auch als Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender eine allgegenwärtige Erscheinung auf den Bühnen des Fußballtheaters. Selbst als er nach dem Bekanntwerden der Steuerhinterziehung öffentlich in die Kritik geriet, wollte er sich nicht zum Rücktritt drängen lassen, und er hielt auch dann noch an seinen Ämtern fest, als Anfang November 2013 entschieden war, dass es zu einer Gerichtsverhandlung kommen wird.

Bei der Jahreshauptversammlung des FC Bayern von den Mitgliedern noch als »unser bester Mann« umjubelt, folgte bei der viertägigen Gerichtsverhandlung vom 10. bis 13. März 2014 unter sensationellen Umständen der tiefe Sturz der FC-Bayern-Ikone. Wegen Hinterziehung von nicht versteuerten Spekulationsgewinnen in Höhe von sagenhaften 28,46 Mio. Euro, die er auf einem Schweizer Konto erzielt hatte, wurde er zu einer Gefängnisstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Uli Hoeneß nahm die Strafe an und trat am Tag nach dem Urteil als Präsident und Aufsichsratsvorsitzender des FC Bayern zurück.

Eine großartige Karriere fand somit ein hochdramatisches Ende. Unabhängig von der moralischen Bewertung seines Steuer-Sündenfalls dürfte ein sehr großer Teil des Fußballpublikums die Abdankung des Uli Hoeneß als großen Verlust empfinden: Denn ohne die im positiven wie im negativen Sinne stets hoch emotionalisierende Show des »Mister Bayern« dürfte es um einiges langweiliger werden in Fußball-Deutschland.

Die folgenden Seiten bieten in der inzwischen achten, aktualisierten und erweiterten Auflage eine Gesamtschau der teils faszinierenden und teils befremdlichen Züge dieses berühmtesten Fußballmachers Deutschlands. Entstanden ist es ohne die Zustimmung von Uli Hoeneß, der es trotz mehrfacher Anfragen stets abgelehnt hat, jemals eine Biografie über sich schreiben zu lassen. Allerdings ist es nicht besonders schwer, eine Menge über Uli Hoeneß zu erfahren. Es gibt kaum einen anderen Prominenten in Deutschland mit einer derartigen Medienpräsenz. Über Jahrzehnte wurde jede Regung von und über Uli Hoeneß notiert und aus unterschiedlichen Blickwinkeln interpretiert. Uli Hoeneß selbst hat nahezu tagtäglich in zahllosen Stellungnahmen, Kommentaren und Interviews so viel erzählt, dass allein das gesammelte Printmaterial mehr als zwei große Umzugskisten füllt.

Dieses Buch kann und will eine Autobiografie nicht ersetzen. Es erhebt aber gleichwohl den Anspruch, die schillerndste Persönlichkeit des deutschen Fußballs in all ihren widersprüchlichen Aspekten zu erschließen. In zwölf nur locker chronologisch angeordneten Kapiteln soll ein klares Profil der Antriebe und des Wirkens jenes Mannes entstehen, der die deutsche Bundesliga im letzten Vierteljahrhundert so stark geprägt hat wie kein anderer. Deutlich werden sollen dabei die Grundzüge eines »Prinzips Uli Hoeneß«, das zugleich Garant beispielloser Erfolge wurde, Stoff für schier endlose Irritationen bot und zuletzt sogar noch ein psychologisches Lehrstück über menschliche Abgründe auf die große mediale Bühne brachte. Nicht zuletzt aber dürfte sich mit dem Blick in die Seele eines Fußballverrückten, der Hoeneß zweifellos ist, neben dem »Sieger-Gen« des FC Bayern vor allem auch ein gutes Stück der »Faszination Fußball« erschließen.

Das Prinzip Uli Hoeneß

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