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EXKURS

Der Würstchen-Millionär

»Dank der Würste musste ich auch in schwierigen Zeiten beim FC Bayern nie meinen Charakter an der Garderobe abgeben«, brachte Uli Hoeneß einmal das Geheimnis seiner Interpretation des Managerjobs auf den Punkt. Denn eine Bratwurst-Fabrik hatte gegenüber dem Fußball den nicht unerheblichen Vorteil, dass sich die Geschäfte viel leichter kalkulieren ließen. So wurde er also Würstchen-Millionär, hatte finanziell ausgesorgt und konnte im Dienst des FC Bayern völlig frei und ohne alle finanziellen Hintergedanken agieren. Obwohl er natürlich nicht nur mit den Würstchen verdiente. Seriöse Schätzungen gehen für die letzten Jahre von einem Gesamt-Jahreseinkommen (aus Wurstfabrik-Gewinnen, FC-Bayern-Ämtern, Nebentätigkeiten und Anlagen) von mindestens 5 bis zu 11 Mio. Euro aus. Das entspräche dem Verdienstrahmen der großen Bayern-Stars (geschätzter Jahresverdienst von Hoeneß’ Lieblingsspieler Franck Ribéry: 12 Mio. Euro). Über die tatsächliche Höhe seines Einkommens und seines Vermögens, das das »Vermögensmagazin« im Januar 2014 auf 500 Mio. Euro bezifferte, bewahrte Hoeneß freilich stets Stillschweigen. Sehr häufig dagegen hat er davon gesprochen, dass er stets dankbar geblieben sei für das große Glück, das ihm die Würstchen beschert hatten: »Wenn ich zum Beispiel am Ende meiner Karriere nach Hamburg und nicht nach Nürnberg gegangen wäre – wer weiß, ob ich dann Manager geworden wäre. Die Wurstfabrik in Nürnberg hätte ich auf keinen Fall.«

»HoWe Wurstwaren KG« heißt die 1985 gegründete Firma heute, der Name ist ein Akronym der Partner Hoeneß und Weiß. Während seines kurzen Engagements beim 1. FC Nürnberg 1978/79 hatte sich Uli Hoeneß mit Werner Weiß angefreundet, dem damaligen Wirt des von den Club-Spielern gern besuchten »Kontiki« in der Nürnberger Altstadt. Der Kontakt riss nie ab, und einige Jahre später war aus Weiß, der als Metzger selbst Nürnberger Bratwürste herstellte, ein Geschäftspartner geworden. Die beiden begannen mit 15 Angestellten im Nürnberger Vorort Buchenbühl und steigerten die Produktion, bis der Betrieb schier aus allen Nähten platzte und dann auch aus hygienischen Gründen bedenklich zu werden drohte. 1991 zog die Firma in ein flaches, schmuckloses Gebäude am Nürnberger Hafen um und expandierte seitdem kontinuierlich. Die tägliche Produktion stieg Jahr für Jahr, schließlich war HoWe der größte Produzent der Nürnberger Spezialität. Im Jahr 2012 stellte das Unternehmen mit rund 350 Mitarbeitern auf einer Fläche von 8.000 Quadratmetern bis zu fünf Millionen Würste pro Tag her und erwirtschaftete dabei einen Jahresumsatz von 60 Mio. Euro. Beliefert werden die größten Discounter, der Lebensmitteleinzelhandel, aber auch die gehobene Gastronomie. Die HoWe-Produkte, zu denen neben den klassischen Rostbratwürstchen inzwischen Light-Nürnberger sowie Geflügel- und Würzbratwürste zählen, sind nicht nur in Deutschland ein Verkaufsschlager. Schon lange läuft der Vertrieb europaweit, auch in die USA wird geliefert, 2011 wurden erste Kontakte zu Kunden in Asien aufgenommen.

Mit der Gründung der Bratwurstfabrik hat der Metzgersohn Uli Hoeneß nicht zuletzt auch dem Vater etwas beweisen wollen. »Ich habe meinem Vater immer vorgeworfen, dass er kein richtiges Geschäft macht«, sagte er einmal. »Er wollte sich nicht vergrößern, was ich nie verstanden habe.« Der Vater starb im August 1998 – Hoeneß’ Mutter überlebte ihn nur um zwei Monate –, aber die hochmoderne Würstchenfabrik hatte er noch bestaunen dürfen: »Mein Vater hat Augen gemacht, als er zum ersten Mal die Fabrik sah«, erzählte Sohn Uli voller Stolz. Was er mit seiner Würstchen-Fabrikation an einem Tag umsetzte, sei für seinen Vater zu mancher Zeit der hart erwirtschaftete Jahresumsatz gewesen.

Als Chef verantwortlich ist inzwischen Hoeneß’ Sohn Florian, der im Juli 2001 als junger Bankkaufmann in die Geschäftsführung einstieg. Hoeneß junior orientierte sich bei der Leitung der Firma am familiär-bescheidenen Stil des Vaters, als Zentrale genügte ihm ein recht schlichtes Büro im Landhausstil. Der Senior versteht sich seitdem als »Supervisor«. Völlig loszulassen fiel ihm aber schwer. Persönlich sei er kaum noch präsent in der Fabrik, höchstens drei- oder viermal im Jahr, erklärte er dem »SZ-Magazin« Ende 2009, sein Sohn beschwere sich sogar manchmal, dass er sich zu wenig um die Firma kümmere. Florian Hoeneß berichtigte hingegen, dass der Vater immer noch jede Rechnung selbst abzeichne. »Außerdem ruft er ständig hier an und lässt sich die Bestellungen durchgeben, in der Hochphase im Sommer bestimmt zwanzig Mal am Tag.«

Drei Personen waren neben Uli Hoeneß für die Gründung der Firma HoWe entscheidend: Das waren neben dem Metzger Werner Weiß aus Nürnberg ein Einkäufer von Aldi, den Hoeneß 1974 über den Vertrieb seiner WM-Bücher kennengelernt hatte, sowie ein Mann aus dem Beirat des FC Bayern, der Wurstfabrikant Rudolf Houdek aus Starnberg. Der Großmetzger hatte mit seiner Spezialität, der »Original Houdek Kabanos«, den Geschmacksnerv der Bevölkerung getroffen und damit ein Vermögen gemacht. Nun wollte er gern seinen Leberkäse an Aldi verkaufen und bat daher seinen Freund Uli Hoeneß, den Kontakt zu dem Einkäufer herzustellen. »Beim dritten oder vierten Besuch fragte ihn dann der Einkäufer«, so Hoeneß, »ob er auch Original Nürnberger Rostbratwürstchen liefern könne. Das aber konnte er nicht, denn seine Fabrik war in Starnberg, und Original Nürnberger Rostbratwürstchen müssen in Nürnberg produziert werden.« Die Sache habe er im Hinterkopf behalten, bis er dann in Nürnberg den Metzger Weiß kennenlernte.

Die entscheidenden Wochen, die der Gründung der Wurstfabrik W. Weiß GmbH, der heutigen HoWe KG, im Jahr 1985 vorangingen, schilderte Hoeneß wiederholt mit spürbarem Stolz. »Machst du eigentlich auch Nürnberger?«, habe er eines Tages seinen Freund Weiß gefragt, und der habe geantwortet: »Klar, jeden Tag.« Die Menge allerdings war gering: nur 50 Kilo. »Du darfst nicht Kilo machen«, rief Hoeneß aus, »du musst Tonnen machen! Mach mir doch mal ein paar Muster.« Mit den Mustern der Weiß-Würstchen ging Hoeneß zu Aldi, und als die für gut befunden waren, folgte am 6. März 1985 in Mühlheim an der Ruhr das entscheidende Treffen mit dem Chefeinkäufer des Discount-Riesen. Nach Hoeneß’ Erinnerung begann der Dialog mit einer Frage des Aldi-Mannes: »Haben Sie eine Fabrik?« – »Nein.« – »Ja, was wollen Sie dann?« – »Wenn Sie uns eine Chance geben, in zwei Lagern für ein halbes Jahr einen Test zu machen, würde ich investieren.« Der Vorstoß war äußerst forsch, ein Aldi-Lager belieferte immerhin 60 Geschäfte. Dann folgte die entscheidende Frage: »Wann können Sie liefern?« Antwort: »Geben Sie uns sechs Wochen.« Die Hand drauf, und los ging’s. Hoeneß nahm sich bei Bayern Urlaub, orderte Fleisch, mietete geeignete Räume, leaste Maschinen, heuerte 15 Mitarbeiter an. Das Ergebnis: »Am 15. April haben wir geliefert.« Insgesamt waren es fünf Tonnen Wurst, in der Nacht vor dem Liefertermin hatte er mit seiner Frau eigenhändig die letzten Paletten fertig gemacht.

Nürnberger Rostbratwürstchen wiegen 25 Gramm, dürfen maximal neun Zentimeter lang sein und müssen im Schafsaitling abgefüllt sein. Zu ihrem Schutz wurde 1997 eine Vereinigung der Hersteller und des Hotel- und Gaststättenverbandes gegründet, im August 2003 gelang schließlich die Eintragung ins Register der »geschützten geographischen Angaben«. HoWe-Geschäftsführer Florian Hoeneß kommentierte: »Wir brauchten eine rechtliche Grundlage, um gegen in- und ausländische Nachahmer mit oft abenteuerlichen Rezepten vorgehen zu können und das Original ›Nürnberger Rostbratwurst‹ zu schützen.« Jeder Verbraucher wisse heute, fügte er hinzu, dass er kein fragwürdiges Billigprodukt, sondern Qualität aus der Region bekommt, wenn auf der Verpackung »Nürnberger Rostbratwurst« steht. Wobei, wäre noch zu ergänzen, das Fleisch selbst nicht unbedingt aus der Region kommen muss: Zu einem der Hauptlieferanten von HoWe wurde Schalkes Aufsichtsratchef Clemens Tönnies, Betreiber der größten Schweineschlachterei Deutschlands. Der Qualität muss das aber nicht abträglich sein. Am 20. Oktober 2003 erhielten die Hoeneß-Würstchen – reines Schweinefleisch ohne Geschmacksverstärker und Wasserzusatz, gewürzt mit Thüringer Majoran – von der Zeitschrift »Ökotest« das Prädikat »sehr gut«.

Mit dem Fleisch gab es nie Probleme, dennoch ist die Wurstfabrik einige Male negativ in die Schlagzeilen geraten. Anonyme Hinweise, denen zufolge bei HoWe illegale Ausländer beschäftigt sein sollten, veranlassten die Polizei, am 8. November 1988 in den Räumen der damals noch in Buchenbühl produzierenden Firma eine Razzia durchzuführen. Fündig wurden die Beamten nicht. Im Herbst 2000, als Hoeneß wegen der »Daum-Affäre« heftig ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geraten war, gab es erneut Aufregung um die Firma. Diesmal ging der anonyme Hinweis beim Arbeitsamt in Nürnberg ein, und wie 1988 ging es um den Vorwurf, dass in der Wurstfabrik illegale Arbeiter beschäftigt würden. 40 Fahnder und Polizisten besetzten das Fabrikgelände am Nürnberger Hafen, durchsuchten die Geschäftsräume und befragten die Angestellten. Nach einigen Stunden musste die Streitmacht wieder ergebnislos abziehen. »Es kann doch nicht sein, dass irgendjemand mit einem Anruf beim Arbeitsamt eine Kontrolle lostritt, ohne konkrete Hinweise zu geben oder ein Verdachtsmoment zu begründen«, beschwerte sich Hoeneß später. Trotz eines erheblichen Umsatzausfalls wegen des Produktionsstillstandes verzichtete er aber auf eine Schadensersatzklage, die er zunächst erwogen hatte. Ende 2010 hatte die Firma Ärger mit der Gewerkschaft Nahrung Genuss Gaststätten (NGG). Diesmal ging es um den Vorwurf, dass HoWe unter Tarif bezahle, auf Zeitarbeiter setze und die Beschäftigten bei Nässe und Kälte arbeiten lasse, zudem gebe es in der Firma keinen Betriebsrat. Hoeneß reagierte schnoddrig: »Wir leben in keinem Gewerkschaftsstaat, wo mir die NGG Vorschriften machen kann.«

Auf Kritik aus der Gewerkschaftsecke reagierte Uli Hoeneß stets unwirsch und eher kurz angebunden, in seinem Element war er jedoch, wenn es im Fachgespräch um die Wurst ging. Als er sich etwa im Juli 2005 gegenüber der »Neuen Zürcher Zeitung« über die Problematik des Preisverfalls beim Schweinefleisch auslassen durfte, war er kaum zu bremsen. »Das Preisniveau in Deutschland ist verrückt«, ereiferte er sich und griff zum Vergleich mit der Schweiz, wo sich die Verbraucher an hohe Preise gewöhnt haben. »Wenn ich in der Lenzerheide, wo ich eine Ferienwohnung habe, eine St. Galler Bratwurst kaufe, so kostet sie mindestens zwölf Euro das Kilo, bei Aldi in Deutschland kostet das Kilo Nürnberger Rostbratwürste fünf Euro sechzig.« Durch die große Konkurrenz sei man gezwungen, unheimlich effizient zu arbeiten. »Wir machen hier 30 Millionen Euro Umsatz mit 150 Leuten, mein Vater hat 150.000 Mark mit sieben Leuten gemacht. Wenn Sie das hochrechnen, sind wir zehnmal effizienter und produzieren dabei ein tolles Produkt.« Im Oktober 2011 erläuterte er dem »Handelsblatt« die Schwierigkeiten des Bratwurstproduzenten von der anderen Seite her, nämlich vom Einkauf. »Im Moment ist es zum Beispiel ganz schwierig, Schafsaitlinge, in die die Wurst abgefüllt wird, zu bekommen. Die sind im Preis in den letzten zwölf Monaten um 400 Prozent gestiegen. Das hat natürlich die Kalkulationen verhagelt.« Ursache sei, dass die Zahl der Schafe abnehme und wenige Großhändler den Markt unter ihre Kontrolle gebracht hätten. »Die verlangen statt drei oder vier Euro pro Hank, das ist die Maßeinheit oder 96 Meter, nun zwölf bis 15 Euro.«

So schwer es sei, Bratwürste in hoher Qualität herzustellen und dennoch günstig zu verkaufen, habe er jedoch stets darauf geachtet, dass diese Zwänge nicht auf Kosten der Arbeitnehmer gingen. Schließlich sei er ein »sozialer Unternehmer«. Die Beschäftigten in seinem Betrieb könnten sich auf ihren Arbeitgeber verlassen, meinte er im März 2008, auch ein Mindestlohn von 7,50 Euro sei bei ihm garantiert. Ergo: Wer bei ihm arbeite, sei sozial abgesichert und brauche keine Gewerkschaft.

Das Beispiel Bratwurstverkauf benutzte er gern und häufig als Fähigkeits-Messer. Gewerkschafter und linke Politiker seien völlig weltfremd, sie hätten keine Ahnung vom praktischen Wirtschaftsleben, geschweige denn vom Bratwurst-Verkaufen. Er hingegen, der gewiefte Praktiker, wusste natürlich, wie man in Därme gepacktes Fleisch in erstklassiger Qualität zu vernünftigen Preisen an die Kunden bringt und zu Euro-Millionen macht. Und er hatte immer wieder neue Ideen, wie man den Umsatz noch steigern konnte. Während sich Junior Florian im Schutzverband Nürnberger Rostbratwürste engagierte und das Marketing mit »Bratwursttagen«, »Bratwurstdörfern«, der Verleihung von »Bratwurstpreisen« und der Idee eines Bratwurstmuseums anfeuerte, verließ Senior Uli solche eher traditionellen Werbepfade. Im Juni 2010 sorgte er für Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass die HoWe-Würstchen für zunächst drei Monate bei McDonald’s verkauft werden würden. Schon Wochen vor dem Verkaufsstart machte der Bayern-Präsident auf einer eigenen Website mit witzigen Filmchen auf das neue Produkt aufmerksam. Hoeneß zeigte sich absolut überzeugt von den Erfolgschancen dieses »Nürnburgers« mit drei Würstchen, der zunächst mit Röstzwiebeln und Senfsauce in einer Ciabatta-Semmel angeboten wurde. »Der Hamburger hat ja Weltruhm erlangt – warum sollte ein Nürnburger da weniger Potenzial haben?« Die Sache hatte natürlich Potenzial, sie wurde dann 2011 im Duett mit Starkoch Alfons Schuhbeck ausgebaut. Die »Hüttengaudi«-Werbespots für besondere Uli&Alfons-Kreationen hätten ihm enorm viel Spaß gemacht, meinte Hoeneß. Später nahm McDonald’s dann auch noch eine von HoWe produzierte McCurrywurst ins Programm. Am 24. April 2013 wurde sie aus dem Sortiment genommen. Mit dem Steuerskandal um Hoeneß habe das aber nichts zu tun, teilte eine McDonalds-Sprecherin mit. Die Currywurst sei ein Aktionsangebot gewesen, das ohnehin in dieser Woche ausgelaufen wäre. Ein weiteres »konkretes, gemeinsames Projekt« mit Uli Hoeneß plane man jedoch nicht, fügte sie noch hinzu.

Man darf gespannt sein, wie’s bei Uli Hoeneß in Sachen Wurst und Gastronomie weitergeht. »Ich bin jemand, der unheimlich gerne serviert«, verriet er einmal. »Ich könnte mir vorstellen, einen Biergarten aufzumachen und den Leuten das Bier zu servieren.« Wenn er’s täte, wäre guter Besuch sicher garantiert.

Das Prinzip Uli Hoeneß

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