Читать книгу Segretissimo, streng geheim! - Christoph Franceschini - Страница 30
ОглавлениеLaut ersten Ermittlungen des Bundeskriminalamtes (BKA) stammen die bei Bischoff gefundenen Zünder und Zündschnüre sowie der Sprengstoff aus Österreich. Die polizeilichen Ermittlungen ergeben ein klares Bild: Hans-Jürgen Bischoff ist Mitglied der Berliner Burschenschaft Vandalia-Teutonia und war über den rechtsgerichteten „Bund Heimattreuer Jugend“ (BHJ) mit dem Kreis um Norbert Burger in Berührung gekommen. Das BKA kann den Weg der bei Bischoff gefundenen Zünder genau rekonstruieren. Sie waren von Leuten des „Befreiungsausschusses Südtirol“ (BAS) − unter ihnen Peter Kienesberger − im Herbst 1962 in Österreich gestohlen und über Norbert Burger und deutsch-österreichische Burschenschafterkreise nach Berlin gebracht worden.
Schon im Frühjahr 1962 hatte man auf einem BHJ-Pfingstlager in Heilbronn einen gemeinsamen Aktionsplan beschlossen. Unter dem Signum „Berlin hilft Südtirol – Südtirol hilft Berlin“ wird eine Art rechtsradikales Joint Venture geschlossen. Zwischen 1962 und 1965 beteiligen sich über diese Schiene zwei Dutzend deutsche Burschenschafter an BAS-Attentaten in Italien. Die Anschläge vom Oktober 1962, bei denen der Bahnhofsangestellte Gaspare Erzen in Verona stirbt und weitere 20 Personen verletzt werden, sind nur der Auftakt. Im Gegenzug werden BAS-Leute in Berlin aktiv. So ist etwa Peter Kienesberger im Frühjahr 1963 an den Maueranschlägen in Berlin direkt beteiligt.4
Mitten in der Anschlagsserie schreibt Reinhard Gehlen einen persönlichen Brief an Heinrich Albertz (1915−1993), den regierenden Bürgermeister Berlins:
Von meinem Berliner Beauftragten bin ich über die Besprechung vom 28.3. unterrichtet worden. Mich hat das bisherige Ermittlungsergebnis über die Sprengstoffanschläge in Berlin an der Mauer außerordentlich interessiert. Insbesondere die Feststellung, dass einzelne Spuren über München zu Kreisen in Südtirol geführt hätten. Es wird in diesem Zusammenhang für Sie von Interesse sein, dass bei uns Hinweise dazu vorliegen, dass die Sprengstoffanschläge der rechtsradikalen Kreise in Südtirol wohl größtenteils von sowjetischer Seite gesteuert werden, meist ohne dass die tätigen rechtsradikalen Kreise sich dessen bewusst sind. Es ist in diesem Zusammenhang der Versuch gemacht worden, dem italienischen Dienst Material mit Daten und Personenangaben zuzuspielen, das die Urheberschaft an den Südtiroler Sprengstoffanschlägen dem BND zuschieben sollte. Erfreulicherweise erhielten wir aufgrund der Zusammenarbeit diese Unterlagen sofort, so dass wir nachweisen konnten, dass die Angaben falsch waren und ein großer Teil der wenigen Personen überhaupt nicht existiert.
Vielleicht ist es in diesem Zusammenhang auch noch bedeutsam, dass einige Zeit vor dem ersten Maueranschlag bei uns eine Meldung aus der Ostzone anlief, dass der Osten solche Maueranschläge inszenieren würde, um die Situation zu verschärfen. Es ist aber noch nicht gelungen, durch eine zweite Meldung dieser Art eine Bestätigung und nähere Einzelheiten zu erlangen. Ich glaube, dass man mit allen Mitteln versuchen sollte, die Dinge weiter zu klären. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie diesen Brief nach Kenntnisnahme vernichten würden. Sollten Sie uns einmal wieder besuchen, könnte dieses Thema näher erörtert werden.5
Es ist die typische Paranoia der Geheimdienste, die in den letzten Zeilen dieses Briefs zum Ausdruck kommt. Gleichzeitig zeigt sich in diesem Schreiben aber auch die Grundüberzeugung des BND-Präsidenten und seines Dienstes, dass der Osten bei den Südtirol-Attentaten mitmischt.
In Pullach ist allen von Anfang an klar, dass die Beschäftigung mit Südtirol eine Gratwanderung ist. Denn der BND ist offiziell der deutsche Auslandsnachrichtendienst. Formal zuständig für die Aufklärung der Vorgänge in Deutschland, die mit dem Südtirol-Terrorismus zusammenhängen, sind das „Bundesamt für Verfassungsschutz“ (BfV) und das Bundeskriminalamt (BKA). In einem weiteren Vermerk zur Südtirol-Frage hält Reinhard Gehlen wenig später deshalb auch fest:
Obwohl sachlich innerhalb der BRD unzuständig, hat der BND wegen des außenpolitischen Gewichts der Südtirol-Frage und auch aus Gründen der Sicherung auslandsnachrichtendienstlicher Verbindungen nach Italien sich bemüht, den Komplex Südtirol zu klären.6
Wie wir bereits gesehen haben, hat der BND eine Vielzahl von Zuträgern, Informanten und Agenten, die zu Südtirol berichten und auch auf den BAS angesetzt sind. Gehlen & Co haben damit detaillierte Kenntnisse von der Entwicklung der Südtirol-Krise. Im Herbst 1964 fasst der Bereichsleiter im „Strategischen Dienst“ Hans Georg Langemann (DN „Lückrath“) den Kenntnisstand des BND zu Südtirol zusammen. Der Übersichtsbericht, der an Reinhard Gehlen persönlich geht, wird auch an das Bonner BND-Büro (106/XX) geschickt. Das deutet darauf hin, dass der Bericht auch für Teile der deutschen Bundesregierung bestimmt ist.
Die Analyse „Lückraths“ gibt den Wissensstand und die Überzeugungen zu Südtirol im Herbst 1964 prägnant wieder:
Nach hier vorliegenden Erkenntnissen sind die am Anfang der Auseinandersetzungen um Südtirol durchgeführten Sabotagehandlungen zunächst von der Regierung in Wien zumindest toleriert worden. Das traf insbesondere auf Einzelfälle zu, in denen Offiziere des Bundesheeres durch Schulung oder Bereitstellung von Handfeuerwaffen und Sprengmaterial aktiven Einfluss auf die Geschehnisse nahmen. Schon bald stellte sich aber heraus, dass die am Anfang wohl mehr als unblutige Demonstration gedachten Sabotagehandlungen in Größenordnung, Einsatzrichtung und Intensität der Einflussnahme offizieller oder offiziöser Stellen Österreichs entglitten. Diese Stellen hielten sich deswegen in der Zukunft auch zurück.
Auf dem Höhepunkt der Attentatswelle im Sommer 1961 wurde GS-mäßig [GS = Gegenspionage – Anm. d. Autors] festgestellt, dass eine entscheidende Einflussnahme durch rechtsradikale Kreise äußerlich eingetreten war, dass darüber hinaus in Einzelfällen auch Agenten des ND der ČSSR und der SBZ [ND = Nachrichtendienst, SBZ = Sowjetische Besatzungszone – Anm. d. Autors] zum Zwecke der Anstiftung und Diversion im Einsatzgebiet aufgetreten waren. Auch deuten Anzeichen dahin, dass seitens der KPI [Kommunistische Partei Italiens – Anm. d. Autors] in die Auseinandersetzung aktiv eingegriffen wurde. Ganz allgemein bleibt aber festzuhalten, dass die Einsätze in ihrer Mehrheit durch den rechtsradikalen „Befreiungsausschuss Südtirol“ (BAS) und seine Untergrundorganisationen getragen wurden. Ferner, dass der BAS von Österreich aus operierte und samt und sonders von Österreichern angeführt wurde.
Es unterliegt aber weiterhin keinem Zweifel, dass die vielfach ideal betonten rechtsextremistischen Zirkel innerhalb des BAS, deren Fäden in die faschistische Internationale, aber auch in „wilde“ freimaurerische Gruppen in Spanien, Belgien, Schweden und Italien liefen, einer starken Unterwanderung und Infiltration durch die Sowjets und ihre Satelliten ausgesetzt waren und noch sind. […]
Nachdem sich in den Verhandlungen zwischen Italien und Österreich zwischenzeitlich Verhärtungen ergeben hatten, die eine politische Lösung der Südtirol-Frage zeitweise fraglich erscheinen ließen, ergaben die neuerlichen Sondierungen zwischen Kreisky und Saragat, die im September 1964 zu den Genfer Verhandlungen führten, ein relativ gutes Kompromissklima, auch seitens der Italiener.
Unbestätigten Meldungen zufolge habe dabei die gemeinsame sozialistische Orientierung beider Minister eine Rolle gespielt. Zur Störung dieser Lage wurden sodann in jüngster Zeit die bekannten Sabotagehandlungen wieder aufgenommen, und zwar zunächst sichtlich als Werk Einzelner, oder ganz kleiner Extremistengruppen.
Die in ihrem Umfange, aber auch in ihrer Brutalität unverhältnismäßig scharfe Reaktion der Carabinieri und teilweise auch der Alpini haben zu einer so tiefgreifenden Verschärfung der Lage geführt, dass es heute fraglich erscheint, ob die Terrorhandlungen ihren vereinzelten Charakter beibehalten werden oder ob mit einem neuen und umfassenden Anschwellen der Sabotageakte zu rechnen ist. Diese Frage ist umso gewichtiger, als die anfänglichen Terrorakte von der Südtiroler Bevölkerung fast einheitlich abgelehnt wurden, diese Stimmung aber ebenso radikal umgeschlagen ist. Hierzu hat sicherlich auch der noch ungeklärte Tod von Luis Amplatz, geb. 28.8.26 in Bozen, und die Verwundung von Georg Klotz, geb. 11.9.19 in Passeier, und das in diesem Zusammenhang sehr mysteriöse Verhalten der italienischen Sicherheitstruppen beigetragen.
Es bedarf aber auch hier nicht der Hervorhebung, dass die zu. Ziff. 1 genannten Kräfte wiederum bemüht sind, nicht nur das Südtiroler Verhandlungsklima zu stören, sondern vor allen Dingen in Italien eine neue antideutsche Welle hervorzurufen.7
Obwohl „Lückrath“ die großen Leitlinien beschreibt, verschweigt der Leiter des Bereichs „Sicherheit/Gegenspionage“ in dieser Darstellung ganz bewusst die aktive und operative Rolle des BND in Sachen Südtirol. Denn nicht nur aus dem Büro von Reinhard Gehlen wird der deutsche Nachrichtendienst in Sachen BAS und Südtirol tätig.