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Das Wiener Handelskontor

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Im Juli 1961, sieben Wochen nach der sogenannten Feuernacht, informiert Kurt Weiß alias „Winterstein“ seinen Vorgesetzen Reinhard Gehlen über das geplante Vorgehen und die Taktik des „Befreiungsausschusses Südtirol“. In der „Vortragsnotiz“ an den BND-Präsidenten heißt es:

Der Befreiungsausschuss hat für seinen Kampf vier Phasen vorgesehen:

1. Phase: Aufrüttelung der Weltöffentlichkeit durch die Sprengung des Reiterstandbildes in Waidbruck;

2. Phase: Sprengung von Überlandleitungen zur Schädigung der italienischen Industrie;

3. Phase: Sprengung von Bahnlinien in Italien.

Während in den ersten drei Phasen Menschenopfer vermieden werden sollten, sah die

4. Phase: Sprengungen von militärischen Anlagen ohne Schonung von Menschenleben vor.

In Anbetracht der erfolgten Verhaftungen ist es sehr fraglich, ob die vierte Phase noch durchgeführt werden kann. Der Befreiungsausschuss will daher vorerst die Phase 3a einfügen: Weiterführung der bisherigen Aktionen zur Entlastung der Verhafteten. Es soll damit bewiesen werden, dass die Verhafteten, insbesondere Sepp Kerschbaumer und Georg Pircher, nicht die Initiatoren der Anschläge waren.

Kerschbaumer wird als Andreas-Hofer-Typ charakterisiert, während Pircher durch sein Herzleiden wahrscheinlich „weich“ geworden sei und Namen preisgegeben habe.

Die Italiener haben daraufhin der österreichischen Regierung eine Namensliste übergeben, so dass Österreich nunmehr gezwungen wird, gegen die Freiheitskämpfer vorzugehen. Die österreichische Staatspolizei hat bereits entsprechende Anweisung erhalten. Die Angehörigen des BAS in Österreich treffen Vorkehrungen, um „untertauchen“ zu können.8

Die Informationen für diese Meldung kommen von einer Quelle innerhalb des BAS. Geführt wird dieser Informant von einem BND-Mitarbeiter, der für die Wiener Außenstelle des deutschen Nachrichtendienstes arbeitet. Bereits in der Org. hatte Reinhard Gehlen über ein Dutzend Außenstellen in Deutschland, aber auch verdeckte Niederlassungen in mehreren europäischen Ländern eingerichtet. Mit dem Übergang der Org. in den Staatsdienst und die Gründung des BND wird eine Arbeitsgruppe eingesetzt, deren Aufgabe es ist, diesen Außenbereich grundlegend zu reformieren. So ändern zum 1. April 1958 alle BND-Außenstellen ihren Namen. Wurden vorher Tarnziffern verwendet, so setzt man jetzt auf die Wirtschaft als Tarnung.

Pullach gründet überall Scheinfirmen, unter deren Deckmantel die Mitarbeiter tätig sind. Es handelt sich um Unternehmen, die im Handelsregister eingetragen sind und die auch Steuern zahlen, die in Wirklichkeit aber BND-Außenstellen sind. Die Firmenlegende dient der Deckung der eigenen Mitarbeiter. So entstehen die „Transfer OHG“, die „Mittelland AG“, das „Inkasso-Institut“, die „Firma Ehlert“, die „Reproduktionsgenossenschaft“ (RPG), der „Ortlerverlag“ oder das „Büro Baumeister“.9

Dass man diese Tarnung genauso auch im Ausland umsetzt, zeigt das Beispiel Johannes „Giovanni“ Gehlen und Rom. Am 12. November 1958 wird vor einem römischen Notar die Firma „Asfaro GmbH“ gegründet. Der Unternehmensname ist mit viel Fantasie gewählt und steht als Abkürzung für „Archivio Studi di Fisica Applicata e Ricerche Oceanografiche“. Diese Legende ist perfekt auf den studierten Physiker Giovanni Gehlen zugeschnitten. Offiziell gehörte die Asfaro GmbH zu 83 Prozent Agda Paulson, der Ehefrau des BND-Statthalters. Die restlichen 17 Prozent hält der römische Chemiker Manfredo Mingazzini. Bereits am 5. Februar 1959 ernennt der Verwaltungsrat Giovanni Gehlen zum Alleinverwalter, ausgestattet mit allen Befugnissen. Die Asfaro GmbH erwirbt 1959 die Wohnung in der Via Oddone di Cluny Nr. 8, in der die verdeckte BND-Residentur in Rom untergebracht ist.10

Auch die Wiener Außenstelle des BND wird als Unternehmen getarnt. Die BND-Mitarbeiter operieren ab 1958 in der österreichischen Bundeshauptstadt unter dem Dach der „Handelskontor Ex- und Import GmbH“. Geleitet wird die Wiener Außenstelle in diesen Jahren von Kurt Randel-Semper (DN „Rahne“), einem Münchner Obersten, der im Zweiten Weltkrieg eine Nachrichtengruppe der Luftwaffe geführt hat. Einer der hauptamtlichen Mitarbeiter ist Werner Friedrich Macho (* 1924). Der geborene Kremser, Mitglied der SS-Leibstandarte „Adolf Hitler“ im Rang eines SS-Unterscharführers, liefert als „V-14 402“ und unter dem Decknamen „Weikert“ auch immer wieder Meldungen über Südtirol und den BAS.

Die Außenstelle in Wien gilt als eine der BND-Residenturen, in der es von ehemaligen SS- und SD-Männern nur so wimmelt. Das liegt an dem Mann, der die Außenstelle aufgebaut hat. Rupert Mandl (* 1910), SS-Hauptsturmführer, Leiter einer Außenstelle des „Reichsicherheitsamtes“ (RSHA) in Wien, tritt bereits 1947 der Org. bei. Mandl leitet als „V-14 000“ unter dem Decknamen „Mayer“ jahrelang die Spionage gegen Ungarn und wirbt für die Wiener Außenstelle vor allem Kriegskameraden aus dem SD und der SS an.

Am 13. November 1959 tritt ein neuer Mitarbeiter seinen Dienst in der „Handelskontor GmbH“ an. Der BND-Mitarbeiter, der in Pullach unter der Verwaltungsnummer „V-14 791“ und dem Decknamen „Wieland“ geführt wird, ist als „Forscher und Verbindungsführer für politische und wirtschaftliche Verbindungen“ tätig. Das Operationsgebiet von „V-14 791“ ist ganz Österreich, sein Dienstsitz Wien.


BND-Außenstellenleiter Rupert Mandl: Schart in Wien vor allem SS- und SD-Kameraden um sich.

Ein Forscher ist im BND-Jargon ein BND-Mann, der neue Informanten für den deutschen Nachrichtendienst auskundschaftet und auch anwirbt. Der Verbindungsführer führt dann die angeworbenen BND-Mitarbeiter. Anfang Dezember 1960 wird der „Forschungsbereich“ von „V-14 791“ noch einmal von seinem Dienstgeber genauer spezifiziert. Der BND-Mann operiert nun vor allem in „Studentenkreisen in Richtung Donauraum“.11

Hinter dem Decknamen „Wieland“ und der Nummer „V-14 791“ verbirgt sich Rudolf Wihan. Der Wiener Rudolf Wihan (1910–1983) tritt bereits Anfang 1931 der NSDAP bei, später der SS und dem SD. Wihan arbeitet anfänglich vor allem als Propagandafachmann. Er engagiert sich im Nationalsozialistischen Studentenbund und übernimmt die Leitung der Presse- und Propagandaabteilung der Bereichsführung Südost des Reichsstudentenwerks. 1939 leitet er als SS-Obersturmführer kurzzeitig die sogenannte „Bücherverwertungsstelle Wien“, in der Hunderttausende Bücher verwaltet werden, die die Nazis geraubt haben.12 Ab 1943 ist er als persönlicher Referent des Befehlshabers der Sicherheitspolizei und des SD in Italien Wilhelm Harster tätig, über den im nächsten Kapitel noch ausführlicher berichtet werden wird. Zuerst in Genua und dann in Verona stationiert, arbeitet Wihan für den SD in der Abteilung III, dem Nachrichtendienst.13

Nach dem Krieg lebt Rudolf Wihan in Wien und kehrt dorthin zurück, wo er als junger Mann sozialisiert worden ist: in die Burschenschafterkreise. Die Wiener Burschenschaft Aldania ist eine der ersten schlagenden Verbindungen, die 1946 in Wien wieder aktiv werden. Die Aldania beginnt in den ersten Nachkriegsjahren auch die sogenannten Alten Herren, zum Großteil belastete NS-Funktionsträger, zu sammeln. Rudolf Wihan mischt dabei an vorderster Front mit.

1953 schließen sich die akademischen Burschenschaften Österreichs zum Allgemeinen Delegierten Convent (ADC) zusammen. Der Dachverband wird 1959 in Deutsche Burschenschaft in Österreich (DÖB) umbenannt. Mitte der 1950er-Jahre ist Rudolf Wihan Vorsitzender des ADC.14

Es ist dieses rechtskonservative bis rechtsextremistische Terrain, das Wihan spätestens ab 1959 als „V–14 791“ für den BND bearbeitet. Dabei kommt der Mitarbeiter des deutschen Nachrichtendienstes unweigerlich mit dem Thema Südtirol in Berührung und auch mit Norbert Burger, der jahrelang seine Mitstreiter im sogenannten Südtiroler Freiheitskampf aus den Burschenschaften rekrutiert. Norbert Burger wird zwischen 1955 und 1961 in nahezu sämtliche bedeutenden Ämter gewählt oder nominiert, die der ADC oder die DÖB zu vergeben haben. Dabei kommen sich Burger und Wihan persönlich näher. Der spätere Gründer der rechtsextremen Nationaldemokratischen Partei (NDP) dürfte so auch mitbekommen haben, dass der Wiener Burschenschafter für den deutschen Nachrichtendienst arbeitet. Auch das geht aus den Pullacher Akten hervor. So berichtet Herbert Lucht, alias „V-3020“ im September 1963 über angebliche „Kontakte des BAS zu Journalisten und Agenten“. In der Meldung heißt es:

Hingegen hält man Verbindung mit einem ebenfalls als Journalist getarnten „Gehlen-Agenten“ in Wien, namens Wihan. Dr. Burger hat ihm erst in letzter Zeit geschrieben und ihn gebeten, die offenbar vom BND ausgestreuten Verdächtigungen im Zusammenhang mit den Kommunisten richtigzustellen.15

Doch Norbert Burger ist nicht der einzige Kontakt Wihans in Österreichs Burschenschafterkreisen. „Wieland“ hat auch ein weiteres, prominentes BAS-Mitglied an der Angel.

Segretissimo, streng geheim!

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