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SÜSSE, ENDLOS BLEIERNE SCHWÄRZE. In Grohls Traum gab es eine Bombe, die nach der Explosion in einem brodelnden Meer von Schiffswrackteilen, zerrissenen Liegestühlen und flügellahmen Drehbuchseiten hartnäckig weitertickte. Es war sein Handy, und es war Risottos geschäftsmäßige Freundlichkeit ausstrahlende Stimme: Wo bist du? Wir warten bereits alle auf dich.

Grohl blinzelte aus der Straßenbahn auf museale Mauerreste und spielende Kinder. Die Zeit, in der das Land und seine Hauptstadt noch von einer Mauer durchtrennt wurden, schien genauso weit weg wie die Idylle und die blühenden Landschaften, die man dem Volk nach der Wiedervereinigung versprochen hatte. Die Rentnerin war samt Hund verschwunden. Er war fünf Stationen zu weit gefahren und bereits eine Viertelstunde zu spät. Grohl versicherte, in wenigen Minuten vor Ort zu sein. Das Taxi zur Produktionsfirma R & R kostete ihn 24,90 Euro. R & R stand für Roth und Ricart. Ihr alleiniger Besitzer, Konstantin – isch bin der Konni – vertrat die Ansicht, dass man sich seinen Doppelnamen nicht nachhaltig genug einprägen konnte. Die Unabhängigkeit suggerierende Namenwahl kaschierte für Nichteingeweihte, dass Konnis Firma vor einem halben Jahr das Schicksal nahezu jeder deutschen Filmfirma ereilt hatte. R & R hatte seine Unabhängigkeit allerdings nicht einer Liaison mit einem Sender geopfert und sich zur hundertprozentigen Tochterfirma degradieren lassen, Konni hatte, wie er betonte, weiterhin den Herausforderungen eines freien Marktes nicht widerstehen können und seine Firma mit einem international agierenden Medienkonzern vermählt, von dessen Vorstand er vor vier Wochen das erste Mal beidseitig gegrillt worden war. Obwohl Roth und Ricart auch dieses Jahr wieder viel Geld bei sogenannten Eventmovies verschwendet hatte, sahnte Konni mit drittklassigen Serien wieder ab und überstand so leicht angesengt diese unsanfte Prozedur, bei der hochkarätige Wirtschaftsanwälte mit dem Kunstverständnis von Bulldoggen als Grillmeister fungierten. Konni entstammte einer Genfer Hoteliersfamilie, den Vornamen Konstantin hatte seine dem Züricher Geldadel entstammende Mutter beigesteuert, Ricart hatte er von seinem früh verstorbenen Vater geerbt, einem Mann, der viele Talente besessen und sie ebenso leichtfertig verschleudert hatte. Das würde Konni nicht passieren. Immerhin hatte er dank seines Vaters und des Hotelbetriebs von klein auf das gewinnbringende Umschmeicheln wichtiger Persönlichkeiten inhaliert.

Über einen seiner Standardsprüche – isch heiße Roth und bin schwarz – wurde nach zehn Uhr abends bereitwillig an businessträchtigen Hotelbars gelacht, Stewardessen aller Interkontinentalflüge kannten seinen Namen. Wie ein Pianist seine Fingerübungen beherrschte er die deutsche Film- und Fernsehlandschaft mit seinem charmant sprühenden, französischen Akzent, den er je nach Gesprächslage ein- und ausschalten konnte, Konni war ein Kommunikationsgenie. Das konnte man von Risotto Frankie, einem von Konnis zahlreichen Lakaien, nicht unbedingt behaupten, auch wenn er alles tat, um dem Maestro nachzueifern. Grohl hatte ihm seinen Spitznamen verpasst, nachdem Frankie ihm erzählt hatte, dass das Highlight seiner Woche darin bestand, mit seiner Modelmaßfreundin sonntagabends bei einem gepflegten Weißweinrisotto Tatort zu gucken. Sein Gesicht ähnelte in Farbe und Beschaffenheit durchaus einem etwas zu lange durchgekochten Reiskorn.

Mit einem betont herzlichen Lachen – Mensch, klasse, dass du hergefunden hast – gefolgt von einem ins Ohr geraunten – kannst du nicht wenigstens einmal pünktlich sein, die Rusch wollte schon wieder gehen – schloss er Grohl in die Arme, um anschließend unauffällig einen Schokoladenfleck, den Grohls strapaziertes Hemd auf seinem Leinenjackett hinterlassen hatte, zu beseitigen.

Nachwuchsredakteurin Marcella Rusch empfing Grohl ebenfalls mit offenen Armen, schwarzer Lesebrille und beidbäckigen Küsschen. Sie hatte aufgrund guter Verbindungen vor einem Jahr ein Volontariat beim Sender abgreifen können und sich aufgrund noch besserer Verbindungen als ihre fünf Konkurrentinnen vor sechs Monaten eine Halbtagsstelle als Redakteurin unter den Nagel gerissen. Ihre deutsch-brasilianischen Wurzeln verliehen ihr ein Aussehen, das ältere Kollegen dazu verleitete, sich in sambaerotischen Tagträumen zu verlieren. Angeblich um den Kontakt zur Basis nicht zu vernachlässigen, war sie bevorzugt mit Beleuchtern und Bühnenleuten liiert, man konnte sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass diese praktisch veranlagten Männer sich ihr in allen wichtigen Bereichen des Lebens bedingungslos unterordneten, eine Grundprämisse für eine funktionierende Beziehung mit Marcella Rusch.

Grohl, der sich am Personalautomaten im Flur einen scheußlich schmeckenden Pulverkaffee gezogen hatte – Konni versuchte gerade, die Belegschaft auf Mineralwasser umzupolen, und schritt als leuchtendes Beispiel mit esoterischen Gemeinplätzen seines Hausheilpraktikers voran –, ließ sich schwer in einen der orthopädisch ausgeklügelten Bürostühle fallen, der unter seinem Gewicht jegliche Feinabstimmung verlor und nur noch ums spontane Überleben kämpfte.

Okay, reden wir übers Törtchen!

Da die Tatorte seiner Erfahrung nach immer weichgespült wurden, nannte Grohl die Reihe mehr oder weniger liebevoll Tatörtchen, besser Törtchen.

Risotto blieb, wie so oft, Grohls hintersinniger Humor verborgen.

Du denkst wirklich nur ans Essen!

Grohl sah sich gezwungen, sein Wortspiel aufzuklären, war aber glücklicherweise bereits wach genug, um die Qualitätszusammenhänge wegzulassen. Jungredakteurin Rusch fand Törtchen süß und rückte die Lesebrille zurecht, die sie nicht aus medizinischen Gründen trug, sondern um ihrem Pennälergesicht einen etwas intellektuelleren Anstrich zu verleihen. Sie verkündete mit heiligem Ernst, dass sie die gewaltige Verantwortung für das neue, große, öffentlichrechtliche Werk heute ganz alleine schultern müsse, da Altredakteurin Neumann leider kurzfristig erkrankt sei, was Grohl sofort als durchsichtige Beschreibung für einen Alkoholexzess entlarvte, während die Rusch flötete, die erste Fassung sei ja schon überaus vielversprechend, man müsse dem Törtchen, um im Bild zu bleiben, nur noch ein Sahnehäubchen verpassen. Mit geheimnisvollem Lächeln zog sie einige Seiten Papier aus ihrer zu Unrecht harmlos wirkenden Beutelhandtasche und breitete sie so liebevoll wie ein Geburtstagspräsent vor Grohl auf dem Tisch aus. Gleichzeitig erschien auf ihrem nagelneuen chinesischen Tablet – das glaubt ihr gar nicht, wie günstig das war – dieselbe Liste mit den 153 redaktionellen Anmerkungen. Grohl überschlug im Stillen, dass die Besprechung dieser Punkte wenigstens 24 Stunden Zeit in Anspruch nehmen würde, und verfluchte die Unpässlichkeit der Altredakteurin, deren alkoholstrapazierte Leber Besprechungszeiten von maximal zwei Stunden und sechs Weißbierchen gestattete und deren Einwände man größtenteils mit Einverständnis suggerierenden Kommentaren wie, is ne Möglichkeit, kann man machen, muss ich drüber nachdenken, parieren konnte. Die Rusch hingegen forderte nach drei Schlucken Teinacher Medium konstruktive Vorschläge und Risotto ließ sich bereits von ihren ersten Stichpunkten mit weit gespreizten Beinen flachlegen und lechzte nach weiterer Befriedigung durch redaktionelle Kritik.

Grohl sah sich genötigt, ein schüchternes, du fandest es doch gut, in den Raum zu werfen, das Risotto mit einem strahlenden, du weißt doch, das Bessere ist der Feind des Guten, retournierte.

Grohl erinnerte sich an einen Dozenten an der Filmhochschule, der jede Drehbuchbesprechung mit dem Satz, ich finde alles gut, … bis aufs Buch, begonnen hatte. Dieser herzerfrischende Zynismus war der Rusch und Risotto völlig fremd. Mit geradezu religiösem, inbrünstigem Eifer zerfledderten sie Grohls Werk, hinterließen eine breite Spur moralinsaurer Zerstörung und glaubten dabei allen Ernstes, ihre hanebüchenen, sich fundamental widersprechenden Anmerkungen trügen zu einer kongenialen Verbesserung des vorliegenden Manuskripts bei.

Als Grohl bei Punkt 27, der auf einen Komplettumschrieb des gesamten Buchs hinauslief, nochmal in den mittlerweile vor Kreativität sprühenden Raum zu werfen wagte, Risotto habe das gestern noch völlig anders gesehen, erhielt er nur einen erstaunten Blick, gefolgt von dem bemerkenswerten Satz: Ich hab doch das Recht, meine Meinung mal zu ändern.

Grohl dachte an Olaf und seine zehn Gebote. Gebot Nummer drei lautete: Eine Meinung ist für einen Producer wie ein Hemd, das er mindestens dreimal täglich wechselt.

Mit stoischem Lächeln verfolgte er, wie aus seiner genialen Szene durch die Befindlichkeit der zuständigen Redakteurin innerhalb weniger Minuten eine ganz unfilmische wurde, wie seine eleganten Subtextdialoge, die er sich hier ausnahmsweise noch einmal gegönnt hatte, durch die Rusch in platteste Ansage verwandelt wurden, wie Risottos hilfreich gemeinte Äußerungen sein hervorragendes Buch zu einem stark bearbeitungswürdigen degradierten – in den allermeisten Fällen waren seine ersten Drehbuchfassungen die besten. Die Hauptarbeit des Autors bestand darin, durch geschicktes Taktieren bis zum Dreh möglichst wenig Qualität zu verlieren. Manche Autoren lamentierten, sie könnten froh sein, wenn zwanzig Prozent der ursprünglichen Qualität gedreht würden, ab fünf Prozent müsse man über ein Pseudonym nachdenken, was allerdings in den meisten Fällen die Eitelkeit der Chefetage so empfindlich störe, dass es ausgiebige Beschäftigungslosigkeit nach sich zöge. Zu diesen traurigen Gestalten zählte Grohl nicht. Er war stolz, zu den Auserwählten zu gehören, die mindestens zu dreißig Prozent verfilmt wurden.

Auf dem Flur waren mittlerweile servile Stimmen zu hören, durch die ehrerbietig aufgerissene Tür wurde die Ankunft ihrer Majestät, Annette Selmau, Tatorthauptkommissarin, Millionärsgattin, Feministin, Schauspielerin aus Berufung, Leidenschaft und Geltungsdrang, angekündigt.

In sportliche Weißtöne gekleidet eilte sie in den Raum, begrüßte Rusch und Risotto mit Küsschen, für Grohl tat es ein vom Personal Trainer optimierter Händedruck. Leider hatte sie nur zehn Minuten Zeit, ehe ein wichtiger Pressetermin ihre ungeteilte Aufmerksamkeit erforderte, und leider hatte sie auch keine Zeit gefunden, Grohls Buch zu lesen, aber Grohl könne ja pitchen.

Risotto sah ihn an wie den Weihnachtsmann, der die Geschenke verteilen soll. Grohl setzte an und wurde nach exakt sieben Wörtern unterbrochen: Boring! Very much boring!

Um ihre internationale Bedeutung zu unterstreichen – angeblich waberten bereits Angebote aus Hollywood durch ihre Agentur –, gefiel sich die deutsche Fernsehdiva im üppigen Gebrauch von Anglizismen. Im Klartext ging es weiter: Schmutzige, klauende Kinder! Dafür bin ich heute Morgen um acht in den Flieger gestiegen? Ihr habt sie ja nicht mehr alle!

Grohl versuchte, seinen Sarkasmus nicht allzu offensichtlich zu äußern: Ja, und der Clou ist, diese Roma-Kinder klauen nicht nur, die müssen ihren Arsch vermieten.

Das flasht mich nicht, emotional.

Ihre Hygienevorstellungen machten Annette schwer zu schaffen.

Klauende, schmutzige Kinder! Die sind mir so unsympathisch, da ist mir dann völlig egal, wem die was hinhalten.

Risottos handgemahlenen Espresso mit zartbitterem Abgang lehnte sie aus ethischen Gründen ab: Ist der auch safe Fairtrade? Ich esse und trinke nur noch Fairtrade!

Statt Risottos sündhaft teuren Espressos bekam sie nach der Aufwärmgymnastik eines Produktionsfahrers biologischen Kaffee zu einem garantiert fairen Spitzenpreis aus einem acht Kilometer entfernten Dritte-Welt-Laden, in Rekordzeit und unter Einsatz eines SUV-Firmenwagens dank kilometerlanger Staus und entsprechender Umwege mit einem Gesamtstreckenverbrauch von 12,5 Liter Diesel. Nach dem ersten Schluck entspannte sich ihr von Einschaltquoten und ständigem Erfolgsdruck geplagtes Gemüt.

Kinder finde sie ja prinzipiell gut, aber sie wolle ein Adoptivkind. Es könne schon krank sein, aber eher sowas Körperliches … nichts Ekliges natürlich, keine Kinderkrebsstation … aber so ne Kurzsichtigkeit. Das könne ganz schlimm sein für ein Kind.

Ich brauchte auch ne Brille, als ich sechs war, jetzt hat Gottseidank diese neue Lasertechnik bei mir funktioniert …

Voll spontanem Selbstmitleid wischte sie sich über die tiefseeblauen, leicht basedowschen Augen, die die Zielgruppe deutscher Mittelstandsmänner und Frauen jenseits der fünfzig so sehr an ihr schätzten. Ihr blonder Haarkranz, der an die Dreißigerjahre erinnerte und gerade wieder in Mode war – natürlich ohne jeglichen politischen Zusammenhang, Deutschland stand so fest in den Betonpfeilern seiner Demokratie wie noch nie –, wippte kreativ. Sie walzte Grohls Drehbuch wie ein blondbereifter Bulldozer in maximal drei Minuten nieder. Mit größter Selbstverständlichkeit stülpte sie ihr persönliches Schicksal über das Drehbuch. Ihre kleinbürgerliche Biografie passte auf ein Roma-Kind wie eine deutsche Vorabendserie in den Slum von Bukarest. Grohl klammerte sich wie ein Ertrinkender an seinen Pappbecher mit Automatenkaffee.

Wir könnten doch Fahrrad fahren, ich und mein Adoptivkind – Tandemfahrrad. Oder wir spielen Fußball!

Begeistert über ihren Vorschlag klatschte sie in die Hände.

Wir könnten zufällig den Nationaltorwart treffen und ein Benefiztorwandschießen für rumänische Kinder veranstalten!

Sie probierte einen weiteren Schluck Kaffee.

Ist der auch garantiert Fairtrade? Irgendwie schmeckt er fast zu gut dafür.

Grohl konnte sich nicht länger zurückhalten.

Den haben äthiopische Bürgerkriegskinder mit handgeschnitzten Prothesen gepflückt.

Risotto blickte ihn an, als habe Grohl ihm gerade seine Modelleisenbahn zerstört.

Die Stimme der Selmau bekam einen schrillen Ton, den sie vor ihrem Publikum wohlweislich vermied: Ich ertrage seinen Zynismus nicht. Ich ertrage ihn heute nicht!

Scheinbar zufällig, in Wirklichkeit von Risotto mit modernster geheimer Kommunikationstechnik gerufen, betrat Konni unter deutlicher Zurschaustellung seiner kürzlich optimierten Jacketkronen den Raum.

Mein Superstar!

Die Selmau ignorierte trotzig Konnis ausgebreitete Arme.

So brauchst du mir heute nicht kommen! Ich glaube, du weißt gar nicht, was in deiner Firma vor sich geht.

Vor Konnis Armen gab es kein Entrinnen.

Isch weiß alles, Schätzelschen. Komm her.

Doppelküsschen. Konnis graumelierter Pferdeschwanz, der jede Woche von einem hochkarätigen Coiffeur auf exakt die Länge zurechtgestutzt wurde, die Konnis Image des kreativen Produzenten am vorteilhaftesten zur Geltung brachte, wippte leicht.

Was hast du auf dem Herzen?

Ich tu alles für dich, Konni, das weißt du! Ich hab sogar den schrecklichen Biker-Tatort von diesem zuckersüchtigen Monster für dich gemacht.

Grohl blickte sich um, als könne nicht er gemeint sein. Die Selmau lief mittlerweile auf Hochtouren.

… Motorradführerschein, Rumprügeln, und jetzt soll ich mich auch noch an pädophilen Zigeunerkindern abarbeiten! Ihr habt doch alle einen Sprung in der Schüssel!

Sie war so aufgewühlt, dass sie sogar ihre sorgfältigst antrainierte politische Korrektheit verließ. Konni warf gespielte Empörung in den Raum.

Frankie, was machst du mit meiner Lieblingsschauspielerin?

Die Selmau unterbrach Risottos gestammelte Entschuldigungsversuche so rigoros wie ihre Tatortkommissare den selbstmitleidigen Hartz IV-Empfänger im Kreuzverhör.

Wieso schreibt Donald nicht?

Donald war der amerikanische Erfolgsautor, den alle wie einen Guru verehrten.

Du weißt doch, Donald schreibt bereits den Bankenmehrteiler für disch.

Konni schickte ein strahlendes Lächeln in die Runde.

Isch kenne alle deine Konkurrenzprojekte. Vor allem die mit Wolfi Busse.

Die Selmau touchierte neckisch seinen Oberarm.

Ach du! Tu mir den Gefallen und rede mit Donald. Ich muss da endlich mal wieder richtig sympathisch rüberkommen …

Grohl malte sich genüsslich eine blondgelockte, sympathische Investmentbankerin zur Hauptsendezeit aus. Die Selmau bestrafte sein hintergründiges Lächeln.

Dieser Autor kann doch nix außer Kuchen essen! Das nächste Drehbuch schreibe ich selber.

Du hast carte blanche, Schätzelschen, aber die Kommissarin musst du mir machen, dann hab isch nächstes Jahr die Rolle für disch.

Konni wartete, bis die Selmau vor Erwartung anfing zu schlucken.

Leni Riefenstahl!

Anni war enttäuscht.

Die alte Nazibraut? Die will doch keiner sehen.

Das siehst du zu eindimensional. Das war eine hochbegabte Frau.

Charmanter Augenaufschlag.

Selbst der Führer war verliebt in sie.

Echt?

Ja. Und sie hat ihre Stellung benützt, um sisch für Juden und Roma-Kinder einzusetzen.

Die Selmau witterte auf Anhieb das emotionale Potenzial.

Das hört sich ja spannend an …

Konni blinzelte Grohl vielsagend zu.

Sie hat alles getan, um möglichst viele Roma-Kinder zu retten, ehrlisch.

Deutschlands beliebteste Fernsehkommissarin verfiel wie auf Knopfdruck in den talkshowtauglichen Mitfühlmodus.

All diese furchtbaren Schicksale – das geht einem immer wieder zu Herzen.

Grohl war sich ziemlich sicher, irgendwo gelesen zu haben, dass die Riefenstahl für einen ihrer Filme Roma als Statisten benutzt und anschließend keinen Finger gerührt hatte, um sie vor der Gaskammer zu bewahren. Er malte sich die Szene in Konnis Film aus. Eine schluchzende Riefenstahl, die, nachdem sie vergeblich versucht hatte, »ihre Zigeunerkinder« mit einer herzzerreißenden Ansprache beim Führer zu retten – natürlich nicht unter Einsatz ihrer körperlichen Reize, denn das hätte ja die Hauptfigur beschädigt, eine öffentlich-rechtliche Hauptfigur schläft nicht mit dem Führer –, vor einer günstig postierten Marienstatue auf die Knie fiel und schmerzerfüllt bis in die Zehenspitzen ausstieß: Ich hätte mehr tun müssen!

Konni schützte sie mit seinen allumfassenden Armen vor weiteren unbotmäßigen Reaktionen Grohls und bugsierte sie zur Tür. Die Selmau konnte ihre Erfolgsgeilheit nur unzureichend hinter Bescheidenheit verbergen: Wenn ich euch bei der Beantwortung schauspielspezifischer Fragen irgendwie helfen kann. Für die Riefenstahl lass ich sogar meinen Flieger sausen …

Konni nickte gnädig. Er und seine Topschauspielerin entschwanden in schönster, fotografengerechter Eintracht, die Rusch witterte ebenfalls mediale Aufmerksamkeit und folgte in ihrem Kielwasser. Inhaltlich war plötzlich alles gesagt.

Aus dem Nebenraum hörte Grohl Konnis Stimme: Claudia, hast du mir schon für Juni auf der »Aurora« gebucht?

Die »Aurora« war das reale Pendant zu Grohls Albtraum. Das Kreuzfahrtschiff, auf dem sich einmal im Jahr die Chefetage aller Sender zum kreativen Austausch einfand. Konnis Juniorproducerin Claudia sagte etwas Undeutliches, worauf Konnis Stimme ungehalten wurde: Isch will dieselbe Suite wie das letzte Mal, aber mit neuem Teppischfußboden.

Kurzes, meckerndes Lachen.

Den alten hab isch etwas versaut.

Die Selmau stimmte in Konnis Gelächter ein.

Risotto schloss die Tür mit einem leise schmatzenden Laut.

Grohl leerte mit einem Seufzer der Erleichterung den letzten Rest von Annis Fairtrade-Kaffee. Der schmeckte in der Tat ausgezeichnet.

Wer schreibt jetzt eigentlich den Riefenstahlstoff?

Risotto warf ihm einen ungnädigen Blick zu. Er hatte bei der Besprechung nicht gut ausgesehen, Konnis Strafgericht würde über ihn kommen und das nahm er Grohl übel.

Du nicht … komm mal ausm Quark. Biet mir was Geiles an.

Hab ich doch! Die Neumann findets gut. Wieso hat diese dumme Jungtusse hier plötzlich das große Sagen?

Vorsicht Grohl! Frauenfeindliche Äußerungen sind – wie immer, wenn er etwas von grundsätzlicher Bedeutung zu sagen hatte, begann Risotto zu singen – out of time!

Er fand zur Sprechstimme zurück.

Mal ehrlich! Diese Pädophilennummer, viel zu dirty! Wir sprechen von Annette Selmau. Unserer keimfreien Millionärsfrau!

Grohl fragte sich, warum Annette Selmaus Vermögensverhältnisse zwar intern dauernd angesprochen, aber noch nie in einem öffentlichen Artikel thematisiert worden waren. Wahrscheinlich sorgte Annis Gatte, ein windiger Investmentberater, nur bei Berücksichtigung bestimmter Tabus für die ganzseitigen Anzeigenformate seiner zahlungskräftigen Kundschaft in Deutschlands Medienarena. Risotto unterbrach Grohls Gedankengänge mit einem neuen Highlight.

Kleine Kinder, die arschgefickt werden, das ist doch eklig. Selbst wenns Zigeunerkinder sind.

Er leckte sich kurz über die schlangengleich geschwungenen Lippen, als fände er den eben geäußerten Rassismus so delikat wie einen erlesenen Schluck Weißwein. Grohl wusste, er tat ihm Unrecht. Risotto war sich des Inhalts des eben Gesagten ebenso wenig bewusst wie all der anderen Lügen und Halbwahrheiten, die er während der letzten zwanzig Minuten abgesondert hatte. Er genoss, wie die meisten seiner Kollegen, hemmungslos alle Vorteile einer selektiven Amnesie. Alles, was unangenehm war oder ihm nicht zum Vorteil gereichte, wurde konsequent ausgeblendet. Jetzt begann er, dramaturgisch zu denken – das Schlimmste, was Grohl passieren konnte.

Wir brauchen was Einfaches, Archaisches … einen Banküberfall.

Wer ist denn heute noch so bescheuert und überfällt ne Bank?

Viele. Mehr als du denkst.

In ner Bank is nix mehr drin. Zeitschlösser …

Is doch egal.

Risotto verkündete die nächste Zeile wieder singend: Wir machen Fiction!

Grohl wiegte den schweren Schädel.

Ganz neu ist die Idee nicht.

Da muss man eben was Besonderes draus machen. Den emotionalen Zugang schaffen. Hast du an der Filmhochschule nicht aufgepasst?

Grohl lächelte gequält. Er fühlte sich zu schwach, um Risottos weitere Gedankengänge aufzuhalten. Die Katastrophe nahm ihren unvermeidlichen Lauf.

Risotto entwickelte in haarsträubender Geschwindigkeit die Idee von einem Bankräuber, der den Überfall nur machte, um seinem Kind die überlebensnotwendige Herzklappenoperation bezahlen zu können.

Sein Eifer schnürte Grohl die Kehle zu.

Der Böse soll nicht nur böse sein, verstehst du?! Das hat übrigens Joseph gesagt …

Er sprach den Namen betont Englisch aus. Bei Joseph handelte es sich um einen der amerikanischen Drehbuchgurus. Grohl und sein Partner Olaf hatten die These aufgestellt, dass diese Menschen von der amerikanischen Filmindustrie bezahlt wurden, um die Deutschen bis zum Jüngsten Tag von Qualität fernzuhalten. Wenn es ein Plan war, so war er in vollem Umfang aufgegangen.

Grohl seufzte schicksalsergeben.

Na dann ist das Buch ja so gut wie fertig.

Du sagst es!

Risotto fand umgehend zu seiner guten Laune zurück.

Vielleicht können wir sogar das Benefiztorwandschießen für das herzkranke Kind einbauen. Konni hat gute Connections zu Jogi …

Risotto überlegte, wie er seinen kreativen Schub für einen kleinen Karrieresprung innerhalb der Firma nutzen könnte.

Eigentlich sollte ich deine Gage kriegen.

Seinem Lächeln fehlte noch der vollendete Charme seines Chefs.

Denk an die Deadline!

Grohl ging, beladen mit der Idee einer kinderliebenden Kommissarin und eines emotional aufgeladenen Banküberfalls, nach Hause. Risottos Idee bedeutete einen Komplettumschrieb des Buchs in zehn Tagen. Grohl versorgte sich mit 23 Schokoriegeln und 13 Litern Cola Light.

Das Albtraumschiff

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