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Ich – Steiger.

Ich bin ein Mensch, der einen guten Job macht.

Nein, ich glaube das nicht, ich weiß es.

Chefredakteure müssen über ein eindeutiges Wertesystem verfügen, ohne Ideologie, ohne den Gedankenkrampf der linken Spinner, der Cannabis-Raucher, der Weltverbesserer, der mutlosen liberalen Romantiker, der Alt-68er und der Neu-68er.

Hinzu kommen die Gewerkschafter. Ich kann längst darauf wetten, wer von Ihnen als erster seinen Arm hebt, um die ewig-gleiche Negation gegenüber den von mir vertretenen Programmrichtlinien aufzusagen. In solchen Versammlungen kommt Todessehnsucht auf.

Wir sollten endlich darauf verzichten, in unseren Programmen Musik zu spielen, die meinen Hund zum Jaulen bringt. Weshalb auch so viele Neutöner in unserem Klassikprogramm statt Barockmusik oder auch – in Gottes Namen – Musik der Romantik, wobei ich die privat nicht hören will. Aber keiner hat den Mumm, diese Affenmusik zu stoppen.

Es ist schon notwendig, gelegentlich etwas grob mit den Woodstock-Haschern und den jungen Naiven umzugehen, damit sie endlich kapieren, dass ihnen der Rundfunk nicht gehört. Wir leben in Bayern, und in Bayern gibt es klare Regeln. Wir senden nicht, was uns gefällt: Wir senden, was dem Publikum gefällt.


Endlich war Steiger Chefredakteur und Leiter des Programmbereichs Politik, Wirtschaft und Aktuelles geworden. Das tat ihm gut. Nun könnte er eigentlich im aufrechten Gang durch die Flure im Funkhaus, im Bayerischen Parlament, in den Parteizentralen und in den Bierzelten gehen, aber er zog seinen Kopf immer noch zwischen seine Schultern, ganz so, als erwarte er einen Hieb auf sein kahlköpfiges Haupt. Der will geprügelt werden, hatte schon früher ein Kollege in einer Sitzung seiner Nachbarin zugeflüstert, der hat eine masochistische Prägung. Tatsächlich wurde Steiger in den Redaktionskonferenzen der Chefredaktion wie auch in den allgemeinen Konferenzen in den Debatten gröber, lauter, direkter attackiert als andere. Er rechnete sich dem um den Ministerpräsidenten gegründeten Verein für deutliche Aussprache zu.

Spitzte sich der Streit über Themen, Programmplätze für Sendungen und politische Entwicklungen im Freistaat Bayern zu, lebte Steiger auf. Er zog dann seinen Kopf noch tiefer ein – wie eine uralte Schildkröte, die mit wachen Augen aus einer halben Sicherheitsposition das Geschehen beobachtet, listig, misstrauisch, auf der Hut, aber ganz anders als junge Schildkröten, die vor jeder Gefahr ihren Kopf blitzschnell komplett in ihren Schutzpanzer zurückziehen.

Steiger fürchtete sich aber nicht. Er ging in Lauerstellung. Hatten sich in der Debatte sichtbare Lager gebildet und sich ineinander verhakt, bellte er dann meist zurück. Teilte aus. Stieß auch mal tumbe Parolen hervor. Er argumentierte selten, er behauptete. Die Welt ist kompliziert. Da bedarf sie solcher Klartext-Denker.

Dabei war er, wie Wolff schon früher festgestellt hatte, intelligent, gut informiert und dennoch Lichtjahre von jeder Intellektualität entfernt. Zudem war der Chefredakteur ein meisterhafter Netzwerker und Mitglied der »einzig-richtigen Partei in Bayern«, was ihn nicht hinderte, bei öffentlichen Auftritten über das Verfassungsgebot der Staats- und Parteienferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu schwadronieren und die Unabhängigkeit seines Senders gegenüber jeglichem Versuch einer Einflussnahme, komme sie von Parteien oder Interessensgruppen, heldenhaft zu verteidigen. Zu Wochenbeginn saß er aber wieder in der Parteizentrale. Man hatte sich dort ja viel zu sagen. Was spricht denn gegen einen Gedankenaustausch?


Ich – Steiger.

Ich weiß doch genau, dass die wichtigen Entscheidungen in der Rundfunkgebührenfrage und bei Personalbesetzungen für Führungsämter nicht im eigenen Haus, sondern in der Parteizentrale, in der Staatskanzlei und im Landtag getroffen werden. Da ist es doch völlig logisch, dass ich da lieber dabei bin, statt von außerhalb zuzusehen, was sich ereignen wird.

Mich nervt das Geschwätz von Parteiunabhängigkeit. Die Kolleginnen und Kollegen, die sich einer Parteimitgliedschaft verweigern, weil sie diese für Mitarbeitende im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ablehnen, sind die schlimmsten. Sie sind Partei, sie sind knallharte Opposition in der Fraktion der Parteilosen. Da ist mir sogar ein Sozialdemokrat lieber, weil der berechenbar ist. Weil er verlässlich ist in seiner Ohnmacht. Es sind ja nicht die Dümmsten, die das Parteibuch der SPD besitzen.

Ich halte viel davon, große Projekte mit der Politik abzustimmen. Wir sind für Bayern da, nicht gegen das Land. Wir stehen doch glänzend da im Freistaat. Das soll uns erst einmal jemand nachmachen. Es gibt allerdings schon ein wirkliches Problem: Ich bin nicht der einzige, der sich der einzig-richtigen Partei zugehörigfühlt. Auf meiner Ebene gibt es noch zwei andere, die ständig um den Ministerpräsidenten und sein Kabinett herumschwänzeln – bei Parteitagen, bei Pressekonferenzen, an denen sie teilnehmen, ohne selbst zu berichten. Da muss man aufpassen. Aber ich glaube, dass ich die besseren Connections habe. Kopf einziehen und abwarten. Ihr werdet schon sehen, wo Ihr bleibt.


Im letzten Jahr hatte der Ministerpräsident zugesagt, sich in der Redaktionskonferenz den Fragen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus fast allen Redaktionen zu stellen. Die Tür des überfüllten Sitzungsraumes wurde geöffnet, und die Delegation trat ein. An der Spitze der Hörfunkdirektor, hinter ihm die massige Gestalt des Ministerpräsidenten, begleitet von seinem Persönlichen Referenten, der schwer an einem schwarzen Aktenkoffer trug. Neben ihm der Leiter der Pressestelle in der Staatskanzlei, blauer Zweireiher mit Weste, schließlich Chefredakteur Steiger. Heute hatte er sich für seinen Trachtenjanker entschieden, links unter dem Hirschhornemblem hatte er sich die Rosette des Bayerischen Verdienstordens eingeknöpft. Ihre weiß-blaue Auffächelung kontrastierte schroff mit den Grün-Rot-Leisten auf dem Stehkragen des hellgrauen Jankers, wies immerhin aber signifikant die Bedeutung des Chefredakteurs aus, der das Redaktionsgespräch moderieren sollte. Die Ordensrosette war weniger als optisches Signal für die Konferenz bestimmt als vielmehr für den Ministerpräsidenten und seine beiden Begleiter. Man war ja fast unter sich. Das galt es auch zu zeigen. Steiger knöpfte an jedem Morgen die Rosette des Verdienstordens in das Revers seines Tagessakkos, auch in karierte Jacken. Wenn für den Abend ein Empfang im Terminkalender vermerkt war, steckte der Chefredakteur die Rosette in den dunkelblauen Blazer. Der Orden war schließlich kein unverdientes Geschenk, sondern Ausweis für herausragende Leistungen, die er für den Staat und die Gesellschaft erbracht hatte.

Steiger zog seinen Kopf noch tiefer zwischen die Schultern, begrüßte die Gäste, verzichtete aber darauf, die anderen Führungskräfte des Hauses vorzustellen. Wer für ihn und die einzig-richtige Partei wichtig war, den hatte der Ministerpräsident schon in der Runde entdeckt und ihm oder ihr kaum merklich zugenickt. Wer auf der Fensterbank saß, musste noch enger zwischen seinen Nachbarn zusammenrutschen, weil Nachzügler kamen, für die es zunächst keinen Platz mehr zu geben schien. Die Luft im Sitzungszimmer wurde stickig, aber die Fenster durften nicht geöffnet werden. Darauf hatten die Sicherheitsbeamten, die vor der Tür warteten, zuvor ausdrücklich hingewiesen.

Die erste Frage in der Redaktionskonferenz stellte selbstverständlich der Chefredakteur. Der Hörfunkdirektor lehnte sich zurück, als ginge ihn die Veranstaltung nichts an. »Herr Ministerpräsident«, sagte Steiger, »können Sie zu Beginn, bevor wir die Fragerunde für die Redakteurinnen und Redakteure unseres Hauses eröffnen, vielleicht kurz ihren außenpolitischen Ansatz skizzieren? Sie sind ja bekannt dafür, einen anderen Weg zu verfolgen als die Bundesregierung …«

Der Ministerpräsident, dessen mächtiger Kopf direkt den Schultern zu entwachsen schien, pumpte sich auf, und er begann, seinen außenpolitischen Ansatz zu skizzieren, der ihn nachweislich von der völlig unfähigen Außenpolitik der Bundesregierung unterschied. Er dozierte, ohne eine Zwischenfrage zuzulassen, fast eine Stunde. Sein Ton wechselte zwischen einer sarkastischen, süffisanten und nicht frei von Selbstironie kolorierten Sprache und einem Stil der unterschwelligen Bedrohung und Einschüchterung, die all jenen galt, deren – falls überhaupt vorhandene – Intelligenz die Welterfahrung des Regierungschefs infrage stellen könnte.

Wir werden auf jeden Fall!

Sie sollen es bald begreifen!

Dann merkt es der letzte Depp im Land!

Wir in Bayern!

Geisteszwerge!

Ideologen und Verblendete!

Erkenntniskrüppel!

Verkümmerte Akademiker!

Kein Geschichtsbewusstsein!

Das Land säubern!

Zunehmend wurde die Unruhe in der Konferenz spürbar. Oskar Kokoschkas Lithographien an den Wänden des Sitzungszimmers boten kaum Ablenkung, es wurde Zeit, in die Redaktionen zurückzukehren, um die Mittagssendungen und die Produktionen des Nachmittags in den Studios vorzubereiten. Der Persönliche Referent des Ministerpräsidenten suchte in seinem Aktenkoffer einen Terminkalender. Er räusperte sich leise und flüsterte dem Regierungschef zu, möglichst zum Ende zu kommen. Die heutigen Termine in München und auch außerhalb der Landeshauptstadt waren bis weit in die Nacht hinein geplant, es wurde wirklich Zeit.

Steiger bedankte sich beinahe devot für das intensive Gespräch in der Redaktionskonferenz seines, nein: unseres Senders, erklärte, dass seine Kolleginnen und Kollegen endlich ihrer Arbeit nachkommen sollten, stand auf und rückte den Sessel des Ministerpräsidenten zurück, damit dieser seinen Platz verlassen konnte.


Ich – Steiger.

Ich fand es prima, als der Ministerpräsident seinen Persönlichen Referenten zusammenstauchte: Die Termine mache ich! Nicht Sie! Und zu mir sagte er: Ich komme noch mit in Ihr Büro. Ich muss mit Ihnen noch ein paar Personalien besprechen.

Ich bewundere heute noch den Ministerpräsidenten dafür, dass er über allen Terminen sein Lebensgefühl nicht vergaß. Wenn es ihm gefiel, dann saß er, und wenn er saß, dann saß er lang. Ich glaube, dass wir drei Flaschen Wein zusammen tranken. Es wurde 15 Uhr, es wurde 16 Uhr. Immer wieder steckte sein Persönlicher Referent den Kopf zur Tür herein und der Ministerpräsident verscheuchte ihn sofort: Absagen! Alles absagen! Da kann ein anderer hinfahren. Jetzt stören Sie nicht alle paar Minuten.

Wir waren uns in fast allem einig. Der Ministerpräsident war ausgezeichnet informiert über unser Haus und seine Führungskräfte, und ich schwöre, dass er dies alles wusste, bevor ich mich dazu äußerte. Irgendwann musste er doch ein wichtiges Telefongespräch führen, deshalb bot ich ihm den Sessel hinter meinem Schreibtisch an. Es war die Gelegenheit, endlich zur Toilette am Ende des Gangs zu eilen, dort aber standen die Männer seiner Sicherheitsgruppe und sagten: Die Toilette ist gesperrt: für den Ministerpräsidenten. Da musste ich denen erklären, dass ich als Chefredakteur sein Gastgeber sei, und dass ich auch sofort die Toilette wieder verlassen würde. Das akzeptierten sie. Aber beeilen Sie sich!

Als ich am Nachmittag den Ministerpräsidenten über die spiralförmige Treppe im denkmalgeschützten Empfangsgebäude des Funkhauses zum Haupteingang begleitete, entdeckten wir beide zeitgleich eine kleine Gruppe von Demonstranten auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Es war uns völlig egal, wofür oder wogegen diese Arbeitsverweigerer am helllichten Tag demonstrierten. Der Ministerpräsident flüsterte mir zu: Mit einem MG wäre dieser Spuk ganz schnell beseitigt. Dummerweise flüsterte er so laut, dass der Redaktionsleiter der Außenpolitik diese Bemerkung hörte und später in infamer Weise verbreitete. Das ist doch ekelhaft.

Ich weiß schon, weshalb ich diesen jüngeren, keineswegs schlechten Redaktionsleiter auf seinem Karriereweg ausgebremst habe. Du musst nur brutal draufschlagen, dann kommen sie später winselnd angekrochen. Na ja, zur blauen Stunde kommt er oft in die Chefredaktion und trinkt mit mir eine Flasche Wein. Das muss ja möglich sein unter Kollegen.


Wenn sie saßen, dann saßen sie sehr lang.

Sie stritten. Sie lachten. Sie wurden laut und sie wurden grob. Danach öffneten sie eine neue Flasche. Im Kühlschrank Steigers lagerten fast immer Flaschen mit dem Frankenwein »Würzburger Stein« aus der Staatlichen Weinkellerei in Würzburg und einige Flaschen »Hambacher« aus der Pfalz – ein Weißwein, der so rein war, dass eine große Menge getrunken werden konnte, ohne dass jemals eine wahrnehmbare Einschränkung der Trinker durch den hohen Alkoholkonsum beobachtet wurde.

In diesen Stunden wurden Programmstrukturen eingerissen und neu entwickelt, Personalentscheidungen revidiert und Mitarbeiter degradiert, Führungspositionen aufgeteilt und gegenseitige Vorwürfe vorgebracht: Je lauter, desto ehrlicher. Steiger liebte es, wenn sein Gegenüber ihn anbrüllte. Er erwiderte wenig, weil ihm nichts einfiel, aber er registrierte genau – mit eingezogenem Kopf und dem Blick von unten –, wer bei ihm saß. Steiger hatte ein Gedächtnis wie ein Elefant. Nur manchmal wusste er nicht, wofür ein solches Gedächtnis nützlich war. Aber wenn er mit seinen Parteifreunden zusammensaß, verstand er, dass Erinnerungsvermögen und präzise Wahrnehmung ideale Voraussetzungen dafür sind, in den politischen und medialen Netzwerken zu überleben. Und darüber hinaus: nützlich und erfolgreich zu sein. Zum Wohl des Staates, der Partei und zum eigenen Wohl.

Teufelsgasse

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