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3.6 Verfahrensbrief (Process Letter)

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Im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Informationsmemorandum erhalten die Bieter einen ersten Verfahrensbrief (Process Letter I). Darin wird der zeitliche Ablauf des Auktionsverfahrens bis zum indikativen Angebot einschließlich einzuhaltender Regeln und Fristen beschrieben und es wird den Bietern aufgegeben, welche Angaben das indikative Angebot enthalten muss (typischerweise sind dies der indikative Kaufpreis, seine Ableitung aus dem indikativen Enterprise Value,279 die strategischen Pläne des Bieters für die Zielgesellschaft, vom Bieter etwa erwartete weitere Vollzugsvoraussetzungen und Angaben zur Finanzierung der Transaktion280).

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Ab einer gewissen Transaktionsgröße ist es üblich, in einem zweiten Verfahrensbrief (Process Letter II) der kleinen Anzahl von Bietern, denen Zugang zum Datenraum gewährt wird, den Ablauf des Verfahrens und die einzuhaltenden Regeln (einschließlich gesonderter Datenraumbenutzungsregeln) und Fristen bis zur fristgemäßen Abgabe des sog. bindenden Angebots (Binding Offer) zu beschreiben. Erwartet der Verkäufer den Abschluss einer W&I-Versicherung,281 wird er den Bietern die von ihm eingeholten Angebote der W&I-Versicherer mit dem Process Letter II übersenden und von den Bietern verlangen, dass diese in ihrer Binding Offer bestätigen, eine Käuferpolice abzuschließen.282

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Juristisch bindend sind diese „bindenden“ Angebote regelmäßig nicht, wenngleich dies im Einzelfall auch ausnahmsweise anders sein kann (beim Verkauf von GmbH-Anteilen muss das ausnahmsweise auch juristisch bindende Angebot dann auch notariell beurkundet sein283). Das sog. bindende Angebot muss in der Regel den angebotenen Kaufpreis und seine Ableitung aus dem Enterprise Value enthalten. Darüber hinaus erwartet der Verkäufer regelmäßig Angaben dazu, ob und welche kartellbehördlichen Genehmigungen nach Einschätzung des Bieters zum Vollzug vorliegen müssen und ob es weitere regulatorische Genehmigungserfordernisse (etwa bei Banken und Versicherungen im Rahmen der Inhaberkontrolle durch die BaFin oder, bei unionsfremden Käufern, solche nach dem Außenwirtschaftsrecht) gibt. Schließlich hat der Bieter üblicherweise den vom Verkäufer vorgeschlagenen Entwurf des Unternehmenskaufvertrags (und manchmal auch die vom Verkäufer vorgelegten Entwürfe wesentlicher Begleitverträge, etwa Vertriebskooperationsverträge oder Service-Verträge) in überarbeiteter Fassung als Mark-Up dem bindenden Angebot beizufügen. Dem kann in geeigneten Fällen ein Telefonat zwischen Verkäufer und Bieter (und den jeweiligen anwaltlichen Beratern) vorangehen, in dem der Verkäufer den Kaufvertragsentwurf und die Bedeutung bestimmter Regelungen für die Verkäuferseite erläutert.

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Typisch für die Verfahrensbriefe sind ausdrückliche Vorbehalte des Verkäufers dahingehend, die von ihm beschriebenen Regeln des Auktionsverfahrens jederzeit einseitig ändern zu können. Solche Änderungsvorbehalte beziehen sich insbesondere darauf, (i) ohne Angabe von Gründen Fristen verkürzen oder verlängern zu dürfen, (ii) neue Bieter in das Verfahren aufnehmen und umgekehrt Bieter daraus ausschließen zu dürfen, (iii) nach Belieben des Verkäufers darüber zu entscheiden, mit welchem/welchen Bietern er verhandelt, (iv) die Verhandlungen auszusetzen oder abzubrechen und (v) frei darüber entscheiden zu dürfen, welche Informationen er (welchen Bietern) zur Verfügung stellt.284 Veröffentlichte Rechtsprechung dazu, ob solche Änderungsvorbehalte wirksam sind, ist nicht ersichtlich. Nach wohl vorherrschender Meinung liegt dann eine unangemessene Benachteiligung der Bieter nach § 307 BGB vor, wenn diese Regelungen in den Verfahrensbriefen als AGB qualifizieren und die Änderungsvorbehalte auch ohne sachlichen Grund (in Gestalt unvorhersehbarer Änderungen der Zielgesellschaft oder des Marktumfeldes) eine einseitige Änderung des Verfahrensablaufs erlauben. Zudem müssten sämtliche Bieter von der Änderung des Verfahrens informiert werden, damit alle Bieter darauf reagieren können und nicht versehentlich z.B. wegen Ablaufs einer verkürzten Frist aus dem Verfahren ausscheiden.285 AGB-Qualität dürften diese Regelungen in den Verfahrensbriefen angesichts der strengen allgemeinen Maßstäbe der Rechtsprechung zu AGB286 regelmäßig haben, da alle und regelmäßig eine Vielzahl von Bietern den Verfahrensbrief erhalten.287 Allerdings sind die Bieter nicht schutzwürdig und es liegt keine unangemessene Benachteiligung vor. Denn der Verkäufer verhindert durch den Änderungsvorbehalt von vornherein das Entstehen schutzwürdigen Vertrauens.288 Folgt man der wohl vorherrschenden Meinung, käme bei freien Änderungsvorbehalten eine geltungserhaltende Reduktion (da AGB) nicht in Betracht. Will man vorsorglich den Änderungsvorbehalt so formulieren, dass er auch den Anforderungen der herrschenden Meinung genügt, ist die Verfahrensänderung an einen sachlichen Grund zu knüpfen. Vorbehalte, die Bieter hinsichtlich ihrer Information unterschiedlich behandeln zu dürfen, begegnen keinen Bedenken. Es gibt keine gesetzliche Grundlage, die das Informationsverhalten des Verkäufers entsprechend beschränken könnte.289 Selbst wenn dies anders wäre, käme eine Haftung des Verkäufers wegen unterschiedlicher Information nach den §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB nicht in Betracht. Denn ein Bieter konnte wegen des ausdrücklichen Vorbehalts kein entsprechendes Vertrauen, das Grundlage einer solchen Haftung sein müsste, entwickeln.290

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Bei einem Dual Track kann es empfehlenswert sein, zusätzlich zu dem gerade beschriebenen Änderungsvorbehalt den ausdrücklichen Vorbehalt aufzunehmen, dass der Verkäufer den Prozess jederzeit ohne Angabe von Gründen abbrechen kann und keine Verpflichtung besteht, das höchste von Bietern eingereichte Angebot anzunehmen.291 Dadurch kann bei einem Bieter schon kein schutzwürdiges Vertrauen entstehen und er wird nicht unangemessen benachteiligt, sodass ein solcher Vorbehalt nach der hier vertretenen Auffassung wirksam ist. Möchte man vorsichtiger beraten, sollte der Vorbehalt an einen sachlichen Grund, hier den des alternativ durchgeführten IPOs, anknüpfen.

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Empfehlenswert können zudem Vorbehalte sein, den Bieter auszuschließen, wenn er ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verkäufers ein Bieterkonsortium begründet hat oder eine exklusive Bindung mit Finanzierungspartnern eingegangen ist.292

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Schließlich enthalten Verfahrensbriefe regelmäßig Hinweise darauf, dass sie keine Verkaufsangebote darstellen (der Verkäufer also insbesondere nicht verkaufen muss), Bestimmungen des anwendbaren Rechts und eine Gerichtsstandsklausel.

279 Dazu unten Rn. 768ff. 280 Rosengarten, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, § 3 Rn. 16. 281 Dazu unten Rn. 1181. 282 Hensel/Namislo, BB 2018, 1476. Weitere Einzelheiten zum Ablauf des Abschlusses einer W&I-Versicherung (auch im Kontext von Bieterverfahren) unten Rn. 1193ff. 283 Dazu Rosengarten, in: Meyer-Sparenberg/Jäckle, Beck’sches M&A-Handbuch, § 3 Rn. 16. 284 Vgl. Louven/Böckmann, ZIP 2004,445, 450; Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 18ff. 285 Vgl. Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 23 m.w.N.; Haberstock, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 1345f.; Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 286 Dazu Grüneberg, in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 305 BGB Rn. 2ff. 287 Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 288 So schon Louven/Böckmann, ZIP 2004, 445, 450; a.A. und einen sachlichen Grund fordernd: Haberstock, in: Holzapfel/Pöllath, Unternehmenskauf in Recht und Praxis, Rn. 1345f.; Habersack/Schürnbrand, in: FS Canaris, S. 359, 366f. 289 Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 27 m.w.N. 290 Schöne/Uhlendorf, in: Mehrbrey, Handbuch Streitigkeiten beim Unternehmenskauf, § 7 Rn. 27 m.w.N. 291 So die Empfehlung von Schneider/Lung, in: Jesch/Striegel/Boxberger, Rechtshandbuch Private Equity, § 21 Rn. 62. 292 Dazu im Kontext von Vertraulichkeitsvereinbarungen oben Rn. 107.

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