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Zwischen dem Haupthaus, Stallungen und sonstigen Gebäuden, bei denen es sich überwiegend um Speicher sowie Werk- und Wohnstätten für das Gesinde handelte, war der zentrale Platz des neuen Fürstenhofes voller fröhlicher und geschäftiger Menschen, denn das erjagte Wild wurde zerlegt und verarbeitet. Ein großes Fest stand an, das die erfolgreiche Jagd feierte, aber auch den kommenden Frühling begrüßte. Ein Tag der Freude und der Zuversicht, den Herzog Gosbert alljährlich wiederholen ließ, seit ihm sein Sohn und Nachfolger Hetan geboren worden war. Ein jeder der Gefolgsleute des Ortes war willkommen und durfte sich an Speisen und Trank laben. Und von Jahr zu Jahr kamen sie zahlreicher, da sich zunehmend auch die Leute aus den Dörfern und größeren Villari der Umgebung an diesem besonderen Tag auf den Weg zu ihrem Fürsten machten.

Gosbert war ein beliebter und geachteter Landesherr. Seine Urteile waren gerecht, die geforderte Fron nicht zu hoch, der gewährte Schutz gegen immer wieder einfallende Slawen oder sogar Awaren, wer konnte das schon so genau sagen, war ein verlässlicher. Das Fest der ersten Jagd des jungen Jahres galt den Menschen als wiederkehrende Erneuerung ihres Paktes mit der treulich sorgenden Führung durch ihren Herrn. Es wurde ausgelassen gefeiert, die neu geborenen Kinder des vergangenen Jahres wurden von Gosbert in seine Herrschaft aufgenommen, die jungen Verbindungen zwischen Mann und Frau zeremoniell durch das Fürstenpaar bestätigt. Die Neue Jagd war in kurzer Zeit bereits zu einem der beliebtesten Ereignisse in Gosberts Herzogtum am äußersten Rand der fränkischen Reiche geworden. An seinem Ende setzten das Herzogspaar und die Druiden zur ausgehenden Nacht an der Spitze des Volkes über ihren Fluss, den Moenus, über und erklommen den Vidrisberg oder Virteberg, wie er auch genannt wurde, welcher dem Ort einst seinen Namen gab. Dort entzündeten die Druiden schließlich am Heiligtum ein großes Feuer, dessen Glanz und Rauch die Menschen in eine ekstatische Trance versetzte, damit alle Furcht vor zukünftiger Not, Krankheit und natürlich dem gemeinen Hader von ihnen abfiel. Aber noch war es nicht soweit.

„Du darfst kein trächtiges Wild erjagen und auch kein einjähriges Kalb“, sagte Gosbert gerade zu einem jungen Gefolgsmann mit Blick auf ein Rotwild, dem beim Ausweiden gerade ein Fötus herausgeschnitten wurde. „Das ist schlecht für den Fortbestand des Jagdwilds.“

„Aber Herr, wie soll ich erkennen, dass es trächtig ist? Ich wusste es nicht, als ich den Pfeil abschoss.“

„War nicht der Hirsch wachsam in der Nähe? Durfte es nicht vom jungen Grün oder anderem äsen, während die übrigen Tiere sich zurückhielten?“

„Ja, so war es, Herr. Woher wisst ihr …“

„Weil dem trächtigen Tier das beste Futter zusteht. Ist es unter dem Dach deines Vaters etwa anders gewesen, wenn deine Mutter schwanger ging oder das Kind gesäugt hat?“

„Meine Mutter starb nach der Geburt einer Schwester, als ich noch sehr klein war. Der Vater fand keine neue Frau, weil das Auskommen nicht reichte.“

„Das tut mir leid, Junge. Jetzt erinnere ich mich, dein Vater gab dich in meine Dienste, als das Wasser sein Boot und auch eure Hütte mitnahm.“

Gosbert ging noch für eine Weile zwischen der Arbeit der Menschen einher, kontrollierte vor allem das Vorbereiten der großen Bratenstücke, das Herstellen der Wurstwaren und auch die derben Schlachtplatten. Für das erste große Fest des Jahres durfte nur das Beste den Weg bis auf die Tafel finden, nicht das zähe, sehnendurchsetzte oder übelriechende Zeug, welches man doch besser den Schweinen vorsetzte oder in der Schlachtsuppe tagelang verrührte. Als er es schließlich zu seiner Zufriedenheit fand, gab er noch Anweisung zur gründlichen Reinigung des Hofes mit dem Wasser seines Brunnens, zum Auslegen mit Stroh und für das Aufstellen der Bänke. Den Leibknechten befahl er die peinlichste Einhaltung seiner Wünsche. Nichts sollte an diesem Freudentag dem Zufall überlassen bleiben.

Der gemauerte Brunnen des umfriedeten Fürstenhofes war der ganze Stolz des Ortes. Vor wenigen Jahren erst hatte man ihn mit vereinten Kräften durch den Stein in die Tiefe getrieben. Seither stand sein Wasser all denen zur Verfügung, für die der Weg vom Fluss herauf zu beschwerlich war. Stets frisch und wohlschmeckend sagte man seinem Nass bereits heilende Kräfte gegen die verschiedenen Beschwernisse des Alters nach. Welch eine Verschwendung gegen die Abfälle und Gerüche einer Jagd.

Das Festgelage begann mit dem Hereinbrechen der Abenddämmerung. Gegen die Kühle des jungen Jahres brannten geschickt platzierte Feuer mit den großen Bratenstücken der Jagd. Die Musiker, Sänger und Tänzer Virtestats, wie der Ort seit einiger Zeit genannt wurde, überboten sich im fröhlichen Wettstreit. Die Kinder tobten zwischen den Bänken im Kampf um die fettesten Bissen herum. Männer und Frauen saßen an diesem einen Tag im Gelage beieinander, ohne dass bestimmte Aufgaben zugeteilt waren, man packte dort mit an, wo es gerade etwas zu tun gab.

Herzog Gosbert fand flammende Worte, wie man sie schon lange nichtmehrvon ihm gehört hatte. Erwarbester Laune, denn der Winter war mild gewesen, der Hunger fürs Erste gebannt, die slawischen Einfälle vergangener Jahre zurückgeschlagen und die Jagd diesmal ein großer Erfolg. Außerdem stand der feierliche Höhepunkt des Festes bevor, Herzogin Gailana würde von dem Umgang des Haupthauses die Treppe herabschweben, das Haar im Schein der Feuer golden schimmernd, die Augen im Glanz ihrer Anmut leuchtend, die Lippen voll, das Antlitz makellos, das ebenso edle wie teure Gewand ein schwindelerregender Traum über den Rundungen ihres sinnlichen Leibes. Im siebten Jahr der Herrschaft König Theuderichs war Gosbert den Zielen und der Erfüllung seiner Aufgaben als Herzog dieser entlegenen Grenzlande so nahe gekommen, wie er es zu Beginn seiner Herrschaft nicht für möglich gehalten hatte. Erst als ihm nach dem Tod seines früheren Weibes die Tochter des Ebroin zur Frau gegeben worden war, hatten die Geschicke eine neue und glücklichere Wendung genommen. Gailana war nicht nur seine Verbindung zu den Reichskreisen der wahrhaft Mächtigen, sie war auch das Glück seiner späten Jahre.

Und da kam sie! Noch strahlender als erwartet. Das Volk brach in Jubel aus.

Gailana und die frommen Männer

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