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Kapitel 1: 1980

Kattowitz 1980.

Es war ein eisigkalter Winter und der Schneesturm fegte durch die Straßen. Einige Menschen, die auf der Straße lebten zündeten in einem metallenen Ölfass ein Feuer an, um sich zu wärmen.

Ein Zug fuhr im Bahnhof ein. Er hatte das Ziel Paris in Frankreich. Auf dem Bahnsteig waren viele Polizisten, die alles beobachteten.

Die Leute stiegen nach und nach in ein. Er war voll und es stiegen noch einige Männer mit langen schwarzen Mänteln zu. Sie nahmen keinen Sitzplatz ein. Sie standen nur im Gang und beobachteten die Menschen. Alle waren sichtlich nervös. Sie hatten kein Wort gesagt.

„Peter, ich habe Angst! Guck mal, wir werden von der Geheimpolizei beschattet.“

„Beruhige dich Barbara. Alles wird gut. Wirke entspannt und nicht nervös. Dann werden die uns schon nichts tun.“

Barbara und Peter waren ein junges Ehepaar, Anfang zwanzig und aus einfachen Verhältnissen. Peter war Maschinenschlosser und Barbara war Buchbinderin.

Die Türen schlossen sich und der Zug rollte langsam in Richtung Paris. Alle waren still. Drinnen war es eisig kalt, denn sämtlichen Komfort oder gar eine Heizung, gab es nicht. Peter steckte sich eine Zigarette an. Langsam und mit einem wachsamen Auge gingen die Schutzmänner von Abteil zu Abteil. Es war ein wahrer Nervenkrieg für die Passagiere.

Die Geheimpolizisten waren da, weil es ein Zug war der aus einem Ostblockstaat in den kapitalistischen Westen fuhr. Deshalb wurden die Leute ganz genau überprüft.

In Barbaras und Peters Zugabteil, saß ein etwas älterer Mann. Er war ungefähr fünfzig Jahre alt. Er war dünn, hatte bereits graue Haare und einen Glatzenansatz und man sah ihm im Gesicht an, dass er in Oberschlesien einer schweren Arbeit nachging.

„Wo wollt ihr beide denn hin?“, fragte er Barbara und Peter.

„Nach Paris wollen wir. Urlaub machen. Wir haben gerade geheiratet.“, antwortete Peter.

„Glückwunsch! Das müssen wir doch feiern.“

Der ältere Herr zog heimlich aus seinem Mantel einen kleinen Flachmann mit Wodka gefüllt hervor. Er schraubte ihn auf und reichte den Flachmann an Peter.

„Na zdrowie!“, sagte er. Das heißt so viel wie „Zum wohl.“

Peter nickte und nahm einen Schluck. Er reichte ihn weiter an Barbara und auch sie nahm einen Schluck. Sie reichte den Alkohol weiter an den älteren Herren. Er nahm einen kräftigen Schluck und steckte den Flachmann wieder in seine rechte Manteltasche.

„Warum möchten sie denn nach Frankreich?“, fragte Peter den älteren Herrn.

„Mein Bruder lebt in Paris und er ist todkrank. Da habe ich die Ausreisebewilligung bekommen. Ich weiß gar nicht ob er noch leben wird wenn wir ankommen werden.“, antwortete der Herr.

„Oh je. Das ist aber schlimm! Ich wünsche ihnen und ihrem Bruder alles Gute. Ich hoffe, dass er wieder gesund wird.“, sagte Barbara.

Alle drei zündeten sich eine Zigarette an und sie unterhielten sich noch ein wenig über das Leben in Oberschlesien und darüber wie der Urlaub in Frankreich wohl werden wird.

Nach einiger Zeit des Redens wurde es wieder still im Abteil und Barbara war eingeschlafen.

Der Zug fuhr und es geschah nichts Außergewöhnliches, doch plötzlich heulten die Bremsen auf. Es ruckelte sehr stark. Barbara wachte auf.

„Peter. Was ist los?“, fragte sie.

„Ich glaube wir sind jetzt an der polnischen Grenze.“, antwortete Peter.

Der Zug kam zum Stehen. Draußen wurde es auf einmal sehr hell. Es waren Scheinwerfer.

Es gab im ganzen Land kaum Scheinwerfer oder Straßenlaternen und wenn doch, dann waren sie sehr oft ausgeschaltet. Dafür gab es an der Grenze umso mehr.

Der Zug stand und es tat sich erst mal gar nichts.

Barbara hatte große Angst vor den polnischen Grenzsoldaten und der ganzen Situation. Sie schloss die Augen und begann zu beten. Peter sah, dass seine Frau besorgt war. Er verhielt sich ruhig und sagte gar nichts. Er steckte sich eine Zigarette an, stand auf, öffnete das Fenster des Abteils und schaute nach draußen. Er schaute sich die Scheinwerfer an. Diese waren geradewegs auf den Bahnsteig und auf die Umgebung rund um den Bahnhof gerichtet. Er schaute sich noch ein bisschen um und warf den Zigarettenstummel aus dem Fenster.

Die Polizisten die in zivil in Kattowitz mit eingestiegen waren, stiegen hier an der Grenze aus. Und wieder tat sich nichts. Der Zug stand fast zwei Stunden da und nichts geschah.

Plötzlich stiegen uniformierte Grenzsoldaten ein. Jeder von ihnen hatte ein AK-47 Gewehr bei sich.

Einer der Grenzsoldaten schrie plötzlich.

„Die Reisepässe! Sofort.“

Alle Fahrgäste zückten die Reisepässe und gaben sie den jeweiligen Grenzsoldaten. Anschließend schauten sich die Grenzer noch im Zug um und verließen diesen dann mit den Reisepässen. Wieder tat sich gar nichts und alle mussten warten bis die Pässe überprüft worden waren.

Nach etwa einer Stunde bestieg ein ranghöherer Grenzsoldat den Zug und gab die Reisepässe wieder aus. Jeder wurde abgestempelt.

Der Grenzer war recht freundlich. Er wünschte eine gute Weiterreise und verließ den Zug.

Nach zehn Minuten ging es weiter durch die DDR. Wieder wurde es dunkel und die Anspannung legte sich wieder.

„Die erste Hürde haben wir geschafft.“, freute sich Peter.

„Ja das haben wir wohl.“, erwiderte Barbara.

Der ältere Herr der auch im Abteil saß meldete sich plötzlich zu Wort.

„Das war noch harmlos. Die polnischen Soldaten sind auf unserer Seite. Deshalb haben sie uns auch alle durchgelassen. Man kann fast sagen, dass es unsere Freunde sind. Schlimmer wird es aber an der DDR-Grenze. Dort wird richtig scharf kontrolliert. Ich hoffe wir schaffen es alle durch die Grenze.“

Das junge Ehepaar schwieg.

Der Zug rollte für einige Stunden durch die DDR und dann wurde es plötzlich wieder hell und die Bremsen jaulten wieder los. Das war „Die Grenze.“ „Der eiserne Vorhang.“ Dahinter versprachen sich alle ein besseres Leben.

Wieder geschah dasselbe. DDR-Grenzer stiegen in den Zug, sammelten die Reisepässe ein und verließen den Zug wieder. Anschließend kamen andere Grenzer mit Wachhunden und Eisenstangen in den Zug. Die Hunde schnüffelten alles durch und die Grenzposten klopften mit den Eisenstangen auf den grauen Boden des Zuges. Solang sich die Klopfgeräusche hohl anhörten war alles in Ordnung. Hörte es sich dumpf an dann hat sich ein illegaler Passagier unter den Zug gehangen. Im Zug nach Paris war alles okay. Jedes Klopfgeräusch war hohl und auch die Wachhunde hatten nichts Auffälliges finden können. Die Grenzer wollten jedoch noch etwas Spannung aufbauen und kontrollierten nochmal alles ganz genau.

Barbara fühlte sich wieder etwas unwohl und griff nach Peters Hand.

„Alles wird gut. Bleib ruhig.“

Ein Grenzsoldat sah, dass Barbara Angst hatte. Er ging mit einem Wachhund in das Abteil und stellte sich demonstrativ vor den älteren Herren und das Ehepaar. Er wollte Druck aufbauen und schikanieren. Er grinste und ging weiter. Barbara atmete tief aus.

Der Zug stand noch etwa eine halbe Stunde. Dann kam ein Grenzsoldat und gab die abgestempelten Reisepässe wieder an die jeweiligen Besitzer aus.

Er gab dem Lokführer auch ein kurzes Zeichen, sodass er weiterfahren konnte. Anschließend wurden alle Türen verschlossen und der Zug nahm langsam wieder Fahrt auf.

Nach fünf Minuten rief jemand:

„Wir haben es geschafft. Wir sind im Westen!“

Alle atmeten auf. Gelächter ging los und die ganze Anspannung löste sich plötzlich. Einige Leute stimmten oberschlesische Volkslieder an die sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Alle sangen fröhlich und ausgelassen.

„Ciao Polska.“, murmelte Barbara leise vor sich hin. Das Ehepaar schaute sich an. Sie fingen an zu grinsen und küssten sich.

„Der erste Kuss auf deutschem Boden.“, sagte Peter zu Barbara. Sie lachte nur. Alle konnten nur lachen. An die schlechte und angespannte Stimmung dachte niemand mehr.

„Na ihr beiden. Wollt ihr immer noch nach Frankreich?“, fragte der ältere Herr das junge Ehepaar mit einem ungläubigen Grinsen im Gesicht.

„Nein, das war nur ein Vorwand um auszureisen. Wir bleiben hier in Deutschland. Erst einmal fahren wir ins Übergangslager Friedland.“

„Und sie? Haben sie einen kranken Bruder in Frankreich oder bleiben sie auch hier in Deutschland?“, fragte Barbara vorsichtig.

„Ich bleibe hier. Mein kranker Bruder lebt hier in Deutschland. In Essen um genau zu sein. Aber da man Deutschland nicht erwähnen durfte habe ich eben Frankreich gesagt. Ich bin froh, dass die das in Polen nicht weiter überprüft haben“, antwortete der ältere Herr.

„Alles Gute für sie und ihren Bruder. Ich hoffe, dass er wieder gesund wird.“, wünschte Barbara dem älteren Herrn.

„Danke!“, bedankte sich der Herr.

Die Fahrt ging weiter. Es war jedoch nun eine schöne und lustige Zugfahrt. Die Stimmung war wirklich ausgelassen. Mittlerweile hatten sich alle ein wenig unterhalten und es kam zu Tage, dass keiner nach Frankreich wollte. Alle blieben in Westdeutschland.

Der Zug rollte in Friedland ein.

„Oh mein Gott. Diese Baracken und diese Schornsteine! Was wird wohl hier mit uns geschehen.“, dachte sich Peter.

„Und, ist es so wie du es dir vorgestellt hast Peter?“, fragte der ältere Herr.

„Wissen sie, ich unternahm als Junge mit der Schule eine Exkursion nach Auschwitz. Da sah es genauso aus. Ich weiß nicht was ich gerade denken soll.“, antwortete Peter.

„Keine Angst, so schlimm wird es nicht werden. Und falls doch, dann bist du zumindest in Deutschland ums Leben gekommen.“, scherzte der ältere Herr.

Peter sagte nichts dazu. Er schaute etwas ängstlich und besorgt aus dem Fenster.

Der Zug kam zum Stehen. Draußen war es mittlerweile hell geworden. Doch es war verregnet und die Wolken waren dunkelgrau und hingen sehr tief.

Alle stiegen nach und nach aus. Barbara sah das Lager nun vom Zug aus. Sie war besorgt als sie das gesehen hatte. Die verhangenen Wolken, die Baracken. Alles sah aus wie ein altes Konzentrationslager. Der Zug war leer und sogar der Lokführer wollte nicht zurück. Er blieb auch in Deutschland.

Ein Mitarbeiter vom roten Kreuz begann durch ein Megafon zu sprechen:

„Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich weiß, dass sie eine 24-stündige Zugreise hinter sich hatten. Dennoch möchte ich sie ganz herzlich in der Bundesrepublik Deutschland willkommen heißen. Meine Kollegen geben ihnen gleich eine frische Tasse Kaffee sowie frische Brötchen. Ich wünsche ihnen allen alles Gute.“

Einige Leute klatschten.

Nun wurden Kaffee und Brötchen verteilt. Die ersten gingen bereits in ein Büro wo einige Aufenthaltsanträge und verschiedene Papiere ausgefüllt werden mussten.

„Naja, wohl fühle ich mich bei der ganzen Sache nicht. Was meinst du Peter. Sollen wir nicht zurückfahren?“, fragte Barbara.

„Nein. Wir warten erst mal ab. So schlimm wird es nicht werden.“, antwortete Peter mit einer beruhigenden Stimme.

Die Flucht, die zu Beginn schier unmöglich schien, ist geglückt.

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